Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 17.05.2022, RV/3100253/2020

Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht bei Versicherungsleistungen aufgrund einer Berufsunfähigkeitsrente

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/3100253/2020-RS1
wie RV/3100010/2017-RS1
Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung stellen eine Gegenleistungsrente dar, bei der die Gegenleistung in Geld (Prämien/Beitragszahlungen) besteht. Die Steuerpflicht der Rentenzahlungen tritt ein, wenn die Rentenzahlungen die Summe der Versicherungsprämien/Beitragszahlungen übersteigen. Einer Berechnung der Gegenleistung unter sinngemäßer Anwendung von § 16 BewG 1955 steht der eindeutige Wortlaut von § 29 Abs. 1 EStG 1988 entgegen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende***Ri***, die Richterin***Ri***sowie die fachkundigen Laienrichter ***16*** und ***17*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***24***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2012 bis 2015 und Einkommensteuer 2012 bis 2015 sowie Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2017 gemäß § 299 BAO und Einkommensteuer 2017

I.) zu Recht erkannt:

1.) Die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2012 bis 2015 und Einkommensteuer 2012 bis 2015 werden als unbegründet abgewiesen. Die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2012 bis 2015 werden abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind den beigeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen; sie bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

2.) Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2017 gemäß § 299 BAO wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II.) den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 wird als gegenstandslos erklärt.

III.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.) Verfahrensgang:

1.) Die Beschwerdeführerin (Bf) ist in Österreich wohnhaft und unbeschränkt steuerpflichtig. Sie ist ***10*** und bezieht aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus ***19***.

Aufgrund einer Kontrollmitteilung erlangte die Abgabenbehörde davon Kenntnis, dass die Bf in Österreich bislang nicht erklärte ausländische Einkünfte bezogen hat, weshalb ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde.

Mit Eingabe vom teilte der steuerliche Vertreter mit, dass die Bf im Jahr 2011 schwer erkrankt sei, weshalb sie von der ***25*** Zahlungen erhalten habe. Da die Bf davon ausgegangen sei, dass dadurch die mit der schweren Erkrankung verbundenen Kosten und Erschwernisse pauschal abgegolten worden seien, würden diese in den österreichischen Steuererklärungen nicht aufscheinen. Eine Versteuerung in Deutschland sei ebenfalls nicht erfolgt. Die Versicherungsleistung für das Jahr 2016 sei erst im Jahr 2017 ausbezahlt worden. In einer Beilage zum Schriftsatz vom wurde die Berechnung der Rentenzahlungen dargestellt. Gleiches galt für die Auflistung der tatsächlich bezahlten Beträge für den Leistungszeitraum ( bis ).

2.) Mit Ausfertigungsdatum wurde der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 gemäß § 299 BAO aufgehoben und ein neuer Einkommensteuerbescheid erlassen. Ebenfalls mit Ausfertigungsdatum ergingen nach Wiederaufnahme der Verfahren (neue) Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2015. Begründend wurde ausgeführt, die Zahlungen der ***25*** seien als wiederkehrende Bezüge im Sinne des § 29 Z. 1 EStG 1988 zu versteuern.

3.) Gegen die genannten Bescheide wurde mit Eingabe vom fristgerecht Beschwerde erhoben und vorgebracht, die Zahlungen der ***25*** seien nur für den Zeitraum der Erkrankung/der Behinderung der Bf erfolgt. Die Vergütungen seien nur für den bestimmbaren Zeitraum der Erkrankung geleistet worden, weshalb ihnen der aleatorische Charakter fehle. Durch die Zahlungen sei im Wesentlichen der durch die Erkrankung verbundenen Mehraufwand abgedeckt worden. Es sei der Bf kein zusätzliches disponibles Einkommen zugeflossen. Es liege sohin kein steuerpflichtiges Einkommen vor.

Nach § 29 Z 1 EStG 1988 trete die Steuerpflicht von Rentenzahlungen erst dann ein, wenn die Leistung überstiegen werde. Bei Versicherungsrenten entstehe der Rentenvertrag mit dem Beginn der Rentenzahlung. Als Gegenleistung sei daher jener Betrag anzusetzen, der zu Beginn der Rentenleistung als Einmalzahlung zum Erwerb des Rentenstammrechts zu leisten wäre. Diese Einmalzahlung würde sich an der Höhe der voraussichtlichen Rentenleistung orientieren. Gehe man davon aus, dass bei einer dauerhaften Behinderung die Zahlungen laut Versicherungspolizze bis zum Jahr 2045 zu leisten gewesen wäre, wäre die erforderliche Einmalzahlung am Beginn der Rentenzahlung nach versicherungsmathematischer Berechnung jedenfalls höher als die danach in den Jahren bis 2017 tatsächlich zur Auszahlung gelangten Beträge. Die ausbezahlten Beträge hätten somit die Gegenleistung nicht überstiegen, eine Steuerpflicht sei nicht entstanden.

4.) Mit Ausfertigungsdatum ergingen abweisende Beschwerdevorentscheidungen betreffend die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2012 bis 2015 und 2017. Der diesbezügliche Vorlageantrag datiert vom .

Die angeführten Beschwerdevorentscheidungen wurden mit Bescheiden vom gemäß § 299 BAO aufgehoben, weil auch die Verfahrensbescheide bekämpft worden seien, über die diesbezügliche Beschwerde aber noch nicht abgesprochen worden sei. Der bezügliche Vorlageantrag vom scheide daher aus dem Rechtsbestand aus.

Mit Ausfertigungsdatum wurden (erneut) Beschwerdevorentscheidungen betreffend die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2012 bis 2015 und 2017 erlassen; (wiederum) wurde ein Vorlageantrag eingebracht (Eingabe vom ).

Die angeführten Bescheide wurden neuerlich gemäß § 299 BAO aufgehoben (Bescheide vom ). Mit Ausfertigungsdatum ergingen abweisende Beschwerdevorentscheidungen betreffend die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Einkommensteuer 2012 bis 2015 und gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015 sowie gegen den Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2017 und den Einkommensteuerbescheid 2017. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Abgabenbehörde habe erst durch die Eingabe vom Kenntnis erlangt, dass es sich bei den ausbezahlten Beträgen um Zahlungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung handle. Derartige Zahlungen seien steuerpflichtige Einkünfte (§ 29 Z. 1 EStG 1988), das Besteuerungsrecht stehe Österreich zu. Der Vorlageantrag vom scheide aus dem Rechtsbestand aus.

5.) Mit Eingabe vom wurde fristgerecht die Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt. Ergänzend wurde noch ausgeführt, die Zahlungen der ***2*** seien der Abgabenbehörde zwar erst nach Bescheiderlassung bekannt geworden, diese Kenntnis reiche aber nicht aus, um im Spruch anderslautende Bescheide zu erlassen. Der Rentenbarwert betrage im Beschwerdefall € 246.448,03 (Bewertungsstichtag , Rentenhöhe € 1.314,84, fiktiver letzter Zahlungstag ; Ende des Versicherungsvertrages, Anmerkung des Senates). Erst bei Überschreiten dieses Wertes trete Steuerpflicht ein.

II.) Sachverhalt:

1.) Die Bf ist in Österreich wohnhaft und unbeschränkt steuerpflichtig. Sie ist ***1*** und hat aus dieser Tätigkeit in den Jahren 2012 bis 2014 Einkünfte aus ***18*** sowie Einkünfte aus ***19*** erzielt. Ab dem Jahr 2015 wurden nur noch Einkünfte aus ***19*** erklärt.

Die Bf hat bei der ***2*** eine ***11*** Lebensversicherung und eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen. Der Versicherungsbeginn datiert mit ; der Ablauf des Versicherungsvertrages wurde mit fixiert. Die Prämienzahlungen erfolgen monatlich (vgl. Schreiben der ***2***, BFG-Akt, S. 147R).

2.) Bei einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % entsteht ein Anspruch auf Beitragsbefreiung und Berufsunfähigkeitsrente gegenüber dem Versicherungsgeber, wobei die angeführten Versicherungsleistungen ab dem Tag gewährt werden, an dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Der Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsleistungen erlischt, wenn der Grad der Behinderung unter 50 % sinkt (§ 2 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung der ***25***, Stand , BFG-Akt, S. 72R).

3.) Die Bf ist im Jahr 2011 an ***3*** erkrankt; die Leistungsüberprüfung durch die Versicherungsgesellschaft hat zu einem Leistungsanspruch nach § 2 der Versicherungsbedingungen geführt. Der Grad der Berufsunfähigkeit der Bf wurde mit mindestens 50 % festgestellt und ihr beginnend mit eine monatliche Rente von € 1.314,84 zuerkannt. Die (jährlichen) Rentensteigerungen haben 3 % betragen. Die Rentenzahlungen haben sich im Jahr 2011 auf € 7.801,38 belaufen. In den Beschwerdejahren wurden von der ***2*** nachstehende Zahlungen geleistet:


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Zeitraum
Betrag in Euro
Summe
bis
= 6 x 1.314,84 €
= 7.889,04 €
bis
= 6 x 1.370,72 €
= 8.224,32 €
bis
= 6 x 1.370,72 €
= 8.224,32 €
bis
= 6 x 1.428,98 €
= 8.573,88 €
bis
= 6 x 1.428,98 €
= 8.573,88 €
bis
= 6 x 1.489,71 €
= 8.938,26 €
bis
= 6 x 1.489,71 €
= 8.938,26 €
bis
= 6 x 1.541,85 €
= 9.251,10 €

Die Rentenzahlungen wurden mit eingestellt, weil der Grad der Berufsunfähigkeit der Bf unter 50 % gesunken ist. Für die Dauer der angeführten Rentenzahlungen entfiel (auch) die Verpflichtung zur Beitragszahlung (vgl. Schreiben der Versicherungsanstalt vom , BFG-Akt, S.99 und vom , BFG-Akt, S. 102, Berechnung der Versicherungsleistung, BFG-Akt, S. 96).

4.) Die Bf hat für den Zeitraum bis Pflegegeld ***20*** bezogen. Mit ***14*** wurde der Grad der Behinderung der Bf mit mindestens 50 % festgestellt. Mit Bescheid vom ***21*** wurde der Grad der Behinderung mit ***26*** % neu festgesetzt (vgl. ***12***, BFG-Akt, S. 112, ***13***, BFG-Akt, S 13, ***14***, BFG-Akt, S. 114-116, ***22***, BFG-Akt, S. 157-158).

5.) Für den Zeitraum bis wurden der Bf weitere Zahlungen (wegen eines ***8*** bzw. wegen einer ***9***) gewährt. Die Zahlungen wurden von der ***2*** in Anlehnung an die (tatsächlich) versicherten Leistungen errechnet (monatlich € 1.479,87 für den Zeitraum bis bzw. € 1.524,27 für den Zeitraum bis ). Von dem auf diese Weise ermittelten Betrag von insgesamt € 13.683,89 wurden die Beitragsrückstände der Bf in Abzug gebracht. Der im Jahr 2017 (tatsächlich) ausbezahlte Einmalbetrag betrug sohin € 12.507,06. Auch für diesen Zeitraum wurde die Bf von der Verpflichtung zur Prämienzahlung befreit.

Die im Jahr 2017 erfolgten Zahlungen beruhen auf einer (freien) Vereinbarung vom , in der ua festgehalten wurde, dass die Versicherungsgesellschaft mit Blick auf die besonderen Umstände dieses Sachverhaltes und mit Rücksicht auf die Interessen des Versicherungsnehmers ohne Anerkennung einer Rechts- und Leistungspflicht für den Zeitraum vom bis zum die für den Fall der Berufsunfähigkeit bedingungsgemäß versicherten Leistungen (Beitragsbefreiung und Rente) erbringt.

Ausdrücklich festgehalten wurde, dass eine (bedingungsgemäße) Anerkennung der Berufsunfähigkeit mit dieser Vereinbarung nicht erklärt wird. Darüber hinaus wurde ein Verzicht der Bf auf eine gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung (weiterer) Ansprüche vereinbart. Auf das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten und/oder die Vertragsanfechtung wegen Täuschung wurde hingewiesen. Gleiches gilt für die damit einhergehende Rückzahlungsverpflichtung der Versicherungsleistungen.

Bei den angeführten Zahlungen handelt es sich um Kulanzleistungen der ***2*** (vgl. Berechnung der Versicherungsleistung, BFG-Akt, S. 97, Auszahlungsbestätigung, BFG-Akt, S. 98, Schreiben der Versicherungsanstalt vom , BFG-Akt, S. 101, Vereinbarung vom , BFG-Akt, S. 160, Mail von ***Bf1*** vom , BFG-Akt, S. 168).

6.) Nicht festgestellt werden kann, dass mit den gegenständlichen Rentenzahlungen (wegen einer ***15***) lediglich Mehraufwendungen für die Krankheit und damit zusammenhängende Erschwernisse abgegolten wurden.

III.) Beweiswürdigung:

Soweit der Sachverhalt strittig war (Punkt II. 6.), erfolgten die Feststellungen aufgrund nachstehender Beweiswürdigung:

Die immer wieder vorgetragene Behauptung der Bf, wonach mit den gegenständlichen Zahlungen der ***2*** nur die mit der schweren Erkrankung verbundenen Kosten und mit der Behinderung verbundenen Erschwernisse abgegolten worden seien, ist durch nichts erwiesen. Weder konnten die tatsächlichen Krankheits- und Therapiekosten nachgewiesen werden noch bieten der Versicherungsvertrag und die Versicherungsbedingungen Anhaltspunkte für eine derartige Einstufung der strittigen Zahlungen. Ebenso wenig lässt sich die genannte Funktion der gegenständlichen Versicherungsleistungen aus den im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen ableiten.

Auch kann der vom steuerlichen Vertreter der Bf vorgelegten Kostenaufstellung (Kilometergelder für Therapie, Nachbehandlungen und Kontrolluntersuchungen in ***27*** bzw. für die Unterbringung des Sohnes bei der Mutter der Bf, Therapie- und Physiotherapiekosten und Heilmittel) keine Beweiskraft beigemessen werden, ist doch das diesbezügliche Vorbringen ohne hinreichendes Tatsachensubstrat geblieben. Dass die Bf (immer und jedenfalls) mit ihrem eigenen Kraftfahrzeug nach ***27*** gefahren sein soll, wurde nicht behauptet. Gleiches gilt für die Fahrten zum Wohnsitz ihrer Mutter. Die erforderlichen Heilmittel wurden nicht einmal angeführt; die Physiotherapie wurde mit dem ***8*** in Zusammengang gebracht, ohne darzulegen, aus welchen Gründen die Bf (überhaupt) derartige Kosten zu tragen hatte.

Dass es sich bei den gegenständlichen Zahlungen um Kostenersätze für medizinische Behandlungen gehandelt hat, wurde von der Versicherungsgesellschaft nicht bestätigt (vgl. Vorhalt des Finanzamtes vom , Vorhaltsbeantwortung vom , BFG-Akt, S. 77a und 78, Vorhalt des Vorhaltsbeantwortung vom , BFG-Akt, S. 87, 89 und 92, Mail von ***Bf1*** und der Versicherungsgesellschaft vom , BFG-Akt, S. 94 und 95).

IV.) Rechtslage und Erwägungen:

1.) Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen ua. dann wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmsgründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die zuständige Abgabenbehörde.

Neuerungen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ).

2.) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist (§ 299 Abs. 1 BAO). Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheide zu verbinden (§ 299 Abs. 2 leg. cit). Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Aufhebung befunden hat (§ 299 Abs.3 BAO).

§ 299 BAO gestattet Aufhebungen, wenn der Bescheid sich als nicht richtig erweist. Die Aufhebung setzt allerdings die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit greift nicht (). Die Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit setzt daher grundsätzlich die (vorherige) Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes voraus (zB vwGH , 2012/13/0059).

3.) Zu den sonstigen Einkünften nach § 29 Z. 1 EStG 1988 gehören wiederkehrende Bezüge, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des §§ 2 Abs. 3 Z. 1 bis 6 gehören.

Gemäß § 29 Z. 1 EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung gilt Folgendes:

"Werden die wiederkehrenden Bezüge als angemessene Gegenleistung für die Übertragung von Wirtschaftsgütern geleistet, gilt folgendes: Die wiederkehrenden Bezüge sowie gänzliche oder teilweise Abfindungen derselben sind nur insoweit steuerpflichtig, als die Summe der vereinnahmten Beträge (Renten, dauernde Lasten, gänzliche oder teilweise Abfindungen derselben sowie allfällige Einmalzahlungen) den Wert der Gegenleistung übersteigt. Besteht die Gegenleistung nicht in Geld, ist als Gegenwert der kapitalisierte Wert der wiederkehrenden Bezüge (§§ 15 und 16 des Bewertungsgesetzes) zuzüglich allfälliger Einmalzahlungen anzusetzen."

Nach Lehre und Judikatur liegen wiederkehrende Bezüge iS des § 29 Z. 1 EStG 1988 vor, wenn Einnahmen in gewissen Zeitabständen wiederkehren, nicht nur rein zufällig mehrmals erzielt werden, auf einem einheitlichen Rechtsgrund oder zumindest auf einem einheitlichen Entschluss des Leistenden beruhen und nicht zu anderen Einkunftsarten gehören. Zum Wesen wiederkehrender Bezüge gehört es danach überdies, dass ihre Laufzeit in irgendeiner Form vom Eintritt eines ungewissen Ereignisses abhängig ist ( und die dort angeführte Literatur und Judikatur).

Die Bezüge müssen einen vermögenswerten Vorteil darstellen (Geld- oder Sachwerte). Bloße Vermögensumschichtungen falle nicht unter § 29 Z. 1 EStG 1988. Die Wiederkehr der Bezüge muss voraussehbar sein, wobei die Zeitdauer in der Regel nicht absolut fixiert sein darf (aleatorisches Moment, z.B. Abhängigkeit von der Lebensdauer einer Person, Wiederkehr der Gesundheit oder Erwerbsfähigkeit; vgl. Jakom/ Kanduth-Kristen EStG, 2021, § 29 Rz 13).

4.) Renten, die aufgrund eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages gezahlt werden, sind wiederkehrende Bezüge nach § 29 Z. 1 EStG 1988, die als Gegenleistung für die Übertragung von Geld geleistet werden ().

Dies gilt auch für private Unfall-, Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Steuerpflicht liegt vor, sobald die Summe der zugeflossenen Renten den Wert der Geldzahlung übersteigert. Die in Geld hingegebene Leistung sind die Prämien inklusive Nebenkosten. Werden aufgrund eines Versicherungsvertrages laufende Prämien geleistet, ist als Gegenleistung jener Betrag anzusetzen, der zu Beginn der Rentenleistung als Einmalzahlung zum Erwerb des Rentenstammrechts zu leisten wäre [(idR der Ansparphase), vgl. Mayr/Haiden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG § 29 RZ 34, Jakom/Kanduth-Kristen EStG, 2021, § 29 Rz 24].

5.) Artikel 18 Abs. 1 und 2 DBA Deutschlang - Österreich lauten wie folgt:

"(1) Erhält eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen oder Renten aus dem anderen Vertragsstaat, so dürfen diese Bezüge nur im erstgenannten Staat besteuert werden.

(2) Bezüge, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der gesetzlichen Sozialversicherung des anderen Vertragsstaats erhält, dürfen abweichend von vorstehendem Absatz 1 nur in diesem anderen Staat besteuert werden."

6.) Die Zahlungen vom bis zum (Zahlungen aufgrund eines ***8***) basieren auf einer freien Vereinbarung; hiebei handelt es sich um Kulanzleistungen der Versicherungsgesellschaft, die keiner Besteuerung unterliegen. Nicht gefolgt werden kann der (erstmals) in der mündlichen Verhandlung von der Abgabenbehörde vorgetragenen Ansicht, wonach den im Jahr 2017 gezahlten Einmalbetrag (einzig) aufgrund der Berechnungsmethode Rentenfunktion zukomme; setzt doch eine Berufsunfähigkeitsrente im Beschwerdefall die Minderung der Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % voraus. Diesbezügliche Feststellungen wurden in Bezug auf das ***23*** nicht getroffen worden. Das Gegenteil ist der Fall; der freien Vereinbarung vom ist zu entnehmen, dass es sich bei der angeführten Zahlung gerade nicht um eine bedingungsgemäß versicherte Leistung handelt. Eine Abhängigkeit dieser Zahlung von der Wiedererlangung der Gesundheit/der Erwerbsfähigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.

Anders verhält es sich mit den Rentenzahlungen für den Zeitraum bis ; diese erfolgten - wie bereits dargelegt - aufgrund einer festgestellten Leistungspflicht (Berufsunfähigkeitsleistungen aufgrund einer ***15***). Die angeführten Versicherungsleistungen sind steuerpflichtig und zwar ab jenem Zeitpunkt, in dem die Rentenzahlungen die Summe der Versicherungsprämien/Beitragszahlungen übersteigen. Den Rentenzahlungen des Versicherers ist der hingegebene Geldbetrag gegenüberzustellen. Der hingegebene Geldbetrag besteht aus der Summe der geleisteten Prämienzahlungen; dieser hat bis zum Jahr 2011 unbestritten € 5.217,48 betragen. Die Rentenzahlungen haben sich im Jahr 2011 auf € 7.801,36 belaufen, sodass eine Steuerpflicht der Versicherungsleistungen ab dem Jahr 2012 gegeben ist.

6.1.) Dem Einwand der Bf, wonach Steuerpflicht erst mit Übersteigen des Rentenbarwertes von € 246.448,03 eintrete, ist zu entgegnen, dass dies seit der Veranlagung 2004 nunmehr gilt, wenn das hingegebene Wirtschaftsgut nicht in Geld besteht. Gegenteiliges ergibt sich auch aus der von der Bf zitierten Literaturstelle (Hofstätter/Reichel, Kommentar zur Einkommensteuer, § 29 Tz 47) nicht. Das darin enthaltene rechnerisch dargestellte Beispiel bezieht sich auf Rentenzahlungen aufgrund einer Lebensversicherung bis zum . Die von der Bf vorgenommene (fiktive) Barwertberechnung einer Berufsunfähigkeitsrente ab dem Jahr 2004 [monatliche Rentenzahlungen kapitalisiert auf das Versicherungsende ()] ist aus der Kommentarstelle hingegen nicht ableitbar. Gleiches gilt für die in diesem Zusammenhang zitierten Einkommensteuerrichtlinien (Rz 7018), die mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt für den Senat ohnedies nicht bindend sind.

6.2.) Bezüglich der Rentenzahlungen aufgrund der ***15*** der Bf liegt auch das aleatorische Moment vor; wurden diese doch bis zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Das Vorliegen von wiederkehrenden Zahlungen auf eine unbestimmte Zeit ist nach der Rechtsprechung der Höchstgerichte hingegen nicht erforderlich, weshalb auch den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen nicht gefolgt werden kann. Gleiches gilt für den Einwand, die Zahlungen seien für einen bestimmbaren Zeitraum geleistet worden. Von der Bestimmbarkeit eines Leistungszeitraumes kann im Falle einer ***15*** gerade nicht ausgegangen werden. Daran ändert auch nicht das (erstmals) in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen der Bf, wonach die Rentenzahlungen bis limitiert gewesen seien bzw. zum Ende des Jahres 2015 eine Überprüfung des Gesundheitszustandes der Abgabepflichtigen avisiert und (tatsächlich) auch durchgeführt worden sei. Dass eine Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen durch den Versicherer in regelmäßigen Zeitabständen erfolgt, ist durchaus üblich und führt nicht eo ipso zu einer Begrenzung des Leistungsanspruches. Bei einer über das Jahr 2015 hinaus bestehenden Minderung der Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % hätte die Versicherung ihrer Leistungspflicht (weiterhin) nachkommen müssen. Dass es sich im Beschwerdefall um eine (steuerfreie) Mehrbedarfsrente gehandelt hat, hat das Beweisverfahren nicht ergeben. Auf Punkt II. und III. dieses Erkenntnisses wird verwiesen.

6.3.) Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird (nunmehr) die Ansicht vertreten, als Gegenleistung sei der Endwert der geleisteten Prämien anzusetzen (Rz 7018 EStR). Im Beschwerdefall seien lediglich die bis einschließlich 2017 geleisteten Prämien von den tatsächlichen Versicherungszahlungen in Abzug gebracht worden, obwohl die Prämienleistungen bis erfolgen müssten. Bei monatlichen Prämienzahlungen von € 178,30 bis zum Jahr 2045 errechne sich ein Rentenendwert von € 60.893,10, bei Zugrundelegung einer 3 % -igen Verzinsung betrage dieser Wert sogar € 96.183,20. Die gesamte Gegenleistung der Bf übersteige sohin nicht die bislang erhaltenen Versicherungsleistungen, weshalb auch keine Steuerpflicht der Versicherungszahlungen vorliegen könne.

Dass der Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht bei einer Berufsunfähigkeitsrente auf die von der Bf geschilderte Art und Weise zu ermitteln ist, ergibt sich aus den zitierten Einkommensteuerrichtlinien nicht. Das in den Richtlinien rechnerisch dargestellte Beispiel bezieht sich auf die Abfindung von Rentenansprüchen aus einem Rentenversicherungsvertrag. Derartige Verträge dienen der Rentenversorgung (Altersvorsorge). Abgesehen davon sind die Einkommensteuerrichtlinien - wie bereits dargelegt - mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt keine für den Senat beachtliche Rechtsquelle. Mit ihrer Argumentation verkennt die Bf, dass im Beschwerdefall auf den Wert der Gegenleistung zum Leistungszeitpunkt () abzustellen ist; zu diesem Zeitpunkt endete die Ansparphase und ist die Leistungspflicht des Versicherers eingetreten.

Mit den allgemein gehaltenen Ausführungen zu den Grundsätzen des objektiven Nettoprinzips und des Leistungsfähigkeitsprinzips wird die Verfassungswidrigkeit des § 29 Z 1. EStG 1988 nicht aufgezeigt.

6.4.) Da die Bf in den Jahren 2012 bis 2015 keine Versicherungsprämien zu leisten hatte, sind die wiederkehrenden Bezüge mit den tatsächlich ausgezahlten Beträgen (2012: € 16.113,36, 2013: € 16.798,20, 2014: € 17.512,14 und 2015 € 18.189,36) anzusetzen. Die angefochtenen Bescheide waren insoweit abzuändern.

7.) Im Beschwerdefall erfolgte auch die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2012 bis 2015 zu Recht, da sowohl das Vorliegen von neuen Tatsachen (Vorliegen von ausländischen Einkünften in Form von Rentenzahlungen wegen Berufsunfähigkeit) als auch deren Eignung zur Herbeiführung eines anderslautenden Bescheides (Steuerpflicht mit Übersteigen der Gegenleistung) zu bejahen ist. Dass die strittigen Zahlungen der ***2*** der Abgabenbehörde erst nach der (jeweiligen) Bescheiderlassung bekannt gegeben wurden, wird von der Bf nicht (einmal) bestritten (vgl. Eingabe vom , BFG-Akt, S. 70).

8.) Was die Versicherungsleistungen für den Zeitraum für den Zeitraum bis anbelangt, handelt es sich um Kulanzleistungen. Derartige Zahlungen unterliegen nicht der Besteuerung, die Erlassung des Aufhebungsbescheides vom betreffend Einkommensteuer 2017 erfolgte daher nicht zu Recht. Der Beschwerde war insoweit stattzugeben. Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 war als gegenstandslos zu erklären (§ 261 BAO iVm § 299 Abs. 3 BAO).

V.) Zulässigkeit einer Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Voraussetzungen einer Bescheidaufhebung nach § 299 BAO und die Rechtsfolgen der Aufhebung eines derartigen Bescheides ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Darüber hinaus erfolgte die Lösung der zu klärenden Rechtsfragen (Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht einer Berufsunfähigkeitsrente) im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. ergibt sie sich unmittelbar aus dem Gesetz, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.

Beilagen: 4 Berechnungsblätter

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100253.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at