Anspruch auf Familienbeihilfe für in einem anderen EU-Staat lebendes Kind.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch Ri in der Beschwerdesache ***5***, ***1***, VersNR ***2***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom über die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe ab März 2017 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der beschwerdegegenständliche im Spruch näher bezeichnete Bescheid wurde begründet wie folgt:
"Da das Kind weder in Ihrem Haushalt lebt, noch von Ihnen der überwiegende Unterhalt (zumindest in Höhe der österreichischen Familienleistungen - vgl. Art 68a der EU-VO 883/2004 für das Kind gezahlt wird, haben Sie keinen Anspruch auf diese Familienleistungen."
In der im Spruch näher bezeichneten Beschwerde führte der Beschwerdeführer (Bf.) folgendermaßen aus:
"Meine Tochter wurde am TT.MM.***3*** in ***4*** geboren und lebt bei ihrer Mutter. Seit wird von mir die Familienbeihilfe per Western Union im Ausmaß von mindestens €150.- pro Monat, wie aus den beiliegenden Kopien ersichtlich ist, nach Polen überwiesen. Ein Monat wurde dabei bis dato ausgelassen weil es Probleme bei der digitalen Überweisung bei Western Union gab. Ich habe also soweit möglich pro Monat mehr an Familienbeihilfe überwiesen als den gesetzlich festgelegten Betrag von € 111,80. Da ich ja bisher keinerlei Familienbeihilfe vom Finanzamt bewilligt bekommen habe, ist auch der Kinderabsetzbetrag von € 58,40 bei meiner Zahlung nicht berücksichtigt. Bei positivem Bescheid werde ich natürlich die gesetzlich vorgesehenen €170,20 nach ***4*** überweisen und dies auch dementsprechend belegen können. Ich habe außerdem vor bei meinem nächsten Besuch in ***4*** bei einer dortigen Bank ein Konto zu errichten und dann die entsprechenden monatlichen Beträge per Dauerauftrag an meine Tochter zu überweisen. Meinem ursprünglichen Antrag an das Finanzamt wurde eine Bestätigung der polnischen Behörde beigelegt, worin erklärt wird, dass die Mutter des gemeinsamen Kindes nur eine Einmalzahlung von Zloty 1.000 (i.e. ungefähr € 250) zur Geburt ihrer Tochter erhalten hat. Die Mutter des gemeinsamen Kindes versucht zur Zeit ihre Masterarbeit fertigzuschreiben und hat keinerlei eigenes Einkommen. Sie hat auch eine Bestätigung beigelegt, dass sie meinerseits Zahlungen für ihre Tochter erhält. Ich kümmere mich regelmäßig um meine Tochter, was aus den beigelegten Hotelrechnungen ersichtlich ist. Es ist dabei zu bemerken, dass die auf den PayLife Monatsabrechnungen angegebenen Daten aus mir unersichtlichen Gründen nicht immer mit den Aufenthaltsdaten übereinstimmen. Meine Aufenthalte können zusätzlich von meinen nahen Verwandten bestätigt werden, die des Öfteren nach ***4*** mitfahren um meine Tochter zu besuchen. Zusätzlich ist zu bemerken dass, wie aus den Beilagen ersichtlich ist, immer wieder Sachleistungen von mir für das Kind erbracht werden.
Zusätzlich zu den oben beschriebenen Gegebenheiten erstaunt mich die Tatsache, dass im Ablehnungsbescheid das Familienlastenausgleichsgesetz von 1967 herangezogen wird, aufgrund dessen mir scheinbar die Familienbeihilfe nicht zusteht. Dafür wird aber in Österreich arbeitenden Ausländern, die Kinder in ihrer Heimat haben, nach der EU Verordnung 883/2004 vom das Recht zuerkannt, Familienbeihilfe für ihren Nachwuchs zu beziehen.
Es ist einfach unglaublich, dass mir als österreichischen Staatsbürger, in Wien Geborenen, voll Berufstätigen und Steuer zahlenden nach diesem antiquierten Gesetz nicht dieselben Rechte zugestanden werden wie jedem Ausländer, der in Österreich beschäftigt (oder vielleicht sogar arbeitslos?) ist. Das zitierte Gesetz ist aus dem Jahr 1967. Das ist ein Jahr, indem die politische Situation in Europa noch komplett anders ausgesehen hat als jetzt. Europa war durch den Eisernen Vorhang total gespalten und Kontakte mit dem dahinter liegenden Ausland waren minimalst. Seit dem Fall dieses Vorhangs Anfang der 1990er Jahre hat sich die Situation total verändert, und durch Österreichs Einstieg in die Europäische Gemeinschaft und folglich auch der Nachbarländer hat sich der Kontakt untereinander komplett verändert. Aus dieser Sicht ist es nicht nachvollziehbar, dass ich für mein Kind, das in einem anderen EU-Land lebt, keine Familienbeihilfe bekommen kann. Ich fühle mich als österreichischer Staatsbürger gegenüber Ausländern, die in Österreich arbeiten, total diskriminiert und kann daher den Abweisungsbescheid überhaupt nicht akzeptieren.
In diesem Sinne ersuche ich um Abänderung des Bescheides und Zuerkennung der Familienbeihilfe für meine Tochter."
Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom wurde begründet wie folgt:
"Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört.
Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Unter Haushalt ist eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, wobei es für die Frage nach der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes unerheblich ist, wer den Haushalt führt, dem das Kind angehört.
Für die Beurteilung der Haushaltszugehörigkeit ist ausschließlich die Tatsache der Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaft von Bedeutung, nicht dagegen das Erziehungsrecht ().
Im Sinne dieses Gesetzes sind Kinder einer Person deren Nachkommen, deren Wahlkinder und deren Nachkommen, deren Stiefkinder oder deren Pflegekinder (§§ 186 und 186 a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches)."
Im Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) vom führte der Bf. aus wie folgt: "Mein Antrag auf Familienbeihilfe für meine Tochter, die bei ihrer Mutter in ***4*** lebt, wurde zum 2. Mal von den Finanzbehörden abgewiesen. Die Gründe dafür gehen aus der beiliegenden Beschwerdevorentscheidung vom hervor, die ich allerdings erst am 5.10. zugestellt bekam (der Beleg dafür verblieb bei der Post bei der Abholung), sodass wenig Zeit bleibt um sich mit einem Antrag beim Bundesfinanzgericht darüber zu beschweren. In meiner Beschwerde vom wurden deutlich die Gründe für diese dargelegt. Trotzdem wurde mein Antrag neuerlich abgewiesen, zwar mit sehr ausführlichen Begründungen, die jedoch nicht immer der Realität entsprechen. Dazu ist zu bemerken, dass die Mutter des Kindes nur eine einmalige Zahlung vom Staat von Zloty 1.000 (= ca. 250 €) bei der Geburt unseres Kindes erhalten hat (Beleg liegt bei). Sie hat zur Zeit ihrer Schwangerschaft studiert und hatte vorher nur eine Nebenbeschäftigung. Mit Eintritt der Schwangerschaft musste sie diese jedoch aufgeben. Zur Zeit hat sie nur Gelegenheitsarbeiten, die nicht als reguläres Einkommen angesehen werden können. Eine Bestätigung von Frau ... (Anmerkung: Kindesmutter), aus der hervorgeht, dass sie keinerlei Zuwendung für unser Kind bekommt, liegt bei. Sie lebt zur Zeit im Haus ihrer Eltern. Entgegen der Behauptung der Finanzbehörde komme ich seit der Geburt unseres Kindes mit meinen monatlichen Zahlungen von € 150.- überwiegend für den Unterhalt des Kindes auf. Anfangs habe ich regelmäßige Überweisungen per Western Union getätigt und da dabei die Spesen, die in ***4*** abgezogen werden, relativ hoch sind, habe ich im August bei einer polnischen Bank ein Konto errichtet, von dem jeden Monat € 150 auf das Konto unseres Kindes überwiesen werden. Belege darüber liegen bei."
Im Bericht zur Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (Vorlagebericht) führte das Finanzamt (FA) aus wie folgt:
"§ 2 Abs. 2 FLAG 1967 i.V. mit Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und Verordnung (EG) Nr. 987/2009
Die Abweisung des Antrags und der Beschwerde erfolgte, da das Kind im Haushalt der Kindesmutter in ***4*** lebt und der Antragsteller lediglich Unterhalt leistet und das Kind nur besucht.
Beweismittel: Bestätigung der Kindesmutter, Zahlungsbelege;
Stellungnahme: Löst ein Elternteil im Sinne des § 2 Abs. 3 FLAG 1967 mit einer Erwerbstätigkeit in Österreich einen Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung aus, steht diese Leistung dem Elternteil zu, der das Kind im Ausland im gemeinsamen Haushalt hat (§ 2 Abs. 2 FLAG 1967). Im Urteil vom , C-378/14 (Tomisław Trapkowski) hat der Gerichtshof der Europäischen Union dazu folgende Rechtsansicht vertreten: Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind.
Da gemäß nationalem Recht (§ 2 Abs. 2 FLAG 1967) die Familienbeihilfe dem haushaltsführenden Elternteil zu gewähren ist, wird Abweisung der Beschwerde des lediglich Unterhalt leistenden Kindesvaters beantragt."
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Festgestellter Sachverhalt:
In Ansehung der Aktenlage steht unzweifelhaft fest, dass der Bf. in einem Haushalt in Wien lebt und in Österreich arbeitet. Sein Kind lebt mit der Kindesmutter in ***4***.
Unstrittig ist auch, dass der Kindesvater für das Kind Unterhalt leistet (s. o.a. Vorlagebericht des Finanzamtes an das BFG). Der Bf. leistet laut eigenen Angaben mtl. Zahlungen iHv Euro 150,00.
Die Kindesmutter hat bei Geburt des Kindes in ***4*** vom polnischen Staat umgerechnet rund Euro 250,00 Einmalzahlung erhalten. Die Mutter des Kindes, welche in ***4*** mit dem gemeinsamen Kind lebt, hat für ihr Kind außer dem o. angeführten einmaligen Betrag bei der Geburt des Kindes in ***4*** vom poln. Staat keine Familienleistungen für das Kind bezogen (laut vom Bf. vorgelegter diesbezüglicher Bestätigung). Die Mutter des Kindes musste die Nebenbeschäftigung neben dem Studium ab Geburt des Kindes aufgeben und hat danach nur Gelegenheitsarbeiten, die laut Bf. nicht zu regulärem Einkommen führen könnten, ausgeübt (s. Vorlageantrag des Bf. vom ).
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. gesetzliche Grundlagen:
2.1.1 gesetzliche Grundlagen - nationales Recht:
Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, haben nach § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 id im Beschwerdezeitraum geltenden Fassung (idgF) Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Der Bestimmung des § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gemäß gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.
Nach § 2a Abs. 1 erster Satz FLAG 1967 geht für den Fall, dass ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern gehört der Anspruch des Elternteils der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteils vor. Hierbei wird nach dem zweiten Satz leg. cit. bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung statuiert, dass die Mutter den Haushalt führt.
Die Bestimmung des § 2 a Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 führt aus, dass in den Fällen des Abs. 1 der Elternteil der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteils verzichten kann. Nach dem zweiten Satz leg. cit. kann der Verzicht auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde.
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Ebenso besteht nach § 5 Abs. 4 FLAG 1967 für Kinder kein Anspruch auf Familienbeihilfe , für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichzahlung (§ 4 Abs. 2) wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, nach § 53 Abs. 1 FLAG 1967 in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Nach § 10 Abs. 3 erster Satz FLAG werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.
2.1.2 Unionsrecht:
Diese Verordnung gilt nach Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Nach Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 umfasst der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung auch Familienleistungen.
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben nach Art. 4 VO 883/2004 Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, gemäß Art. 7 VO 883/2004 nicht auf Grund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen nach Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind bestimmt sich nach diesem Titel.
Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt nach Art. 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004 Folgendes:
Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.
Eine Person hat nach Art. 67 erster Satz VO 883/2004 auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten nach Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004 folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.
Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Abs. 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.
Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedsstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Anspruch auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:
a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Abs. 2 genannten Unterschiedsbetrag;
b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger der vorrangig zuständig ist.
Nach Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 werden die Familienleistungen bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.
2.2 rechtliche Würdigung:
In Anbetracht der o. dargelegten Gesetzesgrundlagen war unter Zugrundelegung des o.a. aktenkundigen Sachverhalts über die Anspruchsberechtigung des Bf. wie folgt zu befinden.
Anspruchsberechtigung des Bf. auf Familienbeihilfe
Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit mit der Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Rz 19 und 20 zu § 53)
Diese Verordnungen sind anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt.
Aufgrund der Erwerbstätigkeit des Bf. in Österreich und des Wohnortes der Kindesmutter und des Kindes in ***4*** liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit Unionsbezug vor, mit der Folge, dass die VO 883/2004 gemäß deren Art. 2 Abs. 1 auf die genannten Personen persönlich anwendbar ist.
Die vom Bf. beantragte Familienbeihilfe ist des weiteren unter die Familienleistungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 zu subsumieren, daher ist diese Verordnung im gegenständlichen Fall auch sachlich anwendbar.
Nach dem Unionsrecht unterliegen Personen, für die die VO 883/20014 gilt, immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004). Welche Rechtsordnung hierfür in Frage kommt, ist unter Titel II Art. 11 ff VO 883/2004 geregelt.
In der Regel sind dies gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004 die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, also jenes Staates, in welchem eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, und zwar auch dann, wenn die Person im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt.
Der Bf. ist nicht nur in Österreich wohnhaft, sondern in Österreich auch beschäftigt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er auch außerhalb des Bundesstaates Österreich einer nichtselbständigen oder selbständigen Tätigkeit nachgeht. Der Bf. unterliegt daher den österreichischen Rechtsvorschriften.
Da im gegenständlichen Fall die VO 883/2004 zu berücksichtigen ist, finden allerdings die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG 1967 idgF, welche den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs. 8 FLAG 1967, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs. 3 FLAG 1967, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, zufolge des Art. 7 VO 883/2004 und dessen Anwendungsvorrangs insoweit keine Anwendung. Zufolge des in Art. 4 VO 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, keine Anwendung. (Vgl. ).
In diesem Zusammenhang hat der EuGH zu Art. 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 in seiner Entscheidung vom , C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) ausgesprochen:
" 38 Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit , Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen" , die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden.
40 Es obliegt jedoch der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.
41 Nach alledem ist Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistung zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist."
Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat der Familienleistungen gewähren soll. (, , , , )
Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen. (, , , , ).
Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen. (, , )
Es ist daher im gegenständlichen Fall nach österreichischem Recht zu prüfen, ob der Bf. einen Familienbeihilfenanspruch hat oder nicht, wobei zu fingieren ist, dass alle Familienangehörigen in Österreich wohnen (weshalb - wie bereits ausgeführt - die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen außer Acht zu lassen sind).
§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 idgF stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Einem Anspruch auf Familienbeihilfe im Sinne des zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 steht der ausschließliche Anspruch einer Person, bei der das Kind im strittigen Zeitraum haushaltszugehörig war, zwingend entgegen (, ).
Dem Bf. ist weiters der Vollständigkeit halber zu entgegnen, dass das Gericht wie auch die Verwaltungsbehörden aufgrund des Legalitätsprinzips zwingend an die geltenden Gesetze bzw. Rechtsnormen gebunden sind, was auch auf das FLAG 1967 idgF zutrifft.
Da im gegenständlichen Fall das Kind bei der Kindesmutter (in ***4***) - getrennt vom Bf. - lebt und daher bei dieser haushaltszugehörig ist, besteht nach österreichischem Recht kein Anspruch auf Familienleistungen des Bf.; ein nach nationalem Recht nicht bestehender Anspruch kann nicht durch das Unionsrecht begründet werden.
Zusammenfassend steht somit bei dem vorliegenden Sachverhalt der vorrangige - per Antrag geltend zu machende - Anspruch auf Familienleistungen der Kindesmutter zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des Bf. erfüllt sind.
Demzufolge war wie im Spruch zu befinden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist nicht zulässig, weil keine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die verfahrensrechtlichen Fragen wurden im Einklang mit der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gelöst. Die entscheidungsrelevanten (materiell)rechtlichen Fragen sind durch die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und durch den klaren Regelungsinhalt der angeführten gesetzlichen Bestimmungen geklärt. Die gegenständliche Entscheidung weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ab.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7105144.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at