TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.05.2022, RV/7101101/2022

Einkunftsquelleneigenschaft bei Vermietung von Neubauwohnungen zwischen Ehepartnern und anschließender Überlassung der Mietwohnungen an die gemeinsamen ehelichen Kinder zur Befriedigung derer Wohnbedürfnisse!

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Aigner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Stadlauerstraße 39, 1220 Wien, über die Beschwerde gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich, mit denen das Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer 2004 und 2005 wiederaufgenommen und die Umsatzsteuer 2004 und 2005 neu festgestellt wurden und die Einkommensteuer 2005 festgesetzt wurde, Steuernummer ***BF1StNr1***
a) zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 BAO betreffend
Umsatzsteuer 2004 und 2005 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO werden ersatzlos
aufgehoben.
II. Der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 wird gemäß
§ 279 BAO Folge gegeben.
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage
angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des
Spruches dieses Erkenntnisses.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

b) beschlossen: I. Die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 wird gemäß
§ 261 Abs. 2 BAO iVm § 278 Abs. 1 BAO als gegenstandslos erklärt. Das Verfahren wird
eingestellt.
II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach
Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei (Bf.) ist a) Eigentümerin aa) des Hauses A-Gasse 4, und bb) der (Vorsorge-) Wohnung in 1190 Wien, B-Gasse 8/6, b) Ehegattin eines Beraters in steuerrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen, c) Mutter von Mag. T.A. und Rechtsanwalt Mag. S.A.. Das Haus A-Gasse 4 besteht aus drei Wohneinheiten: Top 1 ist die Ehewohnung der Bf.. Top 2 und 3 sind nach deren Fertigstellung an den Ehegatten vermietet worden.
Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2008/13/0223, verwiesen. Strittig war die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und die damit zusammenhängende Geltendmachung von Vorsteuern gemäß § 12 Abs. 1 UStG 1994 durch die nicht berufstätige Bf.. Der Verwaltungsgerichtshof hob den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates im Umfang der Anfechtung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil die Feststellungen und Erwägungen des UFS die Nichtanerkennung des strittigen Mietvertrages nicht zu tragen vermochten.
Im fortgesetzten Verfahren gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden der Bf. zur Wiederaufnahme der Umsatzsteuer für die Jahre 2002 und 2003 Folge und erklärte die Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide 2002 und 2003 als gegenstandlos. Die Beschwerde gegen die Bescheide zur Wiederaufnahme betreffend Umsatzsteuer 2004 und 2005, die Umsatzsteuer 2004 und 2005 und die Einkommensteuer 2005 wurde erneut abgewiesen. Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Erkenntnis , aus: In den Jahren 2002 und 2003 sei davon auszugehen gewesen, dass die Bf. eine Vermietung an fremde Dritte geplant hätte. Während des Bebauungsplanverfahrens in den Jahren 2001 und 2002 sei weder die Scheidung der Tochter im Jahr 2004 noch die Heirat des Sohnes im Jahr 2003 vorhersehbar gewesen. Die Ungewissheit des Zeitpunkts des Beginns der Bauarbeiten als Folge von wirtschaftlichen und finanziellen Problemen jener beauftragten Baufirma, über die der Konkurs im Jahr 2004 eröffnet worden war, bedeutete zugleich die Unbestimmbarkeit des Zeitpunkts der Fertigstellung und Bezugsfertigkeit im Vorhinein. Diese Unbestimmbarkeit des Zeitpunkts in Verbindung mit den Auslandsbezügen der Kinder in den Jahren 2002 und 2003 und der vom Ehegatten der Bf. als Bestandnehmer auf die Dauer von sieben Jahren abgeschlossene Untermietvertrag für eine andere Wohnung würden für die überragende Wahrscheinlichkeit der ursprünglichen Widmung der neu errichteten Wohnungen zur Vermietung an fremde Dritte sprechen. Die Vorsteuerbeträge aus den Jahren 2002 und 2003 seien daher anzuerkennen.
Seit dem Jahr 2004 habe sich im Zusammenhang mit der Scheidung der Tochter die Situation verändert, weshalb die Bf. nunmehr die Rechtskonstruktion der "Vermietung im Familienbereich" gewählt habe. Das Finanzamt habe diese Konstruktion zu Recht als missbräuchlich im Sinne des § 22 BAO angesehen. Dem Finanzamt sei dieser Sachverhalt im wiederaufzunehmenden Verfahren noch nicht bekannt gewesen. Als neue Tatsache sei die Vermietung im Familienbereich als Grund für die Wiederaufnahme anzuerkennen gewesen. Die Scheidung der Tochter sei Anlass für das Abgehen des ursprünglichen Planes der Bf., die neu errichteten Wohnungen unmittelbar nach Bezugsfertigkeit an fremde Dritte zu vermieten, gewesen. Es bestünde ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Baukosten und der Rechtskonstruktion "Vermietung im Familienbereich" ab dem Jahr 2004, da der Ehegatte der Bf. eine der Wohnungen unmittelbar nach Errichtung im bezugsfertigen Zustand seiner Tochter für Wohnzwecke prekaristisch überlassen habe. Der Ehegatte der Bf. habe angegeben, dass die rechtliche Gestaltung gewählt worden sei, um das Grundstück möglichst in der Familie zu halten. Der Ausbau des Hauses in drei Wohnungen sei deshalb erfolgt, um diese Wohnungen nach Errichtung unmittelbar den Kindern zur Führung eines selbständigen Haushalts überlassen zu können. Diese Annahme werde durch das Fehlen von bindenden Verträgen, die die Bf. im Zeitraum der Bauarbeiten als Nachweis für die künftige Nutzung der Wohnungen für Bestandszwecke abschließen hätte können, und die Tatsache, dass der Ehegatte der Bf. als Bittleihegeber den Wohnbedarf der mit 2004 nach Österreich heimgekehrten Tochter mit der Überlassung der Wohnung als Prekarium befriedigt habe, bestätigt. Das Motiv für die Vermietung im Familienbereich sei nicht die Einnahmenerzielung gewesen, sondern ein Zusammenwirken der Familie, um den Wohnbedarf der Kinder unter Zwischenschaltung des Ehegatten zu befriedigen. Der Zweck der Bauarbeiten, nämlich die Versorgung der Kinder mit einer Wohnung, habe somit Gewissheit über eine familienhafte Veranlassung der Bauarbeiten ab dem Jahr 2004 verschafft. Es zeige sich das Fehlen der Unternehmereigenschaft der Bf. bei der Vermietung im Familienbereich. Es liege eine missbräuchliche Gestaltung von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts im Sinne des § 22 BAO vor. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen den Bauarbeiten und der Rechtskonstruktion "Vermietung im Familienbereich" ergebe sich auch durch die Angaben in der Verzichtserklärung der Bf. vom hinsichtlich der Kleinunternehmereigenschaft für die Jahre 2004 und 2005 in Verbindung mit der unmittelbaren Vermietung der neuen Wohnungen im Familienbereich nach Bezugsfertigkeit und dem Fehlen von Beweisen für die Bewerbung der beiden Wohnungen des Bestandsobjektes in Form von zum Beispiel Immobilienanzeigen für die Jahre 2004 und 2005. Die Unangemessenheit und Ungewöhnlichkeit der Vermietung ergebe sich auch daraus, weil die Bf. den ehelichen Haushalt in den Jahren 2004 und 2005 geführt habe, sodass der Ehegatte gegenüber der Bf. zu Unterhaltszahlungen verpflichtet gewesen sei. Die Vermietung im Familienbereich, mit der die Folge des § 22 BAO verbunden sei, sei das Ergebnis einer Kette von Rechtshandlungen. Die erste Rechtshandlung sei der Abschluss der Bestandverträge zwischen der Bf. als Bestandgeberin und dem Ehegatten als Bestandnehmer, die weitere Rechtshandlung sei der Abschluss von Bittleiheverträgen zwischen dem Vater der Kinder der Bf. und den Kindern gewesen. Die Abfolge der rechtlichen Gestaltung sei wegen der wirtschaftlichen Zielsetzung, Bauarbeiten zwecks Versorgung jedes Kindes mit einer Wohnung durchzuführen, unangemessen, weil die Bf. selbst jedem Kind eine neue Wohnung gegen Bezahlung der Betriebskosten hätte überlassen können. Dies hätte allerdings keinen Vorsteuerabzug ermöglicht. Mangels vernünftiger wirtschaftlicher Gründe, die für die Wahl des eingeschlagenen Weges hätten sprechen können, sei als einzige Erklärung für die Gestaltung der Vorsteuerabzug geblieben. Die Rechtskonstruktion sei unüblich und damit ungewöhnlich, weil der Ehegatte den Unterhalt der Bf. in den Jahren 2004 und 2005 zu sichern gehabt habe, sodass es der Bf. möglich gewesen wäre, selbst als Bittleihegeberin ihren Kindern die neu errichteten Wohnungen im bezugsfertigen Zustand zu überlassen. Die zwischen der Bf. und ihrem Ehegatten abgeschlossenen Verträge sowie die Bittleiheverträge mit den Kindern seien familienhaft veranlasst gewesen. Hinter den nach außen hin vorgegebenen Leistungsbeziehungen stehe, was die Bestandverträge anbelange, die Regelung privater Unterhaltsleistungen des Ehegatten der Bf..
Gerade bei Gebäuden, die auch Wohnzwecken dienen könnten, sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Vermietungsabsicht entweder anhand bindender Vereinbarungen zu belegen oder müsste aufgrund sonstiger, über die Absichtserklärung hinausgehende Umstände mit ziemlicher Sicherheit feststehen. Nur dann, wenn die nachweisbare Absicht der künftigen steuerpflichtigen Vermietung von Wohnungen bestanden hätte, wären die Vorleistungen von Beginn der Tätigkeit in keinem Zusammenhang mit unecht steuerfreien Umsätzen gestanden. Da demnach bereits im Zeitraum der Bauarbeiten mit entsprechender Gewissheit hätte feststehen müssen, dass diese Vorleistungen mit steuerpflichtigen Umsätzen in Zusammenhang stünden, sei die Antwort auf die Frage, ob die Vermietung dieser Wohnungen steuerpflichtig stattfinden werde, entscheidend. Es könne nicht festgestellt werden, dass über die Absichtserklärung der Bf. hinausgehende Umstände vorgelegen hätten, von denen mit ziemlicher Sicherheit auf eine in den Jahren 2004 und 2005 ernsthaft und dauerhaft bestandene Absicht, die neuen Wohnungen im bezugsfertigen Zustand im abgabenrechtlichen Sinn zu vermieten, rückgeschlossen hätte werden können. Die bloßen Absichtserklärungen der Bf. seien nicht ausreichend gewesen. Aus dem Verwaltungsakt sei nicht zu entnehmen, dass eine Außenwirkung einer in den Jahren 2004 und 2005 bestehenden Absicht, Wohnungen in abgabenrechtlich anzuerkennender Form zu vermieten, bestanden hätte. Tatsache sei, dass der mit gestellte Antrag betreffend Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung für die Jahre 2004 und 2005 mit dessen Einlangen beim Finanzamt am , mehr als drei Jahre nach Erlassung des Baubescheides aus dem Jahr 2002 gestellt worden sei. Der Zeitpunkt für die Stellung des Antrages sei im Hinblick auf die für den Zeitraum 2004 und 2005 behauptete Vermietungsabsicht ungewöhnlich und spreche daher gegen den Bestand einer Vermietungsabsicht in den letzten zwei der vier Streitjahre. Da bindende Vereinbarungen fehlten und es sonst an über die Absichtserklärung hinausgehenden Umständen gemangelt hätte, könne die Absicht zur späteren Einnahmenerzielung aufgrund der Aktenlage nicht als klar erwiesen angesehen werden.
Mit der außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des , soweit es die Beschwerde als unbegründet abgewiesen hatte, wurde als Begründung für die Zulässigkeit ins Treffen geführt, dass es dem Erkenntnis RV/7102985/2012 dadurch, dass es die Unternehmereigenschaft für die Jahre 2002 und 2003 bejahe und für die Jahre 2004 und 2005 verneint habe, an einer klar erkennbaren Linie fehle. Es liege kein Missbrauch im Sinne des § 22 BAO vor. Es lägen weiters keine Wiederaufnahmegründe vor. Es seien keine ausreichenden Ermittlungen durchgeführt worden.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ra 2019/13/0090, wurde das angefochtene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts , im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Seitens der Amtsvertretung wurde mit Schreiben vom auf die Abgabe einer Stellungnahme zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs , verzichtet.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005

1. Sachverhalt

Angesichts der Aktenlage im fortgesetzten Verfahren wurde die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005 aufgrund folgenden als erwiesen angenommenen Sachverhalts getroffen:
Die Bf. ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem darauf befindlichen Haus, das ab März 2004 ausgebaut worden ist. Mit der schriftlichen Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 vom hat die Bf. auf die Kleinunternehmereigenschaft für die Jahre 2004 und 2005 verzichtet. Mit den ursprünglichen Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 2004 und 2005 ist die Umsatzsteuer mit -194.991,94 € (2004) im April 2005 und -13.675,86 € (2005) im März 2006 abgabenerklärungsgemäß festgesetzt worden.
Seitens der Bf. sind die neu errichteten Wohnungen top 2 und 3 in A-Gasse 4 an den Ehegatten der Bf. vermietet worden. Die Mietverhältnisse sind in Form der Annahme der Anbote der Bf. mittels konkludenter Willenserklärung des Ehegattens der Bf. begründet worden. In weiterer Folge hat der Gatte der Bf. die Mietwohnungen als Bittleihegeber an die Kinder der Bf. als Bittleihenehmer gegen Bezahlung der Betriebskosten überlassen. Der Bittleihevertrag für die Wohnung Nr. 3 datiert mit "im September 2005" und bestätigt die Wohnungsübernahme von T.A. am . Der Bittleihevertrag für die Wohnung Nr.2 enthält die Zeitangabe "im Mai 2006" und belegt die Übernahme dieser Wohnung durch S.A. am . Die Bittleihen sind unentgeltlich. Die Kinder der Bf. sind vertraglich lediglich zur Bezahlung der Betriebskosten verpflichtet.

2 . Beweiswürdigung

Die Sachverhaltselemente wurden durch die Ausführungen zur "Vermietung der Wohnungen Top 2 und 3 in 1190 Wien, A-Gasse 4, im Familienbereich" in Tz.1 PB iVm dem dortigen Verweis auf die Niederschrift gemäß § 149 Abs. 1 BAO und die im Arbeitsbogen zur Betriebsprüfung abgelegten Beweismittel bestätigt. Anhand der Bittleiheverträge war von der Übernahme der Wohnung top Nr. 3 durch T.A. "im September 2005" bzw. jene der Wohnung top Nr. 2 durch S.A. im Mai 2006 auszugehen und damit die Vermietung der in Rede stehenden Wohnungen von der Bf. an deren Gatten als erwiesen anzunehmen.

Rechtslage zu § 303 BAO

Eine Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO in der Fassung des BGBl. I Nr. 97/2002 ist in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Neuerungstatbestand sind Tatsachen im Sinn des § 303 BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (z.B. ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (z.B. ; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064; , Ra 2018/15/0097).
Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie z.B. die Zahlungswilligkeit, ).
Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (z.B. ; , 2006/15/0006; , 2009/15/0135; , 2011/15/0157; , Ra 2017/15/0015; , Ra 2018/15/0097).
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (z.B. ; , 96/15/0221). Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (z.B. ; , 2006/13/0019; , 2007/15/0045; , 2007/13/0157; , 2009/15/0016; , 2011/15/0106). Daher können z.B. Kenntnisse des Lohnsteuerprüfers für die Einkommensteuerveranlagung (vgl. , 0094) oder für die Erhebung der Kommunalsteuer für die Gemeinde () neu hervorkommen.
Maßgebend ist der Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres (z.B. -0177; ; , 2009/15/0161; , 2008/15/0005, 0006). Die Verfügung der Wiederaufnahme liegt im Ermessen (z.B. ; , 99/13/0131; , 2004/13/0083; , 2006/13/0015).

3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt a I. (Stattgabe).

Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005 war Folge zu geben, weil die Bf. Wohnungen an ihren Ehegatten vermietet hatte und diese Vermietungsumsätze in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie, 2006/112 /EG des Rates vom , und des UStG 1994 gefallen waren.
Soweit Österreich für viele Bereiche der Vermietung das Wahlrecht von Mitgliedstaaten dahingehend ausgeübt hatte, dass die Vermietung ein mehrwertsteuerpflichtiger Vorgang war, stellte der mit der Vermietung verbundene Vorsteuerabzug für sich keinen Steuervorteil dar, dessen Gewährung dem mit den einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts verfolgten Ziel zuwidergelaufen war. Außerdem führte die Vermietung der Wohnungen nicht schon an sich dazu, dass der auf diese Vermietungsleistung entfallende Mehrwertsteuerbetrag (insgesamt) geringer wäre als der mit dem Erwerb dieses Gegenstands verbundene Vorsteuerabzug.
Die Frage bei der Prüfung der besonderen Umstände der gegenständlichen Vermietung, ob diese dem mit den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des UStG 1994 verfolgten Ziel entgegenstehen, war zu verneinen, weil die Vorlage eines Scheingeschäfts (§ 23 Abs. 1 BAO) nicht festzustellen war und die Bf. die vereinbarte Vermietung tatsächlich durchgeführt hatte. Das Mietverhältnis zwischen den Ehepartnern hinsichtlich der Miethöhe oder der sonstigen Konditionen des Mietvertrages war so gestaltet, wie es unter Fremden gestaltet worden wäre. Die Bf. betrieb die Vermietung der neu errichteten Wohnungen in einer Weise, aufgrund dieser dauerhaft die Erzielung von Einnahmenüberschüssen zu erwarten war.
Die Annahme eines Missbrauches, weil der Vater die Wohnungen an seine Kinder prekaristisch überlassen hatte und dafür kein Vorsteuerabzug zugestanden wäre, war unbegründet, weil Missbrauch im Bereich der Umsatzsteuer nicht schon dann vorliegt, wenn die Nutzung durch den Mieter selbst (in Form einer Eigennutzung oder einer Weiterüberlassung) bei ihm nicht zu einem Vorsteuerabzug geführt hätte (vgl. , zur Vermietung einer Arztpraxis durch die Ehefrau des Arztes an ihn). Auf der Grundlage der Erwägungen des Bundesfinanzgerichts in dessen Erkenntnis , war somit die Annahme eines Missbrauches im Sinne des § 22 BAO nicht begründen.
Die Vermietung der neuen Wohnungen an den Gatten mit anschließender Weitergabe der Mietwohnungen durch den Mieter als Bittleihegeber an die Kinder der Bf. gegen Bezahlung der Betriebskosten waren Sachverhaltselemente, die zwar erst anlässlich einer Betriebsprüfung hervorgekommen waren, jedoch bei entsprechender Berücksichtigung nicht zu im Spruch anders lautenden Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre geführt hätten, folglich dessen den Mietvertragsbeziehungen zwischen der Bf. und deren Ehegatten in Verbindung mit der Überlassung der Mietwohnungen top Nr. 2 und 3 des Hauses A-Gasse an die Kinder in Form von Prekariumsverträgen durch den Mieter der Charakter von neuen Tatsachen im Sinn des
§ 303 Abs. 4 BAO abzusprechen war.
Aufgrund des Vorliegens eines Sachverhalts, der dem Neuerungstatbestand des § 303 BAO nicht entsprochen hatte, war der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Umsatzsteuer für die Jahre 2004 und 2005 Folge zu geben.

3.2 Zu Spruchpunkt b I. (Gegenstandsloserklärung der Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2005)

Aufgrund der Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide traten die am erlassenen Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2005 aus dem Rechtsbestand aus. Die Beschwerde gegen diese Bescheide war somit gemäß § 261 Abs. 2 BAO iVm § 278 Abs. 1 BAO als gegenstandslos zu erklären.

Einkommensteuerbescheid 2005

1. Sachverhalt

Aufgrund der Aktenlage war bei der Entscheidung über die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 im fortgesetzten Verfahren folgender Sachverhalt als erwiesen anzunehmen:
Die Bf. ist Eigentümerin der Liegenschaft A-Gasse 4 mit einem darauf befindlichen Haus, das ab März 2004 ausgebaut worden ist. Die neu errichteten Wohnungen top 2 und 3 in A-Gasse 4 sind von der Bf. an deren Ehegatten in Bestand gegeben worden. Die Mietverhältnisse sind in Form der Annahme der Anbote der Bf. mittels konkludenter Willenserklärung des Ehegattens der Bf. begründet worden.
In weiterer Folge hat der Mieter die Mietobjekte als Bittleihgeber an die Kinder der Bf. als Bittleihnehmer überlassen. Von den Bittleihverträgen bestätigt jener für die Wohnung top Nr. 3 die Übernahme dieser Wohnung von T.A. im September 2005. Der Vertrag für die Wohnung Nr.2 legt die Übernahme dieser Wohnung durch S.A im Mai 2006 offen. Die Bittleihen sind unentgeltlich. T.A. und S.A. sind vertraglich lediglich zur Bezahlung der Betriebskosten verpflichtet.

2. Beweiswürdigung

Aufgrund der Aktenlage war somit die Vermietung der neu errichteten Wohnungen top Nr. 2 und 3 im Haus A-Gasse 4 durch die Bf. als Vermieterin an den Ehegatten der Bf. als Mieter mit anschließender Überlassung der Wohnungen durch den Mieter als Bittleihgeber an die Kinder der Bf. als Bittleihnehmer als erwiesen anzunehmen.

Rechtslage

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die steuerliche Berücksichtigung von Werbungskosten (auch der AfA) schon vor der Einnahmenerzielung möglich, sofern sich die Vermietungsabsicht als ernsthaft erweist (). Bloße Absichtserklärungen über künftige Vermietungen reichen aber dafür nicht aus, auch nicht die Möglichkeit zur Einkunftserzielung. Vielmehr hat die ernsthafte Absicht, hinkünftig positive Einkünfte erzielen zu wollen, durch bindende Vereinbarungen oder über Absichtserklärungen hinausgehende Umstände als klar erwiesen anzusehen zu sein (; , 2003/13/0151). Der endgültige Entschluss, Einkünfte erzielen zu wollen, muss sich stets durch objektive Umstände belegen lassen, insbes. durch ernsthafte und nachhaltige Vermietungsbemühungen, deren Feststellung und Würdigung dem Gericht als Tatsacheninstanz obliegt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt a II. (Stattgabe)

Der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 war stattzugeben, weil die Bf. die mit dem Zweck der späteren Vermietung geplanten Wohnungen auf der Liegenschaft A-Gasse 4 nach deren Errichtung in den Jahren 2004 und 2005 nachweislich zur Erzielung von Mieteinkünften genutzt hatte. Bei Einnahmen in Höhe von 8.333,32 € sowie Werbungskosten in Höhe von 22.618,35 € (bestehend aus Fremdfinanzierungskosten (5.775,84 €) und der Afa (16.842,51 €)) war die ernsthafte Absicht der Vermietung der Wohnungen nicht zu bezweifeln und der Bestand von auf die Vermietung der Wohnungen gerichteten Aktivitäten nach der Fertigstellung der Wohnungen erkennbar. Da der Bestand eines unmittelbaren Zusammenhanges zwischen den Einnahmen (8.333,32 €) bzw. Werbungskosten (22.618,35 €) mit den für Bestandzwecke genutzten neuen Wohnungen auf der Liegenschaft A-Gasse 4 nachgewiesen wurde, war der dem Finanzamt für das Jahr 2005 angezeigte Werbungskostenüberschuss - 14.285,03 € - als negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Jahr 2005 in Höhe von 14.285,03 € anzuerkennen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Revision (Zu Spruchpunkt a III. und b II.)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Im gegenständlichen Fall entsprach die Lösung der Rechtsfrage der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. -5). Da die Voraussetzungen für eine ordentliche Revision nicht vorgelegen waren, war auszusprechen, dass die Revision nicht zulässig war.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Vermietung im Familienbereich
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101101.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at