zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.07.2022, RV/7102076/2021

Gewährung des Familienbonus Plus auch ohne Antrag auf/Gewährung der Familienbeihilfe bzw. Ausgleichs- oder Differenzzahlung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache der Frau ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Leonhart & Leonhart Wirtschaftstreuhandgesellschaft m.b.H. & Co KG Steuerberatungsgesellschaft, Mariahilfer Straße 74A, 1070 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (hinsichtlich Einkommensteuer 2019) zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) war im Streitjahr mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. In ihrer Abgabenerklärung für 2019 beantragte sie die Berücksichtigung des (ganzen) Familienbonus Plus für zwei Kinder. Beide (minderjährigen) Kinder sind mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet, für beide bezog die Bf. in Deutschland das Kindergeld (nach deutschem EStG).

Im Einkommensteuerbescheid 2019 vom ließ das Finanzamt den Familienbonus Plus außer Ansatz. Begründet wurde dies damit, dass die Voraussetzungen für den Familienbonus Plus - in concreto der Bezug österreichischer Familienbeihilfe bzw. der Bezug einer Ausgleichs- oder Differenzzahlung in Österreich für die beiden Kinder K1 und K2 - nicht vorliegen würden. Dieser Bescheid blieb unbekämpft.

Mit Eingabe vom beantragte die Bf. die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides vom gemäß § 299 BAO. Begründend wurde unter Verweis auf das BFG-Erkenntnis vom , RV/5101183/2020, ausgeführt, dass für die Gewährung des Familienbonus Plus nicht ein Antrag oder eine tatsächliche Gewährung der Familienleistungen, sondern die Anspruchsvoraussetzung wesentlich wäre. Dies gelte auch, wenn allfällige Familienleistungen im Ausland höher wären und sich die Differenzzahlung betragsmäßig auf Null belaufe. Da die Bf. in Deutschland Kindergeld für zwei Kinder beziehe, lägen die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Familienbonus Plus für zwei Kinder vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies das Finanzamt den Antrag der Bf. auf Aufhebung mit folgender Begründung ab: "Der Familienbonus Plus steht gem. 33 Abs. 3a EStG 1988 nur für ein Kind zu, für das Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich gewährt wird. Bisher wurde für die Kinder, die im EU-Raum leben, kein Antrag auf Familienbeihilfe gestellt, sodass eine Überprüfung des Anspruchs auf Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich nicht erfolgen kann. Erst wenn positiv über einen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichs- oder Differenzzahlung) abgesprochen wurde, kann der Familienbonus Plus für die Kinder im EU-Raum berücksichtigt werden."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher nochmals geltend gemacht wird, dass die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach für die Gewährung des Familienbonus Plus genüge. Der Nachweis des Bezuges des Kindergeldes für beide Kinder in Deutschland sei mit dem seinerzeitigen Antrag vorgelegt worden.

Die abweisende Beschwerdevorentscheidung begründete das Finanzamt wie folgt:

"Nach Rechtsansicht der Finanzverwaltung (vgl. Begründung zum Abweisungsbescheid vom ) steht der Familienbonus Plus nur zu, wenn Familienbeihilfe nach dem FLAG 1967 bezogen wird. Dies setzt jedenfalls zwingend einen Antrag voraus, da nur auf Basis eines Antrags über den Bezug abgesprochen werden kann. Die Gewährung dem Grunde nach bezieht sich nur auf Fälle, in denen eine Differenz- oder Ausgleichszahlung nur deshalb nicht gewährt wird, da die Zahlung im Ausland höher ist als in Österreich, aber zustehen würde, wenn dem nicht so wäre. Aber auch diese Fälle setzen zwingend einen vorherigen Antrag voraus.

Die Rechtsansicht der Finanzverwaltung wird auch in neuerster Rechtsprechung durch das BFG geteilt (vgl. , RV/7103765/2020). Das BFG erkennt diesbezüglich, dass ohne Stellung eines Antrags auf Ausgleichs- bzw. Differenzzahlung auch kein Anspruch (auch nicht dem Grunde nach) auf den Familienbonus Plus besteht."

Im Vorlageantrag verweist die Bf. auf ihr bisheriges Vorbringen.

Mit weiterer Eingabe vom übermittelte die Bf. dem BFG "zum Nachweis des Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen für den Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch" einige Unterlagen und führte ergänzend aus: "Die Familie lebt in aufrechter Gemeinschaft mit Haushaltszugehörigkeit der Kinder. [Die Bf.] führt ihre zahnärztliche Vertretungstätigkeit wochenweise in einer Ordination in Wien aus. Die Wohnsitzmeldung in Österreich stammt aus der Zeit vor der Verehelichung, der Wohnsitz wird wegen des familiären Bezuges zu Österreich und für die Vertretungstätigkeit aufrecht erhalten."

Der Eingabe waren ua. die Heiratsurkunde, die Geburtsurkunden der beiden Kinder, eine Bescheinigung über den Bezug von Kindergeld (für die beiden Kinder) der Familienkasse Nordrhein-Westfalen West vom , eine Familienstandsbescheinigung der Landeshauptstadt Düsseldorf vom und zwei Verträge zur Betreuung und Förderung der Kinder in der Tageseinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes je vom beigefügt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Bf. bezog im Jahr 2019 für ihre beiden mj. Kinder das Kindergeld nach deutschem EStG. Strittig ist, ob ihr der Familienbonus Plus zusteht oder nicht und ob das Finanzamt folglich den Antrag auf Aufhebung vom zu Recht abgewiesen hat oder nicht.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.

Gemäß § 33 Abs. 3a EStG 1988 steht "für ein Kind, für das Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird und das sich ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, ... auf Antrag ein Familienbonus Plus" zu.

Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder haben nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Nach § 2 Abs. 2 FLAG hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Im Falle eines Anspruchs auf eine der Familienbeihilfe vergleichbare ausländische Beihilfe besteht gemäß § 4 FLAG kein Anspruch auf Familienbeihilfe (Abs. 1) oder nur ein verminderter Anspruch im Ausmaß einer Ausgleichszahlung (Unterschiedsbetrag zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der höheren Familienbeihilfe, vgl. Abs. 2 bis 7). In solchen - in § 33 Abs. 3a EStG 1988 nicht ausdrücklich geregelten - Fällen, in denen also (teilweise) an Stelle der Familienbeihilfe eine gleichartige ausländische Beihilfe iSd § 4 FLAG gewährt wird, ist in gleicher Weise die in § 33 Abs. 3a erster Satz EStG 1988 normierte Voraussetzung der "Beihilfengewährung" erfüllt (vgl. Mayr/Gensluckner in Doralt et al, EStG22, § 33 Tz 34/2). Gemäß § 4 Abs. 6 FLAG gilt die Ausgleichszahlung als Familienbeihilfe. Aus der Sicht des Familienbonus plus kann es keinen Unterschied machen, ob sich noch eine (geringfügige) Ausgleichzahlung iSd § 4 Abs. 2 FLAG ergibt oder ob die Ausgleichzahlung wegen der Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe bloß Null beträgt ().

§ 53 Abs. 1 FLAG normiert: Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Nach im angefochtenen Bescheid vertretener Ansicht des Finanzamtes steht der Familienbonus Plus nur zu, wenn "positiv über einen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichs- oder Differenzzahlung) abgesprochen wurde". Voraussetzung sei also zwingend eine entsprechende Antragstellung.

Der VwGH hat nunmehr allerdings im Gegensatz dazu im (bereits zitierten) Erkenntnis vom , Ra 2021/15/0067, Folgendes ausgesprochen:

"Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs können, wenn die in Rede stehende Differenzzahlung iSd. § 4 Abs. 2 ff FLAG "betragsmäßig Null" ist, Antragstellende auf Familienbonus Plus jedenfalls (subsidiär) auch in ihrem Einkommensteuerverfahren nachweisen, dass alle inhaltlichen Voraussetzungen für einen Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch erfüllt sind."

Dass in Österreich dem Grunde nach gar kein Familienbeihilfenanspruch bestünde, sei vom Finanzamt - so der VwGH im oa. Erkenntnis - nicht konkret behauptet worden. Der Umstand, dass sich das Kind ständig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalte, steht - unbeschadet des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 - dem Beihilfenanspruch nicht entgegen (vgl. § 53 Abs. 1 zweiter Satz FLAG 1967).; s. dazu zB auch ).

Nach Prüfung der grundsätzlichen Familienbeihilfenberechtigung kann der Familienbonus Plus daher unabhängig davon zuerkannt werden, ob ein Antrag auf Ausgleichs- oder Differenzzahlung gestellt wurde bzw. wie über einen allfälligen derartigen Antrag abgesprochen wurde.

Auch im gegenständlichen Fall wird vom Finanzamt nicht bezweifelt (s. zB das E-Mail des Finanzamtsvertreters an das ), dass für die minderjährigen Kinder der Bf. ein Anspruch auf Gewährung von Familienbeihilfe bzw. auf eine Ausgleichzahlung im Sinne des § 4 Abs. 2 FLAG 1967 besteht.

Die Bf. war (im Streitjahr) nachweislich in Österreich beschäftigt und unterlag dem österreichischen Besteuerungsregime. Sie hat in ihrer Eingabe vom glaubhaft dargetan, mit ihren - im Juli 2016 bzw. März 2018 geborenen und sohin minderjährigen - Kindern (sowie dem Ehemann) im gemeinsamen Haushalt in Deutschland zu leben (s. oben). Sie hat dazu ua. eine entsprechende Familienstandbescheinigung vom sowie die Bescheinigung über den Bezug von (deutschem) Kindergeld vom (welche der Bf. an ihren deutschen Wohnsitz zugestellt wurde) vorgelegt. In einer Ordination in Wien übt sie wochenweise eine zahnärztliche Vertretungstätigkeit aus (s. dazu Lohnzettelmeldung). Internetrecherchen des BFG ergaben, dass sie zudem in Deutschland gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Praxis betreibt. Die Wohnsitzmeldung in Österreich wurde wegen des familiären Bezuges und der Vertretungstätigkeit aufrecht erhalten.

Nach den eingangs zitierten Rechtsvorschriften sind daher die Voraussetzungen für den Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichszahlungsbezug dem Grunde nach jedenfalls erfüllt (Wohnsitz und Beschäftigung in Österreich, Haushaltszugehörigkeit der mj. Kinder), sodass in Anbetracht des Erkenntnisses des VwGH Ra 2021/15/0067 der Familienbonus Plus zu gewähren ist. Es ist dabei auch nicht schädlich, dass die Bf. ihren Antrag auf Ausgleichs- bzw. Differenzzahlung vom nicht weiter betrieben und vom Finanzamt angeforderte Unterlagen im do. Verfahren nicht vorgelegt hat (offenbar aus dem Grund, da die Ausgleichs-/Differenzzahlung betragsmäßig ohnehin mit € 0,- festzusetzen gewesen wäre) und der Antrag vom Finanzamt schließlich abschlägig erledigt wurde.

Die polizeiliche Meldung ist (hier. Für die Frage des gemeinsamen Wohnsitzes mit den Kindern) nicht entscheidend, sie kann in Zweifelsfällen allenfalls einen Beurteilungsanhalt bieten (zB ). Für die dargestellte abgabenrechtliche Beurteilung ist es zudem nicht von Relevanz, ob mit der Hauptwohnsitzmeldung in Österreich den melderechtlichen Bestimmungen entsprochen wird oder nicht.

Das Finanzamt ist in Anbetracht der dargelegten Sach- und Rechtslage der grundsätzlich bestehenden Anspruchsberechtigung letztlich auch nicht mehr entgegengetreten (s. nochmals das bereits erwähnte E-Mail vom an das BFG).

Erweist sich ein geltend gemachter Aufhebungsgrund im Beschwerdeverfahren als berechtigt, so hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass der Bescheid, dessen Aufhebung beantragt wurde, aufgehoben wird ().

Da sich der Spruch des (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheides vom als nicht richtig erweist, da der beantragte Familienbonus Plus zu Unrecht außer Ansatz gelassen wurde, war der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Aufhebung gemäß § 299 BAO Folge zu geben und der Einkommensteuerbescheid vom mit vorliegendem Erkenntnis aufzuheben.

Die Konsequenz aus der Aufhebung des Bescheides, nämlich die Erlassung eines neuen Einkommensteuerbescheides für 2019, verbleibt gemäß § 299 Abs. 2 Satz 2 BAO im Wirkungsbereich des Finanzamtes. Trotz fehlender Bindungswirkung (zB ) ist aus den dargelegten Gründen davon auszugehen, dass das Finanzamt dabei den Familienbonus Plus für zwei (mj.) Kinder in beantragter Höhe berücksichtigen wird.

Zur Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da sich das BFG im Beschwerdefall auf die angeführte Rechtsprechung des VwGH (insbesondere das jüngst ergangene Erkenntnis Ra 2021/15/0067 vom ) stützen konnte, lag eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im oa. Sinne nicht vor und war folglich die Revision nicht zuzulassen.

Graz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 33 Abs. 3a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Schlagworte
Deutsches Kindergeld
Verweise
VwGH, Ra 2021/15/0067


ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102076.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at