Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.07.2022, RV/7100815/2018

Erhöhte FB für 1964 geborenen Bf bei Borderline Syndrom, Depression, schwerer Persönlichkeitsstörung, Adipositas per magna nach fünftem BSA-Gutachten

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100815/2018-RS1
Ob sich das volljährige Kind in einer Ausbildung iSd § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) befunden hat, ist eine auf der Tatsachenebene zu lösende Rechtsfrage. Sie ist keine medizinische Frage. Als Rechtsfrage fällt sie in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde und nicht in die Zuständigkeit des BSA-Sachverständigen.
RV/7100815/2018-RS2
Das qualifizierte Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist als Amtsgutachten eingerichtet. Die Abgabenbehörde ist bei der Anforderung des Sachverständigengutachtens und der darauf aufbauenden Bescheinigung iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 verpflichtet, den rechtlichen Rahmen der Begutachtung zu bestimmen, wozu auch die Bestimmung des Endes der bis zur Vollendung des 25. oder 27. Lebensjahres absolvierten Ausbildung nach § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) gehört.
RV/7100815/2018-RS3
(hier: schwere Persönlichkeitsstörung, Borderline Syndrom, Depression, Adipositas per magna, Schädelhirntrauma)
Folgerechtssätze
RV/7100815/2018-RS3
wie RV/7101427/2017-RS4
Gerade psychische Erkrankungen wie im Fall der Bf zeichnen sich durch Hochs und Tiefs aus. Die Wortfolge "dauernd außerstande sein" stammt aus dem Jahr 1967, als viele Erkrankungen und Krankheitsbilder noch nicht so bekannt waren wie heute. Der Begriff „dauernd außerstande sein“ könnte aus heutiger Sicht so ausgelegt werden, dass in Zeiten eines Hochs Grund- und Erhöhungsbetrag suspendiert werden und in Zeiten eines Tiefs der Anspruch fortbesteht, sofern es sich um dieselbe Behinderung handelt, um dem neuen medizinischen Wissensstand zu entsprechen. Vertretbar ist auch, von einer planwidrigen Lücke in §§ 2 Abs 1 lit c, 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 auszugehen, die durch analoge Anwendung des § 252 Abs 3 ASVG geschlossen werden könnte. Sowohl § 252 Abs 1 Z 3 ASVG als auch §§ 2 Abs 1 lit c, 6 Abs 2 lit d jeweils iVm § 8 Abs 5, 6 FLAG 1967 verfolgen denselben Normzweck, wonach Waisen über den Ausbildungszeitraum hinaus aufgrund einer mangelnden Erwerbsfähigkeit der Unterhalt durch den Staat geleistet wird.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf***, ***AdrBf***, vertreten durch Verein VertretungsNetz, Kagraner Platz 1/1.St/Top 17, 1220 Wien, dieser vertreten durch Mag ***1*** und ***2***, MA, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, nunmehr Finanzamt Österreich, vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Grundbetrag Familienhilfe und Erhöhungsbetrag wegen Nichterlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit ab Februar 2012, SVNr ***3***, zu Recht erkannt:

  1. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

  2. Die belangte Behörde hat gemäß § 12 Abs 1 FLAG 1967 eine Mitteilung zu erstellen und die Familienbeihilfe mitsamt Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum ab Februar 2012 auszuzahlen.

  3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang vor der belangten Behörde

Der im Spruch bezeichnete Verein wurde vom BG Döbling als Pflegschaftsgericht zum einstweiligen Sachwalter des Beschwerdeführers gemäß § 120 AußStrG für die Angelegenheiten Einkommensverwaltung, Vertretung des Betroffenen vor Behörden, gegenüber Sozialversicherungsträgern und in Gerichtsverfahren bestellt (Beschluss vom ). Der Verein betraute Mag ***1*** mit der Aufgabe.

Der Verein stellte namens des 1964 geborenen Beschwerdeführers (Bf), einem Halbwaisen, mit den amtlichen Formularen Beih1 und Beih3 vom "rückwirkend ab Februar 2012" einen sogenannten Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages (im Folgenden: Familienbeihilfe) und auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen "Borderline, Persönlichkeitsstörung, Depression, Diabetes II, Adipositas per magna, Z.n. Castric banding, parasysmates VHF, bilaterale Coxarthrose, Erysipel der linken Leiste, chronischen Nikotin-Abusus". Als Dienstgeber wurde der Magistrat der Stadt Wien, MA 40, mit Bezug der Mindestsicherung und die Tätigkeit mit dauernder Berufsunfähigkeit angegeben. Pflegegeld werde bezogen. Den Anträgen waren der begleitende Schriftsatz vom und der Beschluss des Pflegschaftsgerichts beigelegt.

Beschluss des Pflegschaftsgerichts lautet auszugsweise:

"***7***, […] wird zum Sachverständigen bestellt und ersucht, ein Gutachten darüber zu erstatten,

a) ob der Betroffene, […], an einer psychischen Krankheit oder geistigen

Behinderung leidet und

b) aus diesem Grund nicht in der Lage ist, bestimmte Angelegenheiten ohne Gefährdung seiner Interessen zu regeln (§ 268 Abs 1 ABGB).

Der Sachverständige wird weiters ersucht, in seinem Gutachten zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

- Für welche Angelegenheiten im Sinn des § 268 Abs 1 ABGB ist die Bestellung eines Sachwalters medizinisch indiziert?

- Ist aus fachärztlicher Sicht eine Besserung des Zustandsbildes des Betroffenen zu erwarten? Wann ja: unter welchen Voraussetzungen und in welchem Zeitraum kann mit einer solchen Veränderung seines Zustandsbildes gerechnet werden?

- Ist der Betroffene im Hinblick auf das diagnostizierte Krankheitsbild ausreichend fachbezogen behandelt?

- Ist der Betroffene in der Lage, trotz krankheitsbedingter Beeinträchtigungen wirksam eine Vollmacht, etwa zur Erledigung der Einkommensverwaltung, zu erteilen und Vertretungshandlungen eines Bevollmächtigten begleitend zu kontrollieren?

- Für den Fall, dass der Betroffene eine letztwillige Verfügung errichten will: Ist der Betroffene in der Lage, eine letztwillige Anordnung frei, unbeeinflusst und mit ausreichendem Überblick über seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu errichten?

BEGRÜNDUNG:

Der 52 Jahre alte Betroffene, […], bezieht Sozialleistungen von ca. EUR 840,00 monatlich und ein Pflegegeld der Stufe 1, benützt eine Gemeindewohnung in […] Wien und hat erhebliche Zahlungsrückstände insbesondere gegenüber dem Fonds Soziales Wien und im Zusammenhang mit einem Minussaldo seines Bankkontos.

… Der Betroffene sei Mitarbeitern des Beratungszentrums seit März 2004 bekannt und werde derzeit drei Mal pro Woche durch Mitarbeiter der Volkshilfe Indibet betreut. Auf Grund seiner psychischen und körperlichen Einschränkungen sei der Betroffene bei der Besorgung seiner Angelegenheiten, insbesondere seiner finanziellen Belange auf Unterstützung durch dritte Personen angewiesen; ein Bekannter des Betroffenen, […], kümmere sich um diesen, erledige Angelegenheiten auf der Grundlage von Vollmachten, habe aber etwa nicht für eine fristgerechte Zahlung von Fixkosten Sorgen können. Der Betroffene habe keinen Überblick über seine finanziellen Verhältnisse und sei mit der Bestellung eines Sachwalters einverstanden.

Anlässlich der Erstanhörung am (ON 18) beschrieb der Betroffene körperliche und psychische Defizite und bestätigte, seine Angelegenheiten nicht mehr eigenverantwortlich regeln zu können. Der Bestellung eines Sachwalters für ihn stimmte er ausdrücklich zu. Im Hinblick auf den Verlauf der Erstanhörung wird auf den Bezug habenden Aktenvermerk verwiesen."

Erstes Sachverständigengutachten zur Begutachtung am

Die belangte Behörde leitete das gesetzliche Überprüfungsverfahren ein, sodass der Bf am vom Bundessozialamt (im Folgenden kurz "BSA") untersucht und darüber das ärztliche Sachverständigengutachten und die Bescheinigung vom ausgestellt wurden. Damit wurden der Gesamtgrad der Behinderung mit 50vH ab 03/2017, dessen voraussichtliche Dauer für voraussichtlich mehr als 3 Jahre sowie festgestellt, dass der Bf nicht voraussichtlich dauernd außerstand sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es wurde angemerkt, dass kein Leiden eine Erwerbsunfähigkeit bedinge. Das Sachverständigengutachten lag der belangten Behörde bei der Entscheidung über den Antrag nicht vor. Allein auf Grundlage der Bescheinigung (elektronisch übermittelt als Metadaten) erging der angefochtene Abweisungsbescheid, weil keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden sei. Das Gutachten enthält keine Ausführungen zum Zeitraum vor Vollendung des 21. bzw 27. Lebensjahres, obgleich Unterlagen aus der Zeit zur Begutachtung mitgebracht worden waren. Der Sachverständige war ein Arzt für Allgemeinmedizin.

Bei der Begutachtung legte der Bf acht medizinische Unterlagen (Arztbriefe, Befunde, Krankenhausberichte) aus dem Zeitraum 1984 bis 1996 vor, darunter der Arztbrief des AKH vom , in dem der Bf als ein "massiv gestörter junger Mann (der auch ohne Übergewicht einer psychotherapeutischen Betreuung bedarf), mit schwerer Vaterproblematik, depressiv gefärbten appellativen Selbstmordtendenzen, aber sicherlich keiner endomorphen Depression. Daher scheint … eher weniger indiziert als eine stützende Betreuung mit gelegentlicher Medikation. Bedauerlicherweise steht der Vater ("Richter") den zwei letztgenannten Möglichkeiten negativ gegenüber" beschrieben wurde. Weiters wurden zwei Befunde vom Psychiatrischen Krankenhaus aus den Jahren 1986 und 1991 vorgelegt.

Bescheidbeschwerde vom

Mit Schriftsatz vom wurde der Abweisungsbescheid form- und fristgerecht "aufgrund mangelhafter Tatsachenfeststellung zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit angefochten und die Einschätzung [des Bundessozialamtes als] falsch [bezeichnet]". Vor allem die psychischen Erkrankungen des Bf hätten schon vor Erreichen des 21. Lebensjahres schwerwiegende Auswirkungen auf sein Verhalten gehabt und hätte dies auch noch heute. Aufgrund der angeführten Diagnosen war es dem Bf zu keiner Zeit möglich, eine Ausbildung zu beenden oder dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es sei lediglich zu Arbeitsversuchen gekommen. Aus diesem Grund beziehe der Bf Dauerleistung der MA 40. Als Beweismittel wurden weiters neu vorgelegt:

• amtsärztliches Gutachten, Bezirksgesundheitsamt, vom
• Versicherungsdatenauszug, Pensionsversicherungsanstalt Wien, vom .

Mit Ergänzungsschriftsatz vom wurden verschiedene Befunden uÄ aus dem Jahr 2013 vorgelegt.

Zweites Sachverständigengutachten ohne Begutachtung

Zur zweiten Begutachtung ist der Bf nicht erschienen. Anhand der Beschwerde und der nachgereichten Beweismittel sowie des Vorgutachtens (im Folgenden kurz "VGA") wurden das ärztliche Sachverständigengutachten und die Bescheinigung vom ausgestellt. Es wurden bei sechs Funktionseinschränkungen der Gesamtgrad der Behinderung mit 50vH ab 03/2016, dessen voraussichtliche Dauer für voraussichtlich mehr als 3 Jahre sowie festgestellt, dass der Bf nicht voraussichtlich dauernd außerstand sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine länger zurückwirkende Anerkennung des GdB sei Mangelns an Brückenbefunden seit 1991 bezüglich des psychischen Leidens nicht möglich. Es wurde begründet, dass kein Leiden eine Erwerbsunfähigkeit bedinge. Die Sachverständige war eine Ärztin für Allgemeinmedizin.

Beschwerdevorentscheidung vom

Mit Beschwerdebescheid wurde die Bescheidbeschwerde als unbegründet abgewiesen, weil das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) mit der Bescheinigung vom den Grad der Behinderung mit 50%, jedoch kein Leiden, das eine Erwerbsunfähigkeit bedingt, festgestellthat.

Vorlageantrag vom

wurde form- und fristgerecht gestellt. Darin wurde das Beschwerdevorbringen wiederholt.

Drittes Sachverständigengutachten zur Begutachtung am

Es wurden das ärztliche Sachverständigengutachten und die Bescheinigung vom ausgestellt. Es wurden bei 6 Funktionseinschränkungen der Gesamtgrad der Behinderung mit 50vH ab 03/2016, dessen voraussichtliche Dauer für voraussichtlich mehr als 3 Jahre sowie festgestellt, dass der Bf nicht voraussichtlich dauernd außerstand sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es wurde begründet, dass von den dauernden sechs Gesundheitsschädigungen keine derartige Beeinträchtigung ausgehe, die die Fähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen dauerhaft behinder[e]. Der Sachverständige war ein Arzt für Allgemeinmedizin.

Mit E-Mail vom ersuchte die belangte Behörde zwecks der Beschwerdevorlage an das BFG das SMS und sodann mit Ergänzungsersuchen vom den Bf um Zusendung der Sachverständigengutachten bzw Bescheinigungen:

Bescheinigung; GZ ***4***
Bescheinigung; GZ ***5***
Bescheinigung; GZ ***6***.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Bescheidbeschwerde elektronisch dem BFG zur Entscheidung vor. Eine Replik auf das dritte SV-Gutachten lag dem Verwaltungsakt nicht ein.

I.2. Verfahrenshergang vor dem BFG

Mit E-Mail vom teilte die belangte Behörde dem BFG mit, dass vereinsintern anstelle von Frau Mag ***1*** nunmehr Frau ***2***, MA, bestellt wurde.

Das BFG stellte anlässlich eines Telefonats mit der Vertreterin fest, dass dem Verein das dritte Gutachten nicht zugegangen war und übermittelte diesem eine Ablichtung.

Ergänzungsschriftsatz vom (ON 18)

Damit wurde Unvollständigkeit und Unschlüssigkeit des dritten Gutachtens eingewandt und der Antrag gestellt, einen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie mit der Gutachtenserstellung zu beauftragen. Dem Schriftsatz waren verschiedene Unterlagen mit Vergangenheitsbezug sowie das aus dem Jahr 2017 stammende Gutachten, aufgrund dessen dem Bf die Waisenpension zuerkannt worden war, beigelegt.

Beschluss vom (ON 19)

Mit genanntem hg Beschluss wurde die belangte Behörde angewiesen, beim Bundessozialamt ein neues Gutachten zu beauftragen, das von einem Facharzt bzw einer Fachärztin für Psychiatrie und Neutrologie gemeinsam mit einem Arzt bzw einer Ärztin für Allgemeinmedizin zu erstellen ist, und diese Entscheidung wie folgt begründet:

"Mit Ergänzungsschriftsatz vom , ha eingelangt am , wurden Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der bisher erstellten drei BSA-Gutachten vorgetragen und neue Beweismittel, und zwar das ärztliche Gutachten der PVA zur Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 252 Abs 2 Z 2 ASVG wegen eines Antrages auf Waisenpension und Pflegegeldgewährung vom, erstellt von der Fachärztin für Neurologie und Ärztin für Allgemeinmedizin Dr ***10***, sowie die Untauglichkeitsbescheinigung des Militärkommandos Wien vom , nachgereicht. Die nachgereichten Beweismittel werden als elektronische Beilagen übermittelt. Insbesondere stützt der Bf seinen Standpunkt mit Punkt 11.2 iVm 11.a und 11.b des PVAGutachtens, wo die Kindeseigenschaft des Bf über dessen 18. Lebensjahres hinaus angenommen wird. Das PVA-Gutachten hat sich daher mit Krankheitsereignissen, die in der Vergangenheit des Bf liegen, befasst, sodass es ein potentiell taugliches Beweismitteldarstellt.

Auch die Untauglichkeitsbescheinigung führt das Trauma aus dem Jahr 1974 (Verlust derMutter durch einen Autounfall, den der damals 10-jährige Bf überlebte) als Grund an.Der Antrag, dass der vorliegende Fall die Sachkompetenz eines Facharztes bzw einerFachärztin für Neurologie und Psychiatrie erfordert, wird geteilt. Der Gutachterin der PVAhat mit ihrer fachlichen Kompetenz das gesamte geforderte Krankheitsspektrum des Bfabgedeckt. Dass seitens des BSA bisher allein Allgemeinmediziner begutachtet haben,wird angesichts des Krankheitsbildes des Bf von dessen Vertretung zu Recht kritisiert.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zuverschaffen, nicht mit Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Die drei Vorgutachten sindan der rechtlichen Fragestellung durch § 8 FLAG vorbeigegangen. Das 1. BSA-Gutachtenhat die Frage nach der Selbsterhaltungsunfähigkeit gar nicht beantwortet, dem 2. BSAGutachten fehlten Brückenbefunde ab 1991.

Das 3. Gutachten enthält zwar eine sehr ausführliche Darstellung der Befunde etc, jedochist die Begründung für die nicht als gegeben erachtete Selbsterhaltungsunfähigkeit beieinem Patienten, der bereits im Jahr 1984 als massiv gestörter junger Mann uabeschrieben wird, ohne nähere Ausführungen nicht nachvollziehbar. Die Begründungim Gutachten vom ist eine Definition idem per idem, im Ergebnis vermag sieden Tenor des Gutachtens nicht zu tragen, weil nicht nachvollziehbar darlegt wird, auswelchen konkreten Gründen und aufgrund welcher Überlegungen von den unter lf Nr 1)bis 6) genannten, dauernden Gesundheitsschädigungen keine derartige Beeinträchtigungausgeht. Solche Ausführungen und Überlegungen stellen jedoch das Herzstück einesGutachtens dar. Das neue Gutachten ist um eine nachvollziehbare Begründung zuergänzen.

Das neue Gutachten hat auch die Frage zu beantworten, welche Tätigkeit der Bf seit demStichtag hätte ausüben können, mit der er sich als massiv gestörter Mannselbst den Unterhalt hätte verschaffen können.

Das letzte BSA-Gutachten enthält auf Seite 5 zwei Befunde vor diesem Stichtag. Demnachwurde der Bf bereits im Jahr 1984 beschrieben als: massiv gestörter junger Mann,schwere Vater-Problematik, depressiv gefärbte appellative Selbstmordtendenz, sicherlichkeine endomorphe Depression, Adipositas gravis, neurotische Persönlichkeitsentwicklung."

Viertes Sachverständigengutachten zur Begutachtung am

Es wurden das ärztliche Sachverständigengutachten vom und die Bescheinigung vom ausgestellt. Es wurden bei 6 Funktionseinschränkungen der Gesamtgrad der Behinderung mit 50vH ab 03/2016, dessen voraussichtliche Dauer für voraussichtlich mehr als 3 Jahre sowie festgestellt, dass der Bf nicht voraussichtlich dauernd außerstand sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen könne aus nervenärztlicher Sicht nicht bestätigt werden, da keine höher gradigen psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen vorhanden seien, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen. Es lägen keine psychiatrisch fachärztlichen Brückenbefunde vor (1991-2016), der Betroffene stehe schon jahrelang nicht in psychiatrischer Behandlung, nehme keine fachspez. Medikation, mache keine Gesprächstherapie. Bezüglich der dauernden Unfähigkeit, sich den Unterhalt zu verschaffen, werde sogar ein längerer Zeitraum, als im Vorgutachten angegeben, in dem der Bf Vollzeit Taxi gefahren sei (1986-89). Der Sachverständige war ein Arzt für Neurologie.

Da auf das Gutachten keine Stellungnahme des Vereins beim BFG eingeht, wird telefonisch nachgefragt und erhoben, dass das Gutachten dort nicht eingelangt sei.

Vorhalt des (ON 22)

Es erging folgender Vorhalt, mit dem das Gutachten übermittelt wurde sowie Fragen gestellt und um Vorlage von Beweismitteln ersucht wurde. Weiters wurden seitens des BFG Zweifel an der Schlüssigkeit des vierten Gutachtens geäußert:

"Im konkreten Fall ist bei dem im Jahr 1964 geborenen Bf § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der Stammfassung des Bundesgesetzes vom , BGBl 376/1967, anzuwenden. Gemäß leg.cit. in dieser Fassung bestand Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande waren, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es ergeben sich folgende Stichtage bzw Zeiträume:

Bis Vollendung des 21. LJ am , jedoch längstens bis Vollendung des 27. LJ am (jeweils kumulativ iVm Berufsausbildung) Zur Bestimmung der Beendigung der Berufsausbildung ist die Aktenlage widersprüchlich, weshalb folgende Ermittlungen notwendig sind: Bis wann befand sich Ihr Mandant in Berufsausbildung und welches Studium bzw Studien wurde/n betrieben? Dazu wird um Vorlage des Maturazeugnisses oder sämtlicher anderer Ausbildungsnachweise nach behauptetem Abbruch des Gymnasiums (Vater hat behauptet, der Bf habe nur VS und HS absolviert) sowie von Immatrikulation, Studiennachweisen, Sponsionsurkunden, Exmatrikulation (soweit vorhanden) ersucht. Bis wann hat der Vater seinerseits für den Bf die Familienbeihilfe bezogen (soweit das für Sie leicht (zB bloßes Befragen des Bf) feststellbar ist)? Aus welchem Grund wurde die Schule abgebrochen? Aus welchem Rechtsgrund wurde in den Zeiträumen - sowie von - Waisenpension bezogen? Weshalb wurde nicht durchgängig bis laufend Waisenpension bezogen? Um Vorlage sämtlicher Waisenpensionsbescheide wird ersucht.

Seit wann leistet die MA 40 Unterstützungsleistungen und welche (Mindestsicherung)? Um Vorlage der Bescheide (behördlichen Erledigungen) betreffend Bewilligung der Unterstützungsleistungen von Anbeginn an. Wie hat der Bf seinen Lebensunterhalt seit Erreichen der Volljährigkeit bestritten? Ist der Vater des Bf nach Erreichen der Volljährigkeit zur Unterhaltsleistung verpflichtet worden bzw leistet dieser freiwillig Unterhalt, wenn ja, in welcher Höhe und in welchem Rhythmus? Zutreffendenfalls wird um Vorlage des Beschlusses/Urteils des Gerichts ersucht.

Um Bekanntgabe des Namens und der Adresse des Vaters des Bf wird ersucht. Die Ausübung einer Tätigkeit als Taxilenker mit einer Arbeitszeit von täglich 16 Stunden in den Jahren 1986 bis 1989, wie im 4. Gutachten unter Anamnese festgehalten, spricht gegen den Eintritt des Verlustes der Selbsterhaltungsfähigkeit. Auch die Aussage, "er sei schwarz gefahren", spricht dagegen und erschüttert die Glaubwürdigkeit von bisherigen Aussagen zur Erwerbsunfähigkeit. Warum hat der Bf mit Taxilenken wieder aufgehört, um welche andere Arbeitsstellen hat er sich bemüht und aus welchen Gründen kamen keine weiteren Arbeitsverhältnisse zustande? Vorlage von Meldungen über Zeiten der Arbeitslosigkeit beim AMS (sofern vorhanden)."

Stellungnahme vom (ON 23)

Darin wurde insbesondere vorgetragen, dass das vierte Gutachten des Sachverständigen für Neurologie mit der Beurteilung, dass der Bf aktuell selbsterhaltungsfähig sei, im Widerspruch zu den bereits erfolgten Beurteilungen der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers im sozialversicherungsrechtlichen Waisenpensionsverfahren und im sozialhilferechtlichen Mindestsicherungsverfahren stehe und ist schon aus diesem Grund unschlüssig sei. Darüber hinaus stehe das Gutachten im Widerspruch zu dem von ***7***, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut, erstellten aktuellen Gutachten vom (ON 24). Entgegen der gutachterlichen Aussage, wonach Brückenbefunde fehlen würden, wurde dargelegt, dass bereits ein Konvolut an fachärztlichen Befunden, Gutachten und Unterlagen übermittelt sie, die auch den bisher befassten Allgemeinmedizinern des BASB nachweislich zur Verfügung gestanden hätten. Der Bf sei von ärztlicher Seite immer wieder als selbstmordgefährdet eingestuft worden. Die Persönlichkeitsstörungen seien auch in der Vergangenheit diagnostiziert worden. Dem Schriftsatz waren 18 Beweismittel (ON 24 bis 42), darunter das oben erwähnte Gutachten, beigelegt. Schließlich wurde die Einholung eines fünften Gutachtens beantragt.

Vorhalt vom (ON 38)

Es wurde um Fragebeantwortung und Übermittlung von Unterlagen ersucht und aufgezeigt, dass der Privatgutachter auf das vierte Gutachten nicht eingegangen war. Eine Ergänzung des Privatgutachtens vom wurde angeregt, wobei der Gutachter die Frage beantworten soll, ob "notorisches Lügen" zum Krankheitsbild gehört.

Stellungnahme vom (ON 43)

***7*** habe sein Gutachten mit Schriftsatz vom (Beilage ./D) ergänzt und darin auch ausgeführt, dass "notorische Lügen" des Bf im psychiatrischen Kontext als Pseudologie oder Mythomanie bezeichnet wird und einen Drang zum Lügen und Übertreiben ohne äußeren Anlass im Sinne einer Notlüge beschreibt. Dieses beim Bf von unterschiedlichen Personen beobachtete Verhalten könne als Teilsymptom einer schweren Persönlichkeitsstörung oder einer wahrhaften Fixierung im Rahmen einer Psychose beurteilt werden. Mit der Stellungnahme wurden sämtliche Fragen beantwortet und angeforderten Beweismittel vorgelegt.

Hg Beschluss vom

Damit wurde der belangten Behörde Gelegenheit zu einer Gegenäußerung gegeben, ob do Bedenken gegen die beabsichtigte Stattgabe bestehen. Die Abweichung von den bisherigen vier BSA-Gutachten und Bescheinigungen sei wegen Unschlüssigkeit und Unvollständigkeit nach Ansicht des BFG gerechtfertigt. Die vorgelegten Beweismittel wurden elektronisch weitergeleitet. Folgendes wurde ausgeführt:

"Der Bf ist seit Vertretung durch einen Erwachsenenvertreter Bezieher einer Waisenpension. Nach Bescheidbegründung gebührt die Waisenpension über das 18. LJ hinaus, solange infolge Krankheit oder Gebrechens Erwerbsunfähigkeit vorliegt (§ 252 Abs 2 Z 3 ASVG). Sachverhaltsbezogen verlangt das ASVG, dass nach Eintritt der Volljährigkeit (oder Berufsausbildung etc) infolge Krankheit oder Gebrechens die Kindeseigenschaft weiterbesteht.

Das ASVG ist dem FLAG zumindest nicht unähnlich. Das ASVG sieht keine rückwirkende Antragsmöglichkeit vor, sodass der Bezug erst ab besteht (ON43 Beilage G bis I). Der Bf war bis zum bei der Maturaschule Roland eingeschrieben, um sich auf die Ablegung der Externisten-Reifeprüfung vorzubereiten, die er jedoch nie abgelegt hat (ON 25). Aussagen des Bf im Beihilfen- und Rechtsmittelverfahren, er habe die Matura, sind unwahr und stehen in Widerspruch zur Auskunft der Maturaschule Roland vom .

Am wurde dem Bf die Lenkerberechtigung erteilt.

Im anschließenden WS1985 war der Bf an der Universität Wien als ao Hörer UA990 eingeschrieben (ON 25). Während eines ao Studiums UA990 ist es nicht möglich, (Teil-)Diplomprüfungen, Modulprüfungen oder Rigorosen zu absolvieren bzw Studien abzuschließen (ON 43).

Behauptungen des Bf im laufenden Beihilfen- und Rechtsmittelverfahren, er habe den Magister, sind daher unwahr. An der mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bzw an den Vorgängerinstitutionen Akademie oder Hochschule hat der Bf laut Auskunft vom (ON 35) nie studiert. Gegenteilige Behauptungen des Bf im laufenden Beihilfen- und Rechtsmittelverfahren sind daher unwahr. Am wurde dem Bf ein Taxiausweis ausgestellt (ON 43). Am wurde dem Bf die Lenkerberechtigung rechtskräftig entzogen, womit der Taxiausweise ex lege ungültig wurde (ON 43). Der Bf war lediglich für den Zeitraum von 2 1/2 Jahren im Besitz der gesetzlichen Unterlagen zur Ausübung des Taxiberufes.

Ohne die Möglichkeit einer gültigen Berufsabschlussprüfung beim Studium UA 990 ist nicht von einer Berufsausbildung iSd FLAG auszugehen. Der Zeitraum für Berufsausbildung nach § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 hat für den Bf mit Vollendung des 21. LJ () geendet. Der BFührerschein für sich alleine ist keine Berufsausbildung.

Der Privatgutachter ***7*** kommt in seinem Psychiatrischen Befund vom zum Ergebnis, dass der Beginn der psychiatrischen Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor dem zu datieren ist und die Selbsterhaltungsfähigkeit bereits vor dem genannten Zeitpunkt nicht gegeben ist. Damals war der Bf 19 ½ Jahre alt.

Angesichts dieser aktenkundigen Unwahrheiten, die dem Bf in gegenständlicher Sache schaden, hat sich das BFG gefragt, ob es es mit einem "notorischen Lügner" zu tun hat und am einen weiteren Vorhalt erlassen, der am unter Vorlage weiterer Beweismittel beantwortet wurde. Im ergänzenden Befund vom (Beilage D zu ON 43) hat der Gutachter ***7*** die notorische Lügerei des Bf im psychiatrischen Kontext als krankhaftes Teilsymptom eingeordnet (Seite 3 der Ergänzung)

Das BFG sieht die vom Bf vor dem begutachtenden Arzt, Neurologe Dr ***9*** ***8***,getätigten Aussagen, "er habe als Taxifahrer durch Schwarzfahren die große Kohle gemacht" ebenfalls als lügenhafte Aufschneiderei an. Kein vernünftiger (und laut Aktenlage mit EUR 500.000,00 überschuldeter) Mensch schadet sich in einem Verfahren, in dem es darum geht, ob man zum Geldverdienen in der Lage ist oder nicht, mit derartigen Aussagen selbst, wenn nur die Unfähigkeit dazu zur Bewilligung führt. Dr ***8*** hat nach Ansicht des BFG die offenkundigen Lügen nicht als solche erkannt und diesen keine medizinische Bedeutung beigemessen. Im Übrigen ist es Aufgabe der Abgabenbehörden, Steuerhinterziehung aufzudecken, und nicht Aufgabe eines medizinischen Gutachters im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeit.

In den 2 ½ Jahren hat der Bf lediglich tageweise als Taxilenker gearbeitet. Er war nie in der Lage, unter fremd- und marktüblichen Gegebenheiten über vereinzelte Tage hinaus einer Arbeit nachzugehen. Seine Neigung zum krankhaften Lügen ist nach dem Verständnis des BFG für ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis - neben all den anderen Krankheitsumständen -jedenfalls mehr hinderlich als förderlich.

Folgende Schriftsätze und Beweismittel werden elektronisch übermittelt (ON-Angaben beziehen sich auf den Rechtsmittelakt des BFG):

ON 23: Stellungnahme VertretungsNetz vom

ON 24 bis 36, 39 bis 42: 19 Beilagen wie in Beilage A zur Stellungnahme vom

ON 37: Psychiatrischer Befund Dr ***7*** vom

ON 38: Vorhalt des ua wegen "notorischer Lügen"

ON 43: Stellungnahme VertretungsNetz vom mit Beilagen D bis I.

Sollte die belangte Behörde die Einholung eines fünften BSA-Gutachtens für erforderlich erachtet, so wird die Frist auf Antrag verlängert. Diesfalls hält es das BFG für erforderlich, eine/n andere/n Psychiater/in und Neurologen/in zu beauftragen. …"

Dem Antrag der belangten Behörde, die Frist zur Gelegenheit der Gegenäußerung bis zum zu verlängern, wurde mit hg Beschluss vom entsprochen. Der Antrag war mit der Einholung eines fünften Gutachtens gegründet worden.

Fünftes Sachverständigengutachten zur Begutachtung am

Dieses baut insbesondere auf das Gutachten von ***7*** vom auf (ON 24).

Ausgestellt wurden das ärztliche Sachverständigengutachten vom und die Bescheinigung vom . Es wurden bei 8 Funktionseinschränkungen der Gesamtgrad der Behinderung mit 60vH ab 03/2016, dessen voraussichtliche Dauer für voraussichtlich mehr als 3 Jahre sowie festgestellt, dass der Bf bereits ab 03/2016 voraussichtlich dauernd außerstand gewesen war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der AW sei weiterhin voraussichtlich dauerhaft unfähig sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, da aus Leiden 1 resultierende Einschränkungen in Bezug auf Compliance, Ausdauer, Belastbarkeit bestehen, die eine durchgehende Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich machen. In Abänderung zum Vorgutachten besteht diese Erwerbsunfähigkeit seit 06/1984, abgeleitet aus der nunmehr vorliegenden psychiatrischen Befundergänzung vom von ***7***.

Die belangte Behörde legte das fünfte Gutachten/Bescheinigung ohne Äußerung vor.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht sowie begründet.

Rechtsgrundlagen

Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (im Folgenden FLAG 1967)

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der für den im Jahr 1964 geborenen Bf geltenden Fassung haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

§ 8 Abs 5 und 6 FLAG 1967 lauten:

"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen."

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)

§ 260 ASVG lautet:

"Anspruch auf Waisenpension haben nach dem Tode des (der) Versicherten die Kinder im Sinne des § 252 Abs. 1 Z 1 bis 4 und Abs. 2. Über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus wird Waisenpension nur auf besonderen Antrag gewährt."

§ 252 ASVG sieht vor:

"(1) Als Kinder gelten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr:

1.die Kinder und die Wahlkinder der versicherten Person;

(2) Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind

1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft von Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, verlängert sich nur dann, wenn für sie

a) entweder Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bezogen wird oder

b) zwar keine Familienbeihilfe bezogen wird, sie jedoch ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992 betreiben;

2. als Teilnehmer/in des Freiwilligen Sozialjahres, des Freiwilligen Umweltschutzjahres, des Gedenkdienstes oder des Friedens- und Sozialdienstes im Ausland tätig ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres;

3. seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 oder des in Z 2 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist.

(3) Die Kindeseigenschaft nach Abs. 2 Z 3, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen ist, lebt mit Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auf, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens weiterhin vorliegt."

Anlage zur Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idF BGBl. II Nr. 251/2012

03.04 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Erfasst werden spezifische Persönlichkeitsstörungen beginnend in der Kindheit (Borderline-Störungen). Andauernde Persönlichkeitversänderungen im Erwachsenenalter. Angststörungen, affektive Störungen, disruptive Störungen.

Persönlichkeit- Verhaltensstörung mit geringer sozialer Beeinträchtigung 10 - 40%

10 - 20 %: Mäßige Einschränkung der sozialen Fähigkeiten mit vorübergehenden oder geringen Schwierigkeiten in nur ein oder zwei sozialen Bereichen

30 - 40 %: Leichte bis mäßige andauernde Beeinträchtigung in ein oder zwei sozialen Bereichen

Persönlichkeits- Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen 50 - 70 %

Ernsthafte und durchgängige Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche

Persönlichkeits- Verhaltensstörung mit schweren/schwersten sozialen Beeinträchtigungen 80 - 100 %

Schwere durchgängige soziale Beeinträchtigung und Schwere Beeinträchtigung in allen Bereichen der Kommunikation

Sachverhalt

Im Ergebnis beruht die gesamte körperliche und seelische Leidensgeschichte des Bf auf einem Unglücksfall, der sich im Jahr 1974 ereignet hat. Der damals zehnjährige Bf fuhr gemeinsam mit seiner Mutter im Auto, als es zu einem Unfall kam, durch den die Mutter ihr Leben verlor und er schwere Kopfverletzungen davontrug ("schweres Schädel Hirntrauma im Jahre 1974" bereits bei erster Begutachtung durch BSA bekannt). Die belegte "rezidivierende Commotio cerebri in Zusammenhang mit Motorradunfällen" resultiert aus (appellativen) Selbstmordversuchen mit dem Motorrad als Jugendlicher. Der Bf war bereits bei der Musterung aus diesen Gründen untauglich. Ein zweiter Grund für sein Leiden ist in einer schweren Vaterproblematik zu erblicken.

Die BSA-Gutachten 1 bis 4 sind unschlüssig und unvollständig, weshalb eine Wiedergabe ihres Inhalts unterbleibt. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt sich schlüssig und vollständig allein aus dem fünften BSA-Gutachten. Aus dem fünften Gutachten ergeben sich folgende Feststellungen:

Zusammenfassend wird der Grad der Behinderung von 50 % seit März 2016 (Gutachten ***7***) anerkannt. … steht das [Anm. vierte BSA-]Gutachten im Widerspruch zu dem von ***7***, erstellten Zusatzgutachten vom : "Lag [beim Bf] vor dem eine höhergradige psychische oder kognitive Beeinträchtigung vor, die ihm von der Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt voraussichtlich dauernd ausschloss. ***7*** gelangt zu folgender Befundung: "Folgt man den vorliegenden Befunden so handelt es sich [beim Bf] um einen multimorbiden Patienten. Von somatischer Seite bestehen u.a. eine arterielle Hypertonie, ein Diabetes mellitus, ein rezidivierendes Erysipel und eine Adipositas per magna mit einem gastric banding. ....ein Zustand nach schwerem Schädel Hirntrauma im Jahre 1974, rezidivierende Commotio cerebri in Zusammenhang mit Motorradunfällen, rezidivierende migräneartige Cephalea, diabetisch bedingte Polyneuropathie. Von psychiatrischer Seite werden ab dem Jahre 1983 dokumentierte (Zustand nach SMV) psychopathologische Veränderungen von Krankheitswert mit unterschiedlichen Diagnosen (Borderline Syndrom; neurotische Persönlichkeit mit Soziopathie; Depressives Zustandsbild; wiederholte SMV, kombinierte Persönlichkeitsstörung schwer; akute Belastungsreaktion, Alkoholexzesse, paranoide Symptomatik; Leistungsminderung, "schwer gestört",...Psychoorganizität;...). Der Verlauf der psychischen Symptomatik ist als chronisch zu beurteilen. Im Verlauf kam es wiederholt zu stationären fachbezogenen Behandlungen (AKH Wien, Otto Wagner Spital, TZ Ybbs, Klinik Mauer Öhling). Folgt man den vorliegenden Unterlagen so ist der Beginn seiner psychiatrischen Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem zu datieren. Aufgrund .... Störungen der emotionalen und affektiven Befindlichkeit, des Antriebs und der Psychomotorik, der Erlebnisverarbeitung der Impulskontrolle, war [der Bf] nicht in der Lage, altersentsprechend sozialen und beruflichen Anforderungen zu entsprechen. [Der Bf ] war aufgrund der vorliegenden psychopathologischen Symptomatik (unabhängig von den im Verlauf gestellten fachbezogenen Diagnosen) nicht in der Lage, einer Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen (-Selbsterhaltungsfähigkeit war nicht gegeben)."

Der Befund des Sachverständigen deckt sich mit der Einschätzung des Vaters des Bf …, wonach der Bf seines Erachtens bereits vor dem voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig und damit selbsterhaltungsunfähig war. Beweis: Psychiatrischer Befund ***7***, .

Im Schreiben werden nochmals die vom Gutachter Dr. ***8*** als fehlend bezeichneten Brückenbefunde aufgelistet. - , - ,19.4.-, 8.3.-, 6.7.-, -, 12.2.-, 6.3.-, , 1.6.-.

Dann - Maturaschule Roland, -1/86 außerordentlicher Hörer der Uni Wien, die Halbwaisenpension wurde ab gewährt, Weiterführung über das 18. Lebensjahr wurde vom Bf am gestellt und wurde mit Beschluss weiter gewährt. Aus dem Versicherungsdatenauszug ergibt sich, dass der Bf lediglich kurzfristig beschäftigt war, sodass lediglich von Arbeitsversuchen gesprochen werden kann. In der Stellungnahme vom VertretungsNetz vom wird die Aushilfetätigkeit als Taxilenker im Jahr 1987 17 Tage, 1988 5 Tage, 1989 24 Tage, 1990 111 Tage und 1991 1 Tag beschrieben. ***7*** kommt zu dem Befund, dass im vierten Gutachten des BASB die fortbestehenden psychopathologischen Veränderungen und der sich daraus ergebenden Unfähigkeit im Rahmen eines chronisch verlaufenden Krankheitsgeschehen sich selbst Unterhalt zu verschaffen, nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Er erachtet die Verordnung von Psychopharmaka als nicht zielführend und die angeführten Defizite durch eine Gesprächstherapie als nicht veränderbar (Gutachten S 3).

Aus der Psychiatrischen Befund-Ergänzung, ***7***, :.... so stellen sich aus der Sicht des unterzeichnenden SV einerseits schwere somatischeErkrankungen und damit einhergehende neurologische Folgeprobleme in Form einerdiabetischen Polyneuropathie und eines chronischen Schmerzsyndroms dar. ...andererseitsbestehen seit Jahrzehnten psychische Probleme, die wiederholt zu stationärenfachbezogenen Behandlungen und unterschiedlichen Diagnosen führten (1984 (AKH),massiv gestörter junger Mann, depressiv gefärbte appellative Selbstmordtendenzen; 1986(AKH) SMV mit neurotischer Depression, beträchtlicher Alkoholkonsum; 1991 akuteBelastungsreaktion, neurotische Depression, stationär nach Alkoholexzess; 1991depressives Zustandsbild, neurotische Persönlichkeitsstörung mit Soziopathie; 2003Borderline-Syndrom; 2006 emotional instabile Persönlichkeit, depressive Störung; ..Folgtman diesen Diagnosen im Verlauf, so stellen sich wie wiederholt angeführt, einespezifische Persönlichkeitsstörung (kombinierte) sehr schwerer Ausprägung mit einemdeutlichen Leistungsknick und dem fortbestehenden Unvermögen sozialeund berufliche Anforderungen erfüllen zu können dar. Aus der Sicht des SV ist jedoch auchan eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zu denken, einhergehende miteiner schleichenden Progredienz, deutlichen Veränderungen im Verhalten, einerVerschlechterung in der Leistungsfähigkeit, einem sozialen Rückzug, einer Untätigkeit (fünf Jahre nicht aus der Wohnung gegangen), einer Veränderung auch der Sprache im Sinne von vage,metaphorisch, gekünstelt. Diese fortbestehenden psychopathologischen Veränderungenund der sich daraus ergebenden Unfähigkeit im Rahmen eines chronisch verlaufendenKrankheitsgeschehens sich selbst Unterhalt zu verschaffen, wurde im Gutachten vom nicht ausreichend berücksichtigt. Da im Rahmen solcher Krankheitsverläufepsychotische Episoden, wenn überhaupt, nur flüchtigauftreten, ist die Verordnung von Psychopharmaka nicht zielführend. Durch eineGesprächstherapie sind die angeführten Defizite nicht veränderbar."

In seiner Ergänzung vom wurde vom Privatgutachter dargelegt, dass "das angeführte "notorische Lügen" [des Bf] im psychiatrischen Kontext als Pseudologie oder Mythomanie bezeichnet [werde] und einen Drang zum Lügen und Übertreiben ohne äußeren Anlass im Sinne einer Notlüge beschreibe. Dieses [beim Bf] von unterschiedlichen Personen beobachtete Verhalten [könne] als Teilsymptom einer schweren Persönlichkeitsstörung oder einer wahrhaften Fixierung im Rahmen einer Psychose, beurteilt werden."

Im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung bestimmt das BSA das neurologische Leiden (emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Soziopathie oberer Rahmensatz, da andauernde soziale Beeinträchtigung mit Rückzug und Unterstützungsbedarf im finanziellen und organisatorischen Bereich, PosNr ) zum Leiden 1 mit 50vH und die orthopäidischen Leiden (degenerative Gelenksveränderungen unterer Rahmensatz, da geringe Funktionseinschränkung bei Coxarthrose beidseits und mäßigen Kniegelenkskontrakturen, PosNr ) zum Leiden 2 mit 30vH.

Aufgrund dieses Gutachtens werden bescheinigt:

Der Gesamtgrad der Behinderung ergibt sich mit 60vH, weil Leiden 1 wird durch Leiden 2 im GdB um eine Stufe angehoben, da Leiden 2 ein maßgebliches Zusatzleiden darstellt. Die weiteren Leiden 3-8 erhöhen nicht weiter, da kein maßgeblich ungünstiges Zusammenwirken. Der GdB besteht seit 06/1984. Seit 06/1984 besteht auch die voraussichtlich dauernd fehlende Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der GdB besteht auch voraussichtlich für den nächsten drei Jahre. Der Bf ist weiterhin voraussichtlich dauerhaft unfähig, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, da die aus Leiden 1 resultierenden Einschränkungen in Bezug auf Compliance, Ausdauer, Belastbarkeit bestehen, die eine durchgehende Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich machen.

Sowohl die 14 Semester Studium, die freiberufliche Tätigkeit als Dolmetscher als auch die freijährige Schwarzarbeit im Taxigewerbe sind Erfindungen des Bf ohne Faktensubstrat.

Der Vater des Bf leistet keinen Unterhalt für den Bf.

Beweismittel und Beweiswürdigung

Beschwerdevorbringen, BSA-Gutachten und Bescheinigungen 1-5.

Obige Sachverhaltsfeststellung ergab sich schlüssig aus dem fünften BSA-Gutachten, gegen das die belangte Behörde keine Einwände erhoben hat.

Wie der Verfahrenshergang zeigt, hat das BFG mehrfach Unschlüssigkeiten in den Gutachten 1 bis 4 aufgegriffen und gegenüber der belangten Behörde die Absicht geäußert, von den Gutachten abzuweichen und der Beschwerde stattzugeben. Das fünfte Gutachten hat sämtliche vom BFG aufgezeigte Unschlüssigkeit und die Unvollständigkeit in den Brückenbefunden beseitigt und schlüssig den Eintritt der voraussichtlich dauernd mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit mit 06/1984 und den GdB mit 60vH festgestellt.

Bereits der bei der ersten Begutachtung auch vorgelegte Arztbrief des AKH vom , in dem der Bf als ein "massiv gestörter junger Mann (der auch ohne Übergewicht einer psychotherapeutischen Betreuung bedarf), mit schwerer Vaterproblematik, depressiv gefärbten appellativen Selbstmordtendenzen" hat in eine völlig andere Richtung gezeigt, als das Sachverständigengutachten ergeben hat. Diesen Arztbrief nahm der Gutachter in die Liste der relevanten Befunde auf. Die Aussagen des Bf, die er anlässlich seiner ersten Begutachtung tätigte, "er habe 14 Semester Japanisch, Chinesisch mit Studienabschluss Mag.phil., arbeite als freiberuflicher Dolmetscher und Taxifahrer und lehne akademische Titel ab", sind in sich derart widersprüchlich, dass es weiterer Informationen bedurfte, um sich ein Bild vom Bf machen zu können. Bis zum vierten Gutachten, dessen Sachverständiger dem Bf Glauben schenkte, der Bf habe sogar durch drei Jahre hindurch im Taxigewerbe "schwarz" gearbeitet, wurden die Widersprüchlichkeiten in der Persönlichkeit des Bf nicht vom BSA wahrgenommen. Weitere Ermittlungen des BFG brachten zu Tage, dass der Bf nur ein Semester als ao Höhrer an der Universität Wien inskribiert war und dass notorisches Lügen zu seinem Krankheitsbild gehört, was ***7*** schließlich in seiner Ergänzung zu seinem Gutachten festhielt. Das Studium mit 14 Semestern und dessen Abschluss mit Mag.phil. ist eine reine Erfindung. Ebenso sieht das BFG die drei Jahre Schwarzarbeit im Taxigewerbe als Erfindung an.

4.1. Zu Spruchpunkt I.

Das BFG ist an das fünfte BSA-Gutachten gebunden.

"Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis Ra 2014/16/0010, ausgesprochen, dass es im Fall des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG weder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt." § 6 Abs. 2 lit. d FLAG ist die einschlägige Norm für Vollwaisen und entspricht inhaltlich der auf den Bf anzuwendenden Norm des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967.

"Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21.Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen" (, mHa , Erkenntnisse VwGH jeweils , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, mwN).

Da sich der Bf selbst den Unterhalt überwiegend verschaffte, war er selbst zur Antragstellung berechtigt (Eigenantrag). Zum im Gutachten maßgeblichen Zeitpunkt Juni 1984 war der Bf 19½ Jahre alt. Laut Sachverhalt sind die 14 Semester Studium eine reine Erfindung des Bf, die seiner psychischen Erkrankung geschuldet sind. Damit werden die Erfordernisse des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 erfüllt. Gehört notorisches Lügen zum Krankheitsbild des Abgabepflichtigen, verletzt er insoweit nicht die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht gemäß § 119 Abs 1 BAO. Die Unwahrheit ist ihm daher vorwerfbar.

Wie der Verfahrenshergang zeigt, hat die belangte Behörde ohne Kenntnis der ersten beiden Sachverständigengutachten entschieden. Diese Vorgangsweise beruht auf einer geänderten Interpretation des § 8 Abs 6 FLAG 1967 durch die zuständigen Bundesministerien für Familien und für Soziales seit Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit per , wonach die Beihilfenbehörde nur die Bescheinigung (Metadaten) kennen müsse, nicht jedoch das der Bescheinigung zu Grunde liegende Sachverständigengutachten. Diese geänderte Auslegung des § 8 Abs 6 FLAG 1967 hatte eine Änderung in der elektronischen Übermittlung der Daten zur Folge. Nach Ansicht des BFG verstößt diese Vorgangsweise gegen das Legalitätsprinzip und ist verfassungswidrig (s ausführlich ). Da die Verfassungswidrigkeit vom BFG beseitigt werden kann, ist eine Anrufung des Verfassungsgerichtshofs nur erschwert möglich.

Bei der Verflechtung der finanzamtlichen Zuständigkeit für den FB-Antrag und der Zuständigkeit des BSA für die Durchführung der Gutachtenserstellung ist es für das BFG anhand des vorgelegten Verwaltungsaktes nicht möglich, festzustellen, ob das Gutachten an die Partei verschickt wurde oder nicht.

Die Bundesabgabenordnung ordnet an, dass die Abgabenbehörde die Beweismittel kennen muss. Die Bundesabgabenordnung verwirklicht mit § 115 Abs 1 BAO den Grundsatz der amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit und das abgabenrechtliche Prozessrecht verpflichtet gemäß § 115 Abs 3 BAO die Abgabenbehörde dazu, auch sämtliche Umstände zu Gunsten der Partei wahrzunehmen. Beiden gesetzlichen Verpflichtungen kann die Abgabenbehörde ohne Kenntnis der Sachverständigengutachten in verfassungswidriger Weise nicht erfüllen.

Obig dargestellte behördliche Vorgangsweise erfüllt nach Ansicht des BFG den Tatbestand des Missstandes iSd Art 148a B-VG.

Obig dargestellte behördliche Vorgangsweise entspricht weiters nicht dem Gebot einer sparsamen und effizienten Verwaltung. Die Sachverständigengutachten, die im Abgabenverfahren keine Verwendung finden, müssen dennoch bezahlt werden und belasten das BFG mit Verwaltungsaufgaben. Bereits die belangte Behörde war zu Ermittlungen verpflichtet, ob und bis zu welchem Datum die 14 Semester Studium die Frist des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 verlängert hatten. Das hätte ihr aber nur auffallen können, wenn sie die Sachverständigengutachten erhalten würde, um sie überhaupt lesen zu können.

Ob sich das volljährige Kind in einer Ausbildung iSd § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) befunden hat, ist eine auf der Tatsachenebene zu lösende Rechtsfrage. Sie ist keine medizinische Frage. Als Rechtsfrage fällt sie in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde, und nicht in die Zuständigkeit des BSA-Sachverständigen.

Das qualifizierte Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist als Amtsgutachten eingerichtet. Die Abgabenbehörde ist bei der Anforderung des Sachverständigengutachtens und der darauf aufbauenden Bescheinigung iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 verpflichtet, den rechtlichen Rahmen der Begutachtung zu bestimmen, wozu auch die Bestimmung des Endes der bis zur Vollendung des 25. oder 27. Lebensjahres absolvierten Ausbildung nach § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) gehört.

Mit Erkenntnis , hat das Bundesfinanzgericht zu Recht erkannt, dass gerade psychische Erkrankungen wie im Fall des Bf sich durch Hochs und Tiefs auszeichnen. Die Wortfolge "dauernd außerstande sein" stammt aus dem Jahr 1967, als viele Erkrankungen und Krankheitsbilder noch nicht so bekannt waren wie heute. Der Begriff "dauernd außerstande sein" könnte aus heutiger Sicht so ausgelegt werden, dass in Zeiten eines Hochs Grund- und Erhöhungsbetrag suspendiert werden und in Zeiten eines Tiefs der Anspruch fortbesteht, sofern es sich um dieselbe Behinderung handelt, um dem neuen medizinischen Wissensstand zu entsprechen. Vertretbar ist auch, von einer planwidrigen Lücke in §§ 2 Abs 1 lit c, 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 auszugehen, die durch analoge Anwendung des § 252 Abs 3 ASVG geschlossen werden könnte. Sowohl § 252 Abs 1 Z 3 ASVG als auch § 2 Abs 1 lit c, § 6 Abs 2 lit d jeweils iVm § 8 Abs 5, 6 FLAG 1967 verfolgen denselben Normzweck, wonach Waisen über den Ausbildungszeitraum hinaus aufgrund einer mangelnden Erwerbsfähigkeit der Unterhalt durch den Staat geleistet wird. Das Erkenntnis , wurde von der belangten Behörde nicht in Revision gezogen.

Auch im Beschwerdefall leidet der Bf an einer psychischen Erkrankung, die durch Hochs und Tiefs gekennzeichnet ist. Selbst wenn der Bf daher für drei Jahre in der Lage gewesen sein sollte, durch Schwarzarbeit im Taxigewerbe seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen (Hochphase), dürfte ihm das nicht in der Weise schaden, dass er bei seinem seit Jugend bestehenden Krankheitsbild (schwere Persönlichkeitsstörung, Borderline Syndrom, Depression, Adipositas per magna, Schädelhirntrauma) dauerhaft den Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe verliert.

4.2. Zu Spruchpunkt II.

§ 25 Abs 1 BFGG lautet:

"Wenn das Bundesfinanzgericht einer Beschwerde stattgegeben hat, sind die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Bundesfinanzgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen."

4.3. Zu Spruchpunkt III. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da als fünftes Gutachten vom Bundessozialamt ein schlüssiges und vollständiges Sachverständigengutachten und eine darauf aufbauende Bescheinigung ausgestellt wurden, war das BFG daran gebunden. Sämtliche Verfahrensmängel, einschließlich der von der Staatsteilgewalt Verwaltung im zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren angeordneten Unterdrückung der Sachverständigengutachten, wurden vom BFG saniert. Somit wurde keine Rechtsfrage im obigen Rechtssinn aufgeworfen, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 115 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 148a B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 260 ASVG, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955
§ 12 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 252 Abs. 2 Z 3 ASVG, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955
§ 119 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 5 und 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 252 Abs. 2 Z 2 ASVG, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100815.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at