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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.03.2022, RV/5100443/2021

Antrag auf Wiederaufnahme nach VwGH-Erkenntnis - keine neue Tatsache

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike Stephan in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals Finanzamt Braunau Ried Schärding) vom betreffend Abweisung der Wiederaufnahmeanträge betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015, 2016, 2017 und 2018 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Am langte ein Schreiben des Beschwerdeführers (Bf.) bei der belangten Behörde ein, in welchem er ausführte, er rege die Wiederaufnahme der Verfahren gem. den Bestimmungen der BAO betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 - 2018 an. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom Dezember 2019 nun eindeutig festgelegt, wie die Tagesgelder für Frontex-Auslandseinsätze steuerlich zu behandeln seien.

Der Bf. lege seinem Wiederaufnahmeverfahren für die Neuberechnung der Steuern 2015 - 2018 den Spruch des und die Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes vom bei.

Aufgrund dieser Erkenntnisse, wonach Zahlungen der Frontex-Agentur unter die Befreiungsbestimmungen des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG fallen würden, ersuche er um Aufhebung und Neuberechnung der Einkommensteuer für die betreffenden Jahre.

Mit Bescheiden jeweils vom wurden die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, der Bf. stütze sich in seinen Anträgen auf eine Entscheidung des VwGH (Ro 2018/13/0008). Im Sinne der angeführten Judikatur seien jedoch keine neuen Tatsachen hervorgekommen, weshalb die Anträge abzuweisen gewesen seien.

Hiergegen wurden am Beschwerden eingebracht. In diesen wurde ausgeführt, dass der Bf. Polizeibeamter sei, und seit dem Jahr 2007 mehrere Monate im Jahr auf Auslandseinsätze für die europäische Grenzschutzagentur Frontex entsandt werde. Seitens des Dienstgebers des Bf., dem BMI, seien Entgelte aus diesen Einsätzen rechtswidrig besteuert worden (2015: € 9.670,20; 2016: € 11.350,00; 2017: 9.537,00; 2018: € 9.537,00). Mit Erkenntnis vom habe das Bundesfinanzgericht nunmehr unter der GZ. 7100133/2020 eine solche Vorgangsweise als rechtswidrig erkannt. Der Bf. ersuche daher um Neufestsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2015 - 2018 unter Zugrundelegung der jeweils angeführten Beträge. Weiters könne er die seitens der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, wonach das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts keine ausreichende Begründung zur Wiederaufnahme des Verfahrens sei, nicht nachvollziehen, zumal andere Finanzämter in genau dieser Angelegenheit bereits Rückzahlungen getätigt hätten.

Am wurden die Beschwerden seitens der Abgabenbehörde als unbegründet abgewiesen, da keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien.

Hiergegen wurde mit Schreiben vom der Antrag auf Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht gestellt. Begründend wurde ausgeführt, der Dienstgeber sei spätestens 2012 auf die rechtswidrige Vorgangsweise der Versteuerung von Frontex- Geldern hingewiesen worden. Mit Erkenntnis vom März 2020 sei diese Rechtsansicht bestätigt worden. Daher fordere er die Rückzahlung der rechtswidrig einbehaltenen Geldsummen für die Jahre 2015 - 2018.

Mit Vorlagebericht vom wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob die Entscheidung des VwGH zu Ro 2018/13/0008 bzw. das Erkenntnis des ) neue Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO darstellen, aufgrund derer die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 - 2018 wiederaufgenommen werden können.

Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht ist bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Der Beschwerdeführer bezog in den Jahren 2015 bis 2018 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Bundesbediensteter (Polizeibeamter). In den verfahrensgegenständlichen Jahren wurde der Bf. mehrmals zu Auslandseinsätzen für Frontex entsandt. Im Rahmen der Entsendung wurden Taggelder ausbezahlt, welche vom Dienstgeber (der damaligen Erlassmeinung des BMF folgend) zum Teil steuerfrei und zum Teil steuerpflichtig behandelt wurden.

Die Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2018 wurde rechtskräftig veranlagt.

Am langten die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 bis 2018 ein. Begründet wurden die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren mit dem Verweis auf das Erkenntnis des zu Ro 2018/13/0008, in welchem der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst entschied, dass die Besteuerung der von Frontex ausbezahlten Taggelder zu Unrecht erfolgt sei.

Die belangte Behörde erließ diesbezüglich abweisende Bescheide jeweils vom . Die hiergegen eingebrachten Beschwerden vom wurden mit Beschwerde-vorentscheidungen vom als unbegründet abgewiesen.

Der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerden durch das Bundesfinanzgericht langte am bei der belangten Behörde ein.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie dem Parteienvorbringen und ist - soweit entscheidungsrelevant - unbestritten.

Die Abgabenbehörde hat das als "Anregung um Wiederaufnahme des Verfahrens" bezeichnete Schreiben vom als Anträge auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für 2015 - 2018 gewertet.

Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes (; , 2010/15/0195; , Ra 2020/13/0046; , Ra 2020/15/0047; , Ra 2020/13/0099).

Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (; , Ra 2019/15/0005; , Ra 2019/16/0073, 0074; , Ra 2018/16/0042; , Ra 2020/13/0046).

Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (; , Ra 2018/16/0102; , Ra 2018/15/0036; , Ra 2019/15/0005; , Ra 2019/16/0073, 0074; , Ra 2018/16/0042; , Ra 2020/13/0046).

Das gegenständliche Schreiben wurde vom Bf., einer unvertretenen und rechtsunkundigen Person, verfasst. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Einschreiter der Unterschied (auch hinsichtlich der Rechtsfolgen) zwischen einer "Anregung zur amtswegigen Wiederaufnahme", welche keiner Entscheidungspflicht unterliegt, und einem Antrag auf Wiederaufnahme als entscheidungspflichtiges Anbringen gemäß § 85 BAO, nicht bekannt war.

Unter Berücksichtigung dessen und aufgrund der Gesamtbetrachtung der gewählten Formulierung, gelangt die Richterin in freier Beweiswürdigung zu der Ansicht, dass das Schreiben vom als Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2015 - 2018 zu werten ist.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

Rechtskräftig abgeschlossene Verfahren können nach Maßgabe der Bundesabgabenordung nur unter ganz bestimmten, im Gesetz angeführten Voraussetzungen, wiederaufgenommen werden.

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen (vgl. , mwN). Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen ().

Es entspricht somit der ständigen Rechtsprechung zu § 303 Abs. 1 lit. b BAO, dass neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen durch Änderungen der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung, Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden und im Besonderen auch höchstgerichtliche Erkenntnisse keine "Tatsachen" im Sinne dieser Bestimmung sind (vgl. ).

In den verfahrensgegenständlichen Wiederaufnahmeanträgen für die Jahre 2015 - 2018 führte der Beschwerdeführer aus, dass der Verwaltungsgerichtshof sowie das Bundesfinanzgericht entschieden habe, wie Tagesgelder für Frontex-Auslandseinsätze steuerlich zu behandeln seien. Demnach würden Zahlungen der Frontex-Agentur unter die Befreiungsbestimmungen des § 3 Abs. 1 Z 8 EStG fallen.

Damit gründen sich die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren jedoch auf gerichtliche Entscheidungen, die einen im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide bekannten Sachverhalt nachträglich rechtlich anders beurteilen. Da somit nach ständiger Rechtsprechung keine neuen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO vorliegen, war den Beschwerden kein Erfolg beschieden (vgl. hierzu ; ; ; )

Abschließend ist hinsichtlich des Vorbringens des Bf., wonach andere Finanzämter in genau dieser Angelegenheit Rückzahlungen getätigt hätten, darauf hinzuweisen, dass der VwGH bereits festgehalten hat, dass auch eine allfällige rechtswidrige Anwendung des Gesetzes bei der Erlassung von Verwaltungsakten gegenüber anderen Betroffenen niemandem ein Recht auf diesbezügliche Gleichbehandlung ("im Unrecht") gibt (vgl. ).

Die Beschwerden waren aufgrund der obgenannten Ausführungen abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall - insbesondere im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung - nicht erfüllt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100443.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at