Nachsicht, persönliche Unbilligkeit
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Nachsichtsansuchen vom nach § 236 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Am wurde das Nachsichtsansuchen des Bf. vom abgewiesen und dazu ausgeführt:
"Die Gewährung einer Nachsicht hat das Vorliegen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit zur Voraussetzung.
Eine persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers, insbesondere wenn ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen besteht.
Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt.
Da im gegenständlichen Fall weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, war das Nachsichtsansuchen abzuweisen.
Nach Lage des Falles erscheint die Abstattung des gesamten Abgabenrückstandes in Form von monatlichen Raten zumutbar."
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Dagegen richtet sich die fälschlich als Einspruch bezeichnete Beschwerde vom mit folgendem Vorbringen:
"Einspruch
Meine Anfechtung richtet sich gegen die Abweisung.
Bei der Einhebung der Abgabenschuld liegt meines Erachtens schon eine persönliche Unbilligkeit vor. Ich kann auf Grund meiner angespannten wirtschaftlichen Lage nur existieren, da ich jede Woche auf dem Sozialmarkt des Roten Kreuzes gratis Lebensmittel bekomme. Der Wegfall der derzeitigen monatlichen Rate an das Finanzamt in der Höhe von € 100,- würde mein Fortkommen wesentlich erleichtern.
Aus diesem Grund stelle ich den Antrag den angefochtenen Bescheid aufzuheben und meine derzeitige Abgabenschuld nachzusehen."
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und dazu ausgeführt:
"Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können auf Antrag des Abgabepflichtigen fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Gemäß § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
Eine sachliche Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt und für deren Hintanhaltung der Gesetzgeber selbst hätte vorsorgen müssen.
Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast naturgemäßbeim Nachsichtswerber. Dieser ist daher verpflichtet, im Nachsichtsansuchen die gemäß § 236BAO bedeutsamen Umstände offen zu legen.
Im Nachsichtsansuchen führt die Bf. aus, dass infolge ihres geringen Einkommens die Bezahlung der aushaftenden Abgabenschuldigkeiten ihre wirtschaftliche Existenz gefährden würde.
Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse, wirtschaftliche Notlagen (), die die Existenz des Abgabepflichtigen zu gefährden drohen, können persönliche Unbilligkeiten der Einhebung indizieren. Die Frage, ob die Existenz der Person des Abgabepflichtigen gefährdet ist, ist nach der Einkommens- und Vermögenslage (und nach der voraussehbaren Entwicklung) ohne Abzug der zu entrichtenden (nachsichtsverfangenen) Abgaben () zu beurteilen. Grundsätzlich ist der Abgabepflichtige gehalten, für die Zahlung der Abgaben vorzusorgen. Diesem Erfordernis hat die Nachsichtswerberin nicht entsprochen.
Aufgrund der Aufstellung der bekanntgegebenen Fixkosten ist zu berücksichtigen, dass berücksichtigt wurde, die Bankverbindlichkeiten abzustatten, die Abgabenschulden jedoch im Nachsichtswege nachgesehen werden sollten. Eine Differenzierung zwischen Abgabenschulden und anderen Verbindlichkeiten erscheint jedoch ohnedies ausgeschlossen, zumal dies zu einer Ungleichbehandlung von Gläubigern einseitig zu Lasten des Staates führen würde. Wenngleich die Entrichtung der Abgabenschuld in Raten die Lebensverhältnisse der Bf. durchaus beeinträchtigt, erscheint das Vorbringen der Bf. nicht geeignet eine existenzgefährdende Wirkung festzustellen. Im Übrigen hat der VwGH wiederholt dargetan, eine Nachsicht könne im Rahmen des im § 236 Abs. 1 BAO eingeräumten Ermessens nicht im positiven Sinne gewährt werden, wenn diese ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zu Gunsten anderer Gläubiger ginge (, , 94/13/0047, 0049, 0050, , 95/15/0090, , 2002/14/0082)."
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Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom ohne weiteres Vorbringen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Nach dem Wortlaut des § 236 BAO ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung tatbestandsmäßige Voraussetzung für eine Nachsichtsgewährung. Nachsichtsmaßnahmen können daher - abgesehen vom Formalerfordernis einer entsprechenden Antragstellung sowie der eingetretenen Fälligkeit der nachsichtsbezogenen Abgaben - nur bei Erfüllung des Tatbestandsmerkmales der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung in Erwägung gezogen werden.
Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO kann eine "sachlich" oder "persönlich" bedingte Unbilligkeit sein ().
Das Nachsichtsansuchen vom hat folgenden Wortlaut:
"Ich ersuche höflichst, mir den Rückstand auf meinem Steuerkonto nachzusehen.
Ich beziehe eine monatliche Pension von netto € 1.141,28. Davon muss ich bezahlen:
Kreditrate 400,- (aushaftend derzeit 14.569,15)
Miete 210,-
Strom 75,-
Haushaltsvers. 32,-
Kfz-Vers. 50,
Sterbevers. 20,-
Medikamente, ca. 40,-
Treibstoff, ca. 40,-
Zum Leben bleibt mir kaum was über, die derzeitige Rate an das Finanzamt muss ich mir von den Lebenshaltungskosten absparen."
Sachliche Unbilligkeit der Einhebung liegt nach der Rechtsprechung des VwGH nur dann vor, wenn im Einzelfall bei der Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist ().
Sachliche Unbilligkeit in der Einhebung des offenen Rückstandes wurde nicht behauptet, die Beschwerdeführerin vermeint ausschließlich, dass in der Einhebung der offenen Abgabenschuldigkeiten auf Grund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage eine persönliche Unbilligkeit vorliege.
Im Zeitpunkt der Antragstellung auf Nachsicht, am , war am Abgabenkonto ein Rückstand von € 5.214,86 offen, der sich aus Einkommensteuervorauszahlungen für 2019, einem Säumniszuschlag und Stundungszinsen ergeben hat.
Nunmehr haftet ein Betrag von € 4.304,86 aus (davon € 4.083,86 fällig).
Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().
Für die Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend ().
Dazu liegt ein zeitnahes Vermögensverzeichnis der Bf. vom vor. Demnach ist sie Pensionistin und erhält 14x jährlich eine Nettopension von € 1.131,70. Sie hat zu den Vermögenswerten angegeben, dass sie einen 10 Jahre alten Fernseher habe und einen PKW Mazda mit Erstzulassung .
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine persönliche Unbilligkeit dann vor, wenn die Einhebung der Abgabe in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Abgabepflichtigen oder den Steuergegenstand ergäben. Zwischen der Abgabeneinhebung und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen muss somit ein wirtschaftliches Missverhältnis vorliegen (), es also zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen ().
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, liegt persönliche Unbilligkeit dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgaben die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögensverschleuderung) verbunden wäre. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein ().
Eine persönlich bedingte Unbilligkeit liegt im Besonderen dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet, wobei es allerdings nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, besonderer finanzieller Schwierigkeiten oder Notlagen bedarf, sondern es genügt, wenn etwa die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme ().
Eine Unbilligkeit ist nach der Judikatur jedoch dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts änderte ().
Einer Beschwerdevorentscheidung kommt Vorhaltscharakter zu, d.h., der Bf. wurde bereits mitgeteilt, dass eine Nachsicht nur dann in Frage kommen könne, wenn alle Gläubiger eine entsprechende Einschränkung der Forderungen vornehmen würden.
Dennoch enthält der Vorlageantrag kein ergänzendes Vorbringen, dass auch hinsichtlich des offenen Kredits der Bf., der die Höhe der aushaftenden Abgabenschuldigkeiten bedeutend übersteigt, ein (teilweiser) Forderungsverzicht vorliege.
Eine Abgabennachsicht ist nicht zu gewähren, wenn sie sich nur zu Gunsten der übrigen Gläubiger auswirken würde ().
Eine Nachsicht würde demnach keinen Sanierungseffekt erzielen, da die Abgabenschuldigkeiten wesentlich geringer sind als die Kreditverbindlichkeiten, was ihr nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs entgegensteht.
Auf Grund der Aktenlage ergibt sich somit der Schluss, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer persönlichen Unbilligkeit in der Einhebung der offenen Abgabenschuldigkeiten nicht bestehen.
Lässt ein konkret vorliegender Sachverhalt schon die Annahme einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht zu, dann ist das Nachsichtsgesuch wegen Fehlens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen bereits aus Rechtsgründen abzuweisen, für eine Ermessensentscheidung bleibt diesfalls kein Raum ( und , 91/15/0017).
Da das Nachsichtsgesuch bereits wegen Fehlens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen aus Rechtsgründen abzuweisen war, bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
Zu den in der Ermessensentscheidung nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu berücksichtigenden Umständen muss sowohl die Tatsache zählen, dass eine allfällige Nachsicht nach § 236 Abs. 1 BAO im Hinblick auf den Gesamtschuldenstand zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage des Abgabepflichtigen führen würde, als auch, dass sich die Nachsicht ausschließlich zu Lasten der Abgabenverwaltung und zugunsten anderer Gläubiger des Abgabepflichtigen auswirken würde. ().
Da sich eine Nachsicht, wie bereits die Abgabenbehörde ausgeführt hat, lediglich zu Gunsten der Bank als weiterer Gläubigerin auswirken würde, wäre auch bei einer Ermessensentscheidung kein Spielraum für eine Nachsicht verblieben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine solche Rechtsfrage lag in diesem Verfahren nicht vor.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101341.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at