Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 21.04.2022, RV/5100821/2021

Keine Nachsicht iSd § 236 BAO, wenn Aufhebung eines von einem Nichtbescheid abgeleiteten Bescheides wegen Verjährung nicht möglich ist (Rechtslage vom BGBl. I Nr. 3/2021)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende ***V***, Richter ***R*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***L1*** und ***L2*** in der Beschwerdesache Dkfm. ***Bf1***, ***AdrBf1***, vertreten durch ***Stb1***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***X*** (nunmehr: Finanzamtes Österreich ) vom betreffend Abweisung des Antrages auf Nachsicht gem. § 236 BAO vom , Steuernummer, ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***S*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schreiben vom brachte Herr Dkfm. ***Bf1***, der Beschwerdeführer, durch seine ausgewiesene steuerliche Vertretung Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 ein. Sollte dem Beschwerdebegehren nicht stattgegeben werden können, werde in eventu der Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO aufgrund des Vorliegens sachlicher Unbilligkeit gestellt. Aus der Beteiligung an der ***A neu*** GmbH & Co KG habe sich für den Beschwerdeführer inkl. Veräußerungsergebnis eine Einkommensteuerbelastung von 62.066,36 € ergeben. Diese sachliche Unbilligkeit bereits in der Abgabenvorschreibung sei augenscheinlich. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, ein solches Ergebnis auch nur in Kauf genommen zu haben. Eine Berücksichtigung in den Feststellungs- und Veranlagungsjahren 1999 und 2000 wäre aufgrund einer Regelungs- und Rechtschutzlücke nicht möglich gewesen. Es werde daher in eventu beantragt, gemäß § 236 BAO wegen Unbilligkeit der Festsetzung (teilweise bereits entrichtete) Einkommensteuer wie folgt abzuschreiben:


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ESt-Belastung aus Beteiligung bisher
62.066,36
42 % ESt auf effektiven Verlust 2017
7.814,77
beantragte Abschreibung insgesamt
69.881,13

Mit Bescheid vom wurde das Nachsichtsansuchen vom abgewiesen. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass nach Ansicht des Beschwerdeführers die sachliche Unbilligkeit dadurch indiziert sei, dass eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 aus Gründen der Verjährung nicht mehr möglich sei. Eine Berücksichtigung der hier gegenständlichen Umstände im Einkommensteuerbescheid 2017 scheitere an der Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheides an den Feststellungsbescheid. Das BFG habe in ähnlich gelagerten Fällen die Gewährung einer Nachsicht gemäß § 236 BAO ausgeschlossen: "Wie der Verwaltungsgerichtshofin ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, dient eine Nachsicht nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen und unterlassene Rechtsbehelfe, insbesondere Berufungen (Beschwerden), nachzuholen (mwN).
Es ist dem Beschwerdeführer zwar einzuräumen, dass die Unabänderbarkeit des Einkommensteuerbescheides infolge Eintritts der Verjährung eine gewisse Härte darstellt, diese Härte ist aber vom Gesetzgeber offenbar gewollt, es ist im vorliegenden Fall kein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten. Eine Nachsicht würde unzulässigerweise das geltende Gesetz umgehen. Eine solche durch eine allgemein gültige Rechtsvorschrift bewirkte, nicht auf den Einzelfall beschränkte Härte vermag für sich keine Unbilligkeit nach § 236 BAO zu begründen (vgl. ; ).
"
Aus der Begründung des Nachsichtsansuchens und aus der Aktenlage könne keine Unbilligkeit in der Einhebung erblickt werden, zumal eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliege, die alle Abgabenpflichtigen in gleicher Weise treffen würde.

Mit Schriftsatz der steuerlichen Vertretung vom wurde das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Hinsichtlich des Sachverhalts werde auf die Aktenlage, insbesondere die Beschwerde vom mit weiteren Anträgen verwiesen. Der Beschwerdeführer habe aus einer Beteiligung (ohne Zins- und Steuereffekt) über die gesamte Beteiligungsdauer (1999 bis 2017) folgende Zahlungen gehabt:
Einzahlungen des Beschwerdeführers:
Einlage 1999 72.672,83
Agio 1999 5.087,10 77.759,93
Rück-/Zuflüsse an den Beschwerdeführer:
Auszahlung 2001 1.015,08
Verkaufserlös 2017 58.138,26 59.153,34
effektiver (cash-mäßiger) Verlust - 18.606,60
Gleichzeitig habe die genannte Beteiligung über die gesamte Beteiligungsdauer beim Beschwerdeführer zu folgenden Steuerwirkungen geführt:
50 % auf Ergebnistangenten 2001 bis 2012 50.659,78
43,2 % auf Ergebnistangente 2013 1.020,33
37,85 % auf Ergebnistangente 2017 239,31
ESt auf VÄ-Gewinn 2017 lt. Bescheid 20.954,81
Summe Steuerbelastung 71.974,23
Negative Ergebnistangenten der Jahre 1999 und 2000 seien aufgrund einer Regelungs- und Rechtschutzzlücke (vgl. Zurückweisungsbescheid vom bzw. Beisteiner/Beisteiner, SWK Heft 30/2018, 1316) nicht berücksichtigt worden. In den Jahren 2014 bis 2016 hätten die Ergebnistangenten 0,00 betragen.
Die auf Basis der Rechtslage korrekt ergangenen Bescheide würden im konkreten Fall zum ganz evident sachlich unbilligen Ergebnis führe, dass für einen effektiven Verlust von rund 18.600,00 € eine Einkommensteuer von rund 72.000,00 € eingehoben werde. Die korrekte Anwendung des Gesetzes führe hier zu einem vom Gesetzgeber wohl offensichtlich nicht beabsichtigten Ergebnis, welches auch dem grundlegenden Leistungsfähigkeitsprinzip und den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Steuerrechts widersprechen würde.
Es werde daher beantragt, den beschwerdegegenständlichen Abweisungsbescheid vom aufzuheben und gemäß § 236 BAO bereits fällige Abgabenschulden abzuschreiben wie folgt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
bisher festgesetzte ESt in Zusammenhang mit der MU-Beteiligung 2011 bis 2017
71.974,23
37,85 % ESt (= Grenzsteuersatz 2017) auf den effektiven Verlust aus der MU-Beteiligung iHv 18.606,60 € im Zeitpunkt der Abschichtung 2017
7.042,60
beantragte Abschreibung gesamt
79.016,83

Sofern das Bundesfinanzgericht der Beschwerde nicht stattgeben könne, werde angeregt, ein Normenkontrollverfahren zu initiieren. Folgende sachverhaltsrelevanten Grundrechtsfragen seien zu prüfen:
"1. Ist es mit dem Recht auf Eigentum nach Art. 5 STGG bzw. Art. 1 des 1. ZP zur EMRK vereinbar, dass die Bestimmungen des EStG in Zusammenspiel mit den verfahrensrechtlichen Bestimmungen der BAO in Fällen wie dem vorliegenden (Unmöglichkeit der Korrektur von Mitunternehmer-Ergebnistangenten bei besonders langer Verfahrensdauer auf Seiten der Mitunternehmerschaft wegen zwischenzeitig eingetretener Verjährung beim steuerpflichtigen Mitunternehmer) bei insgesamt negativen Einkünften aus einer MU-Beteiligung zu einer exzessiven Besteuerung von mehr als 100 % dieser Einkünfte führt?
2. Ist es mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 7 B-VG bzw. Art. 2 StGG vereinbar, dass die rechtsrichtige Besteuerung von Mitunternehmer-Ergebnistangenten bzw. schließlich Veräußerungsgewinnen aus einer MU-Beteiligung von Zufälligkeiten und außerhalb des Einflusses des Mitunternehmers stehenden Umständen wie insb. der Dauer eines abgabenbehördlichen Ermittlungs-, Prüfungs- und allenfalls Rechtsmittelverfahrens auf Ebene der Mitunternehmerschaft abhängt?
3. Sofern die anzuwendenden Normen des EStG bzw. der BAO grundsätzlich als verfassungskonform erachtet werden ist zu prüfen, ob sie von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Verwaltungsgerichtshof nicht teleologisch verfehlt und in grundrechtswidriger Weise interpretiert und angewendet werden
."
Der Beschwerdeführer sei durch die vorgenommene Anwendung der Rechtsnormen derzeit jedenfalls in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde auf den Zurückweisungsbescheid gemäß § 295 Abs. 4 BAO betreffend Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom sowie auf die Beschwerdevorentscheidung betreffend Einkommensteuer 2017 vom verwiesen.
Die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde sei gemäß § 271 BAO aufgrund eines beim VwGH anhängigen Verfahrens in einem ähnlich gelagerten Fall ausgesetzt worden. Der VwGH habe mit Beschluss vom die diesbezügliche Revision zurückgewiesen.
In Bezug auf die gegenständliche Beschwerde würden folgende Parallelen vorliegen:
Der Beschwerdeführer habe die Zurückweisung seines Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO (samt Eventualantrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO) vom nicht bekämpft und in Rechtskraft erwachsen lassen. Die abgeleiteten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 und 2000, jeweils vom , seien daher rechtskräftig.
Ebenso in Rechtskraft erwachsen sei die Beschwerdevorentscheidung vom betreffend die Einkommensteuer für das Jahr 2017 (hinsichtlich der Besteuerung des Veräußerungsbewinnes).
Wie in der Bescheidbegründung vom des Bescheides betreffend Abweisung einer Nachsicht vom bereits ausgeführt worden sei, könne das Finanzamt das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit nicht erblicken. Auf diese Begründung werde verwiesen.
Der Verwaltungsgerichthof habe in seinem Beschluss vom zu Ra 2018/13/0098 ua Folgendes ausgeführt:
"(12) Der Revisionswerber hat die Zurückweisung seines Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 295Abs. 4 BAO allerdings nicht bekämpft. Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides ist mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen; das gilt auch für eine potentielle Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes (vgl. bis 0081, mwN).
(13) Der Umstand, dass die seinerzeitige Zurückweisung des Antrages gemäß § 295
Abs. 4 BAO auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhte, führt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Einzeifall (vgl. grundlegend , und aus der ständigen Rechtsprechung etwa , 2006/16/0007, mwN)."
Hinzuweisen sei auf den Umstand, dass der Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO (sowie der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO) als unzulässig (bzw. als verspätet) zurückgewiesen worden sei.
Zusammengefasst liege daher keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor. Liege eine Unbilligkeit nicht vor, so sei ein auf eine Nachsicht gerichteter Antragt im Rahmen einer Rechtsentscheidung, somit ohne dass es zu einer Ermessensentscheidung komme, abzuweisen.

Nach Rechtsmittelfristverlängerung wurde mit Schreiben vom der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht eingebracht. Der Zurückweisungsbescheid vom sei nicht bekämpft worden, da dieser Bescheid zum damaligen Stand, insb. untermauert durch VwGH 2015/13/0005 und 20105/15/0047, formal korrekt gewesen sei. Die grundsätzliche Regelungs- und Rechtschutzlücke bestehe ja in der nicht durchgängigen Verknüpfung von Feststellungsbescheid und abgeleitetem Bescheid, die nicht Kernthema des Verfahrens 2017 gewesen sei. Für Ritz (BAO6, § 295 Rz 21g) sei diese VwGH-Judikatur vielmehr ein mittelbarer Appell an den Gesetzgeber, eine Novellierung des § 295 Abs. 4 vorzunehmen, damit diese Bestimmung wieder ihren Normzweck erfüllen könne.
Zudem würde der VwGH in seiner Rechtsprechung aus 2011 übersehen, wonach "durch die Regelung des § 188 BAO somit ein Ausschnitt der Einkommensteuer-Verfahren der Beteiligten, der im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer für die Beteiligten durchzuführen wäre, in ein einheitliches Sonderverfahren gebündelt wird".
Ebenso wäre die Beschwerdevorentscheidung vom betreffend Einkommensteuer 2017 nicht weiter bekämpft worden, da Wurzel der vorliegenden Thematik die Besteuerung der Jahre 1999 und 2000 auf Basis von (nachträglich festgestellten) Nichtbescheiden sei.
Die grundsätzliche Regelungs- und Rechtschutzlücke bestehe trotz mehrfacher Thematisierung in der Literatur nach wie vor, der Normzweck einer inhaltlich richtigen und sachgerechten Besteuerung könne in Fällen wie dem vorliegenden derzeit auf Basis der bestehenden Rechtslage nicht erfüllt werden.
Auch der "Vorwurf" des VwGH (Ra 2018/13/0098), der Revisionswerber hätte nicht vorsorglich Rechtsmittel gegen die zugrundeliegenden Einkommensteuerbescheide eingebracht, zeuge von einem eigenwilligen Verständnis der Funktionsweise unseres Rechtsstaates. Würde diese "Anregung" des VwGH befolgt, würden nicht nur die Rechtsunterworfenen und Verwaltungsbehörden bzw. Gerichte über Jahre beschäftigt sein, sondern wäre auch einer der Grundaufgaben der Gerichtsbarkeit, nämlich Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herzustellen, verunmöglicht.
Der vorliegende Fall führe ganz evident zu einem sachlich unbilligen Ergebnis, nämlich dass für einen effektiven Verlust von rund 18.600 € eine Einkommensteuer von rund 72.000 € eingehoben werde. Dass eine solches Ergebnis "vom Gesetzgeber offenbar gewollt" sei, könne dem Gesetzgeber einfach gesetzlicher Normen wohl nicht unterstellt werden, würde es doch auch dem grundlegenden Leistungsfähigkeitsprinzip und den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Steuerrechts widersprechen. Der Gesetzgeber könne und dürfe nicht ein verfassungswidriges Ergebnis intendiert haben.
Das gegenständliche Nachsichtsansuchen sei somit - derzeit - die einzige Möglichkeit, die materiellen Folgen eines verfassungswidrigen Ergebnisses der Anwendung bestehender einfachgesetzlicher Normen zu beseitigen.
Schließlich wurde die Anregung wiederholt, das Bundesfinanzgericht möge ein Normenkontrollverfahren initiieren.
Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der zu klärenden Rechtsfragen werde gemäß § 272 Abs. 2 BAO eine Entscheidung durch den Richtersenat beantragt. Sofern dem Beschwerdebegehren nicht vollinhaltlich stattgegeben werde, werde gemäß § 274 Abs. 1 BAO eine mündliche Verhandlung beantragt.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am legte der Vertreter des Beschwerdeführers eine Chronologie des bisherigen Verwaltungsablaufes vor. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass es im Wesentlichen darum gehe, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einer Beteiligung einen wirtschaftlichen Verlust erlitten habe, für den er letztendlich Einkommensteuer zwischen 70.000,00 und 80.000,00 € zu bezahlen habe. Im Raum stehe, dass nicht alle möglichen Rechtsmittel ergriffen worden seien. Dem sei entgegenzuhalten, dass der gemäß § 295 BAO geänderte Einkommensteuerbescheid ohne Berücksichtigung der Tangente aus dem Jahre 2006 stamme. § 295 Abs. 4 BAO habe in der damals geltenden Fassung auf die verfahrensabschließende Erledigung abgestellt, wobei zunächst strittig gewesen sei, ob dies auf Ebene der Gesellschaft oder des Beteiligten zu gelten habe. Erst 2017 habe der VwGH entschieden, dass dies im Hinblick auf den Beteiligten gelte. Umstände, die außerhalb der Sphäre des Abgabenpflichtigen lägen, könnten nicht zu dessen Nachteil führen. Es sei faktisch nicht möglich, ein Verfahren von 2006 bis 2021 offen zu lassen. Eine Berücksichtigung des Verlustes aus dem Jahr 1999 im Rahmen der Berechnung des Veräußerungsgewinnes sei aufgrund der Bindungswirkung nicht möglich gewesen. Aufgrund der eingetretenen Verjährung wären weitere Rechtsmittel nicht möglich gewesen. Die Verjährung sei bereits Ende 2012 eingetreten.
Seitens des Finanzamtes wurde insbesondere auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/13/0098, und auf den Umstand verwiesen, dass die Zurückweisungsbescheide vom (betr. Aufhebung bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens des Einkommensteuerbescheides 1999) in Rechtskraft erwachsen und auch nicht korrekt eingebracht worden seien. Es werde daher die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Vertreter des Beschwerdeführers beantragte die Stattgabe der gegenständlichen Beschwerde unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer im Alter von 58 Jahren eine Mitunternehmerschaft gezeichnet habe, aus der er ein Verlust von einigen Tausend Euro resultiere. Dafür müsse er jetzt nicht unbeträchtliche Einkommensteuer bezahlen. Er sei mittlerweile Pensionist, sein Gesundheitszustand sei schlecht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer hat sich im Jahr 1999 als Kommanditist am Unternehmen der ***A alt*** KEG, nunmehr ***A neu*** GmbH & Co KG mit einer Einlage von EUR 72.672,83 sowie einem Agio von EUR 5.087,10 beteiligt. Im Jahr 2017 hat der Beschwerdeführer seinen Mitunternehmeranteil um EUR 58.138,26 veräußert. Zwischen 1999 und 2017 wurden dem Beschwerdeführer folgende Ergebnisse aus dieser Beteiligung zugewiesen:


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Laufende Ergebnisse
Grundfreibetrag
Steuerliche Ergebnisse
Veräußerungsgewinn
1999
  1. 181.682,09
  1. 181.682,09
2000
4.060,30
4.060,30
2001
0,00
0,00
2002
1.453,46
1.453,46
2003
4.723,73
4.723,73
2004
1.090,09
1.090,09
2005
6.722,24
6.722,24
2006
9.992,51
9.992,51
2007
24.870,67
24.870,67
2008
3.088,60
3.088,60
2009
6.252,00
6.252,00
2010
40.110,32
- 609,57
  • 39.500,75
2011
36,34
  1. 4,72
31,62
2012
2.979,59
- 387,35
2.592,24
2013
2.361,87
- 307,04
2.054,83
2014
0,00
0,00
0,00
2015
0,00
0,00
0,00
2016
0,00
0,00
0,00
2017
726,73
  1. 94,47
632,26
54.607,03
Summe
  1. 73.213,64
  1. 74.616,79

Die steuerlichen Ergebnisse für die Jahre 1999 und 2000 wurden aus folgenden Gründen tatsächlich steuerlich nicht berücksichtigt:
Für das Jahr 1999 wurde zunächst mit Bescheid vom ein Verlust in Höhe von 181.682,08 € berücksichtigt (Einkommensteuergutschrift: 89.621,23 €). Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom gemäß § 295 Abs. 1 BAO insofern geändert, als dieser Verlust nicht mehr berücksichtigt wurde.
Für das Jahr 2000 wurde zunächst mit Bescheid vom ein Gewinnanteil von 4.060,30 € zugewiesen. Auch dieser Bescheid wurde gemäß § 295 Abs. 1 BAO geändert und der Gewinnanteil nicht mehr berücksichtigt (Bescheid vom ).
Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass die Änderung aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen zu Steuernummer ***StNr2*** (Firma ***A alt*** KG) erfolgt sei.
Die gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheide vom erwuchsen in Rechtskraft.

Mit Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0542-K/08, die ***A alt*** KEG betreffend, wurde ausgesprochen, dass den Feststellungen der Einkünfte für die Jahre 1999 bis 2001 keine Rechtswirksamkeit zukomme, weil gegen das bei Grundlagenbescheiden im Sinne des § 188 BAO geltende Gebot der Einheitlichkeit verstoßen worden sei. Begründend wurde ausgeführt, dass Erledigungen im Sinne des § 188 BAO ergangen seien, in denen die von der KEG in den Jahren 1999 bis 2001 erzielten Einkünfte je zur Hälfte den Komplementären zugewiesen wurden. An die Kommanditisten seien Erledigungen erlassen worden mit dem Inhalt, dass eine Feststellung der Einkünfte hinsichtlich der KEG und der Kommanditisten für die Jahre 1999 bis 2001 unterbleibt. Für den gleichen Zeitraum wurden also zwei Bescheide erlassen: ein Feststellungsbescheid vom über die Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO und Zuweisung von Einkünften nur an die Komplementäre (keine Feststellung in Bezug auf die Kommanditisten) und ein Feststellungsbescheid vom , mit dem ausgesprochen wurde, dass eine Feststellung von Einkünften hinsichtlich der KEG und der Kommanditisten unterbleiben würde. Diese Erledigungen haben keine Rechtswirksamkeit erlangt.

In weiterer Folge beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1999. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom zurückgewiesen. Dies einerseits, weil die Anträge mittels nicht unterschriebenem Fax eingebracht worden waren, andererseits wegen Eintritts der Verjährung. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Im Jahr 2017 veräußerte der Beschwerdeführer die beschwerdegegenständliche Beteiligung. Im Bescheid vom betreffend Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO wurden die Einkünfte des Beschwerdeführers mit 55.239,29 € (berücksichtigter Grundfreibetrag iHv 94,47 €, Veräußerungsgewinn 54.607,03 €) festgestellt. Aufgrund der entsprechenden Tangente änderte das Finanzamt den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid gemäß § 295 Abs. 1 BAO und setzte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 55.239,29 € an (anstatt wie im Erstbescheid mit - 109.170,00 €). Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde eingebracht und beantragt, den Veräußerungsgewinn wie folgt zu berechnen:


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Verkaufserlös
58.138,26
abzüglich pos. Kapitalkonto
  1. 181.153,01
Veräußerungsergebnis
  1. 123.014,75

Der Stand des Kapitalkontos würde sich wie folgt ergeben:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Einlage
72.672,83
Agio
5.087,10
EK-Auszahlungen
  1. 1.015,08
Ergebnistangenten 1999 bis 2017
(ohne 1999 bis 2001
104.408,15
Kapitalkonto per 12/2017
181.153.01

Im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung vom führte das Finanzamt im Wesentlichen begründend aus, dass nach § 192 BAO im Einkommensteuerverfahren eine Bindung an die im Feststellungsbescheid enthaltene Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO bestehe. Der Bescheid vom betreffend Feststellung der Einkünfte 2017 ist gegenüber dem Beschwerdeführer wirksam geworden. Darin ist die Höhe des auf den Beschwerdeführer entfallenden Anteils an den gemeinschaftlichen Einkünften für das Einkommensteuerverfahren bindend mit 55.239,29 € (davon Veräußerungsgewinn 54.607,03 €) festgestellt worden. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass der Hälftesteuersatz gemäß § 37 Abs. 5 Z 3 EStG nicht, jedoch der anteilige Veräußerungsfreibetrag zusteht. Die Einkünfte aus Gewerbetrieb wurden wie folgt berechnet:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Veräußerungsgewinn
54.607,03
abzügl. Veräußerungsfreibetrag
  1. 1.622,06
Steuerlicher Veräußerungsgewinn
52.984,97
laufender Gewinn 2017
632,26
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
53.617,26

Die Beschwerdevorentscheidung vom erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom legte der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers eine an die Beschwerdevorentscheidung angepasste Berechnung des beantragten Nachsichtsbetrages vor:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
50 % auf Ergebnis-Tangenten 2001 - 2012
50.659,78
43,2 % auf Ergebnis-Tangente 2013
1.020,33
37,85 % auf Ergebnistangente 2017
239,31
ESt auf Veräußerungsgewinn 2017 lt. Bescheid
20.054,81
37,85 % auf effektiven Verlust 20107
7.042,60
beantragte Abschreibung gesamt
79.016,82

Strittig ist im gegenständlichen Verfahren nunmehr, ob der Betrag von 79.016,82 € einer Nachsicht gemäß § 236 BAO zugänglich ist.

Beweiswürdigung

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich aus den Parteienvorbringen, den vorgelegten Unterlagen, insbesondere aus der Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0542-K/08, dem Zurückweisungsbescheid vom und der Beschwerdevorentscheidung vom .

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB ; ) anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist.

Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Stoll, BAO, 2436).

Wenn die Abgabenfestsetzung dem Gesetz entspricht, so kann doch auch die in der Sache gelegene Unbilligkeit zu einer Nachsicht führen. Dies vor allem dann, um offenkundig ungewollten Auswirkungen der allgemeinen gesetzlichen Tatbestände abzuhelfen. Es ist somit möglich, dass die Einhebung der zutreffend festgesetzten Abgabe den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass die Einhebung der Abgabe im Einzelfall unbillig erscheinen muss (Stoll, BAO, 2429).

Die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung setzt daher in derartigen Fällen gerade die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung voraus. Trotz richtiger Abgabenfestsetzung muss es zu einem sachlich unbilligen Ergebnis kommen. Eine unrichtige Abgabenfestsetzung ist dagegen im (ordentlichen und allenfalls auch außerordentlichen) Rechtsweg zu bekämpfen und richtig zu stellen. Einer Abgabennachsicht bedarf es in einem solchen Fall nicht.

Im vorliegenden Fall erblickt der Beschwerdeführer die sachlich bedingte Unbilligkeit in dem Umstand, dass die Ergebnistangenten der Jahre 1999 und 2000 in Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der ***A alt*** KEG, nunmehr ***A neu*** GmbH & Co KG, steuerlich nicht berücksichtigt wurden. Dazu kam es aus folgenden Gründen:
Für das Jahr 1999 wurde zunächst mit Bescheid vom ein Verlust in Höhe von 181.682,08 € berücksichtigt (Einkommensteuergutschrift: 89.621,23 €). Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom gemäß § 295 Abs. 1 BAO insofern geändert, als dieser Verlust nicht mehr berücksichtigt wurde.
Für das Jahr 2000 wurde zunächst mit Bescheid vom ein Gewinnanteil von 4.060,30 € zugewiesen. Auch dieser Bescheid wurde gemäß § 295 Abs. 1 BAO geändert und der Gewinnanteil nicht mehr berücksichtigt (Bescheid vom ).
Mit Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0542-K/08, die ***A alt*** KEG betreffend, wurde ausgesprochen, dass den Feststellungen der Einkünfte für die Jahre 1999 bis 2001 keine Rechtswirksamkeit zukomme, weil gegen das bei Grundlagenbescheiden im Sinne des § 188 BAO geltende Gebot der Einheitlichkeit verstoßen worden sei.
In weiterer Folge beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1999. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom wegen Eintritts der Verjährung zurückgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Eine nachträgliche Berücksichtigung der bislang nicht berücksichtigten Tangenten für 1999 und 2000 im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes im Jahr 2017 ist aufgrund der Bindungswirkung an den Feststellungsbescheid nicht möglich. Diesbezüglich wird auf die rechtskräftige Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes ***X*** vom verwiesen. Auch diesbezüglich wurden die allgemein gültigen Normen des Feststellungsverfahrens (insbesondere § 252 BAO) angewendet.

Am (Datum des Zurückweisungsbescheides) galt der § 295 Abs. 4 BAO in folgender Fassung:
"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat, gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zu stellen."

Wie im Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes ***X*** vom ausgeführt wurde, sind als die das Verfahren abschließenden Bescheide die gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom anzusehen, deren Rechtskraft Mitte Jänner 2007 eingetreten ist. Die Frist nach § 304 lit. b BAO ist somit Mitte Jänner 2012 abgelaufen. Der am eingebrachte Antrag iSd § 295 Abs. 4 BAO war daher als verspätet zurückzuweisen.

Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides ist mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen; das gilt auch für eine potentielle Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes ().

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Rechtssatz zur Entscheidung vom , Ra 2015/15/0031, Folgendes ausgesprochen: "Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2015/13/0005, darauf hingewiesen, dass es dem Revisionswerber von Anfang an freigestanden wäre, die abgeleiteten Bescheide mangels Bescheidqualität der ihm bekannten Erledigungen, auf die sie sich gründeten, mit Berufung (nunmehr Beschwerde) zu bekämpfen. Erhebt der Revisionswerber gegen die Einkommensteuerbescheide aber keine Rechtsmittel, lässt er für den Fall einer späteren Zurückweisung der Rechtsmittel gegen die als Grundlagenbescheide herangezogenen Erledigungen das Erfordernis einer Rechtskraftdurchbrechung entstehen. Dass der Gesetzgeber in § 295 Abs. 4 BAO in der Folge ein für den Fall des Vorliegens einer Zurückweisung vereinfachtes, aber ebenfalls an die Bedingungen des § 304 BAO geknüpftes Verfahren zur Aufhebung von einem Nichtbescheid abgeleiteter Bescheide einführte, bedeutete lediglich eine zeitliche Begrenzung der solcherart möglichen alternativen Geltendmachung der fehlenden Bescheidqualität des Grundlagenbescheides. Auch im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber abgeänderte Einkommensteuerbescheide rechtskräftig werden lassen und ihre Aufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO erst zu einem Zeitpunkt beantragt, in dem auch ein Wiederaufnahmeantrag sowohl nach der Rechtslage bis zum (wegen Antragstellung mehr als fünf Jahre nach Rechtskraft) als auch nach nunmehriger Rechtslage (wegen Antragstellung nach Eintritt der Verjährung) gemäß § 304 BAO nicht mehr zum Erfolg geführt hätte. Durch die Zurückweisung der Anträge aus diesem Grund wurde der Revisionswerber - infolge der Verweisung des § 295 Abs. 4 auf § 304 BAO - somit nicht in Rechten verletzt (vgl. auch den )."

Im vorliegenden Fall ergibt sich die behauptete sachliche Unbilligkeit aus den allgemeinen Bestimmungen des Feststellungsverfahrens und der Verjährung, aufgrund derer es zu einer unterschiedlichen Behandlung (Abänderung oder Nichtabänderung von abgeleiteten Bescheiden) kommen kann. Die Ungleichbehandlung folgt aus dem Gesetz selbst. Die Einziehung ist nur dann "nach der Lage des Falles unbillig", wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (). Kann der Umstand auch bei allen anderen Abgabenpflichtigen in der gleichen Lage eintreten und hätte der Gesetzgeber ihn daher voraussehen können, kann daraus keine Unbilligkeit abgeleitet werden ().

Schließlich hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, gegen die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 vom ein Rechtsmittel einzubringen. Diese Bescheide basieren auf zwei Erledigungen des Finanzamtes ***Y*** vom und vom . Der Beschwerdeführer bzw. sein steuerlicher Vertreter hätte an der Bescheidqualität dieser Erledigung Zweifel haben müssen, da in einer Sache zwei Feststellungsbescheide ergangen sind, was dem Gebot der Einheitlichkeit im Feststellungsverfahren widerspricht (vgl. zitiertes VwGH-Erkenntnis vom ). Insofern geht der Einwand des steuerlichen Vertreters im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden seien, weil bereits Verjährung eingetreten sei, ins Leere.

Dem Beschwerdeführer gelingt es nicht darzulegen, dass gegenständlich ein solcher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargestellter Einzelfall vorliegt und die angefochtene Entscheidung somit von dieser Rechtsprechung abweicht. Der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger nicht von einer vorteilhaften gesetzlichen Bestimmung profitieren kann, die erst nach Verwirklichung des ihn betreffenden Sachverhalts eingeführt wurde (Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl G159/2019, die Unsachlichkeit der für Wiederaufnahmeanträge geltenden Frist betreffend Anträge auf Aufhebung eines "abgeleiteten" Bescheides wegen absoluter Nichtigkeit des "Grundlagenbescheides" festgestellt und den Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmeanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen" mit Ablauf vom als verfassungswidrig aufgehoben.), führt nicht dazu, dass eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vorliegt. Es würden vielmehr die Inkrafttretensbestimmungen gesetzlicher Regelungen umgangen werden, wenn eine Rechtslage über den Umweg der Nachsicht bereits für Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten wirksam werden würde. ()

Wenn die beschwerdeführende Partei im Schriftsatz vom vorbringt, das gegenständliche Nachsichtsansuchen sei die einzige Möglichkeit, die materiellen Folgen eines verfassungswidrigen Ergebnisses der Anwendung einfach bestehender einfachgesetzlicher Normen zu beseitigen, bzw. im Antrag auf Gewährung einer Nachsicht die Meinung vertritt, die sachlich bedingte Unbilligkeit sei bereits in der Abgabenvorschreibung augenscheinlich, ist im Prinzip schon klar, dass dem Antrag kein Erfolg beschieden sein kann, zumal eine Nachsicht eben nicht das geeignete Rechtsinstrument ist, um allfällige Unbilligkeiten im Rahmen der Abgabenfestsetzung zu beseitigen. Eine Abgabennachsicht iSd § 236 BAO setzt viel mehr eine Unbilligkeit in der Abgabeneinhebung voraus.

Wenn der steuerliche Vertreter im Rahmen der Begründung einer Stattgabe der Beschwerde während der mündlichen Verhandlung darauf hinweist, dass der Beschwerdeführer für eine Mitunternehmerschaft, aus der er einen Verlust erzielt hat, Einkommensteuer zahlen muss, mittlerweile Pensionist und krank ist, muss darauf hingewiesen werden, dass der Beschwerdeführer einerseits die in Rede stehende Abgabennachforderung unter Rechtsmittelverzicht anerkannte (wie oben dargelegt wurde der Einkommensteuerbescheid 1999 nicht beeinsprucht) und andererseits im Zeitpunkt der Fälligkeit dieses Nachforderungsbetrages über jene Mittel verfügte, welche ihn in die Lage versetzt hätten, den fraglichen Steuerbetrag entweder sofort zu entrichten oder doch wenigstens Vorsorge für die spätere Entrichtung desselben zu treffen. Der Einkommensteuerbescheid 1999 vom weist ein steuerpflichtiges Einkommen von 11,938.458,00 ATS (= 867.601,58 €) aus.

Eine persönliche Unbilligkeit würde insbesondere dann vorliegen, wenn die wirtschaftliche Existenz gerade durch die Einbringung der verfahrensgegenständlichen Abgaben gefährdet wäre. Dies wurde im gesamten Beschwerdeverfahren weder behauptet und noch nachgewiesen.

Insgesamt gelangte der Senat daher zur Ansicht, dass gegenständlich keine persönlich oder sachlich bedingte Unbilligkeit der Einhebung des Betrages von 79.016,82 € vorliegt. Da somit das Tatbestandsbild der Unbilligkeit nicht vorliegt, war auch keine Ermessensentscheidung zu treffen.

In Hinblick auf den Umstand, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl G159/2019, die Unsachlichkeit der für Wiederaufnahmeanträge geltenden Frist betreffend Anträge auf Aufhebung eines "abgeleiteten" Bescheides wegen absoluter Nichtigkeit des "Grundlagenbescheides" festgestellt und den Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmeanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen" mit Ablauf vom als verfassungswidrig aufgehoben hat, erscheint der Antrag ein Normenkontrollverfahren zu initiieren obsolet. Der Gesetzgeber hat die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO nunmehr neu gefasst und knüpft die Antragsfrist nicht mehr an § 304 BAO, sondern normierte, dass ein Antrag auf Aufhebung von Bescheiden, die auf Dokumenten beruhen, gegen die eine Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde (Nichtbescheide), innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen ist. Diese mit BGBl I Nr. 3/2021 kundgemachte Bestimmung trat am in Kraft.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis weicht von der oben zitierten, ständigen und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab. Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100821.2021

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