Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.07.2022, RV/3100332/2022

Keine "Berufsausbildung" iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 mangels qualitativer bzw. quantitativer Voraussetzungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals: FA Ort1) vom , SV-Nr, betreffend die Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum März 2018 bis Juni 2019 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene (Erst)Bescheid bleibt unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf) hat für den Sohn A, geb. 03/1997, laufend die Familienbeihilfe (FB) samt Kinderabsetzbetrag (KG) bezogen.

2. In Beantwortung einer Überprüfung des FB-Anspruches wurde dem Finanzamt im Juli 2019 das Semesterzeugnis (2. Halbjahr) des Sohnes, Schuljahr 2018/19, der Handelsakademie für Berufstätige mit Fernunterricht/Ort1 vorgelegt. Daraus geht hervor, dass der Sohn vom Unterricht in drei Pflichtgegenständen befreit war; der Unterricht in den übrigen Fächern umfasste (inklusive nicht beurteilter "Religion") gesamt 16 Wochenstunden.

3. Zu einem Ergänzungsersuchen des Finanzamtes dahin, verschiedene Schulnachrichten bzw. -bestätigungen beizubringen, wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

- Schulnachricht für das 1. Semester im Schuljahr 2017/18 der Bundeshandelsakademie
Ort2 vom Feber 2018, wonach der Sohn ua. in 4 (von 15) Fächern mit "Nicht genügend"
beurteilt wurde;
- nochmals das bereits vorliegende Semesterzeugnis (2. Semester) der Handelsakademie für
Berufstätige;
- das Semesterzeugnis für das 1. Semester im Schuljahr 2018/19 der Handelsakademie für
Berufstätige mit Fernunterricht, wonach der Sohn im 1. Semester in vier Pflichtgegen-
ständen vom Unterricht befreit war und am Unterricht in den übrigen Fächern (inklusive nicht
beurteilter "Religion") im Umfang von gesamt 11 Wochenstunden teilgenommen hat;
- eine Schulbesuchsbestätigung der Handelsakademie für Berufstätige/Ort1 v. Oktober
2019, demnach der Sohn die Abendschule im Schuljahr 2019/20 (Semester 7) besucht und
22 Wochenstunden belegt hat.

4. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , SV-Nr, von der Bf zu Unrecht für den Sohn A bezogene Beträge an Familienbeihilfe (FB) und Kinderab-setzbetrag (KG) in Höhe von gesamt € 3.803,20 für den Zeitraum März 2018 bis Juni 2019 zurückgefordert.
Begründend wurde unter Verweis auf § 2 Abs. 1 lit b Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 ausgeführt, die FB stehe nur bei ernsthaft betriebener Berufsausbildung zu. Mangels Nachweis eines Schulbesuches des Sohnes im Sommersemester 2018 sei anzunehmen, dass er in dieser Zeit nicht in Berufsausbildung gestanden habe. Die Handelsakademie für Berufstätige habe der Sohn im Wintersemester 2018/19 nur für 10 Wochenstunden und im Sommer-semester 2019 nur für 15 Wochenstunden besucht. Er habe sohin nicht die volle Zeit für die Berufsausbildung aufgewendet, weshalb kein FB-Anspruch bestehe.

5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wurde die Bescheidaufhebung begehrt und vorgebracht, der Sohn habe nur deshalb die Abendschule nicht in höherem Ausmaß besucht, da ihm aufgrund des Besuches der Handelsakademie in Ort2 mehrere Fächer angerechnet worden seien. Dazu wurden zwei Mitteilungen der HAK-Abendschule betr. "Befreiung von Pflichtgegenständen" vorgelegt. In den bezüglichen "Freistunden", laut beigelegtem Stundenplan, habe der Sohn jedoch Vor- und Nachbereitungstätigkeiten für die anderen Fächer erledigt, weshalb diese Stunden der Berufsausbildung zuzurechnen seien. Weiters wurde das Jahreszeugnis der Handelsakademie Ort2 v. Juli 2018 für das Schuljahr 2017/18 vorgelegt, woraus hervorgeht:
Der Sohn erhielt in 8 von 15 Fächern die Note 5 (Nicht genügend) und wurde in zwei weiteren Fächern "nicht beurteilt", "Verhalten in der Schule: Nicht zufriedenstellend". Abschließend ist angeführt, dass der Sohn nicht zum Aufsteigen in den 5. Jahrgang berechtigt ist und wegen Überschreitung der zulässigen Höchstdauer mit Ende des Schuljahres 2017/18 aufgehört hat, Schüler dieser Schule zu sein.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom hat das Finanzamt der Beschwerde teilweise stattgegeben und - im Hinblick auf das nachgereichte Jahreszeugnis der HAK Ort2 für das Schuljahr 2017/18 - den Zeitraum der FB-Rückforderung auf bis eingeschränkt. Der Besuch der Abendschule erfülle nicht die quantitativen Voraussetzungen für eine Berufsausbildung, da nach der Lebenserfahrung eine Person nicht mindestens 14 Stunden pro Woche regelmäßig lerne (Begründung im Einzelnen: siehe die BVE vom ).

7. Im Vorlageantrag vom wurde repliziert, das geringe Stundenausmaß an der Abendschule ergebe sich aus der Anrechnung aus der vorherigen Schulzeit in Ort2. Entgegen der Ansicht des Finanzamtes habe der Sohn die Abendschule täglich besucht und zumindest 3 Stunden für Vor- und Nachbereitung und für anstehende Prüfungen, dh. mindestens 14 Wochenstunden zum Lernen aufgewendet. Der Rückforderungsbescheid sei daher zur Gänze zu beheben.
Neben bereits vorliegenden Unterlagen wurde noch eine Bestätigung der HAK für Berufstätige v. Feber 2020 vorgelegt, demnach der Sohn im Semester 8 die Abendschule im Ausmaß von 21 Wochenstunden besucht.

II. Sachverhalt:

Der Sohn der Bf, A geb. 03/1997, hat im März 2015 die Volljährigkeit (18. Lj.) erreicht und im März 2021 das 24. Lebensjahr vollendet.

Er hat im Schuljahr 2017/18 die Bundeshandelsakademie in Ort2 besucht und wurde im 1. Semester in 4 sowie im 2. Semester in 8 von gesamt 15 Fächern mit "Nicht genügend" beurteilt; zudem konnte er im 2. Semester in zwei weiteren Fächern gar nicht beurteilt werden (siehe die vorgelegten Zeugnisse und Schulnachrichten).

Ab dem Schuljahr 2018/19 hat der Sohn dann die Handelsakademie für Berufstätige in Ort1 besucht. Im 1. Semester 2018/19 war er vom Unterricht in vier Pflichtgegenständen befreit und hat an den übrigen Fächern im Umfang von 11 Wochenstunden teilgenommen. Im 2. Semester 2019 war er von drei Pflichtgegenständen befreit; der Schulbesuch in den übrigen Fächern umfasste gesamt 16 Wochenstunden (lt. vorgelegten Semesterzeugnissen; Mitteilungen der Abendschule über "Befreiung von Pflichtgegenständen").

III. Beweiswürdigung:

Obiger entscheidungswesentlicher Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem Akteninhalt, insbesondere den vorgelegten Unterlagen in Übereinstimmung mit den eigenen Angaben der Bf.

IV. Rechtslage:

A) Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF, haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben,
lit a) für minderjährige Kinder,
lit b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. ..…

Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschliessungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gleiches gilt für zu Unrecht bezogene und gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlte Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 26 FLAG 1967).

B) Rechtsprechung:

Nach § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 ist die Gewährung von Familienbeihilfe (+ KG) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, an die Voraussetzung der Berufsausbildung gebunden.

Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird.

Ob tatsächlich eine Berufsausbildung iSd FLAG vorliegt, kann in der Regel nur im Einzelfall beurteilt werden.
Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG kommt es nicht nur - qualitativ - auf das "ernste und zielstrebige Bemühen um den Ausbildungserfolg" an, sondern eine Berufsausbildung muss grundsätzlich auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (vgl. ). Dies gilt auch im Fall des Besuches einer Maturaschule ().

Nach den vom VwGH zu diesem Begriff in stRSpr entwickelten Kriterien (zB ; u.v.a.) weist jede anzuerkennende Berufsausbildung ein qualitatives und ein quantitatives Element auf:
Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang.

In diesem Zusammenhalt liegt eine Berufsausbildung iSd FLAG nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes (BFG) - analog zum Besuch einer AHS oder BHS - generell nur dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungen von mindestens 30 Wochenstunden anfällt (vgl. u.a.).
Das BFG nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stundenzuzüglich Hausaufgaben an, dh. insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG zu sprechen (vgl. ; u.a.).
Wenn bei einer 25 Wochenstunden umfassenden Schulausbildung die Hälfte der Unterrichtsgegenstände infolge Abwesenheit vom Unterricht nicht beurteilt wird, ist davon auszugehen, dass die Berufsausbildung nicht die überwiegende Zeit des Schülers in Anspruch genommen hat ().

(siehe zu vor in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rzn. 39-40 zu § 2 mit weiteren Judikaturverweisen).

V. Erwägungen:

a) Schuljahr 2017/18:

Im Hinblick darauf, dass der Sohn im 2. Semester an der Bundeshandelsakademie in Ort2 letztlich in 8 von gesamt 15 Fächern mit "Nicht genügend" benotet wurde und zusätzlich in zwei Fächern - eventuell wegen Fernbleibens o.ä. - gar nicht beurteilt werden konnte, kann - auch wenn das betreffende Zeugnis nachgereicht wurde - wohl in keinster Weise mehr davon die Rede sein, dass beim Sohn der Bf das "ernsthafte und zielstrebige Bemühen um den Ausbildungserfolg" bestanden hat.

Die qualitativen Voraussetzungen für die Beurteilung als "Berufsausbildung" iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG wurden daher nach Ansicht des BFG im 2. Semester 2017/18 nicht mehr erfüllt.

b) Schuljahr 2018/19:

Zunächst gilt festzuhalten, dass der Besuch der Handelsakademie für Berufstätige/ Abendschule durch den Sohn der Bf an sich eine Berufsausbildung iSd FLAG darstellen würde.

Zwecks Anerkennung als solche "Berufsausbildung", die den Anspruch auf Familienbeihilfe verschafft, ist jedoch nach oben dargestellter Rechtsprechung in quantitativer Hinsicht ein wöchentlicher Zeitaufwand von insgesamt 30 Wochenstunden - nämlich Schule/Kurs ca. 20 bis 25 Stunden + Hausaufgaben - erforderlich (zB ).

Gegenständlich wurden laut den vorgelegten Zeugnissen im 1. Semester die schulischen Kurse nur im Umfang von 11 Wochenstunden sowie im 2. Semester lediglich im Umfang von 16 Wochenstunden besucht.
Entgegen der Ansicht der Bf kann dem Umstand, dass sich die zu absolvierenden Wochenstunden (lediglich) wegen der Befreiung von Pflichtgegenständen reduziert habe, in diesem Zusammenhalt keine Relevanz beigemessen werden. Es ändert sich dadurch nämlich nichts an der Tatsache, dass die nach oben dargestellter Rechtsprechung geforderten zumindest 20 - 25 Wochenstunden für den Besuch der schulischen Kurse - unabhängig vom daneben behaupteten zeitlichen Lernaufwand für Vor-/Nachbereitung oder für Prüfungen - vom Sohn bei Weitem nicht erreicht wurden (vgl. u.a.). Auch können die Zeiten für Vor- und Nachbereitungen, wie von der Bf vorgebracht, nicht schon deshalb den maßgebenden Wochenstunden für den Schul-/Kursbesuch hinzugerechnet werden, weil der Sohn in etwaigen "Freistunden" in der Schule aufhältig war.

Da somit der Besuch der Abendschule nicht die überwiegende Zeit des Sohnes in Anspruch genommen hat, liegt im gesamten Schuljahr 2018/19 keine "Berufsausbildung" iSd FLAG vor.

c) FB-Rückforderung gem. § 26 FLAG 1967:

Abschließend gilt darauf hinzuweisen, dass in § 26 FLAG eine (rein) objektive Erstattungspflicht desjenigen normiert wird, der die Familienbeihilfe (und den Kinderabsetzbetrag) zu Unrecht bezogen hat; dies ohne Rücksicht darauf, ob die bezogenen Beträge etwa gutgläubig empfangen wurden oder ob die Rückzahlung eine Härte bedeutet. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist nach Gesetzeslage und Rechtsprechung von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge objektiv zu Unrecht erhalten hat. Ebenso wäre unerheblich, ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat (vgl. ; ).

VI. Ergebnis:

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage waren daher im gesamten Streitzeitraum März 2018 bis Juni 2019 die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe sowie des Kinderabsetzbetrages nicht erfüllt, weshalb die Rückforderung mit dem angefochtenen Bescheid vom zu Recht erfolgte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichsthofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, ob beim Sohn der Bf sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht alle Voraussetzungen für eine "Berufsausbildung" iSd FLAG vorgelegen waren, ist anhand der tatsächlichen Umstände in Anwendung der og. Judikatur des VwGH wie auch des BFG zu beurteilen. Insofern liegt keine strittige Rechtsfrage vor.
Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

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