Antrag auf Wiederaufnahme zu einem Haftungsverfahren
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Vorsitzende ***R1***, den Richter***R2*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***L1*** und ***L2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***Steuerberatung***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ehemaligen Finanzamtes Wien 1/23, nunmehr Finanzamt Österreich vom betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO zur Haftungsinanspruchnahme für offene Abgabenschuldigkeiten der ***XY*** GmbH, Steuernummer 09-***111/1111***, nach der am durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Eingabe vom brachte die nunmehrige Beschwerdeführerin (in der Folge kurz Bf. genannt) einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO ein und führte aus:
"Die Einschreiterin beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens, zuletzt behandelt vom BFG zu RV/***1*** vom , über den Haftungsbescheid zu oa Steuernummer und begründet das wie folgt:
Begründung
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden wäre.
Im Wesentlichen wurde die Entscheidung im abgeschlossenen Verfahren aufgrund einer Verletzung, der ex lege gebotenen Sorgfalts- und Überwachungspflicht der Antragstellerin, getroffen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die (damalige) Beschwerdeführerin ihrer Pflicht zur Überwachung des Handlungsbevollmächtigten ***A.*** nicht in ausreichendem Ausmaß nachgekommen ist.
Durch die durch U-Haft überlagerte Strafhaft des ***A.***, die keinerlei Kommunikationsmöglichkeit mit dem ehemaligen Handlungsbevollmächtigten zuließ, sind nunmehr, durch die Aussage von ***A.*** Umstände neu hervorgekommen, die schon zum Zeitpunkt des Verfahrens bestanden haben, aber weder der Behörde noch der Antragstellerin bekannt waren.
Diese Tatsachen sind die mit dem Vorsatz, zumindest dolo eventuali, durch Abgabe falscher Vorsteueranträge über das finanzonline - System, die Firma ***XY*** bzw die Finanzverwaltung zu schädigen, von ***A.*** und ***B.*** durchgeführten Manipulationen, sohin zumindest ein Finanzvergehen. Dieses Finanzvergehen wurde in absichtlicher Täuschung der Geschäftsführerin von den beiden Protagonisten durchgeführt und kann ihr die Deliktsbegehung der beiden daher nicht als Pflichtverletzung angerechnet werden. Dies umso mehr deshalb, als die Einschreiterin niemals eine Genehmigung für den Finanzonline-Zugang erteilt hatte und der Annahme war, dass dieser nur von der beruflichen Parteienvertreterin (Steuerberater) genutzt wird. Da das Gros des Haftungsrückstandes in verrechneter Mehrwertsteuer besteht, wird auf das oa Vorbringen verwiesen. Überdies war ***A.*** im Innenverhältnis für die steuerlichen Belange im Sinne eines CFO zuständig und hat auch im Schreiben an die Finanzverwaltung die Haftung für den Zahlungsrückstand der ***XY*** übernommen. Durch die, von der Steuerberatungskanzlei durchgeführte Richtigstellung des Saldos des USt-Kontos, wegen mangelnder Möglichkeit der Geltendmachung einer ex lege USt-befreiten Firma von Vorsteuer, ist diese Tatsache, nämlich der kollusiven Vorgangsweise von ***A.*** und ***B.*** als Bestimmungstäter noch nicht aufgefallen.
Die Antragstellerin bittet daher um die vollinhaltliche Aufhebung, jedenfalls aber die Umsatzsteuer betreffend, des belangten Bescheids.
Beweis für das Vorbringen:
Zeugenschaftliche Einvernahme des ***A.***, pA JA Wr.Neustadt, Maximiliangasse 3, 2700 Wr. Neustadt.
Ermittlungen des Finanzamtes über die Erteilung eines finanzonline Zugangs.
Zeugenschaftliche Einvernahme einer informierten Vertreterin der zuständigen Steuerberatungskanzlei."
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Mit Bescheid vom wies das ehemalige Finanzamt Wien 1/23 den Antrag mit folgender Begründung ab:
"Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist dem Antrag Abgabepflichtiger auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Behauptung, dass infolge der durch U-Haft überlagerten Strafhaft des ***A.*** eine Kontaktaufnahme mit dem ehemaligen Handlungsbevollmächtigten nicht möglich gewesen war, wird durch keinerlei detaillierte Ausführungen oder Unterlagen nachgewiesen und kann daher nicht nachvollzogen werden, wäre im Übrigen jedoch aus folgenden Gründen ohnehin irrelevant:
Die neu vorgebrachten Behauptungen hätten zu keiner anderen Ermessensentscheidung geführt. Bereits im erfolglos bekämpften Haftungsbescheid wurde auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung in Bezug auf Pflichten von Geschäftsführern hingewiesen. Die Beschwerdevorentscheidung vom führte diese Rechtsprechung hierzu noch detaillierter aus. Maßgeblich für die Haftung war und ist, dass Ihrerseits Verschulden durch Unterlassung vorliegt. In einem Zeitraum von 18 Monaten haben Sie lt. eigenen Angaben nie aktiv Ihre Rolle wahrgenommen und haben willentlich und ohne Einspruch das Wirken von dritten Personen akzeptiert. Selbst der von Ihnen bevollmächtigte Steuerberater wurde augenscheinlich von Ihnen bezüglich dessen Tätigkeit nie hinterfragt bzw. wurde dieser nie um Auskunft bezüglich der Steuerangelegenheiten befragt. Ergänzend ist dazu zu bemerken, dass sich im selben Zeitraum Ihrer Geschäftsführer(un)tätigkeit drei Personen innerhalb kürzester Zeiträume der Berufung zum Geschäftsführer entzogen haben. Derartig kurzfristige Entscheidungen weisen darauf hin, dass diesen Personen (***C***, ***D.***, ***E.***) Unregelmäßigkeiten in der Firma bekannt wurden bzw. diese sich in ihrer Geschäftsführertätigkeit behindert sahen.
Sowohl die Einsetzung, als auch die Abberufung von Geschäftsführern kann nur unter Beschluss mit Unterschrift aller Gesellschafter erfolgen. Dass Ihnen diese Umstände nicht bekannt gewesen sein sollten, ist daher völlig ausgeschlossen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten Sie die Verpflichtung, die Umstände, die zu den Abberufungen geführt haben aktiv zu hinterfragen und dementsprechend zu reagieren.
Dass im Innenverhältnis Herr ***A.*** für steuerliche Belange zuständig gewesen wäre, wird zwar behauptet, aber nicht nachgewiesen. Aber gerade eine Übertragung der eigenen Pflichten auf eine dritte - gesetzlich nicht dazu berufene - Person erhöht die von Ihnen unterlassenen Überwachungs- und Prüfpflichten."
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In der dagegen mit Schriftsatz vom fristgerecht eingebrachten Beschwerde führte die Bf. aus:
"1. Im Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO wurde von der Antragstellerin zum Beweis für ihr Vorbringen zeugenschaftliche Einvernahmen beantragt. Überdies wurden die Umstände, nämlich die vorsätzliche Vorgangsweise von ***B.*** und ***A.*** klar dargestellt. Aktenwidrig wird sohin von der Behörde erster Instanz eine nicht nachvollziehbare Argumentation (völlig unverständlich, warum die Darstellung eines finanzstrafrechtlichen Deliktes zum Nachteil der bezughabenden Firma, nicht nachvollziehbar sein sollte) und ein Mangel an Urkundenbeweisen moniert, die aber hier durch - beweistechnisch gleichwertige - Zeugenaussagen (welche beantragt waren) zu bewerkstelligen gewesen wären.
2. Gemäß § 20 BAO sind bei Ermessensentscheidungen der Behörde die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten. Es herrscht nicht freies - sondern gebundenes Ermessen. Verblüffender Weise ermisst die Behörde aus dem mehrmaligen Wechsel der Geschäftsführer -ohne dafür irgendwelche Beweistatsachen vorzubringen Unregelmäßigkeiten und damit ein Verschulden der Antragstellerin. Dies ist reine Spekulation und steht der Behörde, weil es sich hier um kein gebundenes Ermessen sondern um reine Willkür handelt, nicht zu.
In Wahrheit waren die Geschäftsführerwechsel notwendig, weil aufgrund der Sondervorschriften für das Versicherungsvermittlergewerbe, ein Drittel der handelsrechtlichen Geschäftsführung die gleiche Ausbildung (Befähigungsnachweis) wie der gewerberechtliche Geschäftsführer haben musste. Weiters hat sich ein anderer Geschäftsführer von der Firma getrennt, weil er der Konkurrenzklausel entgehen wollte.
Im Übrigen ist die Übernahme des ***A.*** als CFO durch seine Zeugenaussage belegbar, Verträge die dies schriftlich belegen würden, können aufgrund der Konkurssituation und der Haft des ***A.*** nicht vorgelegt werden.
Überdies wurde die Antragstellerin von der Steuerberatungskanzlei dahingehend informiert, dass eine unecht Mehrwertsteuer befreite Firma, keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Das tatbildmäßige Vorgehen der Herren ***B.*** und ***A.*** haben sohin zu einer Täuschung über Tatsachen der Antragstellerin geführt, die ihr nicht als schuldhaftes Verhalten angerechnet werden können.
Es wird daher beantragt,
1) die vollinhaltliche Aufhebung des bekämpften Bescheids,
2) die Stattgebung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und führte dazu aus:
"Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Abweisungsbescheid des Finanzamtes zum Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin (Bf.) vom betreffend den Haftungsbescheid vom hinsichtlich der Haftungsinanspruchnahme nach §§ 9, 80 BAO der Bf. für offene Abgabenschuldigkeiten der ***XY*** GmbH.
Geltend gemacht wird der Wiederaufnahmsgrund des § 303 Abs. 1 lit. b BAO, dass "nunmehr, durch die Aussage von ***A.*** Umstände neu hervorgekommen sind, die schon zum Zeitpunkt des Verfahrens bestanden haben, aber weder der Behörde noch der Antragstellerin bekannt waren."
Strittig ist, ob der Antrag des Bf. auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Haftung wegen behaupteter neu hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel (Neuerungstatbestand im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO) mit dem gegenständlichen Bescheid zu Recht abgewiesen wurde.
Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren unter anderem dann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn "Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind [...] und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte."
Aus dem Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist (vgl. ). Umstände, die dem Antragsteller schon im abgeschlossenen Verfahren bekannt waren, reichen daher nicht aus (vgl. Papst, ÖStZ 2017, 49 ff, sowie Fuchs, ÖStZ 2017, 70)".
Bereits vor Ausstellung des Haftungsbescheides am ist der Antragstellerin die Tatsache bekannt gewesen, dass ***A.*** die Firma ***XY*** GmbH als faktischer Machthaber geführt hat. Das ergibt sich aus der Vorhaltebeantwortung vom , in der die Bf. Folgendes ausgeführt:
"Die eigentlichen Geschäfte hat aber mein Ehemann, ***A.***, geboren ***Datum1***, geführt. Ich habe von den Geschäften keine Ahnung gehabt. Das hat ***A.*** vor Gericht in div. Verfahren auch bestätigt (Verfahren Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ ***2***)."
"Ich habe Gelder der Gesellschaft nicht verwaltet, sodass mich ein Vorwurf einer Ungleichbehandlung von Gläubigern nicht treffen kann."
Mit dem Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag "Durch die U-Haft überlagerte Strafhaft des ***A.***, die keinerlei Kommunikationsmöglichkeit mit demehemaligen Handlungsbevollmächtigten zuließ, sind nunmehr, durch die Aussage von ***A.*** Umstände neuhervorgekommen, die schon zum Zeitpunkt des Verfahrens bestanden haben, aber weder der Behörde noch derAntragstellerin bekannt waren.Diese Tatsachen sind die mit dem Vorsatz, zumindest dolo eventuali, durch Abgabe falscher Vorsteueranträge über dasfinanzonline - System, die Firma ***XY*** bzw. die Finanzverwaltung zu schädigen, von ***A.*** und ***B.*** durchgeführten Manipulationen, sohin zumindest ein Finanzvergehen. Dieses Finanzvergehen wurde inabsichtlicher Täuschung der Geschäftsführerin von den beiden Protagonisten durchgeführt und kann ihr dieDeliktsbegehung der beiden daher nicht als Pflichtverletzung angerechnet werden." wird keine neue Tatsache mitgeteilt und auch kein neues Beweismittel geliefert, welche/welches die Anlastung einer schuldhaften Verletzung der Geschäftsführerpflichten durch die Bf. nicht (mehr) rechtfertigen würden.
Die Bf. hatte im Zeitraum von bis als selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin alle abgabenrechtlichen Pflichten der ***XY*** GmbH zu erfüllen oder ihre Funktion unverzüglich niederzulegen. Weder das eine noch das andere hat die Bf. getan; sie muss daher die haftungsrechtlichen Konsequenzen tragen. Darauf hat das Finanzamt bereits in der mit datierten Beschwerdevorentscheidung hingewiesen.
Ebenso hatte die Bf. als Geschäftsführerin durchgehend die Aufgabe die Kontostände des Abgabenkontos der von ihr vertretenen Gesellschaft einzusehen. Auf dem Konto der ***XY*** GmbH wurden im Zeitraum von bis Umsatzsteuergutschriften in Höhe von insges. 48.642,28 Euro verbucht. Die Geltendmachung dieser Gutschriften erfolgte zu Unrecht. Auf Grund dieser Gutschriften wurden im erwähnten Zeitraum Rückzahlungen in Höhe von ges. 37.406,15 Euro beantragt und durchgeführt. Die betreffenden Buchungen auf dem Abgabenkonto stellen sich wie folgt dar:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Buchungstag | Abgabe | Zeitraum | Betrag |
Umsatzsteuer | 12/13 | -800,00 | |
Umsatzsteuer | 10/13 | -833,33 | |
Umsatzsteuer | 01/14 | -2.400,00 | |
Umsatzsteuer | 02/14 | -543,58 | |
Rückzahlung | 4.500,00 | ||
Umsatzsteuer | 03/14 | -3.377,28 | |
Rückzahlung | 3.370,00 | ||
Umsatzsteuer | 04/14 | -6.220,61 | |
Rückzahlung | 4.980,00 | ||
Umsatzsteuer | 05/14 | -4.417,17 | |
Rückzahlung | 4.400,00 | ||
Umsatzsteuer | 06/14 | -3.273,05 | |
Rückzahlung | 3.290,00 | ||
Umsatzsteuer | 07/14 | -5.505,08 | |
Rückzahlung | 5.500,00 | ||
Umsatzsteuer | 08/14 | -4.680,00 | |
Rückzahlung | 4.000,00 | ||
Umsatzsteuer | 09/14 | -5.702,60 | |
Rückzahlung | 2.246,15 | ||
Umsatzsteuer | 10/14 | -5.124,28 | |
Rückzahlung | 5.120,00 | ||
Umsatzsteuer | 11/14 | -5.765,30 |
Die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis dieser Malversationen stellt ein der Bf. zurechenbares Verschulden dar. Dieses Verschulden war kausal für die spätere Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuern. Die Zeugeneinvernahme des ***A.*** ist in keiner Weise geeignet, die Bf. vom Vorwurf des Verschuldens, das in der Nichterfüllung der ihr als gesetzliche Vertreterin auferlegten Pflichten zu sehen ist, zu exkulpieren.
Da somit die Kenntnis der im Wiederaufnahmeantrag ins Treffen geführten neuen Beweismittel allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens keinen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte, wies das Finanzamt den Antrag zu Recht ab, da es an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die beantragte Wiederaufnahme fehlte.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
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Dagegen wurde durch die nunmehrige steuerliche Vertreterin der Bf. am ein Vorlageantrag eingebracht und die Durchführung einer mündlichen Senatsverhandlung beantragt. Weitere Vorbringen wurden nicht erstattet.
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In der am durchgeführten mündlichen Senatsverhandlung wurde vorgebracht:
"Die Bf. war zwar im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen, faktischer Geschäftsführer war jedoch stets ihr Gatte. Sie hat sich zwar um die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen angenommen, wusste jedoch nicht, dass diese im Jahr 2014 keine richtigen Daten ausgewiesen haben. Sie wurde zunächst 2019 im Haftungsverfahren aufgefordert einen Gleichbehandlungsnachweis zu erbringen, dies war ihr jedoch, da sie keine Unterlagen mehr hatte, nicht möglich. Wegen nicht Abgabe der Jahreserklärung für das Jahr 2014 ist eine Schätzung mit Null erfolgt. Die Bf. ist jedoch bereits vor dem Eintritt der Erklärungsfrist mit als Gf. ausgeschieden.
Zwischenzeitig hat es auch ein Haftungsverfahren mit einem Rechtsmittelverfahren bei Herrn ***F.*** gegeben, der die tatsächlich im Zeitraum 2014 angefallenen Zahllasten bekannt gegeben hat. In der Folge wurde seine Haftungsinanspruchnahme auf lohnabhängige Abgaben eingeschränkt und ist zur USt 2014 eine teilweise Stattgabe erfolgt.
V: Wann haben Sie von diesem Erkenntnis erfahren? Der Vorlageantrag in Ihrem Haftungsverfahren wurde mit Beschluss vom als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.
Bf.: Ich weiß es nicht mehr genau.
Vertr.: Wir haben dies jetzt erst im Zuge der Vorbereitung auf die Verhandlung ausgehoben.
Vertr: Die Bf. ist erst im August 2014 aus der Ukraine nach Österreich gekommen. Ihr Gatte konnte wegen seiner Vorstrafen nicht mehr als handelsrechtlicher Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen werden. Nur auf diesen Umstand ist der häufige Geschäftsführerwechsel zurückzuführen. Herr ***A.*** hat ein ganzes Netzwerk aufgebaut, das ermöglicht hat zu verhindern, dass die Bf. Kenntnisse über den tatsächlichen Geschäftsbetrieb hätte erlangen können. Es war ein klassisches Familienleben-Prinzip vorgesehen, dass Sie sich eben ausschließlich um den Haushalt und Kinder kümmern sollte.
V: Sie wurden bereits am als Gf. eingetragen. Wissen Sie was ein handelsrechtlicher Geschäftsführer ist? Waren Sie damals bereits verheiratet?
Bf.: Es war geplant, dass mit der Gesellschaft in der Ukraine Versicherungen verkauft werden sollten. Zum Zeitpunkt meiner Eintragung als Geschäftsführerin war ich noch in einer Lebensgemeinschaft mit dem Bf. Ich bin erst im August 2014 nach Österreich gekommen und wir haben auch im August 2014 geheiratet."
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Kurze Darstellung des Haftungsverfahrens
1.1. Haftungsvorhalt:
Am erging an die Bf. ein Haftungsvorhalt bezüglich folgender am Abgabenkonto der ***XY*** GmbH uneinbringlich aushaftenden Abgabenschuldigkeiten in Höhe von € 50.077,25
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart | Zeitraum | Fälligkeit | Betrag | lt. Bescheid vom |
Umsatzsteuer | 2013 | 459,22 | ||
Lohnsteuer | 11/14 | 622,61 | Meldung | |
Lohnsteuer | 01/15 | 1.377,56 | ||
Lohnsteuer | 02/15 | 1.377,56 | ||
Dienstgeberbeitrag | 2014 | 41,65 | ||
Dienstgeberbeitrag | 11/14 | 335,81 | Meldung | |
Dienstgeberbeitrag | 01/15 | 373,16 | ||
Dienstgeberbeitrag | 02/15 | 352,80 | ||
Dienstgeberzuschlag | 2014 | 63,40 | ||
Dienstgeberzuschlag | 01/15 | 33,17 | ||
Dienstgeberzuschlag | 02/15 | 31,36 | ||
Umsatzsteuer | 2014 | 45.008,95 |
Beigelegt waren u.a. die Umsatzsteuerbescheide 2013 und 2014 vom und .
1.2. Stellungnahme:
In der Stellungnahme vom führte die Bf. im Wesentlichen aus, dass sie zwar formell eingetragene handelsrechtliche Geschäftsführerin bei der genannten Gesellschaft gewesen sei. Die eigentlichen Geschäfte habe aber ihr Ehemann, ***A.***, geführt. Die Bf. habe von den Geschäften keine Ahnung gehabt. Die Bf. habe die Gelder der Gesellschaft nicht verwaltet, der Vorwurf der Ungleichbehandlung könne sie daher nicht treffen. Sie bekämpfe auch die an die Gesellschaft ergangenen Grundlagenbescheide.
Das FA habe der Bf. eine Kopie des USt-Bescheids 2014 vom übermittelt. Aus diesem gehe hervor, dass USt-Gutschriften in der Höhe von EUR 45.008,95 offenkundig gestrichen worden. Eine Begründung dazu fehle. Die Bf. mache aus Vorsichtsgründen geltend, dass die Streichung derartiger USt-Gutschriften vom FA zu Unrecht vorgenommen worden sei.
1.3. Haftungsbescheid:
Mit Bescheid vom wurde die Bf. als Geschäftsführerin der ***XY*** GmbH als Haftungspflichtige gemäß §§ 9 und 80 BAO für aushaftende Abgabenrückstände der Gesellschaft in Höhe von € 50.077,25 in Anspruch genommen und aufgefordert, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
"1.) Die Umsatzsteuer 2013 wurde erklärungsgemäß veranlagt. Eine Bescheidbegründung ist bei einer erklärungsgemäß durchgeführten Veranlagung nicht erforderlich. Die Umsatzsteuer 2014 wurde wegen Nichtabgabe der Erklärung gemäß § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt. Dies ist, der im Bescheid enthaltenen Begründung zu entnehmen.
2.) Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wenn die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben ist der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit maßgebend, unabhängig davon,-ob und wann die Abgaben -bescheidmäßig festgesetzt werden. ()
3.) Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenvorschreibung sind im- Haftungsverfahren nicht zu erörtern. Gegenstand des Haftungsverfahrens ist einzig und allein die Frage, ob der Geschäftsführer zu Recht als Haftender für Abgaben der Gesellschaft herangezogen werden ist oder nicht. Gemäß § 248 erster Satz BAO steht es dem Haftungspflichtigen außerdem frei, innerhalb der Frist für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid auch gegen die an die Gesellschaft ergangenen und dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenbescheide zu berufen. ()
4.) Die eigentlichen Geschäfte hätte Ihr Gatte (Herr ***A.***, geboren am ***Datum1***) geführt, er hätte somit die volle Verfügungsmacht gehabt und somit auch die volle Geschäftsführung ausgeübt. Dies sei auch in einem Finanzstrafverfahren bestätigt werden.
Die ständige Rechtsprechung des VwGH hält dem aber entgegen, dass, wer sich eine Hinderung an der Erfüllung seiner Obliegenheiten gefallen lässt, auch die Folgen seiner Willfährigkeit zu tragen hat. Der Geschäftsführer hat ohne familiäre Rücksichten seine abgabenrechtlichen Pflichten zu erfüllen oder seine Funktion niederzulegen. Hat er dies nicht getan, dann muss er die vollen Konsequenzen tragen ().
Ein Geschäftsführer; der sich in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch die Gesellschafter oder sonstige dritte Personen behindert sieht, hat entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der ungehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder diese niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden. Gerade die Untätigkeit eines Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft trotz gegebener Geschäftsführer-Funktion stellt das Verschulden an der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeit dar ().
Der Geschäftsführer ist von seiner Verantwortung zur Entrichtung der Abgaben nicht deshalb befreit, weil die Geschäftsführung - sei es aufgrund eines eigenen Willensbeschlusses des Geschäftsführers, sei es über Weisung von Gesellschaftern, sei es aufgrund einer sonstigen Einflussnahme wirtschaftlich die Gesellschaft beherrschender Personen - faktisch anderen Personen zusteht, wenn er sich gegen die Beschränkung seiner Geschäftsführung oder zumindest seiner Aufsicht und Kontrollaufgaben in Bezug auf die Entrichtung der Abgaben nicht durch entsprechende gerichtliche Schritte zur Wehr setzt oder von seiner Geschäftsführerfunktion zurücktritt ().
1.4. Beschwerde
Dagegen brachte die Bf. mit Schriftsatz vom , der dem Finanzamt am persönlich überreicht wurde eine Beschwerde ein. Die Begründung ist im Wesentlichen eine Wiederholung der Stellungnahme vom .
1.5. Beschwerdevorentscheidung
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Im Wesentlichen wurde zusammenfassend ausgeführt, dass das Vorbringen, die eigentlichen Geschäfte habe Herr ***A.*** geführt, nichts an ihrer Stellung als Organwalterin und am Bestand der sie nach § 80 BAO treffenden Pflichten ändere. Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter auf die Geschäftsführung komme es nach der hg. Rsp. (vgl. , ÖStZB 2010/465, mwN) nicht an. Dies treffe auch zu, wenn ein handelsrechtlicher Geschäftsführer erst ab einem bestimmten Zeitpunkt "nur mehr am Papier" als Geschäftsführer aufscheine, hingegen ein anderer die faktische Geschäftsführung wahrnehme. Das Einverständnis, nur mehr formell oder nur auf dem Papier als Geschäftsführer zu fungieren, somit auf die tatsächliche Geschäftsführung keinen Einfluss zu nehmen, befreie nicht von der Verantwortung hinsichtlich der Erfüllung der mit der Übernahme der handelsrechtlichen Geschäftsführung verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen. In einem solchen Einverständnis sei auch keine Aufgaben-(Zuständigkeits-)verteilung zu sehen, welche Abgabenangelegenheiten vom Aufgabenbereich der Bf. ausgeschlossen hätte (vgl. ).
1.6.Vorlageantrag:
Der diesbezüglich eingebrachte Vorlageantrag wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/***1***, als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.
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Zusammenfassung der von der Bf. vorgebrachten Wiederaufnahmsgründe:
- Mit den dem nunmehr rechtskräftigen Haftungsbescheid vom zugrundeliegenden Umsatzsteuerbescheiden für das Jahr 2013 und 2014 würden die geltend gemachten Vorsteuern rückgefordert.
- Zwischenzeitig habe es auch ein Haftungsverfahren mit einem Rechtsmittelverfahren bei Herrn ***F.*** gegeben, der die tatsächlich im Zeitraum 2014 angefallenen Zahllasten bekannt gegeben hat. In der Folge sei seine Haftungsinanspruchnahme auf lohnabhängige Abgaben eingeschränkt worden, hinsichtlich der Umsatzsteuer 2014 sei der Beschwerde Folge geleistet worden.
- Der faktische Geschäftsführer der ***XY*** GmbH, ***A.***, sei in Haft, weshalb keine Kommunikationsmöglichkeit bestanden habe. Nunmehr habe er gegenüber der Bf. ausgesagt, dass er gemeinsam mit ***B.*** vorsätzlich durch Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen trotz des Umstandes, dass die Gesellschaft gemäß § 6 UStG unecht steuerbefreit sei, Vorsteuerbeträge geltend gemacht und auch lukriert habe.
- Dieses Vergehen sei in Täuschung der Geschäftsführerin (der Bf.) durchgeführt worden, eine Genehmigung für den Finanzonline-Zugang habe die Bf. nicht erteilt.
- Die Tat sei "durch die von der Steuerberatungskanzlei durchgeführte Richtigstellung des Saldos des USt-Kontos, wegen mangelnder Möglichkeit der Geltendmachung einer ex lege Ust-befreiten Firma von Vorsteuer" nicht aufgefallen.
- Die Bf. sei von der Steuerberatungskanzlei dahingehend informiert worden, dass eine unecht umsatzsteuerbefreite Firma keine Vorsteuern geltend machen könne. Das Vorgehen der genannten Personen habe sohin zu einer Täuschung über Tatsachen geführt, die der Bf. nicht als schuldhaftes Verhalten angelastet werden könnten.
- Im Innenverhältnis sei ***A.*** für die steuerlichen Belange im Sinne eines CFO zuständig gewesen.
Rechtsgrundlagen
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. , mwN).
Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ). Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ).
Rechtliche Würdigung - liegt ein Wiederaufnahmstatbestand vor?
Zutreffend ist, dass betreffend des weiteren Geschäftsführers ***F.***, der ebenfalls zur Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO u.a. für die Umsatzsteuer 2014 zur Haftung herangezogen wurde, mitterweile durch das Bundesfinanzgericht ein Erkenntnis ergangen ist ( RV/***3***) und der Beschwerde hinsichtlich der Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuer 2014 stattgegeben wurde, jedoch können Bescheide der Abgabenbehörde oder Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichtes, die nicht den Erstmitbeteiligten betreffen, jedenfalls keine Bindungswirkung für dieses Verfahren haben.
Diese Rechtsansicht steht nicht im Widerspruch mit dem Erkenntnis des , zumal diesem - kein mit dem vorliegenden Fall vergleichbarer Sachverhalt - zugrunde lag. Der Rechtssatz des VfGH zum genannten Erkenntnis lautet:
"Mit dem angefochtenen Bescheid wird der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für die Jahre 1975 bis 1977 abgewiesen.
Die Behörde hat den Zusammenhang zwischen den Rechnungsjahren 1974 und 1975 bis 1977 ignoriert: Die Rechtsansicht, die die Behörde im Jahr 1976 vertrat, führte für die Mitgesellschafter zu einem steuerlich wirksamen Verlust im Jahr 1974; die den Berufungsbescheid tragende Rechtsansicht führt dazu, daß dieser Verlust im Jahr 1974 verringert wurde. Dadurch, daß die belangte Behörde nunmehr für 1974 eine für die beschwerdeführende Gesellschaft ungünstigere Auffassung vertritt, es aber durch Versagung der Wiederaufnahme unterläßt, daß sich ihre geänderte Auffassung in den Folgejahren (korrespondierend dazu für die beschwerdeführende Gesellschaft entsprechend positiv) auswirkt, hat sie die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens einseitig, nämlich bloß zum Nachteil des Steuerpflichtigen angewendet (vgl. E v , B181/89).
Im Effekt bewirkt das Vorgehen der belangten Behörde, daß die beschwerdeführende Partei doppelt besteuert wird. Führt aber eine Änderung in der rechtlichen Qualifikation eines steuerlich relevanten Vorgangs zu einem solchen Treu und Glauben verletzenden Ergebnis, so verstößt dies - wie der Verfassungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall in VfSlg. 8725/1980 festgestellt hat - gegen den Gleichheitsgrundsatz (vgl. dazu etwa schon VfSlg. 6258/1970).
Der Behörde ist zuzugestehen, daß die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts für ein früheres Steuerjahr keine Vorfrage im technischen Sinn darstellt (vgl. die Judikaturhinweise bei Stoll, Handbuch, 1980, 275) und daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Änderung der rechtlichen Qualifikation eines Sachverhalts keine neue Tatsache iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO darstellt (vgl. Stoll, ebenda, 723 f.).
Dennoch ist § 303 Abs1 BAO einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich, die das oben geschilderte verfassungswidrige Ergebnis vermeidet:
Das dem Institut der Wiederaufnahme zugrundeliegende und dieses rechtfertigende Ziel ist es, ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen (VfGH E v , B70/87), und unter den Voraussetzungen des § 20 BAO dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen (Stoll, aaO 712). Es widerspräche diesen Grundsätzen der Wiederaufnahme und stellte einen unerklärlichen Wertungswiderspruch dar, wollte man annehmen, daß zwar die Tatsache, daß nachträglich über eine Vorfrage von einer anderen (hiefür zuständigen) Behörde anders entschieden wurde, einen Wiederaufnahmsgrund darstellt, nicht aber eine Entscheidung derselben Behörde für einen früheren Steuerzeitraum, die sich in der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts direkt auf einen (einen späteren Steuerzeitraum betreffenden) Bescheid auswirkt.
Die vorliegende Fallkonstellation ist daher gleich zu beurteilen wie das Neuhervorkommen von Tatsachen oder eine von der vorläufigen Beurteilung der Behörde abweichende Entscheidung der zuständigen Behörde über eine Vorfrage. Es hätte daher im vorliegenden Fall eine verfassungskonforme und gleichheitsgemäße Anwendung des §303 Abs1 BAO dazu führen müssen, dem Antrag der Partei auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben."
Sämtliche Bescheide bzw. Entscheidungen der damaligen Oberbehörde (FLD) waren an die dortige Beschwerdeführerin gerichtet, die im Ergebnis aufgrund der unterschiedlichen Beurteilung der Steuerzeiträume zu einer Doppelbesteuerung führten.
Dieses Erkenntnis des VwGH gibt keinen Hinweis darauf, dass Bescheide der Abgabenbehörde oder Erkenntnisse des BFG (früher Entscheidung der FLD), die nicht an den Beschwerdeführer gerichtet sind, somit an Dritte ergangen sind, einen Grund zur Wiederaufnahme darstellen oder gar den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen könnten.
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VwGH sind Voraussetzungen der Haftung im Abgabenverfahren eigenständig (auch hinsichtlich des Verschuldens) zu beurteilen (vgl. z.B. ), somit auch die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme.
Im Vordergrund steht das Vorbringen, es sei neu hervorgekommen, der faktische Geschäftsführer habe unter Täuschung der Bf. unrechtmäßig Vorsteuerbeträge geltend gemacht und diese auch lukriert.
Im Erkenntnis vom , 2009/16/0109 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt: "Auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten der mit den abgabenrechtlichen Pflichten betrauten Dritten besteht die Haftung des Vertreters im Falle von Verletzung von Auswahl- und Überwachungspflichten. Der Vertreter hat diese Dritten in solchen Abständen zu überwachen, die es ausschließen, dass ihm die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten, insbesondere die Verletzung abgabenrechtlicher Zahlungspflichten verborgen bleiben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2000/14/0106). Wäre es dem Beschwerdeführer aber trotz ordnungsgemäßer Überwachung aufgrund des betrügerischen Zusammenwirkens des faktischen Geschäftsführers mit anderen Vorstandsmitgliedern nicht möglich gewesen, die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten zu entdecken, dann könnte seine Pflichtverletzung nicht als ursächlich für den Abgabenausfall angesehen werden."
Zu prüfen ist daher, ob der Bf. die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten des faktischen Geschäftsführers hätte auffallen müssen.
Die Bf. war im Zeitraum bis Geschäftsführerin der ***XY*** GmbH.
Auf dem Abgabenkonto der Gesellschaft wurden in der Zeit von bis Umsatzsteuergutschriften in Höhe von insgesamt € 48.642,28 verbucht. Rückzahlungen in Höhe von € 37.406,15 wurden beantragt und durchgeführt. Die Buchungen stellen sich wie folgt dar:
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Buchungstag | Abgabe | Zeitraum | Betrag |
Umsatzsteuer | 12/13 | -800,00 | |
Umsatzsteuer | 10/13 | -833,33 | |
Umsatzsteuer | 01/14 | -2.400,00 | |
Umsatzsteuer | 02/14 | -543,58 | |
Rückzahlung | 4.500,00 | ||
Umsatzsteuer | 03/14 | -3.377,28 | |
Rückzahlung | 3.370,00 | ||
Umsatzsteuer | 04/14 | -6.220,61 | |
Rückzahlung | 4.980,00 | ||
Umsatzsteuer | 05/14 | -4.417,17 | |
Rückzahlung | 4.400,00 | ||
Umsatzsteuer | 06/14 | -3.273,05 | |
Rückzahlung | 3.290,00 | ||
Umsatzsteuer | 07/14 | -5.505,08 | |
Rückzahlung | 5.500,00 | ||
Umsatzsteuer | 08/14 | -4.680,00 | |
Rückzahlung | 4.000,00 | ||
Umsatzsteuer | 09/14 | -5.702,60 | |
Rückzahlung | 2.246,15 | ||
Umsatzsteuer | 10/14 | -5.124,28 | |
Rückzahlung | 5.120,00 | ||
Umsatzsteuer | 11/14 | -5.765,30 |
Die Bf. hätte gemäß der zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den faktischen Geschäftsführer in solchen Abständen überwachen müssen, die es ausschließen, dass ihr die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten, insbesondere die Verletzung abgabenrechtlicher Zahlungspflichten verborgen bleiben. Demzufolge hätte die Bf. schon zu prüfen gehabt, ob die Umsatzsteuervoranmeldungen ordnungsgemäß und richtig eingebracht wurden. Dies hat sie offenbar unterlassen. Weiters hätte ein Blick auf das Abgabenkonto ausgereicht, um festzustellen, dass ab Oktober 2013 bis November 2014 stets Gutschriften geltend gemacht wurden, deren Berechtigung zu prüfen gewesen wäre. Die Bf. hat kein Vorbringen erstattet, dass die Einsichtnahme in das Abgabenkonto unverschuldetermaßen nicht möglich gewesen wäre.
Dazu kommt noch, dass die von der Bf. vorgetragenen Umstände dem Finanzamt im damaligen Haftungsverfahren bereits bekannt waren, da ein Schreiben des faktischen Geschäftsführers vom (der Haftungsbescheid erging am ) mit folgendem Inhalt vorlag:
"Betreff: ***XY*** GmbH in Liquidation, 2013 und 2014
Sehr geehrte Damen und Herren!
Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich bei der o.a. Firma ***XY*** der faktische Geschäftsführer war. Meine Ehefrau, ***Bf1*** war tatsächlich niemals mit der Geschäftsführung betraut, sie war von mir - ohne ihr Wissen - vorgeschoben (gewerberechtliche und bonitätsbedingte Gründe).
Insbesondere wurde von mir in kollusiver Zusammenarbeit mit ***B.*** über Finanzonline überhöhte Mehrwertsteuerabrechnungen eingereicht und die sich daraus ergebenden Guthaben mit ***B.*** 50:50 aufgeteilt. (…)."
Unrichtig ist jedenfalls das Vorbringen, dass die Bf. ohne ihr Wissen vorgeschoben worden sei, vielmehr hat sie die Urkunde über die Errichtung eines Gesellschaftsvertrages vom mit dem sie zur Geschäftsführerin bestellt wurde, selbst unterschrieben. Dass ihr die Geschäftsführereigenschaft nicht bewusst gewesen sei, wurde von ihr weder im Haftungsverfahren noch im vorliegenden Wiederaufnahmsantrag behauptet.
Weiters langte beim Finanzamt am folgende mit datierte Eingabe des faktischen Geschäftsführers ein:
"Memorandum für Zahlungsrückstand bei Firma ***XY***
Sehr geehrte Damen und Herren!
Derzeit wird ein Verfahren gegen meine Ehefrau, ***Bf1***, wegen Rückständen die oa Firma betreffend, geführt. Meine Frau ist allerdings für die Entstehung der Rückstände nicht verantwortlich, da ich als de facto Geschäftsführer die Firma geleitet habe und meine Frau in keiner Weise involviert war. Sie ist daher auch verwaltungsstrafrechtlich jedenfalls nicht verantwortlich, da eine reine Eintragung in das Firmenbuch als Geschäftsführerin noch keine diesbezügliche Verantwortung begründen kann (nulla poena sine lege).
Hiermit erkläre ich, die Rückstände der Firma ***XY*** ab ratenweise zu begleichen und werde nach meiner Haftentlassung am ein begründetes Ratenansuchen mit einem Einkommensnachweis einreichen.
Überdies möchte ich darauf hinweisen, dass der von mir bevollmächtigte ***B.***, gegen den auch ein Verfahren beim LG Wien wegen Finanzstrafgesetz (Steuerbetrug wegen € 750.000,-) geführt wurde, für den größten Teil des Rückstandes verantwortlich ist. Sein Verfahren wurde im Jahre 2017 eingestellt, ich arbeite allerdings derzeit an einer Wiederaufnahme und habe mich zu diesem Zweck auch mit meinem Cousin, Herrn Sektionschef im BMF, ***G.*** und der Steuerfahndung in Verbindung gesetzt.
In diesem Kontext ersuche ich Sie höflichst von exekutiven Schritten gegen meine völlig unschuldige, schwer arbeitende Ehefrau, die zwei Kinder zu versorgen hat abzusehen und das Moratorium zu genehmigen.
Mit freundlichen Grüßen"
Anmerkung des BFG: Diese Eingabe langte am 5. November also noch vor Erlassung der Beschwerdevorentscheidung im Haftungsverfahren (das war der ) beim Finanzamt ein.
Diese Eingaben widerlegen die Behauptung der Bf., dass ihr erst nach Beendigung des Verfahrens die auf Abgabenhinterziehung gerichtete Vorgangsweise des faktischen Geschäftsführers bekannt geworden sei.
Dazu ist auf die Rechtsprechung des VwGH zu verweisen:
"Waren die Umstände im betreffenden Verfahren bekannt, so sind solche Umstände keine Wiederaufnahmsgründe, selbst, wenn die Behörde diese als unwesentlich gehalten hat ()."
Das Vorbringen, dass ***A.*** im Innenverhältnis für die steuerlichen Belange im Sinne eines CFO zuständig gewesen sei, stellt keinen Wiederaufnahmsgrund dar, da es sich, wie sich aus den angeführte Eingaben des ***A.*** an die Abgabenbehörde und dem Datum ihres Einlangens ergibt, nicht um neu hervorgekommene Tatsache handelt.
Davon abgesehen, hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan, dass das Einverständnis, nur mehr formell oder nur auf dem Papier als Geschäftsführer zu fungieren, somit auf die tatsächliche Geschäftsführung keinen Einfluss zu nehmen, nicht von der Verantwortung hinsichtlich der Erfüllung der mit der Übernahme der handelsrechtlichen Geschäftsführung verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen befreit. Als bestellter Geschäftsführer hat er alle abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen oder seine Funktion unverzüglich niederzulegen. Hat er dies nicht getan, dann muss er die haftungsrechtlichen Konsequenzen tragen (vgl. das. Erkenntnis vom , 2007/13/0024, mwN).
In einem solchen Einverständnis ist auch keine Aufgaben(Zuständigkeits)verteilung zu sehen, welche Abgabenangelegenheiten vom Aufgabenbereich des Beschwerdeführers ausgeschlossen hätte (vgl. ).
Die von der Bf. angeführten Gründe waren im Haftungsverfahren bekannt und wären auch sonst, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht geeignet.
Wenn die Bf. ausführt, dass sie nunmehr darüber informiert worden sei, dass die Firma unecht steuerbefreit gewesen sei, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da neue Erkenntnisse in Bezug auf die Beurteilung von Sachverhaltselementen keine Wiederaufnahmegründe darstellen (vgl. Ritz BAO6, § 303, Tz 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Gerade dieses Vorbringen beweist, dass die Bf. keinerlei Kontrolltätigkeit zu den Tätigkeiten des faktischen Geschäftsführers ausübte, sich in der Zeit ihrer Funktion als Geschäftsführerin nicht einmal über Grundsätzliches (ist ein Vorsteuerabzug zulässig?) bei fachkundigen Personen (Steuerberater, Finanzamt) erkundigt hat. Neue Erkenntnisse über die rechtliche Beurteilung aufgrund einer Nachholung einer solchen Unterlassung stellen keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnabgaben und der Umsatzsteuer 2013 wurde im Wiederaufnahmsantrag kein Wiederaufnahmegrund vorgebracht.
Die Beschwerde war daher mangels Vorliegens eines tauglichen Wiederaufnahmsgrundes als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, da das Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen im Einzelfall zu prüfen war. Weiters weicht die Entscheidung auch nicht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100188.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at