Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.06.2022, RV/7101199/2021

Geschäftsführerhaftung, Verjährungseinwand, Ablauf der Belegaufbewahrungspflicht vorgebracht, Verweis auf Abrechnungsbescheid, lange verstrichene Zeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., A-1, vertreten durch Austria Treuhand Holding Steuerberatungs GmbH, Mariahilfer Straße 1c/Top 4a, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer N-1, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und die Haftung auf nachstehende Abgaben im Gesamtbetrag von € 20.603,34 herabgesetzt:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
01/2010
1.017,14
Umsatzsteuer
02/2010
1.017,14
Umsatzsteuer
03/2010
1.017,14
Umsatzsteuer
04/2010
1.017,14
Umsatzsteuer
05/2010
1.017,14
Umsatzsteuer
06/2010
1.017,14
Säumniszuschlag 1
2010
472,12
Säumniszuschlag 1
2010
343,57
Lohnsteuer
02/2011
114,32
Dienstgeberbeitrag
02/2011
72,87
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2011
6,48
Stundungszinsen
2011
28,12
Verspätungszuschlag
07/2010
411,91
Verspätungszuschlag
09/2011
613,96
Verspätungszuschlag
11/2010
423,05
Lohnsteuer
03/2011
157,61
Dienstgeberbeitrag
03/2011
65,71
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2011
5,84
Säumniszuschlag 1
2010
102,98
Säumniszuschlag 1
2010
153,49
Säumniszuschlag 1
2010
105,76
Umsatzsteuer
02/2011
1.069,87
Umsatzsteuer
03/2011
2.013,16
Lohnsteuer
04/2011
16,56
Dienstgeberbeitrag
04/2011
2,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2011
0,26
Säumniszuschlag 2
2010
36,32
Umsatzsteuer
04/2011
6.084,29
Säumniszuschlag 2
2010
171,79
Säumniszuschlag 2
2010
232,08
Säumniszuschlag 2
2011
52,88
Säumniszuschlag 1
2011
90,27
Umsatzsteuer
07/2011
1.072,94
Dienstgeberbeitrag
08/2011
7,47
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
08/2011
0,67
Säumniszuschlag 3
2010
150,00
Säumniszuschlag 3
2010
171,79
Säumniszuschlag 1
2011
131,69
Dienstgeberbeitrag
09/2011
7,47
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
09/2011
0,67
Dienstgeberbeitrag
10/2011
7,47
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
10/2011
0,67
Säumniszuschlag 1
2011
101,46


Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (Bf.) gemäß § 9 Abs. 1 BAO iVm § 80 BAO als ehemaliger Geschäftsführer der G-1 für nachstehende Abgaben in der Höhe von € 41.206,46 zur Haftung herangezogen:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag
Fälligkeit
Umsatzsteuer
01-06/2010
12.205,64
Säumniszuschlag 1
2010
944,23
Säumniszuschlag 1
2010
687,14
Lohnsteuer
02/2011
228,64
Dienstgeberbeitrag
02/2011
145,74
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2011
12,95
Stundungszinsen
2011
56,24
Verspätungszuschlag
07/2010
823,81
Verspätungszuschlag
09/2011
1.227,91
Verspätungszuschlag
11/2010
846,10
Lohnsteuer
03/2011
315,21
Dienstgeberbeitrag
03/2011
131,42
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2011
11,68
Säumniszuschlag 1
2010
205,95
Säumniszuschlag 1
2010
306,98
Säumniszuschlag 1
2010
211,52
Umsatzsteuer
02/2011
2.139,73
Umsatzsteuer
03/2011
4.026,32
Lohnsteuer
04/2011
33,11
Dienstgeberbeitrag
04/2011
5,85
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2011
0,52
Säumniszuschlag 2
2010
72,64
Umsatzsteuer
04/2011
12.168,57
Säumniszuschlag 2
2010
343,57
Säumniszuschlag 2
2010
464,16
Säumniszuschlag 2
2011
105,76
Säumniszuschlag 1
2011
180,53
Umsatzsteuer
07/2011
2.145,87
Dienstgeberbeitrag
08/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
08/2011
1,33
Säumniszuschlag 3
2010
300,00
Säumniszuschlag 3
2010
343,57
Säumniszuschlag 1
2011
263,37
Dienstgeberbeitrag
09/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
09/2011
1,33
Dienstgeberbeitrag
10/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
10/2011
1,33
Säumniszuschlag 1
2011
202,92


Die Geltendmachung der Haftung liege im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen (§ 20 BAO) zu halten habe. Innerhalb dieser Grenzen seien Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" sei dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben mit allen gesetzlich vorgesehenen Mitteln und Möglichkeiten" beizumessen.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen Berufenen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen oblägen, und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalteten, entrichtet würden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO hafteten die in § 80 Abs. 1 BAO erwähnten Personen neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für diese Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht hätten eingebracht werden können.

Die Haftung nach § 9 BAO sei eine Ausfallshaftung und werde subsidiär geltend gemacht unter der Voraussetzung der objektiven Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden.

Der Bf. sei vom D-1 bis zum D-2 eingetragener handelsrechtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen. Er sei somit mit der Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten betraut gewesen.

Schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigten zur Haftungsinanspruchnahme. Die Haftungsinanspruchnahme setze eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehörten vor allem die Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwalte, die Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen, die zeitgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen und die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung habe der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werde, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen sei.

Hinsichtlich der Heranziehung für aushaftende Umsatzsteuer sei Folgendes festzuhalten:

Gemäß § 21 Abs. 1 UStG habe der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf den Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss unter entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 und 2 UStG und des § 16 UStG selbst zu berechnen habe. Der Unternehmer habe eine sich ergebende Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten. Für die haftungsgegenständlichen Zeiträume sei die Umsatzsteuer gemeldet und festgesetzt bzw. rechtskräftig veranlagt, jedoch nicht entrichtet worden.

Der Geschäftsführer hafte auch dann für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden seien, hierzu nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten.

Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz gälten für Abfuhrabgaben, insbesondere für die Lohnsteuer. Nach § 78 Abs. 1 EStG habe der Arbeitgeber, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlichen zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen, einzubehalten und abzuführen. Eine solche Ausnahme bestehe auch für die Kapitalertragsteuer.

Es werde auf die Bestimmungen des § 7 Abs. 2 BAO verwiesen, wonach sich persönliche Haftungen auch auf Nebenansprüche erstreckten.

Die der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide seien im Konvolut beigefügt.

---//---

In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde beantragte der Bf. die Entscheidung durch den gesamten Senat sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Begründend führte er aus, dass er unstrittig Geschäftsführer der G-1 im Zeitraum vom D-1 bis D-3 gewesen sei.

Des Weiteren sei festzuhalten, dass über die Gesellschaft mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom D-4 ein Konkursverfahren eröffnet worden sei. Gleichzeitig sei die Gesellschaft infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst worden. Mit Beschluss des Gerichtes vom D-5 sei der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben sowie mit Beschluss vom D-6 die Firma aus dem Firmenbuch gelöscht worden.

Der Bf. verweise in diesem Zusammenhang auf die Inanspruchnahme als Haftender im Jahre 2021 mehr als 10 Jahre nach dem Ausscheiden des Geschäftsführers, obwohl die Gesellschaft bereits seit 2018 gelöscht und darüberhinausgehend der Geschäftsführer bereits am D-3 ausgeschieden sei.

Einwand der Verjährung:

Die Verjährung beginne grundsätzlich mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei (§ 208 Abs. 1 BAO).

Die Verjährungsfristen betrügen aufgrund der Generalklausel in § 207 Abs. 2 BAO grundsätzlich 5 Jahre. Auch hinsichtlich der Umsatzsteuer sei festzustellen, dass die Fünfjahresfrist anzuwenden sei ().

Eine Verlängerung der Verjährungsfristen liege nur vor, wenn nach außen hin wirksam und einwandfrei solche erkennbaren Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen durchgeführt worden seien, wodurch die Verjährungsfrist jeweils um ein Jahr verlängert werde ().

Dem Beschwerdeführer seien keinerlei wie immer geartete Amtshandlungen der Abgabenbehörde bekannt, weshalb auch eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht gegeben sein könne.

Abgaben dürften grundsätzlich nicht festgesetzt werden, wenn seit dem Entstehen des Abgabenanspruchs 10 Jahre verstrichen seien (absolute Verjährung, § 209 Abs. 3 BAO).

Gemäß § 238 BAO sei damit das Recht befristet, eine Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen. Sie betrage 5 Jahre und beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabefällig geworden sei, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe (Einhebungsverjährung).

Auch für die Unterbrechung der Einhebungsverjährung müssten nach außen wirksame Amtshandlungen als Unterbrechungshandlungen vorhanden sein, die Verlängerungshandlungen in der Festsetzungsverjährung darstellen. Solche lägen nicht vor. Die belangte Behörde habe solche Amtshandlungen nicht geltend gemacht.

Hinsichtlich des Einwandes der Verjährung sei festzustellen, dass diese von Amts wegen wahrzunehmen sei. Es obliege somit der Abgabenbehörde genauestens festzustellen, ob Verjährung vorliege.

Keine Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten:

Eine Haftung nach § 9 BAO sei lediglich im Fall einer Verletzung von abgabenrechtlichen Pflichten möglich (). Die belangte Behörde habe nichtfestgestellt, welche rechtlichen Pflichten der Beschwerdeführer betreffend die Umsatzsteuer, Lohnabgaben und diversen Säumniszuschläge verletzt habe, dies insofern, als aus den allgemeinen Verfahren anzunehmen sei, dass nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers und den darauffolgenden 7 Jahren Abgaben bezahlt worden seien, welche jeweils auf den ältesten Rückstand anzurechnen seien.

Um dies nachzuvollziehen, werde somit der Antrag im Sinne des Akteneinsichtsrechtes gestellt, das Abgabekonto der Gesellschaft für die Jahre 2010 bis zum Zeitpunkt der Auflösung der Gesellschaft vorzulegen. Eine diesbezügliche Beweisvorsorgepflicht des Bf. habe nicht bestanden.

Der Bf. habe die abgaberechtlichen Pflichten erfüllt, er habe die Führung der gesetzmäßigen Aufzeichnungen durchgeführt und eine zeitgerechte Einreichung der Abgabenerklärung erledigt, er sei somit seiner Offenlegungs- und Wahrheitspflicht nachgekommen. Ein gegenteiliger Beweis liege von Seiten der belangten Behörde nicht vor.

Darüberhinausgehend habe der Bf. festgestellt, dass er keinerlei Gründe gehabt habe, eine schuldhafte Pflichtverletzung durchzuführen.

Hinsichtlich der Heranziehung für aushaftende Umsatzsteuer:

Die belangte Behörde stelle richtiger Weise fest, dass die Umsatzsteuer spätestens am 15. des zweitfolgenden Kalendermonats mittels Voranmeldung und Zahlung einzureichen sei. Aus dem Haftungsbescheid gehe nicht hervor, warum die Heranziehung des Bf. für die aushaftende Umsatzsteuer durchzuführen sei. Hier liege ein erheblicher Begründungsmangel vor.

Persönliche (subjektive) Voraussetzung - schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters:

Die belangte Behörde habe das Verschulden des Vertreters nicht konkretisiert und somit nicht die jene Umstände genannt, die dazu geführt hätten, dass die betreffende Steuerschuldigkeit nicht mehr einzubringen gewesen sei.

Es werde insbesondere darauf verwiesen, dass der Geschäftsführer 2011 ausgeschieden und erst im Jahre 2017 ein Konkursverfahren anhängig gemacht worden sei, wobei bis zu diesem Zeitpunkt eventuell bestehende Altverbindlichkeiten - welche dem Bf. nicht bekannt seien - bereits entrichtet worden seien.

Der Vertreter könne schlüssig darstellen, dass sich in einem Zeitraum von 7 Jahren aufgrund der Exekutionsmaßnahmen der Abgabenbehörde sicherlich kein Rückstand ergeben habe, welcher auf Fälligkeiten im Zeitraum der Geschäftsführungstätigkeit des Bf. zurückzuführen sei. Somit habe er der qualifizierten Behauptungs-und Konkretisierungslast entsprochen ().

Der Haftung zu Grunde liegende Abgabenbescheide:

Bereits aus der zeitlichen Erlassung der Steuerbescheide (2011) sei ersichtlich, dass die bereits eingewandte und gerügte Verjährungsfrist greife. Die gegenständlichen Abgaben seien verjährt.

Die beigefügten Abgabenbescheide entsprächen nicht dem Spruchinhalt laut Auflistung der Abgaben.

Zusammenfassend werde deshalb festgestellt, dass der gegenständliche Bescheid ersatzlos aufzuheben sei.

---//---

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgeführt:

Gemäß § 262 Abs. 1 BAO sei über Bescheidbeschwerden nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen habe, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.

Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung habe gemäß § 262 Abs. 2 BAO zu unterbleiben, a) wenn dies in der Bescheidbeschwerde beantragt werde und b) wenn die Abgabenbehörde die Bescheidbeschwerde innerhalb von drei Monaten ab ihrem Einlangen dem Verwaltungsgericht vorlege.

Der Bf. müsse in der Bescheidbeschwerde einen ausdrücklichen Antrag auf das Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung iSd § 262 Abs. 2 lit. a BAO stellen. Fehle ein ausdrücklicher Antrag auf das Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung - wie in gegenständlichem Antrag -, sei ein Anwendungsfall des § 262 Abs. 2 lit a BAO daher nicht gegeben.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO hafteten die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben in Folge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen oblägen und seien befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalteten, entrichtet würden.

Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme nach § 9 BAO seien:

  1. eine Abgabenforderung gegen die Vertretene (Gesellschaft),

  2. die Stellung als Vertreter,

  3. die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung,

  4. eine Pflichtverletzung des Vertreters,

  5. dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und

  6. die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Die Haftung nach § 9 BAO sei eine Ausfallshaftung.

Unbestritten sei die Uneinbringlichkeit der Steuerschulden bei der GmbH als Primärschuldnerin (amtswegige Löschung, eingetragen am D-6), unbestritten sei auch die Vertretungsbefugnis des Bf. als handelsrechtlicher Geschäftsführer für die Zeit vom D-1 bis zum D-3.

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjähre das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen 5 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchen die Abgabe fällig geworden sei, keineswegs jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. Gemäß § 238 Abs. 2 BAO werde die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen hin erkennbare Amtshandlung unterbrochen und mit Ablauf des Jahres, in welchen die Unterbrechung eingetreten sei, beginne die Verjährungsfrist neu zu laufen. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH genüge es für die Unterbrechungswirkung einer Amtshandlung, dass sie nach außen in Erscheinung trete und erkennbar den Zweck verfolge, den Anspruch gegen einen bestimmten Abgabenschuldner durchzusetzen, ohne dass es darauf ankomme, ob die Amtshandlung zur Erreichung des angestrebten Erfolges konkret geeignet sei und ob der Abgabenschuldner von der Amtshandlung Kenntnis erlangt habe (vgl. z.B. ; ).

Die Amtshandlung müsse, damit ihr unterbrechende Wirkung zukomme, nach außen erkennbar sein. Sie müsse dem Abgabepflichtigen nicht zur Kenntnis gelangt sein (; ; ; ).

Seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom , 91/13/0037, 91/13/0038, sei der VwGH in ständiger Rechtsprechung der Ansicht, dass Unterbrechungshandlungen anspruchsbezogen wirkten, somit die Verjährung gegenüber jeden unterbrechen, der als Zahlungspflichtiger in Betracht komme, ohne dass es rechtlich von Bedeutung wäre, gegen wen sich solche Amtshandlungen richteten (vgl. z.B. ; ).

Mit Ablauf des Jahres, in welchen die Unterbrechung eingetreten sei, beginne die Verjährungsfrist neu zu laufen (§ 238 Abs. 2 2. Satz BAO).

Dazu seien im Detail genannte, hier nicht wiedergegebene Maßnahmen, Benachrichtigungen und Bescheide im Zeitraum 02/2011 bis 04/2020 gesetzt worden.

Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung seien, wenn der Haftungsinanspruchnahme ein eine Bindungswirkung auslösender Bescheid an die Gesellschaft vorangegangen sei, in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen (vgl. ). Einwendungen in der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid gegen den Abgabenanspruch, also ob und in welcher Höhe ein Abgabenanspruch objektiv gegeben sei, seien im Beschwerdeverfahren gegen den Haftungsbescheid nur dann beachtlich, wenn der Haftungsinanspruchnahme kein eine Bindungswirkung auslösender Abgabenbescheid an die Gesellschaft vorangegangen sei (vgl. ; vgl. auch ). Wenn gegenüber der Gesellschaft Bescheide über den Abgabenanspruch ergangen seien und der zur Haftung Herangezogene sohin gemäß § 248 BAO gegen die Bescheide betreffend den Abgabenanspruch Beschwerde erheben könne, könnten im Verfahren über die Geltendmachung der Haftung Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung nicht mit Erfolg erhoben werden (vgl. ).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hafte der Vertreter nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern - was sich aus dem Wort "insoweit" in § 9 BAO eindeutig ergebe - nur in dem Umfang, in dem eine Kausalität zwischen der (schuldhaften) Pflichtverletzung des Vertreters und dem Entgang von Abgaben bestehe. Reichten somit die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden und hafte der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit die Abgabengläubiger benachteiligt habe, so erstrecke sich die Haftung des Vertreters auch nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen habe.

Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliege dem Vertreter. Vermöge er nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so hafte er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Werde dieser Nachweis nicht angetreten, könne dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden (vgl. zB ).

Gegen die Gleichbehandlungspflicht verstoße ein Geschäftsführer, der Abgabenschulden bei Fälligkeit nicht vollständig entrichte, dann nicht, wenn die Mittel, die ihm zur Verfügung stünden, nicht für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft ausreichten, er aber die Abgabenschulden im Vergleich zur Summe der anderen Verbindlichkeiten nicht schlechter behandle und diesem Verhältnis entsprechend anteilig erfülle; insoweit sei auch das Ausmaß der Haftung bestimmt. Dies setze allerdings voraus, dass der Geschäftsführer im Verfahren betreffend seine Heranziehung zur Haftung die Grundlagen für die behördliche Feststellung des zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zur Bezahlung der Abgabenschuld zur Verfügung stehenden Anteils an liquiden Mitteln beigebracht habe (vgl. zB ).

Dieser Nachweis sei nicht erbracht worden.

Die Inanspruchnahme der Haftung in Ausübung des Ermessens sei nicht mit dem im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides vorhandenen Vermögen begrenzt (). Da der Bf. über Einkommen verfüge, sei die Heranziehung zur Haftung somit zweckmäßig gewesen. Gegen die Heranziehung zur Haftung sprechende Billigkeitsgründe seien nicht behauptet worden und hätten auch nicht anhand der Aktenlage erkannt werden können.

---//---

Fristgerecht beantragte der Bf. mit Schreiben vom die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht, die Entscheidung durch den gesamten Senat sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte ergänzend vor:

Gemäß § 238 Abs. 2 BAO werde die Verjährung fälliger Abgaben durch jene zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen hin erkennbaren Amtshandlungen unterbrochen und mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten sei, beginne die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Die belangte Behörde vertrete nunmehr die Ansicht, dass die Amtshandlung, damit ihr unterbrechende Wirkung zukomme, nach außen erkennbar sein müsse. Sie müsse dem "Abgabepflichtigen" nicht zur Kenntnis gelangt sein (und ein entsprechendes Zitat für diverse höchstgerichtliche Entscheidungen).

Hierbei sei festzustellen, dass der "Abgabepflichtige" nicht dem "Haftungspflichtigen" gleichzusetzen sei. Es werde bestritten, dass die nachfolgend genannten Amtshandlungen auch gegenüber dem Bf. wirkten.

Die belangte Behörde teile nunmehr als Begründung zur Beschwerdevorentscheidung mit, dass "laut Vermerken im System" eine Reihe von Maßnahmen gesetzt worden seien, die Unterbrechungshandlungen darstellten. Dazu werde im Sinne des Akteneinsichtsrechtes ersucht, die laut Ansicht der belangten Behörde vorliegenden Unterbrechungshandlungen nunmehr konkret dem Haftungspflichtigen vorzuhalten und diesbezüglich die damit in Verbindung stehenden Informationen zu übermitteln.

Der Haftungspflichtige könne sowohl mit den einzelnen Namen als auch mit den Kurzbezeichnungen "VOR" bzw. "GDV" nichts anfangen und somit im Sinne des Parteiengehörs auch keinerlei Zuordnung durchführen.

Aus gegenständlicher Auflistung sei ersichtlich, dass bis einschließlich des Jahres 2011 keinerlei Mitteilungen und Informationen an den Haftungspflichtigen übermittelt worden seien.

Auch hinsichtlich der Aufzählung der "Benachrichtigungen bzw. Bescheide" sei für den Haftungspflichtigen keine Erkenntnis gewinnbar, da er diesbezüglich die angeführten Informationen nicht kenne. Auch hier werde im Sinne des Akteneinsichtsrechtes die Übermittlung der entsprechenden Unterlagen begehrt.

Sollte in eventu tatsächlich eine Haftungsbegründung gegeben und die Verjährungsfrist nicht vorliegend sein, so wende der Bf. mangelnde Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben ein. Insbesondere sei davon auszugehen, dass dem Bf. ausschließlich Haftungen für Abgaben in eventu treffen könnten, welche im Zeitraum vom D-1 - D-3 entstanden seien. Die belangte Behörde habe diesbezüglich bisher keinerlei Ausführungen gemacht, welche Abgaben dies nunmehr in diesem Zeitraum konkret seien.

Von Seiten der belangten Behörde werde nunmehr verlangt, dass der Haftungspflichtige nach mehr als 10 Jahren (die maximalen Aufbewahrungsfristen seien 7 Jahre!) nachweise, dass sich aus den Belegen ergebe, dass die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt hätten werden können und somit der Abgabengläubiger tatsächlich benachteiligt worden sei. Im Hinblick darauf, dass den Haftungspflichtigen keine Vorsorgeverpflichtung getroffen habe, sei davon auszugehen, dass bereits aus diesem Grund der mehr als siebenjährigen Ablauffrist zur Aufbewahrung der Unterlagen keinerlei Verpflichtung treffe, einen entsprechenden Nachweis zu führen, welche die Abgabenbehörde vorgeschrieben habe.

Mangels Nachweismöglichkeit sei es im Rahmen der Beweislast Aufgabe der Abgabenbehörde, das Missverhältnis der mangelnden Gleichbehandlung darzutun und die Ausfallshaftung darzulegen.

Das Ermessen der Abgabenbehörde hinsichtlich der Inanspruchnahme der Haftung sei von ihrer Seite nicht dargelegt worden. Hinsichtlich der Billigkeitsgründe sei wohl aufgrund des Ablaufes der Verjährungsfrist, des Ablaufes der Aufbewahrungsfrist für Belege, ohne dass eine Vorsorgeverpflichtung des ehemaligen Geschäftsführers bestehe, Bedacht zu nehmen und werde dies ausdrücklich eingewandt.

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Mit Schreiben vom gab das Finanzamt dem Bf. folgende gegenüber der Primärschuldnerin gesetzte Unterbrechungshandlung (Einhebungsverjährung) bekannt:


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Barzahlung in Höhe von € 2.439,00 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 3.498,76 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 2.383,40 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 2.000,00 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 2.765,39 beim Vollstrecker
Telefonat des Vollstreckers mit der Abgabenschuldnerin
Barzahlung in Höhe von € 1.808,96 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 3.587,29 beim Vollstrecker
Telefonat des Vollstreckers mit der Abgabenschuldnerin
Telefonat des Vollstreckers mit der Abgabenschuldnerin
Barzahlung in Höhe von € 767,00 beim Vollstrecker
Barzahlung in Höhe von € 900,00 beim Vollstrecker


Abschließend wurde auch auf das Insolvenzverfahren (Eröffnung am D-4 und Aufhebung am D-5) verwiesen.

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Mit Schreiben vom zog der Bf. die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat zurück und brachte ergänzend vor:

Von Seiten der belangten Behörde sei gerügt worden, dass er einen am versendeten Haftungsvorhalt unbeantwortet gelassen habe. Hierbei sei er aufgefordert worden, Behauptungen und Beweisanbote zu seiner Entlastung dazutun, mit welchen er mit Vorhalt vom aufgefordert worden und dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei. Hierzu sei festzuhalten, dass dem Bf. der Haftungsvorhalt vom und auch die Aufforderung vom nicht zugekommen seien, weshalb ihm dies nicht anzulasten sei.

Dem Bf. werde von der belangten Behörde vorgehalten, dass er ungerechtfertigter Weise die Aufbewahrungsfrist des § 132 BAO (7 Jahre) nicht eingehalten habe, da er zur Beweisvorsorge verpflichtet gewesen sei. Hierzu sei festzustellen, dass der Bf. am D-3 als Geschäftsführer ausgeschieden sei und somit die 7-jährige Aufbewahrungsfrist spätestens am abgelaufen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei jedoch keinerlei Haftungsverfahren anhängig gewesen, sodass auch keine Beweisvorsorge durchzuführen sei.

Beweis: Einsichtnahme in das offene Firmenbuch

Des Weiteren sei aus dem Firmenbuchauszug ersichtlich, dass das Unternehmen von anderen Gesellschaftern und Geschäftsführern nach Abtretung ab dem Jahre 2011 von diesen jahrelang fortbetrieben worden sei. Auch aus den eingereichten Unterlagen beim Firmenbuch und den Finanzamtsunterlagen der Jahre 2011 - 2015 sei ersichtlich, dass der Bf. keinerlei Veranlassung gehabt habe, eine Beweisvorsorge durchzuführen.

Auch die Unbilligkeit angesichts lange verstrichener Zeit sei bei der Ermessensübung zu berücksichtigen, wobei diese Ermessensübung von Seiten der belangten Behörde nicht konkretisiert worden und auch für das Höchstgericht nicht nachvollziehbar sei.

Es sei für den Bf. nicht nachvollziehbar, warum bei einer Konkursabweisung im Jahre 2018 im Zeitraum von 2011 - 2018 es den nachfolgenden Geschäftsführern und Gesellschaftern nicht möglich gewesen sei, die nunmehr haftungsgegenständlichen Beträge aus dem Zeitraum bis 11/2011 zu entrichten, da das Unternehmen jahrelang fortgeführt worden sei und diesbezüglich anlässlich der Übernahme der Geschäftsanteile der Nachfolgegesellschafter natürlich auch die Bezahlung der Verbindlichkeiten über die Gesellschaft durchzuführen habe. Dies sei auch daraus ersichtlich, dass der nachfolgende Geschäftsführer auf Anweisung des Gesellschafters jeweils Teilzahlungen im Rahmen des Exekutionsverfahrens durchgeführt habe. Hierzu sei zu bemerken, dass die Zahlungen nicht durch den Bf., sondern durch die Gesellschaft durchgeführt worden seien und dies zu keinen Unterbrechungshandlungen betreffend die Verjährung gegenüber dem Haftungspflichtigen führe, da dieser keine Kenntnis der einzelnen Handlungen gehabt habe.

Die schuldhafte Pflichtverletzung von Seiten des Bf. sei von der belangten Behörde nicht nachgewiesen worden. Eine diesbezügliche Behauptung der Behörde fehle ebenfalls.

Es sei dem Bf. denkunmöglich und von Seiten der belangten Behörde nur eine Schutzbehauptung zur Durchsetzung des Haftungsbetrages, dass er verpflichtet gewesen wäre, im Jahre 2020 Unterlagen betreffend die finanzielle Situation des Unternehmens bis zum seinem Ausscheiden im Dezember 2011 vorzulegen. Dies sei nach Ablauf sämtlicher nur denkbaren Verjährungsfristen gegeben und daher den gesetzlichen Bestimmungen widersprechend.

Er ersuche daher um Stattgabe der Beschwerde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Persönliche Haftungen erstrecken sich gemäß § 7 Abs. 2 BAO auch auf Nebenansprüche im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2. Zu diesen Nebenansprüchen gehören gemäß § 3 Abs. 2 lit. d insbesondere die Nebengebühren der Abgaben, wie die Stundungs- und Aussetzungszinsen, der Säumniszuschlag und die Kosten (Gebühren und Auslagenersätze) des Vollstreckungs- und Sicherungsverfahrens, worunter gemäß § 26 AbgEO insbesondere Pfändungsgebühren und die durch die Vollstreckungsmaßnahmen verursachten Barauslagen (somit auch Postgebühren) fallen.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzungen für die Haftung gemäß § 9 Abs. 1 BAO

- Stellung des Geschäftsführers als Vertreter
- Abgabenforderungen gegen die vertretene Gesellschaft
- Uneinbringlichkeit der Abgabenforderungen
- abgabenrechtliche Pflichtverletzung des Vertreters
- dessen Verschulden an der Pflichtverletzung
- Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben (Kausalität)

1. Vertreterstellung

Unbestritten ist, dass dem Bf. als ehemaliger Geschäftsführer der G-1 die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft im Zeitraum vom D-1 bis D-7 (die Abberufung erfolgte mit Gesellschafterbeschluss vom D-7, die Eintragung vom D-3 im Firmenbuch ist entgegen den Rechtsansichten der Parteien wegen der bloß deklarativen Wirkung der Eintragungen im Firmenbuch nicht relevant) oblag.

2. Abgabenforderungen

Die im angefochtenen Haftungsbescheid enthaltenen haftungsgegenständlichen Abgaben waren allesamt im Zeitraum der Geschäftsführungstätigkeit des Bf. zur Zahlung fällig, wobei ihm die Bescheide der festgesetzten Abgaben mit dem Haftungsbescheid zur Kenntnis gebracht wurden:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabe
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
01-06/2010
12.205,64
Säumniszuschlag 1
2010
944,23
Säumniszuschlag 1
2010
687,14
Stundungszinsen
2011
56,24
Verspätungszuschlag
07/2010
823,81
Verspätungszuschlag
09/2011
1.227,91
Verspätungszuschlag
11/2010
846,10
Säumniszuschlag 1
2010
205,95
Säumniszuschlag 1
2010
306,98
Säumniszuschlag 1
2010
211,52
Säumniszuschlag 2
2010
72,64
Säumniszuschlag 2
2010
343,57
Säumniszuschlag 2
2010
464,16
Säumniszuschlag 2
2011
105,76
Säumniszuschlag 1
2011
180,53
Säumniszuschlag 3
2010
300,00
Säumniszuschlag 3
2010
343,57
Säumniszuschlag 1
2011
263,37
Säumniszuschlag 1
2011
202,92


Allerdings war nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Inanspruchnahme für eine Zusammenfassung von mehreren Voranmeldungszeiträumen nicht zulässig, da deren undeterminierte Bezeichnung wegen des Gebotes der Bestimmtheit von Abgaben bei Einhebungsmaßnahmen nicht zulässig ist, weshalb die Umsatzsteuern 01-06/2010 aufzugliedern waren:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabe
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
01/2010
2.034,27
Umsatzsteuer
02/2010
2.034,27
Umsatzsteuer
03/2010
2.034,27
Umsatzsteuer
04/2010
2.034,27
Umsatzsteuer
05/2010
2.034,27
Umsatzsteuer
06/2010
2.034,27


Die übrigen (nicht bescheidmäßig festgesetzten) Abgaben wurden vom Bf. zwar gemeldet, aber nicht entrichtet:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabe
Zeitraum
Betrag
Lohnsteuer
02/2011
228,64
Dienstgeberbeitrag
02/2011
145,74
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/2011
12,95
Lohnsteuer
03/2011
315,21
Dienstgeberbeitrag
03/2011
131,42
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/2011
11,68
Umsatzsteuer
02/2011
2.139,73
Umsatzsteuer
03/2011
4.026,32
Lohnsteuer
04/2011
33,11
Dienstgeberbeitrag
04/2011
5,85
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/2011
0,52
Umsatzsteuer
04/2011
12.168,57
Umsatzsteuer
07/2011
2.145,87
Dienstgeberbeitrag
08/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
08/2011
1,33
Dienstgeberbeitrag
09/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
09/2011
1,33
Dienstgeberbeitrag
10/2011
14,94
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
10/2011
1,33


2.1. Verjährung

Gemäß § 238 Abs. 1 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

Gemäß § 238 Abs. 2 BAO wird die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Dem Einwand des Bf., dass die haftungsgegenständlichen Abgaben gemäß § 238 BAO verjährt wären, ist die Aktenlage entgegenzuhalten, wonach ab (dem ältesten Fälligkeitstag) folgende (beispielsweise herausgenommene) Unterbrechungshandlungen, die die fünfjährige Einhebungsverjährungsfrist jeweils neu in Gang setzten, getroffen wurden:


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Unterbrechungshandlung
Datum
Vorläufig verlängerte
Verjährungsfrist
Zahlungsvereinbarung Geschäftsführer mit Vollstreckungsstelle
Zahlungsvereinbarung Geschäftsführer mit Vollstreckungsstelle
Zahlungsvereinbarung Geschäftsführer mit Vollstreckungsstelle
Zahlungsvereinbarung Geschäftsführer mit Vollstreckungsstelle
Zahlungsvereinbarung Rechtsanwalt mit Vollstreckungsstelle
Zentralmelderegisterabfrage des Geschäftsführers
Haftungsbescheid


Durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren wird gemäß
§ 9 Abs. 1 IO die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegen den Schuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden ist.

Darüber hinaus war auch auf Grund des vom D-4 bis D-5 anhängigen Insolvenzverfahrens, bei dem die haftungsgegenständlichen Forderungen angemeldet waren, die Verjährung gemäß § 9 Abs. 1 IO unterbrochen, wodurch die Verjährungsfrist vorläufig bis D-8 verlängert wurde.

Zum Einwand des Bf., dass allfällige Maßnahmen nicht seine Person betreffen würden, wird auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach der VwGH den Standpunkt einer personenbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen für den Bereich der Einhebungsverjährung nicht mehr aufrecht hält und sich nunmehr zur Auffassung der anspruchsbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen derart bekennt, dass Amtshandlungen nach § 238 Abs. 2 BAO die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem unterbrechen, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt, ohne dass es rechtlich von Bedeutung wäre, gegen wen sich solche Amtshandlungen gerichtet hatten. Der Text dieser Vorschrift nimmt nicht Bezug auf eine Person, sondern handelt allein vom Anspruch. "Jede" zur Durchsetzung "des Anspruches" unternommene, nach außen "erkennbare" Amtshandlung wird als verjährungsunterbrechend normiert, ohne dass diesem Gesetzestext ein Anhaltspunkt für die Anordnung entnommen werden kann, eine bestimmte, von einer solchen Amtshandlung "betroffene" Person in das die Verjährungsunterbrechung bewirkende Geschehen einzubinden ().

Darüber hinaus lässt sich aus dem Vorbringen des Bf., dass der Abgabepflichtige nicht mit dem Haftungspflichtigen gleichzusetzen sei, weshalb die nicht gegen ihn gerichteten Amtshandlungen für ihn keine einhebungsverjährungsunterbrechende Wirkung hätten, nichts gewinnen, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jede Amtshandlung nach § 238 Abs. 2 BAO die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem unterbricht, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt (zB ).

Daraus erhellt, dass eine Verjährung der Einhebung nach § 238 Abs. 1 BAO zufolge der regelmäßigen Unterbrechungshandlungen gemäß § 238 Abs. 2 BAO nicht eingetreten ist.

3. Uneinbringlichkeit

Die Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären ().

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit fest, da mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom D-5 der über das Vermögen der G-1 am D-4 eröffnete Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben wurde.

Außerdem wurde die Gesellschaft bereits am D-6 infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.

4. Schuldhafte Pflichtverletzung

Dem Einwand des Bf., dass er keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt habe, da er lediglich bis 2011 Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei und die damals eventuell bestehenden Altverbindlichkeiten bis zur Konkurseröffnung 2017 aufgrund der Exekutionsmaßnahmen der Abgabenbehörde bereits entrichtet worden seien, ist entgegenzuhalten, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben allesamt noch unberichtigt aushaften. Im Rahmen der einem Vertreter nach § 9 Abs. 1 BAO iVm § 80 Abs. 1 BAO treffenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen ist unter anderem auch für die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen.

Darüber hinaus wird der Bf. darauf hingewiesen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Haftenden und der Abgabenbehörde über die Gebarung auf dem Abgabenkonto nicht im Haftungsverfahren, sondern in einem über Antrag auszulösenden Verfahren zur Erlassung eines Abrechnungsbescheides gemäß § 216 BAO auszutragen sind ().

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert haben, die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen (, 0038). Er hat also darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, andernfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (vgl. ).

4.1. Gleichbehandlungsnachweis

Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hat, so verletzt der Vertreter dadurch keine abgabenrechtliche Pflicht ().

Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden sind, hierzu nicht ausreichen; es sei denn, er weist nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als andere Verbindlichkeiten ().

Im gegenständlichen Fall bringt der Bf. jedoch keine triftigen Gründe, aus denen ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen wäre, vor. Insbesondere wurde nicht behauptet, dass ihm keine Mittel zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zur Verfügung gestanden oder sämtliche Gläubiger gleichbehandelt worden seien.

Für eine völlige Vermögenslosigkeit der Primärschuldnerin ergeben sich auch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte, zumal jedenfalls noch Löhne ausbezahlt wurden und die Bilanzen zum bzw. liquide Mittel von € 55.819,62 bzw. € 15.807,46 auswiesen.

Grundsätzlich obliegt es dem Geschäftsführer der Primärschuldnerin, dem ausreichend Einblick in die Gebarung zustand, das Ausmaß der quantitativen Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen (), da nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen hat, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel ().

Der Hinweis, dass er bereits am D-7 aus der Geschäftsführung ausgeschieden wäre und infolge Ablaufs der Belegaufbewahrungspflicht von sieben Jahren keinen Zugriff mehr auf die geschäftlichen Unterlagen hätte, vermag den Bf. nicht zu exkulpieren, weil es dem Vertreter obliegt, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch Erstellung und Aufbewahrung von Ausdrucken - zu treffen. Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in den Erkenntnissen , und , ausgeführt hat, ist es dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich - spätestens dann, wenn im Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungstätigkeit fällige Abgabenschulden unberichtigt aushaften - jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen. Diese Darlegungspflicht trifft nämlich auch solche Haftungspflichtige, die im Zeitpunkt der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Gesellschaft nicht mehr deren Vertreter sind ().

Weist der Haftungspflichtige nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Den im Rahmen der besonderen Behauptungs- und Konkretisierungspflicht zur Feststellung des für die aliquote Erfüllung der Abgabenschuld zur Verfügung stehenden Teiles vom Gesamtbetrag der liquiden Mittel geforderte Liquiditätsstatus - in Form einer Gegenüberstellung von liquiden Mitteln und Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag der haftungsgegenständlichen Abgaben, wobei es auf die Abgabenverbindlichkeiten einerseits und die Summe der übrigen Verbindlichkeiten andererseits ankommt - hat der Bf. jedoch nicht aufgestellt.

Im Hinblick auf die unterlassene Behauptung und Konkretisierung des Ausmaßes der Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten zur Verfügung gestandenen Mittel zur Erfüllung der vollen Abgabenverbindlichkeiten kommt eine Beschränkung der Haftung der Bf. bloß auf einen Teil der von der Haftung betroffenen Abgabenschulden nicht in Betracht ().

Für aushaftende Abfuhrabgaben wie die Lohnsteuer gelten aber ohnedies Ausnahmen vom Gleichheitsgrundsatz (; ), da nach § 78 Abs. 3 EStG der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten hat.

5. Kausalität

Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Bf. konnte die Abgabenbehörde nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (), auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.

Der Einwand des Bf., dass eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben nicht bestehe, da ihn nur Haftungen für Abgaben, die im Zeitraum seiner Geschäftsführertätigkeit entstanden seien treffen könne, geht ins Leere, da es auf die Entstehung des Abgabenanspruches bei der Haftungsinanspruchnahme nicht ankommt, sondern auf den (späteren) Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, die für sämtliche haftungsgegenständliche Abgaben seit Beginn bis zu seinem Ausscheiden aus der Geschäftsführung der Gesellschaft eintrat.

6. Ermessen

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist ().

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB ; ) ist allerdings dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit im Rahmen der behördlichen Ermessensübung besondere Bedeutung beizumessen.

Dazu ist festzustellen, dass der Bf. bereits am D-7 aus der Geschäftsführung der Gesellschaft ausgeschieden ist, der an ihn gerichtete Haftungsbescheid jedoch erst am erging. Die ungewöhnlich späte Heranziehung zur Haftung der in den Jahren 2010-2011 fälligen Abgaben nach rund 10 Jahren, wobei im gegenständlichen Fall mangels Kenntnis des Bf. auf das in den Jahren 2017/2018 anhängige Insolvenzverfahren nicht Bedacht zu nehmen war, war daher im Rahmen des Ermessens insofern zu berücksichtigen, als der Bf. lediglich im Ausmaß von 50% der aushaftenden haftungsgegenständlichen Abgaben herangezogen wird.

7. Ergebnis

Auf Grund des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 BAO erfolgte somit die Inanspruchnahme des Bf. als Haftungspflichtiger für die im Spruch genannten Abgabenschuldigkeiten der G-1 im Ausmaß von nunmehr € 20.603,34 zu Recht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt hier nicht vor. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten Judikatur des VwGH.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101199.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at