Familienbeihilfe - Indexierung widerspricht Unionsrecht
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Familienbeihilfe 01.2019-01.2021, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (Bf) ist ungarischer Staatsbürger und lebt mit seiner Partnerin in Lebensgemeinschaft.
Er bezog auf Grund seiner Erwerbstätigkeit in Österreich für seine studierende Tochter A.B., geb. 1998, die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe.
A.B. begann im WS 18/19 mit dem Bachelorstudium Commerce and Marketing und bestand am die Diplomprüfung an der Budapest Metropolitan Egyetem (BA/BSc).
Das Finanzamt zahlte die Familienbeihilfe bis dahin indexiert aus.
Der Bf stellte am einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ohne Indexierung.
Der Antrag wurde mit Bescheid vom ab Jänner 2019 mit der Begründung abgewiesen, dass gemäß § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG 1967) die Beträge an Familienbeihilfe und gemäß § 33 Abs 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988) der Kinderabsetzbetrag für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten würden, an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen seien. Die Beträge an Familienbeihilfe nach § 8a des FLAG 1967 und des Kinderabsetzbetrages nach 33 Abs 3 Z 2 EStG 1988 seien mit der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung (BGBl II Nr 318/2018) kundgemacht worden und würden ab gelten.
Da sich die Kinder des Bf ständig in Ungarn aufhalten würden, bestehe nur ein Anspruch auf die Familienbeihilfe nach 8a FLAG1967 sowie auf den Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs 3 Z 2 EStG 1988.
Im Falle von Ungarn betrage der Anpassungsfaktor 0,562.
Der Bf erhob am gegen den Abweisungsbescheid Beschwerde und brachte vor, dass gemäß Artikel 67 Verordnung (EG) Nr 883/2004 eine natürliche Person den Rechtsvorschriften des EU-Mitgliedstaates, in dem sie entweder ein Dienstverhältnis habe oder sich überwiegend aufhalte, unterliege. Durch die Erwerbstätigkeit zahle die natürliche Person Sozialversicherung, dadurch sie über einen Zugriff zum österreichischen Sozialsystem verfüge. Bezugnehmend auf die oben genannten EU- Verordnung beantrage er die Auszahlung der Familienbeihilfe ohne Indexierung ab , da die EU-Verordnung subsidiär anwendbar (in der Rechtshierarchie an der ersten Stelle vor den nationalen Rechtsbestimmungen steht) sei.
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 8a FLAG 1967 ab.
Der Bf stellte am einen Vorlageantrag und verwies auf die Bestimmungen des Art 67 der Verordnung (EG) Nr 883/2004.
Das Finanzamt legte mit Vorlagebericht vom die Beschwerde dem BFG vor.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen
Sachverhalt
Der Bf, welcher Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, bezog auf Grund seiner Erwerbstätigkeit im Inland eine Differenzzahlung für seine in Ungarn wohnhafte Tochter A.B., welche aufgrund der innerstaatlichen Bestimmung des § 8a FLAG 167 einer Indexierung unterworfen wurde. Auch der Kinderabsetzbetrag wurde einer Indexierung unterworfen.
A.B. begann im WS 18/19 mit dem Bachelorstudium Commerce and Marketing und bestand am die Diplomprüfung an der Budapest Metropolitan Egyetem (BA/BSc). Bis dahin wurde die indexierte Familienbeihilfe ausbezahlt.
Der Antrag auf Auszahlung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags in voller Höhe wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom ab Jänner 2019 abgewiesen.
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und den vorgelegten Verwaltungsakten entnehmbar.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 8a FLAG 1967 gilt Folgendes:
"(1) Die Beträge an Familienbeihilfe (§ 8) für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mit-gliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, sind auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen.
(2) Die Beträge an Familienbeihilfe nach Abs. 1 gelten erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte nach Abs. 1. Die Beträge sind in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.
(3) Die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend oder der Bundesminister für Frauen, Familien und Jugend hat gemeinsam mit der Bundesministerin für Finanzen oder dem Bundesminister für Finanzen die Berechnungsgrundlagen und die Beträge nach Abs. 1 und 2 sowie die Beträge nach § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 mit Verordnung kundzumachen."
Gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988 gilt Folgendes:
"Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Abweichend davon gilt:
1. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu.
2. Für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet eineranderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, ist die Höhe des Kinderabsetzbetrages auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:
a) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.
b) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist gemäß § 8a Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kundzumachen.
Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden."
Die Europäische Kommission brachte beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Vertragsverletzungsklage gegen die Republik Österreich ein und beantragte, festzustellen, dass
"- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4, 7 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1) sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) verstoßen hat und
- die Republik Österreich durch die Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen hat."
Mit , entschied dieser wie folgt:
"1. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verstoßen.
2. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen."
Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art 4 Abs 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig ob sie früher oder später als das Unionsrecht ergangen ist - falls eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist - aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt. Nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, ist verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängung darf also bloß jenes Ausmaß umfassen, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (siehe ).
Der Spruch des Erkenntnisses des EuGH stellt eindeutig fest, dass die Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages den unionsrechtlichen Bestimmungen widerspricht. Die Herstellung des unionsrechtskonformen Zustandes ist nur dadurch möglich, dass die Indexierungsbestimmungen des § 8a FLAG 1967 und des § 33 Abs 3 Z 2 EStG 1988 auf die verfahrensgegenständlichen Ansprüche der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages nicht angewendet werden.
Gemäß § 13 FLAG 1967 hat das nunmehr zuständige Finanzamt Österreich über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe zu entscheiden.
Nach § 13 zweiter Satz FLAG 1967 hat ein Bescheid nur dann zu ergehen, wenn einem Antrag auf Familienbeilhilfe nicht oder nicht vollinhaltlich stattgegeben wird. Die Stattgabe eines Antrags auf Familienbeihilfe erfolgt durch deren Gewährung (Auszahlung).
Das BFG darf daher bei Stattgabe der Beschwerde den abweisenden Bescheid des Finanzamts nicht abändern, sondern hat diesen ersatzlos zu beheben (vgl. ).
Auf Grund der eindeutigen Rechtslage - auch das Finanzamt beantragt im Vorlagebericht, der Beschwerde Folge zu geben - war spruchgemäß zu entscheiden.
Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der gegenständlich zu lösenden Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil diese vom EuGH bereits geklärt wurde und sich das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes auch auf die angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stützen konnte.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 13 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101863.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
MAAAC-30972