Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2022, RV/3100530/2019

Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung einer Alleinstehenden

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BOD Dr. Braito Steuerberatung GmbH, Dorf 3a, 6352 Ellmau, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2016 erklärte die Beschwerdeführerin unter Progressionsvorbehalt steuerbefreite Auslandseinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Mit Ausfertigungsdatum erließ die Abgabenbehörde den in Beschwerde gezogenen Bescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2016 und wich dabei insofern von der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung ab, als es die von der Beschwerdeführerin in der Schweiz in einem Gastronomiebetrieb erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die Berechnung des Einkommens miteinbezog. In der gesonderten Bescheidbegründung vom wurde dazu Nachstehendes ausgeführt:

"Die Erledigung weicht von Ihrem Begehren aus folgenden Gründen ab:

Gemäß Art 15 Abs. 1 DBA - CH dürfen Gehälter/Löhne/Vergütungen bei Ansässigkeit in Österreich und Ausübung der Tätigkeit in der Schweiz in der Schweiz besteuert werden.

Gemäß Art. 23 Abs. 2 DBA -CH darf Österreich diese Einkünfte ebenfalls besteuern und rechnet die nachgewiesene in der Schweiz gezahlte Steuer vom Einkommen an (samt Anrechnungshöchstbetrag bezogen auf die anteiligen Schweizer Einkünfte)."

Mit Beschwerde vom wurde im Wesentlichen das Besteuerungsrecht in Bezug auf diese Einkünfte aufgrund einer fehlenden Ansässigkeit in Österreich bestritten, da, wenngleich auch in Österreich ein Wohnsitz bestanden habe, in der Schweiz für Arbeitszwecke eine Wohnung angemietet worden sei und nachweislich über 357 Tage bis zum 23.12. ein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Weiters wurde in der Beschwerde der Eventualantrag gestellt, die Kosten der doppelten Haushaltsführung, der Familienheimfahrten und die in der Schweiz entrichteten Sozialversicherungsbeiträge als Werbungskosten zu berücksichtigen, sollte die Abgabenbehörde dem Beschwerdebegehren nicht Rechnung tragen.

Nach weiteren Erhebungen wies das Finanzamt am die Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin nicht in die Schweiz verlagert habe und die Beschwerdeführerin daher in Österreich weiter ansässig sei, weshalb die Einkünfte in Österreich zu besteuern seien.

Über den in der Beschwerde gestellten Eventualantrag wurde von der Abgabenbehörde nicht abgesprochen

Im Vorlageantrag vom wurde zur Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe in der Schweiz in einer Lebensgemeinschaft gelebt, sei gegen Mitte des Jahres nur noch sporadisch nach Österreich gekommen und habe sich in einem unbefristeten Dienstverhältnis befunden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die im Jahr 1996 geborene Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsangehörige und hat seit ihrer Geburt ihren Wohnsitz in Österreich. Im Zeitraum vom bis bezog sie in der Schweiz Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin wohnte sie in der Schweiz in einem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Personalzimmer im Ausmaß von rund 15 m² mit Etagendusche und Etagen-WC sowie einer Gemeinschaftsküche. Die Verpflegung erfolgte dabei überwiegend im Betrieb. Ihren österreichischen Wohnsitz (gemeinsamer Haushalt mit den Eltern) behielt sie bei. Den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat sie nach ihren Angaben im Frühjahr bis Mitte des Jahres 2016 in die Schweiz verlegt und habe ab diesem Zeitraum die Freizeit überwiegend mit ihrem Freund verbracht, der für den selben Arbeitgeber tätig war und ebenfalls in einem Personalzimmer wohnte. Im Sommer bzw. Herbst habe sie "überlegt" nach Österreich zurückzukehren.

Unmittelbar vor Beginn und nach Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz bezog die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld vom Arbeitsmarktservice Österreich.

Die Beschwerdeführerin ist Mitglied der Bundesmusikkapelle ***1***. Aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in der Schweiz nahm sie im Jahr 2016 nicht am Vereinsleben teil, was sie vorab in der Jahreshauptversammlung im November 2015 angekündigt hatte. Ab Jänner 2017 nahm die Beschwerdeführerin wieder aktiv am Vereinsleben teil. An Besitz nahm sie in die Schweiz nur mit, was sie während ihres Aufenthaltes benötigte. Das Nichtbenötigte beließ sie an ihrem Wohnsitz in Österreich. Am meldete die Beschwerdeführerin einen PKW in Österreich an, wobei sie als Wohnadresse ihre Anschrift in ***1*** bekannt gab. Neben ihren Eltern und ihrer Schwester hatte die Beschwerdeführerin auch Freunde in Österreich, die sie während ihrer Aufenthalte in Österreich besuchte. Insgesamt hielt sich die Beschwerdeführerin lediglich rund 12 Monate in der Schweiz auf.

2. Rechtliche Beurteilung

1. Ansässigkeit:

Artikel 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im Folgenden DBA-Schweiz) lautet wie folgt:

"1. Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht dort unbeschränkt steuerpflichtig ist.

2. Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragstaaten ansässig, so gilt folgendes:

a) Die Person gilt als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).

b) Kann nicht bestimmt werden, in welchem Vertragstaat die Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

c) Hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragstaaten oder in keinem der Vertragstaaten, so gilt sie als in dem Vertragstaat ansässig, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

d) Besitzt die Person die Staatsangehörigkeit beider Vertragstaaten oder keines Vertragstaates, so verständigen sich die zuständigen Behörden der Vertragstaaten gemäß Artikel 25.

3. gilt eine natürliche Person nur für einen Teil des Jahres als im Sinne dieses Artikels in einem Vertragstaat ansässig, für den Rest des gleichen Jahres aber als in dem anderen Vertragstaat ansässig (Wohnsitzwechsel), endet die Steuerpflicht, soweit sie an die Ansässigkeit anknüpft, in dem ersten Staate mit dem Ende des Kalendermonats, in dem der Wohnsitzwechsel vollzogen ist. Die Steuerpflicht beginnt, soweit sie an die Ansässigkeit anknüpft, im anderen Staat mit dem Beginn des auf den Wohnsitzwechsel folgenden Kalendermonats.

4. Nicht als "in einem Vertragstaat ansässig" gilt eine natürliche Person, die in dem Vertragstaat, in dem sie nach den vorstehenden Bestimmungen ansässig wäre, nicht mit allen nach dem Steuerrecht dieses Staate allgemein steuerpflichtigen Einkünften aus dem anderen Vertragstaat den allgemein erhobenen Steuern unterliegt.

5...."

Artikel 15 DBA-Schweiz lautet:

"1. Vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Vertragstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.

2. ...

Artikel 23 DBA-Schweiz lautet:

"1. Bezieht eine in einem Vertragstaat ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in dem anderen Vertragstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat, vorbehaltlich der nachfolgenden Absätze, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus; dieser Staat darf aber bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder das übrige Vermögen dieser Person den Steuersatz anwenden, der anzuwenden wäre, wenn die betreffenden Einkünfte oder das betreffende Vermögen nicht von der Besteuerung ausgenommen wären,

2. Ungeachtet des Absatzes 1 darf Österreich Einkünfte im Sinne des Artikels 15 Absatz 1 sowie Einkünfte im Sinne des Artikels 19 (ausgenommen Ruhegehälter), die eine in Österreich ansässige Person aus ihrer in der Schweiz ausgeübten Arbeit aus öffentlichen Kassen der Schweiz bezieht, besteuern. Bezieht eine in Österreich ansässige Person unter Artikel 10, 15 und 19 fallende Einkünfte, die nach diesem Abkommen in der Schweiz und in Österreich besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Schweiz gezahlten Steuer entspricht; der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte entfällt.

3. …."

In rechtlicher Hinsicht ist auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung zu verweisen, wonach eine "ständige Wohnstätte" zum Wohnen geeignete Räume voraussetzt, die der potenziell ansässigen natürlichen Person zur Verfügung stehen. Dabei kann es sich um eigene, gemietete, unentgeltlich zur Verfügung gestellte oder bloß mitbenutzte Räume handeln. Sie müssen allerdings jederzeit zu Wohnzwecken zur Verfügung stehen (vgl. ).

Nach dem DBA-Schweiz besteht der Mittelpunkt der Lebensinteressen dort, wo die Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) Sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte, ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter Letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (vgl. ), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements.

Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist.

Die Beschwerdeführerin verfügte im Streitzeitraum sowohl in Österreich als auch in der Schweiz über Wohnräume, die als "ständige Wohnstätte" im Sinne des DBA-Schweiz zu beurteilen sind. Daher ist in weiterer Folge zu beurteilen, in welchem Staat die Beschwerdeführerin ansässig war.

Hiezu ist sachverhaltsbezogen festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin vom Dezember 2015 bis zum in der Schweiz ihrer beruflichen Tätigkeit nachging, ebendort über eine ständige Wohnstätte in Form eines Personalzimmers verfügte und auch Ihre Freizeit überwiegend in der Umgebung Ihres Arbeitsplatzes verbrachte.

Demgegenüber behielt die Beschwerdeführerin aber auch ihren Wohnsitz bei ihren Eltern in deren Haus bei und ist nahezu monatlich einmal zu ihrem Wohnsitz bei ihren Eltern gefahren (Jänner, Februar, März, April 2 mal, Juni 2 mal, Juli 1 mal, Oktober 2 mal, November 1 mal und Dezember endgültige Rückkehr nach Österreich).

Begründet nun, wie auch im Streitfall, eine Person in einem Staat eine Wohnstätte, ohne ihre im anderen Staat schon bestehende Wohnstätte aufzugeben, so kann die Tatsache, dass sie die erste Wohnstätte beibehält, wo sie bisher gelebt und gearbeitet hat und wo sie ihre Familie und ihren Besitz hat, zusammen mit anderen Gesichtspunkten dafür sprechen, dass sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im ersten Staat beibehalten hat ( sowie unter Hinweis auf Vogel/Lehner, DBA5 (2008), Rn 193; Wassermeyer, in Wassermeyer/Lang/Schuch (Hrsg.), Doppelbesteuerung2, Rn 59; Beiser, Doppelwohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen im zwischenstaatlichen Steuerrecht, ÖStZ 1989, 241, 243).

Weiters ist bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen ().

Nach der Rechtsprechung verlagert sich weiters bei einem Aufenthalt von weniger als 2 Jahren der Lebensmittelpunkt idR nicht in den anderen Staat (vgl. ).

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Schweiz lediglich rund ein Jahr angedauert hat und von ihr selbst im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der Abgabenbehörde angegeben wurde, dass sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im "Frühjahr bis Mitte des Jahres 2016" in die Schweiz verlegt und im Sommer bzw. Herbst "überlegt" habe, nach Österreich zurückzukehren und sie im Oktober 2016 einen PKW in Österreich zur Anmeldung brachte. Aufgrund des derart kurzen Zeitraumes ist es nach Auffassung des Gerichtes keinesfalls zu einer Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in die Schweiz gekommen, zumal bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen nicht auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen ist, sowie Zeiträume bis zu zwei Jahren aus österreichischer Sicht zu wenig sind, um daraus alleine für den Lebensmittelpunkt einer Person einen brauchbaren Rückschluss abzuleiten (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht, Z 4 Tz 11 f).

Insoweit hat der Auslandsaufenthalt der Beschwerdeführerin keine erhebliche und dauerhafte Reduktion der wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu ihrem Heimatland bewirkt und ist daher der Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin in Österreich verblieben. Daran vermögen auch die Umstände, dass die Beschwerdeführerin ihre Freizeit überwiegend in der Schweiz verbrachte, dort eine Beziehung sowie ein unbefristetes Dienstverhältnis hatte und ein Bankkonto wie auch einen Handyanschluss in der Schweiz führte.

Daher hat Österreich aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen das Besteuerungsrecht bezüglich der von der Beschwerdeführerin in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

2. Kosten der doppelten Haushaltsführung sowie Familienheimfahrten:

In der Beschwerde wurde der Eventualantrag gestellt, die Kosten der doppelten Haushaltsführung (5.400 CHF), der Familienheimfahrten (3.672 €) sowie die in der Schweiz entrichteten Krankenversicherungsbeiträge (2.599,20 €) als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

Wenn dem Arbeitnehmer Mehraufwendungen erwachsen, weil er am Beschäftigungsort wohnen muss und die Verlegung des (Familien)Wohnsitzes in eine übliche Entfernung zum Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, sind diese Mehraufwendungen Werbungskosten iSd § 16 Abs. 1 EStG 1988 (vgl. sowie ).

Nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 dürfen Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeits-(Tätigkeits-)ort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten) nicht abgezogen werden, soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen (Berufs-)Tätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 angeführten Betrag (3.672 € jährlich) übersteigen. Wenn dem Arbeitnehmer Mehraufwendungen erwachsen, weil er am Beschäftigungsort wohnen muss und die Verlegung des (Familien)Wohnsitzes in eine übliche Entfernung zum Ort der Erwerbstätigkeit nicht zumutbar ist, sind diese Mehraufwendungen Werbungskosten im Sinn des § 16 Abs 1 EStG 1988.

Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer können daher "für eine gewisse Übergangszeit" Aufwendungen für ein möbliertes Zimmer am Beschäftigungsort als Werbungskosten anerkannt werden (, ).

Für diese Übergangszeit können bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer mit einer Wohnung im Heimatort auch Aufwendungen für Heimfahrten Berücksichtigung finden, weil diesem Arbeitnehmer zuzubilligen ist, in gewissen Zeitabständen, etwa monatlich in seiner Wohnung nach dem Rechten zu sehen (; ).

Dazu ist sachverhaltsbezogen festzustellen, dass der Beschwerdeführerin in der Schweiz an ihrem Arbeitsort ein Personalzimmer und am Heimatort ein Zimmer im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern als Wohnstätte diente.

Die Abgabenbehörde versagt im Streitfall die Abzugsfähigkeit der Kosten für die doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten mit der Begründung, dass die Beschwerdeführerin an ihrem Heimatort in Österreich über keinen eigenen Hausstand verfügt habe, sondern in einem gemeinsamen Haushalt mit den Eltern gewohnt habe.

Hiezu wird auf die nachstehenden Ausführungen von Zorn in RdW 2021/245, Heft 4 vom verwiesen:

"Dass beim Berufswohnsitz eines Steuerpflichtigen für die Anerkennung der Aufwendungen einer doppelten Haushaltsführung ein eigener Hausstand im Sinne des § 4 Abs. 2 Pendlerverordnung erforderlich sei, entspricht aber nicht der Rechtslage. So hat der Verwaltungsgerichtshof schon bisher ausgesprochen, dass Aufwendungen für ein (Untermiet-)Zimmer im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten abzugsfähig sein können (vgl. 2006/15/0024; , 88/14/0081). Dass eine im Rahmen einer Wohngemeinschaft mit anderen Personen als einem Ehepartner oder Lebensgefährten benützte Wohnung keinen Berufswohnsitz darstellen und daher nicht zum Abzug von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten berechtigen kann, widerspricht somit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes."

Anmerkung: Problematisches Heranziehen der PendlerVO für Familienheimfahrten

Im Rahmen der steuerlichen Berücksichtigung von Familienheimfahrten und doppelter Haushaltsführung scheint die Pendlerverordnung BGBl II 2013/276 mit ihrem etwas unglücklichen § 4 Abs 2 Satz 2 für Unklarheiten zu sorgen. Die Verwirrung betrifft einerseits - wie der gegenständliche Fall zeigt - die Wohnung der Steuerpflichtigen am Berufsort, aber andererseits auch den "Familienwohnsitz" am Heimatort von allein lebenden Steuerpflichtigen (wie auch von in Wohngemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen).

Keine PendlerVO für "Hausstand am Berufsort"

Im gegenständlichen Fall hat das BFG gemeint, eine von zwei Brüdern am Berufsort (Arbeitsort) bewohnte Wohnung bilde keinen "Hausstand", weil beim Mitbewohnen einer Wohnung nur dann ein eigener "Hausstand" vorliege, wenn die mitbewohnende Person (Ehe-)Partner oder Lebensgefährte sei. Das BFG hat in seinem Erkenntnis (nicht in der Findok) zwar offensichtlich die PendlerVO nicht ausdrücklich zitiert, aber die Definition von "Hausstand" wörtlich aus § 4 Abs 2 PendlerVO übernommen. Hierauf musste der VwGH antworten, dass es für den Abzug der Kosten für Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung irrelevant ist, ob am Tätigkeitsort ein "Hausstand" iSd § 4 Abs 2 PendlerVO vorliegt oder nicht (es reicht zB ein Untermietzimmer oder das Wohnen im Rahmen einer Wohngemeinschaft).

Keine PendlerVO für Wohnung am Heimatort

Die LStR verweisen in Kapitel 5.9.9 "Doppelte Haushaltsführung" in Tz 343 "Familienwohnsitz (§ 4 Pendlerverordnung)" auf die Definition von Familienwohnsitz und Hausstand in § 4 PendlerVO. Die LStR äußern sich dann einschränkend zur Absetzbarkeit von Familienheimfahrten und doppelter Haushaltsführung von alleinstehenden Steuerpflichtigen, die am Heimatort im elterlichen Wohnhaus wohnen.

Das BFG hat kürzlich in der Entscheidung vom , RV/7104657/2020, betreffend einen alleinstehenden Arbeitnehmer (ledig, keine Kinder) für die Arbeitnehmerveranlagung 2016/2017 den Abzug der Kosten für Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung zur Gänze verweigert. Der alleinstehende Arbeitnehmer wohnte an seinem Heimatort im Haus seiner Eltern und hatte dort sein gesamtes privates Umfeld (Bekannte, Freunde, Hausarzt etc). Während der Woche hielt er sich am Berufsort (Arbeitsort) auf, wo er ein 20m2-Zimmer bewohnte. Das BFG meinte nun, zwar könne auch eine alleinstehende Person einen Familienwohnsitz am Ort ihrer engsten persönlichen Beziehungen haben; das setze aber voraus, dass die alleinstehende Person dort einen eigenen "Hausstand" habe. Dann zieht das BFG wiederum die Definition des "Hausstandes" in § 4 Abs 2 Satz 2 PendlerVO heran. Zwar räumt das BFG ein, dass für die Familienheimfahrten und die doppelte Haushaltsführung die PendlerVO "nicht unmittelbar zur Anwendung kommt", wendet dann aber die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 Satz 2 PendlerVO doch unmittelbar an.

ME ist dieser Sichtweise nicht zuzustimmen. Die PendlerVO ist nicht in der Lage, für ledige Steuerpflichtige, die im Heimatort im elterlichen Haus wohnen, oder für Steuerpflichtige, die im Heimatort in einer Wohngemeinschaft (mit anderen Personen als einem Ehepartner oder Lebensgefährten) wohnen, die steuerliche Berücksichtigung von Familienheimfahrten und doppelter Haushaltführung zu versagen (siehe ausführlich Doralt/Mayr/Kirchmayr/Zorn, EStG § 4 Tz 349-357 und § 16 Tz 201/5 f).

Die Rechtsprechung des VwGH hat solche Kosten auch bei alleinstehenden Personen grundsätzlich anerkannt (vgl zB 2009/13/0012; , 2007/15/0297). Die steuerliche Abziehbarkeit stützt sich dabei auf den allgemeinen Betriebsausgabenbegriff bzw den allgemeinen Werbungkostenbetriff (und nicht auf § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG). Eine Durchführungsverordnung darf die durch das Gesetz normierten Vorgaben näher präzisieren. Die PendlerVO ist - soweit hier von Bedeutung - (auch) zu § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG ergangen. Diese Bestimmung des EStG normiert aber nicht die Absetzbarkeit von Familienheimfahrten; im Gegenteil - § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG enthält lediglich eine betragsmäßige Beschränkung der Absetzbarkeit. Wollte man also § 4 PendlerVO dahingehend interpretieren, dass damit ein Tatbestandsmerkmal in § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG enger zu verstehen sei, hätte dies bloß zur Folge, dass etwa Fahrten von ledigen Steuerpflichtigen und von am Heimatort in Wohngemeinschaft (mit anderen als Ehepartnern oder Lebensgefährten) lebenden Personen (zB die beiden erwachsenen Kindern wohnende berufstätige Großmutter) nicht unter die Betragsbeschränkung des § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG fielen. Es wäre dann nämlich bloß die Begrenzung der Absetzbarkeit dieser Kosten unanwendbar (siehe Doralt/Mayr/Kirchmayr/Zorn § 4 Tz 353 f), die Aufwendungen wären also ohne betragsmäßige Obergrenze als Betriebsausgaben/Werbungskosten absetzbar. Ein solches Ergebnis, nämlich die Ausschaltung der Betragsbeschränkung des § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG, kann aber offenkundig dem Gesetz und der Verordnung nicht unterstellt werden (siehe bereits 2007/15/0297).

Entscheidend ist im gegebenen Zusammenhang mE vielmehr: Die Rechtsprechung des VwGH zu Familienheimfahrten und doppelter Haushaltsführung baut ausschließlich auf dem allgemeinen Betriebsausgaben- bzw Werbungskostenbegriff auf (§ 4 Abs 4 und § 16 Abs 1 EStG) und nicht auf begrifflichen Tatbestandsmerkmalen wie "Familienwohnsitz" oder "Hausstand". Die - noch dazu nicht zu § 4 Abs 4 oder § 16 Abs 1 EStG ergangene - PendlerVO hat also überhaupt keinen Bezug zur Abziehbarkeit der in Rede stehenden Aufwendungen dem Grunde nach (vgl Doralt/Mayr/Kirchmayr/Zorn § 4 Tz 351).

Der steuerliche Abzug von Kosten für Vorgänge, die als Familienheimfahrten/doppelte Haushaltsführung oder auch anders benannt werden können, gründet sich auf das objektive Nettoprinzip durch die Normierung der allgemeinen Betriebsausgaben und Werbungskosten und hängt nicht an Begrifflichkeiten, wie zB "Familienwohnsitz".

Zudem ist es nicht erkennbar, dass die Intention der PendlerVO darin gelegen wäre, bestimmte Lebensformen (Wohngemeinschaften, Mehr-Generationen-Haushalte) gegenüber anderen zu diskriminieren (siehe Doralt/Mayr/Kirchmayr/Zorn § 4 Tz 357)."

Das Bundesfinanzgericht schließt sich dieser Rechtsauffassung an, weshalb die Kosten der Beschwerdeführerin für die doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten grundsätzlich anzuerkennen sind.

Im Streitfall wurden von der Beschwerdeführerin für die gesamten zwölf Monate die Kosten für die doppelte Haushaltsführung und die Familienheimfahrten als Werbungskosten geltend gemacht. Nach einer gewissen Zeit, die nicht schematisch, sondern stets im Einzelfall zu beurteilen ist, ist es dem Abgabepflichtigen in aller Regel zumutbar, den Familienwohnsitz in den Nahebereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen (). Dieser Zeitraum hängt insbesondere vom Familienstand ab, die LStR 346 nennen bei einem ledigen Abgabepflichtigen sechs Monate. Spätestens nach Ablauf dieser Zeitspanne hat der Abgabepflichtige darzulegen, aus welchen Gründen der entfernt liegende Familienwohnsitz beibehalten wird. Da im Streitfall die Beschwerdeführerin ihre Arbeitsstelle in der Schweiz im Dezember 2015 angetreten hat und bereits im Sommer des Streitjahres 2016 wieder erwog, die Arbeitsstelle in der Schweiz aufzugeben und wieder nach Österreich zurückzukehren (so wurde von ihr auch im Oktober ein PKW in Österreich zur Anmeldung gebracht) und defacto auch im Dezember 2016 ihre Arbeitsstelle und ihren Wohnsitz in der Schweiz wieder aufgegeben hat, sind die geltend gemachten Kosten für das gesamte Streitjahr zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der Kosten für die doppelte Haushaltsführung wurden von der steuerlichen Vertretung über Aufforderung des Bundesfinanzgerichtes zum Nachweis dieser Kosten die monatlichen Lohnabrechungen vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass vom Bruttomonatslohn jeweils 450 CHF für die Unterkunftskosten in Abzug gebracht wurden. Diese betragen für die Unterkunft sohin 5.400 CHF bzw. 4.879 € (Umrechnungskurs 1 CHF = 0,903504 €).

Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten für Familienheimfahrten betragen die zu berücksichtigenden Kosten 3.245,76 € für insgesamt 10 Fahrten von und zum Familienwohnsitz (Distanz: 368 Kilometer sowie 1 x 368 Kilometer, das sind insgesamt 7.728 Kilometer x 0,42 € amtliches Kilometergeld).

3. Krankenversicherungsbeiträge:

Während ihrer Tätigkeit in der Schweiz war die Beschwerdeführerin bei der Assura-Basis SA krankenversichert.

Dabei handelt es sich auch nach Ansicht der Abgabenbehörde um Werbungskosten im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988, weshalb diese Ausgaben (216 CHF * 12 = 2.599,20 CHF = 2.348 € auch als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

Insgesamt sind sohin neben dem im Bescheid berücksichtigen Werbungskosten ohne Anrechung auf den Pauschbetrag, weiters Werbungskosten in Höhe von insgesamt 10.472,76 € unter Anrechnung auf den Pauschbetrag zu berücksichtigen.

Zulässigkeit der Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die Anerkennung von Kosten der doppelten Haushaltsführung (und damit Kosten der Familienheimfahrten) bei alleinstehenden Steuerpflichtigen im elterlichen Haushalt konnte sich das Bundesfinanzgericht auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen. Zur Frage allerdings, ob § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 im Geltungsbereich der Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013 idgF, lediglich eine betragsmäßige Beschränkung des Abzuges der Fahrtkosten für Familienheimfahrten bewirkt oder bei Fehlen eines "Familienwohnsitzes" iSd § 4 Abs. 2 zweiter Satz Pendlerverordnung die Abzugsfähigkeit von Fahrtkosten grundsätzlich ausschließt, fehlt eine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 23 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
§ 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 15 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 4 Abs. 2 Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013
§ 4 Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013
§ 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100530.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at