Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.06.2022, RV/5101225/2019

Keine Haftung des Komplementärs gemäß § 12 BAO bei Erfüllung des Sanierungsplans der KG

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***1***, vertreten durch ***2***, ***3***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***4*** vom betreffend Haftung gemäß § 12 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt:

Nach den Eintragungen im Firmenbuch wurde die ***5*** KG, später geändert auf ***5*** GmbH & Co KG, mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet.

Unbeschränkt haftende Gesellschafterin der GmbH & Co KG (in der Folge: Primärschuldnerin) war die ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, in der Folge kurz: Bf).

Mit Beschluss des Landesgerichtes ***6*** vom wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet.

Der Sanierungsplan mit einer Quote von 20 % wurde angenommen und das Insolvenzverfahren mit Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung des Sanierungsplans mit Beschluss vom aufgehoben.

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt die Bf gemäß § 12 BAO für folgende aushaftende Abgabenschulden der Primärschuldnerin in Höhe von 27.913,04 € in Anspruch:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
08/2014
8.361,52
Lohnsteuer
2012
352,54
Lohnsteuer
2013
106,70
Lohnsteuer
4/2014
1.522,90
Lohnsteuer
5/2014
1.605,14
Lohnsteuer
6/2014
1.832,78
Lohnsteuer
7/2014
1.517,83
Dienstgeberbeitrag
2013
501,34
Dienstgeberbeitrag
3/2014
1.128,44
Dienstgeberbeitrag
4/2014
2.126,93
Dienstgeberbeitrag
5/2014
2.433,59
Dienstgeberbeitrag
6/2014
2.501,53
Dienstgeberbeitrag
7/2014
2.241,28
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2013
44,56
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
3/2014
186,41
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
4/2014
189,06
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
5/2014
216,32
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
6/2014
222,36
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
7/2014
199,22
Säumniszuschlag 1
2013
51,22
Säumniszuschlag 1
2014
571,37
Summe
27.913,04

In der Begründung verwies das Finanzamt eingangs auf die gesetzliche Bestimmung des § 12 BAO.

Der Umfang der Haftung richte sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Nach § 161 Abs. 1 UGB hafteten die Komplementäre bzw. die unbeschränkt haftenden Gesellschafter den Gläubigern für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Gesamtschuldner persönlich, unbeschränkt und unmittelbar.

Daraus folge, dass es bei der Haftung nach § 12 BAO nicht auf das Verschulden ankomme. Die Haftung nach § 12 BAO sei eine verschuldensunabhängige Haftung, welche rein auf der Stellung als Komplementär beruhe.

Die Bf sei seit im Firmenbuch eingetragene, unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Primärschuldnerin und somit verpflichtet, die Abgabenschulden aus deren Mittel zu bezahlen.

§ 12 BAO sei keine Ausfallshaftung. Durch § 12 BAO seien die handelsrechtlichen Regelungen über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Gesellschafter einer KG in das Abgabenrecht übertragen worden, sodass dem Abgabengläubiger die nach handelsrechtlichen Maßstäben zu beurteilenden Gläubigerrechte ebenso offen stünden wie dem Zivilgläubiger.

Die abgabenrechtliche Haftung setze nicht voraus, dass der Anspruch gegenüber der Gesellschaft bereits geltend gemacht worden sei, wohl aber das Entstehen der Abgabenschuld im Sinne des § 4 BAO.

Über das Vermögen der Primärschuldnerin sei das Insolvenzverfahren eröffnet und die Quote von 20 % bei den im Haftungsbescheid angeführten Abgaben bereits abgezogen worden.

Dem Haftungsbescheid legte das Finanzamt die im Bescheid näher bezeichneten Bescheide bei.

In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde beantragte die Bf durch ihre steuerliche Vertretung, den angefochtenen Haftungsbescheid zur Gänze aufzuheben. Sie stellte den bisherigen Verfahrensablauf dar und wandte sich dagegen, dass der Haftungsbescheid teilweise andere Abgaben bzw. andere Zeiträume sowie andere Beträge als jene in der Aufforderung zur Erbringung des Nachweises der Gläubigergleichbehandlung umfasse.

Die Bf nannte die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Vertreterhaftung gemäß § 9 BAO und führte weiter aus, dass die Gläubigergleichbehandlung nachgewiesen worden sei.

Die Umsatzsteuervorauszahlung 8/2014 sei am fällig gewesen, somit zu einem Zeitpunkt, als das Sanierungsverfahren bereits eröffnet gewesen und die Vertretung beim Insolvenzverwalter gelegen gewesen sei.

Die Löhne für 7/2014 seien nicht mehr ausbezahlt worden, sodass auch keine Lohnsteuer abzuführen gewesen sei.

Die Haftung sei daher für die Umsatzsteuer 8/2014, Lohnsteuer 7/2014, DB 3/2014 - 7/2014, Zuschlag zum DB 3/2014 - 7/2014 und die Säumniszuschläge keinesfalls gegeben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und verwies auf die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 12 BAO, 4 Abs. 1 Erwerbsgesellschaftsgesetz sowie 161 Abs. 2 und 128 HGB.

Auch die persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditerwerbsgesellschaft (§§ 4 EGG iVm 128 und 161 HGB) hafteten aufgrund dieser Gesetzesbestimmung den Gläubigern der Gesellschaft als Gesamtschuldner persönlich, unmittelbar und unbeschränkt.

Mit § 12 BAO seien die handelsrechtlichen Regelungen über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Gesellschaftern einer OHG, OEG, KG und KEG in das Abgabenrecht transformiert worden. Die Gesellschafter der genannten Gesellschaften seien daher vom Haftungstatbestand des § 12 BAO erfasst. Dabei komme es allein auf die förmliche Gesellschafterstellung, also auf die nach Gesellschaftsrecht zu beurteilende Rechtsposition, an.

Entgegen der Beschwerde handle es sich bei der Haftung gemäß § 12 BAO (im Gegensatz zur Haftung gemäß §§ 9, 80 BAO) nicht um eine verschuldensabhängige Ausfallshaftung. Der Komplementär hafte primär und allein aufgrund seiner Gesellschafterstellung, weshalb ein Verschulden an der Nichtentrichtung der verfahrensgegenständlichen Abgabenschulden bzw. an deren Ausfall, da nicht tatbestandsrelevant, nicht zu überprüfen sei (vgl. BFG RV/7101458/2016).

Komplementäre einer KG hafteten unmittelbar, primär, unbeschränkt und unbeschränkbar, persönlich und solidarisch (Ritz, BAO5, § 12 Tz 3). Dabei komme es allein auf die förmliche Gesellschafterstellung und nicht auf ein Verschulden an ().

Mit Schreiben vom stellte die Bf innerhalb bewilligter Fristverlängerung einen Vorlageantrag und einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Ergänzend zur Beschwerde werde vorgebracht, dass das Sanierungsverfahren aufgehoben und die operative Tätigkeit der Primärschuldnerin fortgesetzt worden sei. Im Zuge des Sanierungsverfahren sei eine Quote von 20 % vereinbart worden, welche immer fristgerecht an die Gläubiger überwiesen worden sei. Die Bf verfüge über kein nennenswertes Vermögen, sie diene als Geschäftsführungs-GmbH der Primärschuldnerin.

Im Sanierungsverfahren hätten weder der Masseverwalter noch die Insolvenzgläubiger Forderungen an die Bf gestellt - alleine das Finanzamt erhebe nach mehr als vier Jahren Forderungen gemäß § 12 BAO zur Eintreibung des Forderungsfehlbetrages von 80 % auf die Quote.

Aus dem Blickwinkel der Billigkeit im Sinne der BAO sei der Abgabenanspruch zeitnah geltend zu machen. Im Zeitpunkt der Insolvenz hätte die Inanspruchnahme der Bf als Gesamtschuldnerin der Primärschuldnerin unausweichlich zur Insolvenz der Bf geführt.

Durch das erfolgreiche Sanierungsverfahren sei die Primärschuldnerin so weit saniert, dass der Geschäftsbetrieb die anstehenden Zahlungen wie Löhne, Betriebsmittel und Abgaben fristgerecht überweisen könne. Da es sich bei der Bf um die Geschäftsführungs-GmbH handle, sei deren Vermögensstand nicht auf jenen eines operativen Unternehmens ausgerichtet; die Zahlung der im Haftungsbescheid geforderten Summe wäre von der Primärschuldnerin zu tragen. Die Zweckmäßigkeit des Sanierungsverfahrens vom September 2014 wäre damit in Frage zu stellen.

Die Betrachtung der o.a. Ausführungen zeige, dass die zwei Komponenten des Ermessens, Billigkeit und Zweckmäßigkeit, dazu führen müssten, den Haftungsbescheid aufzuheben.

Im - nach § 265 Abs. 4 BAO auch der Bf zugestellten - Vorlagebericht hielt die Finanzamtsvertreterin in ihrer Stellungnahme u.a. fest, dass aufgrund des abgeschlossenen Sanierungsverfahrens § 164 Abs. 2 IO zu berücksichtigen sei. Die Restschuldbefreiung des § 164 Abs. 2 IO komme auch dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft zugute (). Der Haftungsbescheid sei daher zu Unrecht erlassen worden.

Mit Eingabe vom nahm die Bf durch ihre steuerliche Vertretung den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.

Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Unterlagen.

Rechtslage:

Nach § 12 BAO haften die Gesellschafter von als solche abgabepflichtigen und nach bürgerlichem Recht voll oder teilweise rechtsfähigen Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit persönlich für die Abgabenschulden der Personenvereinigung. Der Umfang ihrer Haftung richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

Zur unbeschränkten Haftung der Gesellschafter sieht § 128 Unternehmensgesetzbuch (UGB) vor, dass die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner unbeschränkt haften. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.

Diese Haftung trifft demnach Gesellschafter einer OG und Komplementäre einer KG. Der Umfang der Haftung richtet sich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes. Der Komplementär einer KG haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unmittelbar, primär, unbeschränkt, unbeschränkbar, persönlich und solidarisch (Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), § 12 Rz 3).

Zu den Rechtswirkungen des Sanierungsplans normiert § 156 Abs. 1 IO, dass durch den rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan der Schuldner von der Verbindlichkeit befreit wird, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen, gleichviel, ob sie am Insolvenzverfahren oder an der Abstimmung über den Sanierungsplan teilgenommen oder gegen den Sanierungsplan gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt nicht gewährt worden ist.

§ 164 Insolvenzordnung (IO) lautet:

Abs. 1: Ist der Schuldner eine eingetragene Personengesellschaft oder eine Verlassenschaft, so kann der Sanierungsplan nur mit Zustimmung sämtlicher unbeschränkt haftenden Gesellschafter oder sämtlicher Erben geschlossen werden.

Abs. 2: Die Rechtswirkungen des Sanierungsplans kommen, soweit im Sanierungsplan nichts anderes bestimmt ist, einem jeden solchen Gesellschafter oder Erben gegenüber den Gesellschaftsgläubigern oder Erbschaftsgläubigern zustatten.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () wird durch § 164 Abs. 2 IO die Haftung des Gesellschafters einer eingetragenen Personengesellschaft durch Erfüllung des Sanierungsplans der Gesellschaft überhaupt aufgehoben. Die Rechtswirkungen des Sanierungsplans kommen, wenn darin nichts anderes bestimmt ist, einem jeden Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern zugute. Das bedeutet, dass zunächst der von einem Insolvenzverfahren über sein Privatvermögen nicht betroffene unbeschränkt haftende Gesellschafter die Rechtswirkungen des Sanierungsplans für sich in Anspruch nehmen kann. Wird die Forderung des Gesellschaftsgläubigers durch rechtzeitige Erfüllung des Sanierungsplans getilgt, bleibt dem Gesellschaftsgläubiger keine Möglichkeit, auf § 128 UGB zurückzugreifen und für seinen Forderungsausfall den Gesellschafter heranzuziehen. § 164 Abs. 2 IO nimmt somit den Gläubigern einer eingetragenen Personengesellschaft die Möglichkeit, für ihren Forderungsausfall auf die Haftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gemäß § 128 UGB zu greifen.

Erwägungen:

Aufgrund der oben dargestellten Rechtslage war der Rechtsansicht des Finanzamtes zuzustimmen, der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Haftungsbescheid aufzuheben.

Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im vorliegenden Fall relevante Rechtsfrage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der die gegenständliche Entscheidung nicht abweicht, geklärt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist somit nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 12 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5101225.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at