Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.06.2022, RV/2100362/2022

Reihengeschäft eines ausländischen Unternehmers - neue Rechtslage

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Vorsteuererstattung 2021 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Bisheriger Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1*** (im Folgenden Bf.) ist ein deutsches Beratungsunternehmen.

Am reichte die Bf. einen Antrag auf Erstattung von Vorsteuerbeträgen ein, in dem sie als Geschäftstätigkeit den Einzelhandel mit Kraftwagenteilen und -zubehör angab.

Die Bf. begehrte darin die Erstattung von Vorsteuer aus dem Erwerb von Reifen.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag ab, indem es den Erstattungsbetrag mit Null ansetzte. Begründend heißt es:

"Es handelt sich um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (im Abholfall). Eine Erstattung ist daher ausgeschlossen. Die Rechnung ist vom Rechnungsaussteller zu korrigieren."

Die Beschwerde vom begründete die Bf. wie folgt:

"Es handelt sich nicht um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung, weil unser Lieferant - ***1***, ***Adr1***, Österreich ( ATU12345678) bei Streckengeschäft die Ware direkt an unseren Kunden aus ***Adr2***, Österreich versandt hat. Da die Ware Österreich nicht verlassen hat, hat unser Lieferant aus gesetzlicher Lage (österreichisches Finanzgesetz) die Ware inkl. 20% MwSt. verrechnet ."

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde ab und erklärte, dass die Vorsteuern nicht erstattet werden könnten, weil die Bf. Umsätze in Österreich zu erklären habe.

Im Vorlageantrag vom beantragte die Bf, die Vorsteuern aufgrund "Sonderregelung, Kapitel 6 Abschnitt 3. der Richtlinie 2006/112/EG" zu erstatten. Zum Sachverhalt heißt es:

"Wir haben die Reifen von österreichischer Lieferanten gekauft (siehe Anlage: Rechnung AR214-00278)und dann an Endkunden in Österreich (Streckgeschäft) verkauft. Weil wir im Jahr 2021 dieLieferschwelle nicht überschritten haben, haben wir dem Kunden eine Rechnung mit 19% deutschenMwSt. geschrieben (siehe Anlage: Rechnung Nr. 20210311001) und die MwSt. bei Finanzamt, Deutschland erklärt."

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Die deutsche Bf. hat laut aktenkundiger Eingangsrechnung am Reifen bei der Firma ***1*** um 864 Euro netto gekauft. Der Lieferant hat laut Vermerk auf der Rechnung deshalb österreichische MwSt iHv verrechnet, weil die Lieferung nicht nach Deutschland, sondern nach Österreich ging.

Laut ebenfalls aktenkundiger Ausgangsrechnung wurden Herrn ***2***, ***Adr2***, Österreich am Reifen um 1.042,79 Euro netto verkauft. Die Bf. hat dafür 19% (deutsche) MwSt verrechnet.

Laut Lieferschein vom hat die Firma ***1*** die Reifen direkt an Herrn ***2***, ***Adr2*** übergeben. Das entspricht den Angaben der Bf, die erklärt, dass ein "Streckengeschäft" (der in Österreich übliche Begriff ist "Reihengeschäft") verwirklicht wurde.

2. Rechtslage

§ 3 UStG 1994 idF BGBl 103/2019 (gültig am ) lautet auszugsweise:

(7) Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.

(8) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter.

(15)

1. Bei Reihengeschäften wird die Beförderung oder Versendung folgender Lieferung zugeordnet:

a) der Lieferung durch den ersten Lieferer in der Reihe, wenn er die Gegenstände befördert oder versendet;

b) der Lieferung durch den Zwischenhändler, wenn er seinem Lieferer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt hat, die ihm vom Mitgliedstaat, aus dem die Gegenstände befördert oder versandt werden, erteilt wurde;

c) der Lieferung an den Zwischenhändler, wenn kein Fall der lit. b vorliegt;

d) der Lieferung an den letzten Abnehmer (Empfänger), wenn er die Gegenstände befördert oder versendet.

2. Bei Anwendung von Abs. 3a wird die Beförderung oder Versendung abweichend von Z 1 der Lieferung durch den Unternehmer gemäß Abs. 3a Z 1 bzw. 2 zugeordnet.

3. Lieferungen in der Reihe vor der Lieferung, der die Beförderung oder Versendung zugeordnet wird, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung beginnt.

4. Lieferungen in der Reihe nach der Lieferung, der die Beförderung oder Versendung zugeordnet wird, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet.

5. Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn dieselben Gegenstände nacheinander geliefert werden und diese Gegenstände unmittelbar vom ersten Lieferer bis zum letzten Abnehmer (Empfänger) in der Reihe befördert oder versandt werden.

6. Zwischenhändler ist ein Lieferer innerhalb der Reihe (mit Ausnahme des ersten Lieferers), der die Gegenstände befördert oder versendet.

Schaffung eines eigenen Verfahrens für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer, BGBl. Nr. 279/1995 idF BGBl. II Nr. 579/2020:

§ 1. (1) Die Erstattung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an nicht im Inland ansässige Unternehmer, das sind solche, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, ist abweichend von den §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 nach Maßgabe der §§ 2, 3 und 3a durchzuführen, wenn der Unternehmer im Erstattungszeitraum

1. keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 oder

2. nur steuerfreie Umsätze im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 oder

3. nur Umsätze, bei denen die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergeht (§ 19 Abs. 1 zweiter Unterabsatz UStG 1994) oder

4. im Inland nur Umsätze, die unter eine Sonderregelung gemäß § 25a, Art. 25a, § 25b UStG 1994 oder eine Regelung gemäß Art. 358 bis 369k der Richtlinie 2006/112/EG in einem anderen Mitgliedstaat fallen,

ausgeführt hat.

(2) Abs. 1 gilt nicht für Vorsteuerbeträge, die anderen als den in Abs. 1 bezeichneten Umsätzen im Inland zuzurechnen sind.

3. Rechtliche Beurteilung

Ein Reihengeschäft (vom Bf. als Streckengeschäft bezeichnet) liegt vor, wenn dieselben Gegenstände nacheinander geliefert werden und diese Gegenstände unmittelbar vom ersten Lieferer bis zum letzten Abnehmer (Empfänger) in der Reihe befördert oder versandt werden (§ 3 Abs 15 Z 5 UStG 1994 entspricht § 3 Abs 6a dt UStG: "Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft) … ").

Im Beschwerdefall wurde ein solches Reihengeschäft verwirklicht: Die Firma ***1*** hat der Bf. Reifen verkauft, die die Bf. an Herrn ***2*** weiterverkauft hat. Beide Geschäfte wurden dadurch erfüllt, dass die Firma ***1*** die Reifen direkt an Herrn ***2*** versendet hat.

Die Lieferung der Firma ***1*** gilt gemäß § 3 Abs 15 Z 1 lit a UStG 1994 als "bewegte Lieferung", die gemäß § 3 Abs 8 UStG 1994 dort ausgeführt wird, wo die Warenbewegung beginnt. Das ist im Beschwerdefall der Sitz der Firma ***1*** in Österreich.

Die Lieferung der Bf. an ihren Abnehmer, Herrn ***2***, gilt gemäß § 3a Abs 15 Z 4 UStG 1994 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet, weil es sich um eine Lieferungen in der Reihe handelt, die nach der Lieferung stattfindet, der die Beförderung oder Versendung zugeordnet wird. Die Lieferung endet bei Herrn ***2*** in Österreich.

Das entspricht auch der unionsrechtlich harmonisierten Rechtslage in Deutschland (§ 3 Abs 6a zweiter Satz und Abs 7 Z 2 dt UStG).

Der Lieferort kann im Beschwerdefall nicht im Ausland liegen, weil sich die Reifen laut Aktenlage während der Ausführung sämtlicher Geschäfte nur in Österreich befunden haben.

Damit hat die Bf. ex lege eine Lieferung in Österreich ausgeführt.

Ausländische Unternehmer, die Umsätze in Österreich erzielen, können ihre Vorsteuern gem. § 1 der Verordnung zur Schaffung eines eigenen Verfahrens für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer, BGBl. Nr. 279/1995 idF BGBl. II Nr. 579/2020 nicht im Erstattungsverfahren geltend machen.

Da die Bf. in Österreich Umsätze im Rahmen eines Reihengeschäftes erzielt hat, ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen. Die Beschwerde war daher - wie im Spruch ersichtlich - abzuweisen.

Der Vollständigkeit halber ist noch zu bemerken, dass der Antrag auf Inanspruchnahme der Sonderregelung für den Einfuhr-Versandhandel (§ 25b UStG 1994), auf den die Bf. den Vorlageantrag offenbar stützt, in Österreich gem. § 28 Abs. 47 Z 4 erst ab , also nach Ausführung des strittigen Umsatzes, möglich ist.
Im Beschwerdefall liegt jedoch ohnedies kein Einfuhr-Versandhandel vor, weil die Reifen nur innerhalb Österreichs versendet wurden.

4. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall war die eindeutige Rechtslage anzuwenden, weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100362.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at