Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.07.2022, RV/1100175/2019

Begünstigte Besteuerung des obligatorischen Anteils einer schweizerischen Austrittsleistung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Steurer in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Mag. Martin Bösch, Schwefel 93, 6850 Dornbirn, gegen den Bescheid des Finanzamtes Bregenz (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin erklärte im Streitjahr aus einer im Inland ausgeübten Tätigkeit sowie aus der Auszahlung einer Schweizer Freizügigkeitsleistung (95.064,95 CHF) resultierende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wobei in Anwendung der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 ein Drittel der Kapitalauszahlung als steuerfrei behandelt wurde.

2. Im Einkommensteuerbescheid 2018 berücksichtigte das Finanzamt die Drittelbegünstigung unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/15/0086, nur hinsichtlich des den vorgelegten Unterlagen zufolge auf überobligatorische Beitragszahlungen entfallenden Anteiles (1.381,85 CHF) an der Kapitalauszahlung. Hinsichtlich des auf obligatorische Beitragszahlungen entfallenden Anteiles (93.683,10 CHF) wurde die begünstigte Besteuerung mit der Begründung versagt, das obligatorische Altersguthaben sei dem gemeinschaftsrechtlichen Auszahlungsverbot zufolge von der Auszahlung ausgeschlossen, solange eine obligatorische Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung bestehe (Art. 10 Abs. 2 VO EWG 1408/71). Diese ende grundsätzlich aber erst mit Pensionsantritt.

3. Dagegen erhob der steuerliche Vertreter Beschwerde und beantragte, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht ohne die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung unmittelbar vorzulegen. Die Beschwerdeführerin habe im Jahr 2013 nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses in der Schweiz ihr Altersguthaben auf ein Freizügigkeitskonto übertragen lassen. Anfang 2014 habe sie eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aufgenommen, welche sie nach wie vor ausübe. Nach Erreichen der entsprechenden Altersgrenze (Vollendung des 59. Lebensjahres) habe sie im Jahr 2018 die Auszahlung des Guthabens beantragt.

Die Begrenzung der Begünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 auf den überobligatorischen Teil der Austrittsleistung ergebe sich aus dem vom Finanzamt zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/15/0086, in keiner Weise. In dem diesem Beschluss zugrundeliegenden Fall sei ausschließlich die Auszahlung des überobligatorischen Anteiles des Altersguthabens strittig gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Anwendbarkeit der Drittelbegünstigung in diesem Fall bestätigt, nicht aber ausgesprochen, dass die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 auf den überobligatorischen Teil eines Altersguthabens beschränkt wäre. Auch in dem vom Finanzamt weiters angeführten Beschluss vom , Ra 2016/15/0025, habe der Verwaltungsgerichtshof einzig festgehalten, dass die Einschränkung der Auszahlung auf den überobligatorischen Teil des Altersguthabens lediglich den Umfang des Auszahlungsbetrages betreffe und die steuerliche Behandlung des tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Teiles des schweizerischen Pensionskassenguthabens dadurch keine Änderung erfahre.

Im Erkenntnis vom , Ra 2018/15/0086, habe der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich festgehalten, dass die Drittelbegünstigung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 in Fällen, in denen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme einer Abfindung bestehe, jedenfalls zustehe, wobei allfällige, nicht absehbare Änderungen in späteren Jahren (etwa die Wiederaufnahme einer Tätigkeit in der Schweiz) in die Beurteilung des Streitjahres nicht einzubeziehen seien. Für die Beschwerdeführerin habe mit der Beendigung des Vorsorgeverhältnisses im Jahr 2013 und der anschließenden Übertragung des Pensionskassenguthabens auf ein Freizügigkeitskonto keine andere Möglichkeit mehr bestanden, als nach Eintritt der Voraussetzungen die Auflösung des Freizügigkeitskontos zu beantragen. Entgegen den Behauptungen des Finanzamtes hätten die Voraussetzungen für die Auflösung des Freizügigkeitskontos mit Erreichen des 59. Lebensjahres vorgelegen und habe zu diesem Zeitpunkt kein Auszahlungsverbot bestanden. Zudem komme der Frage, ob der obligatorische Teil des Altersguthabens allenfalls einem Auszahlungsverbot unterlegen hätte, nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Beschluss vom , Ra 2016/15/0025, keinerlei Bedeutung zu. Dies stelle kein Kriterium für die Anwendbarkeit der Begünstigung dar. Auch das Bundesfinanzgericht habe die Auszahlung von Freizügigkeitsleistungen mehrfach der begünstigten Besteuerung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 unterzogen (Hinweis auf , und ).

4. In der Beschwerdevorlage wies das Finanzamt darauf hin, dass gegen die von der steuerlichen Vertretung ins Treffen geführten Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes Revision erhoben worden sei. In dem unter der Geschäftszahl Ra 2019/15/0047 protokollierten Verfahren sei ua. die steuerliche Behandlung einer im Rahmen der Auflösung des Freizügigkeitskontos erfolgten Auszahlung des Obligatoriums strittig. Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG verbiete unter Verweis auf Art. 25f FZG die Barauszahlung in den dort angeführten Fällen. Liege kein Barauszahlungsgrund gemäß Art. 5 FZG vor, müsse der Vorsorgeschutz nämlich erhalten bleiben. Das schweizerische Bundesgericht habe im Urteil vom , 2C_156/2010, eine innerstaatliche Steuerbegünstigung versagt, da es nicht Aufgabe des Steuerrechts sein könne, ein den Zweck der Vorsorge gefährdendes Verhalten zu unterstützen bzw. rechtswidrig bezogene Leistungen aus Vorsorgeeinrichtungen steuerlich zu begünstigen (Hinweis auf die Mitteilungen über die Berufliche Vorsorge Nr. 125 Rz 820). Auch nach dem Entscheid des Kantonsgerichtes Basel-Landschaft vom , 735 14 50, müsse der Vorsorgeschutz bei einer Austrittsleistung erhalten bleiben, wenn kein Barauszahlungsgrund gemäß Art. 5 FZG vorliegen. Wenn eidgenössische Gerichte die Einschränkungen von Art. 5 Abs. 1 FZG iVm Art. 25f FZG für anwendbar erachteten, müsse das gemeinschaftsrechtliche Auszahlungsverbot erst recht im österreichischen Rechtssystem Beachtung finden. Die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 16 FZV, wonach Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten frühestens fünf Jahre vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters ausbezahlt werden könnten, sei abhängig vom Wegfall der Pensionsversicherungspflicht im EU/EFTA-Staat. Andernfalls würde Art. 16 FZV dem höherrangigen Auszahlungsverbot des Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) 1408/71 derogieren.

5. Mit Schreiben vom zog der steuerliche Vertreter die Anträge auf Entscheidung durch den gesamten Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

II. Sachverhalt

Die im Jahr 1959 geborene Beschwerdeführerin war bis in der Schweiz als Grenzgängerin nichtselbständig tätig (eine vorzeitige Pensionierung war zu diesem Zeitpunkt sohin unbestritten noch nicht möglich) und hat in der Folge eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aufgenommen. Infolge des endgültigen Verlassens der Schweiz wurde das bei der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung bestehende Altersguthaben auf ein Freizügigkeitskonto bei einer schweizerischen Freizügigkeitsstiftung überwiesen. Nach Vollendung des 59. Lebensjahres wurde ihr im September 2018 antragsgemäß das gesamte Freizügigkeitsguthaben in Höhe von 95.064,95 CHF (abzüglich Quellensteuer, die ihr in der Folge wieder rückerstattet wurde) ausbezahlt. Davon entfällt ein Betrag von 93.683,10 CHF auf obligatorische und ein Betrag von 1.381,85 CHF auf überobligatorische Beitragszahlungen.

III. Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung

§ 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 lautet:

"Zahlungen für Pensionsabfindungen, deren Barwert den Betrag im Sinne des § 1 Abs. 2 Z 1 des Pensionskassengesetzes übersteigt, sind gemäß § 67 Abs. 10 im Kalendermonat der Zahlung zu erfassen. Dabei ist bei Pensionsabfindungen, die im Jahre 2001 zufließen, nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 ein Viertel steuerfrei zu belassen. Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen sind nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen."

Der letzte Satz wurde der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 mit BGBl. I Nr. 54/2002 angefügt. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP 2) wird dazu ausgeführt:

"Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik betrifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu besteuern".

Gesetzliche Grundlage für die berufliche Vorsorge in der Schweiz ist das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG) vom .

Gemäß Art. 7 BVG unterstehen Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mehr als 21.150 Franken beziehen, ab 1. Januar nach Vollendung des 17. Altersjahres für die Risiken Tod und Invalidität, ab 1. Januar nach Vollendung des 24. Altersjahres auch für das Alter der obligatorischen Versicherung. Zu versichern ist nach Art. 8 Abs. 1 BVG der Teil des Jahreslohnes von 24.675 bis 84.600 Franken (koordinierter Lohn).

Die obligatorische Versicherung beginnt gemäß Art. 10 Abs. 1 BVG grundsätzlich mit Antritt des Arbeitsverhältnisses und endet gemäß Art. 10 Abs. 2 BVG ua., wenn das ordentliche Rentenalter erreicht wird (lit. a) oder das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird (lit. b).

Nach Art. 13 Abs. 1 BVG haben Anspruch auf Altersleistungen Männer, die das 65. Altersjahr zurückgelegt haben (lit. a) und Frauen, die das 64. Altersjahr zurückgelegt haben (lit. b). Abweichend davon können nach Art. 13 Abs. 2 BVG die reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass der Anspruch auf Altersleistungen mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht.

Gemäß Art. 37 Abs. 1 BVG werden Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenleistungen in der Regel als Rente ausgerichtet. Die Vorsorgeeinrichtung kann in ihrem Reglement nach Art. 37 Abs. 4 lit. a BVG jedoch vorsehen, dass die Anspruchsberechtigten eine Kapitalabfindung an Stelle einer Rente wählen können.

Nach Art. 27 BVG gilt für Freizügigkeitsleistungen das Bundesgesetz vom über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsgesetz, FZG).

Gemäß Art. 2 Abs. 1 FZG haben Versicherte, welche die Vorsorgeeinrichtung verlassen, bevor ein Vorsorgefall eintritt (Freizügigkeitsfall), Anspruch auf eine Austrittsleistung. Die Austrittsleistung wird mit dem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung fällig und ist ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen (Art. 2 Abs. 3 FZG). Treten Versicherte in eine neue Vorsorgeeinrichtung ein, hat die frühere Vorsorgeeinrichtung die Austrittsleistung an die neue zu überweisen (Art. 3 Abs. 1 FZG). Versicherte, die nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eintreten, haben ihrer Vorsorgeeinrichtung mitzuteilen, in welcher zulässigen Form sie den Vorsorgeschutz erhalten wollen (Art. 4 Abs. 1 FZG).

Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung vom über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsverordnung, FZV) wird der Vorsorgeschutz durch eine Freizügigkeitspolice oder durch ein Freizügigkeitskonto erhalten. Als Freizügigkeitspolicen gelten besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Kapital- oder Rentenversicherungen, einschließlich allfälliger Zusatzversicherungen für den Todes- oder Invaliditätsfall bei einer dort angeführten Versicherungseinrichtung (Art. 10 Abs. 2 FZV), als Freizügigkeitskonten besondere, ausschließlich und unwiderruflich der Vorsorge dienende Verträge mit einer Stiftung, welche die Voraussetzungen nach Art. 19 erfüllt (Art. 10 Abs. 3 FZV).

Nach Art. 16 Abs. 1 FVZ dürfen Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten frühestens fünf Jahre vor und spätestens fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters nach Art. 13 Abs. 1 BVG ausbezahlt werden.

Wird die Austrittsleistung an eine Freizügigkeitseinrichtung übertragen, gilt für die Barauszahlung Art. 5 FZG sinngemäß (Art. 14 FZV).

Gemäß Art. 5 Abs. 1 FZG können Versicherte die Barauszahlung der Austrittsleistung ua. verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen (lit. a). Dies gilt nach Art. 25f Abs. 1 FZG im Umfang des bis zum Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung erworbenen Altersguthabens nach Artikel 15 BVG ua. nicht, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert sind (lit. a).

Nach den Bestimmungen des allgemeinen Reglements der ***S*** Sammelstiftung kann sich eine versicherte Person frühestens ab dem vollendeten 58. Altersjahr vorzeitig pensionieren lassen (5.4.1). Im Falle eines Austritts aus der Vorsorgeeinrichtung vor Eintritt eines Vorsorgefalles wird das angesammelte Vorsorgeguthaben (die Begriffe "Vorsorgeguthaben" und "Freizügigkeitsguthaben" werden synonym verwendet) nach den Bestimmungen des Reglements der ***S*** Freizügigkeitsstiftung grundsätzlich am Monatsersten nach Erreichen des ordentlichen AHV­Rentenalters zur Zahlung fällig (Art. 6 Abs. 1), die Fälligkeit der Altersleistung kann jedoch um maximal fünf Jahre vorverschoben oder aufgeschoben werden (Art. 6 Abs. 2 ). Die reglementarischen Bestimmungen hinsichtlich einer vorzeitigen Barauszahlung des Vorsorgeguthabens (Art. 7 Abs. 2) entsprechen inhaltlich - soweit hier von Interesse - jenen der Art. 5 und Art. 25f FZG.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 ist, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, "dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist" (vgl. , mwN, sowie jüngst ua. , , mwN, und ). Begünstigungsschädlich ist sohin eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Rentenbezug und einer Kapitalauszahlung (vgl. ).

In Fällen, in denen das Vorsorgeverhältnis mit der betrieblichen Pensionskasse des bisherigen Schweizer bzw. liechtensteinischen Dienstgebers infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses vor Eintritt des Vorsorgefalles beendet wurde, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daher entscheidend, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Frei-zügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können (betreffend Liechtenstein vgl. ua. , und ; betreffend die Schweiz vgl. ua. , und , mwN). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die spätere Rentenleistung von der Vorsorgeeinrichtung des früheren Arbeitgebers oder durch ein "privates Versicherungsunternehmen" erfolgt, sofern ein Verbleib innerhalb des ausländischen Vorsorgesystems trotz Beendigung der Auslandstätigkeit möglich ist und daraus ein späterer Rentenbezug erfolgen kann (vgl. , mwN).

Zwischen den Verfahrensparteien steht außer Streit, dass die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit hatte, den schweizerischen Vorsorgeschutz mit Anspruch auf eine spätere Rentenzahlung durch den Abschluss einer Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten (auch das Bundesfinanzgericht hat das Bestehen einer solchen Möglichkeit gestützt auf die Ergebnisse entsprechender Ermittlungen mehrfach verneint; vgl. ua. , mwN, , und ). Strittig ist einzig, ob die Auszahlung des auf obligatorische Beitragszahlungen entfallenden Anteiles der Freizügigkeitsleistung im Widerspruch zum unionsrechtlichen Auszahlungsverbot steht und deshalb der Anwendung der Begünstigungsbestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 entgegensteht.

Art. 25f Abs. 1 lit. a FZG verbietet eine (vorzeitige) Barauszahlung der Austrittsleistung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG, wenn die versicherte Person die Schweiz endgültig verlässt (bei einem Grenzgänger im Falle der endgültigen Aufgabe der Erwerbstätigkeit in der Schweiz) und in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch versichert ist. Damit wird dem zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits abgeschlossenen Abkommen über die Freizügigkeit und den infolgedessen auch in der Schweiz anzuwendenden EU-Verordnungen Rechnung getragen. Vom solcherart normierten Auszahlungsverbot umfasst ist nur der obligatorische Teil der Austrittsleistung, nicht hingegen der aufgrund höherer versicherter Löhne über den gesetzlichen Mindestumfang hinausgehende (überobligatorische) Teil (vgl. Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 96 Rz 567; https://sozialversicherungen.admin.ch/de/f/5578).

Nach der in Einklang mit Art. 16 FZV stehenden reglementarischen Bestimmung (Art. 6 Abs. 2) konnte die Beschwerdeführerin die Auszahlung des auf dem Freizügigkeitskonto befindlichen Guthabens infolge des für Frauen geltenden ordentlichen Pensionsalters von 64 Jahren mit Erreichen des 59. Lebensjahres beanspruchen.

Eine solche vorgezogene Auszahlung des bestehenden (aufgrund der Übertragung auf ein gesperrtes Freizügigkeitskonto im Vorsorgekreislauf der zweiten Säule gebliebenen) Guthabens erfolgt, wie sich aus den oben dargelegten Bestimmungen, insbesondere jener des mit "Auszahlung der Altersleistungen" überschriebenen Art. 16 FVZ ergibt, in Erfüllung einer Altersleistung (vgl. Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 85 Rz 490; https://sozialversicherungen.admin.ch/de/f/5578) und nicht aufgrund eines Barauszahlungstatbestandes gemäß Art. 5 FZG. Damit unterliegt diese aber - anders als die Barauszahlung der Austrittsleistung nach Art. 5 FZG - nicht der Einschränkung des Art. 25f FZG. Ein Verstoß gegen das nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 [abgelöst durch die im Verhältnis zur Schweiz seit Anwendung findende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit bzw. die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009] bestehende Verbot der Erstattung von Pflichtversicherungsbeiträgen ist daher nicht erkennbar.

Letztlich kann aber ohnedies dahingestellt bleiben, ob die trotz inländischer Sozialversicherungspflicht erfolgte Auszahlung des obligatorischen Teils des Guthabens auf dem Freizügigkeitskonto im Einklang mit Art. 25f FZG bzw. der unionsrechtlichen Vorgabe steht (in diesem Sinne auch , und ), hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom , Ra 2016/15/0025, doch darauf hingewiesen, dass die seit geltende Einschränkung der Auszahlung auf den überobligatorischen Teil des Altersguthabens lediglich den Umfang des Auszahlungsbetrages betreffe und die steuerliche Behandlung des tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Teiles des schweizerischen Pensionskassenguthabens dadurch keine Änderung erfahre. Folglich kann die steuerliche Behandlung des den reglementarischen Bestimmungen entsprechend zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausbezahlten Vorsorgeguthabens aber nicht davon abhängig sein, ob hinsichtlich des obligatorischen Anteiles ein Auszahlungsverbot bestanden hätte oder nicht, zumal sich durch eine erst mit bzw. nach Wegfall der inländischen Sozialversicherungspflicht und damit des allfälligen Auszahlungsverbotes erfolgte Auszahlung auch nichts am Ergebnis ändert, dass die Auszahlung nur als Einmalbetrag und nicht in Rentenform erfolgen kann. Auf die hypothetische Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerin in einem Folgejahr wieder eine Tätigkeit in der Schweiz hätte aufnehmen und das Freizügigkeitsguthaben daher an die neue Vorsorgeeinrichtung hätte überweisen können, kommt es dabei nicht an, da allfällige, nicht absehbare Änderungen in späteren Jahren (etwa die Wiederaufnahme einer Tätigkeit in der Schweiz) nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in die Beurteilung des Streitjahres nicht einzubeziehen sind (vgl. ).

In diesem Zusammenhang ist auch mit dem Hinweis auf die Schweizer Gerichtsurteile nichts zu gewinnen. In dem die Auszahlung der Vorsorgegelder in einem Fall, in dem entgegen den Ankündigungen tatsächlich keine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen wurde betreffenden Urteil vom , 2C_156/2010, hat das Schweizer Bundesgericht ausgesprochen, dass Barauszahlungen (Kapitalleistungen) nicht der gebotenen Vorsorge dienten, wenn ein Barauszahlungsgrund von Anfang an nicht gegeben sei oder die Barauszahlung gar nicht zweckentsprechend verwendet werde und in diesem Fall daher die ordentliche Besteuerung greife, zumal Art. 38 des Schweizer Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer nicht so verstanden werden könne, dass auch eine von vornherein rechtswidrig bezogene Kapitalleistung aus einer Vorsorgeeinrichtung steuerlich privilegiert behandelt werden müsste. Der Entscheid des Kantonsgerichtes Basel-Landschaft vom , 735 14 50, ist zur Frage der Zulässigkeit der Verrechnung eines Rückforderungsanspruchs der Pensionskasse mit der Freizügigkeitsleistung eines verstorbenen Versicherten ergangen, wobei die Voraussetzungen für eine Barauszahlung mangels tatsächlicher Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht erfüllt waren. Eine Aussage darüber, ob eine nach den Bestimmungen des Reglements frühestmögliche Auszahlung des obligatorischen Teils des Vorsorgeguthabens im Falle des Verlassens der Schweiz und einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestehenden Sozialversicherungspflicht dem Auszahlungsverbot widerspricht und nach Art. 25f FZG daher unzulässig wäre, wurde weder im Entscheid des Kantonsgerichtes noch im Urteil des Bundesgerichtes getroffen. Zudem kennt die inländische Regelung des § 124b Z 53 EStG 1988 keine unmittelbare Bezugnahme auf den Vorsorgezweck. Voraussetzung für eine begünstigte Besteuerung ist, wie oben ausgeführt, vielmehr, dass keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Kapitalabfindung offensteht. Dass ein laufender Rentenbezug dem Versorgungsgedanken mehr entspricht als die Kapitalabfindung des Rentenanspruches (vgl. ) vermag daran nichts zu ändern.

Ebenso ist mit den Verweisen des Finanzamtes auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2016/15/0025, und das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis vom , Ra 2019/15/0047, nichts zu gewinnen, hat der Verwaltungsgerichtshof in den genannten Judikaten doch ebenfalls keine Aussage über eine allenfalls entgegen dem Auszahlungsverbot erfolgte Auszahlung des obligatorischen Anteiles gemacht.

Gesamthaft gesehen hat das Finanzamt das Vorliegen der Voraussetzungen für eine begünstigte Besteuerung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 hinsichtlich des obligatorischen Anteiles der Kapitalauszahlung somit zu Unrecht verneint und war der Beschwerde daher Folge zu geben.

IV. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im Beschwerdefall strittige Frage, ob hinsichtlich des der Beschwerdeführerin ausbezahlten Vorsorgeguthabens die Voraussetzungen für eine begünstigte Besteuerung gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 gegeben sind, wurde auf Grundlage der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie der angeführten Sachverhaltsfeststellungen beurteilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG wird durch das vorliegende Erkenntnis somit nicht berührt. Eine (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.

Feldkirch, am

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ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100175.2019

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