Keine Unbilligkeit nach Lage der Sache, wenn der Spediteur als Anmelder nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes eingeschritten ist
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7200019/2020-RS1 | Auf einen Erstattungsfall, der sich auf Eingangsabgaben bezieht, die vor dem entstanden sind, sind die materiellrechtlichen Bestimmungen des Art. 239 ZK anzuwenden. Art. 120 UZK, der die Regelungen des Art. 239 ZK im Wesentlichen übernommen hat, ist auf Sachverhalte, in denen die Zollschuld vor dem entstanden ist, nicht anzuwenden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende***R1***, den Richter***R2*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***R3*** und ***R4*** in der Beschwerdesache ***Bf***, vertreten durch ***Vertreter1*** und durch ***RA1*** und durch ***RA2***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des damaligen Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt vom , Zl. ***1***, betreffend Erstattung von Einfuhrumsatzsteuer nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anwesenheit der Schriftführerin ***S1*** zu Recht erkannt:
I. Der Spruch des angefochtenen Bescheids wird dahingehend geändert, dass als wesentliche Rechtsgrundlagen nicht wie vom Zollamt festgestellt die Bestimmungen des Art. 116 iVm Art. 120 UZK sowie die Bestimmungen der §§ 2 und 73 ZollR-DG jeweils in der Fassung ab sondern die Bestimmungen des Art. 239 ZK iVm §§ 2 und 83 ZollR-DG jeweils in der Fassung vor dem heranzuziehen sind.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Die nunmehrige Beschwerdeführerin (Bf.), die ***Bf***, beantragte im Zeitraum Jänner 2008 bis Dezember 2008 in den hier gegenständlichen 236 Fällen als Vertreterin (Art. 5 ZK) und Anmelderin die Überführung von aus China stammenden Waren aller Art in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (Art. 6 Abs. 3 UStG 1994) durch Angabe des Codes 4200 im Feld 37 (Verfahren) der jeweiligen Zollanmeldungen.
Die Bf. trat dabei laut ihren eigenen Angaben in den Zollanmeldungen als indirekte Vertreterin der in Italien ansässigen Unternehmen ***IT1*** - kurz **IT1** - (bis ) bzw. der ***IT2*** - kurz **IT2** - (ab November 2008) auf, die jeweils im Feld 8 (Empfänger) der Zollanmeldungen genannt waren. Die Bf. hat eingeräumt, dass es nie zu einer Kontaktaufnahme mit diesen beiden Unternehmen gekommen ist.
Mittlerweile steht fest, dass die beiden erwähnten italienischen Unternehmen (die die eingeführten Waren tatsächlich nicht erworben haben) Teil eines groß angelegten Betrugssystems waren und dass die Wirtschaftsgüter letztlich unversteuert in den Wirtschaftsraum der Union eingingen. Der Verbleib der Waren ist ungewiss. Laut Ermittlungen der Finanzstrafbehörden sind die Waren von unbekannten Händlern auf Schwarzmärkten verkauft worden.
Die bei den Verzollungen vorgelegten Fakturen sind gefälscht. Die darin abgebildeten Kaufgeschäfte sind tatsächlich nie zustande gekommen.
Die Bf. ist bei diesen Zollabfertigungen im Auftrag der Spedition ***Sped1*** (**Sped1**) eingeschritten. Mit diesem Unternehmen hat die Bf. auch die von ihr erbrachten Speditionsdienstleistungen abgerechnet. Gleiches gilt für die von der Bf. im Rahmen der Verzollungen ausgelegten Einfuhrabgaben, mit denen sie in Vorlage getreten ist.
Die **Sped1**, die in den Betrug eingebunden war, hat die Verzollungskosten und die Einfuhrabgaben nicht an die in den Zollanmeldungen genannten Firmen **IT1** bzw. **IT2** weiterverrechnet. Die Entrichtung dieser Beträge an die **Sped1** durch Handlanger der Hintermänner der Betrugshandlungen erfolgte vielmehr in bar. Mitarbeiter der Firma **Sped1** begaben sich zu diesem Zweck persönlich nach Italien, wo sie jeweils Bargeldsummen in der Höhe von ca. € 500.000,00 übernommen haben.
Das damalige Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt (kurz: Zollamt) zog die Bf. mit Bescheid II vom , Zl. ***2***, im Grunde des § 71a ZollR-DG als Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer in der Höhe von € 2.341.147,28 heran.
Das Bundesfinanzgericht reduzierte diesen Betrag mit Erkenntnis vom , ***3***, auf € 799.563,69. Dieses Erkenntnis ist letztlich in Rechtskraft erwachsen.
Mit Bescheid des Zollamtes vom , Zl. ***4***, in der Fassung des Berichtigungsbescheids , Zl. ***5***, kam es hinsichtlich dieses Abgabenbetrages zu einem Teilerlass aus persönlichen Billigkeitsgründen, sodass die Bf. letztlich nur einen Betrag in der Höhe von € 500.000,00 zu entrichten hatte. Dieser Bescheid ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen und die Bf. hat nach der Aktenlage den erwähnten Betrag mittlerweile zur Gänze beglichen.
Die Bf. stellte daraufhin mit Eingabe vom den Antrag auf Erlass (gemeint wohl: Erstattung) der bereits entrichten Einfuhrumsatzsteuer in der genannten Höhe wegen sachlicher Unbilligkeit.
Das Zollamt wertete dieses Vorbringen als Antrag auf Erstattung der Eingangsabgaben gem. Art. 120 UZK iVm § 73 ZollR-DG und wies diesen Antrag mit Bescheid vom , Zl. ***1***, ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom .
Das Zollamt wies diesen Antrag mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl. ***6***, als unbegründet ab.
Die Bf. stellte daraufhin mit Schriftsatz vom , ergänzt mit Eingabe vom den Vorlageantrag und ersuchte neuerlich um Erstattung der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer in der Höhe von € 500.000,00 gem. § 236 BAO wegen sachlicher Unbilligkeit.
Am fand in Wien die mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung
Die Beweiserhebung seitens des Bundesfinanzgerichtes erfolgte durch Einsichtnahme in die vom Zollamt elektronisch vorgelegten Verwaltungsakte und das gesamte Vorbringen der Bf.
Darüber hinaus wurde auch auf die im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen Erkenntnisse Bedacht genommen.
Daraus ergibt sich der oben wiedergegebene Sachverhalt und der geschilderte Verfahrensgang.
2. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Rechtslage:
Gemäß Art. 201 der MwSt-RL wird bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt.
Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994) ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden, steuerfrei. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
Es kann sowohl der Anmelder selbst, aber auch der vom Anmelder indirekt Vertretene den Tatbestand des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen (vgl. ).
Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 UStG 1994 auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes, nämlich das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer in Art. 3 Abs. 1 UStG 1994 näher beschriebenen vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat.
Gemäß Art. 204 Abs. 1 der im Beschwerdefall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (im Folgenden: Zollkodex - ZK) entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 leg. cit. genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das überführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder das betreffende Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt haben.
Zollschuldner ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
Der Zollkodex gilt gemäß § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) in der im Beschwerdefall noch anwendbaren Fassung der ersten ZollR-DG-Novelle, BGBl. Nr. 516/1996, und gemäß § 26 Abs. 1 UStG in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 756/1996, sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer.
Gemäß § 71a ZollR-DG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung der dritten ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, schuldet in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG eine nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Zollschuldner in Betracht kommt.
Gemäß Art. 239 Abs. 1 ZK können Einfuhrabgaben in Fällen erstattet oder erlassen werden, welche sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind.
Gemäß Art. 905 Abs. 1 der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom , (im Folgenden: Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung, wenn ein Antrag auf Erstattung oder Erlass gemäß Art. 239 Abs. 2 ZK in seiner Begründung auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt und wenn u.a. die Abgaben, die bei einem Beteiligten infolge desselben besonderen Umstandes nicht erhoben wurden, 500.000 EUR oder mehr betragen.
Gemäß Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO entscheidet die Entscheidungsbehörde, sofern nicht nach Art. 905 ZK-DVO die Kommission zu befassen ist, von sich aus, die Einfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
§ 83 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG) in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2005 (AbgÄG 2005), BGBl. I Nr. 161, und des (den materiellen Gehalt des § 83 ZollR-DG unberührt lassenden) Abgabenänderungsgesetzes 2010 (AbgÄG 2010), BGBl. I Nr. 34, lautet:
"Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Art. 239 ZK in Verbindung mit Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzteren Falls stellte die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."
Erwägungen:
Die Bf. hat den vorliegenden Antrag auf Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer vom u.a. auf die nationalen Billigkeitsvorschriften des § 236 BAO gestützt. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Bestimmungen des Erstattungsrechts durch das Unionszollrecht überlagert werden (siehe etwa Huchatz, in Witte, Zollkodex, 5. Auflage, Rz. 33 zu Art. 239 ZK).
Das Bundesfinanzgericht teilt die in der Literatur vertretene Ansicht, wonach sich aus der Tatsache, dass der Zollkodex ausdrücklich den Billigkeitserlass oder die Billigkeitserstattung regelt, zwingend die Nichtanwendung des nationalen Billigkeitsregimes (also § 236 BAO) ergibt (siehe Huchatz, aaO, Rz. 1 zu Art. 239 ZK).
Das Zollamt hat daher zu Recht im angefochtenen Bescheid das Vorliegen der Voraussetzungen der Bestimmungen des § 236 BAO nicht geprüft. Ausdrückliche Einwendungen dagegen hat die Bf. nicht vorgetragen. In der Verhandlung hat die Bf. dazu erklärt, dass sie den Antrag auf Erlass der Abgaben gem. § 236 BAO weiterhin aufrecht erhält.
Dazu wird darauf hingewiesen, dass dem Bundesfinanzgericht im Rahmen der vorliegenden Entscheidung eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Erstattungsantrag nach der bezogenen Norm verwehrt ist, zumal das Zollamt darüber - wie eben festgestellt - noch nicht abgesprochen hat.
Eine meritorische Entscheidung darüber wäre nicht mehr die im Rechtsmittelverfahren gebotene Fortführung des abgabenbehördlichen Verfahrens, sondern die unzulässige erstmalige Begründung einer neuen Sache (siehe Stoll, BAO, 2801ff zur "Identität der Sache").
Zu prüfen bleibt, ob das Zollamt diesen Bescheid zu Recht auf die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABlEU Nr. L 269 vom (Unionszollkodex - UZK) gestützt hat.
Der UZK ist mit Wirkung vollständig in Kraft getreten. Zeitgleich wurde die Verordnung (EWG) Nr. 2931/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) aufgehoben. Den Vorschriften betreffend Erstattung und Erlass der Einfuhrabgaben nach Art. 116 ff UZK kommt keine Rückwirkung zu.
Bezüglich der Erstattung von Einfuhrabgaben handelt es sich um Vorschriften des materiellen Rechts (BFH vom VII B 19/00, BFH/NV 2001, 945). Dies gilt sowohl hinsichtlich Art. 236 und Art. 239 ZK als auch hinsichtlich Art. 116 Abs. 1 UZK, in den die Erlass- bzw. Erstattungsvorschriften der Art. 236 und 239 ZK ohne grundsätzliche Änderungen übernommen wurden (BFH vom , VII B 165/16).
Wie der Europäische Gerichtshof im Urteil vom , C-201/04 (Molenbergnatie NV) ausgesprochen hat, unterliegt eine Zollschuld nur den zum Zeitpunkt ihrer Entstehung geltenden Verjährungsregeln, selbst wenn das Verfahren zur Erhebung der Schuld erst nach Inkrafttreten anderer oder geänderter Verjährungsregeln eingeleitet wurde.
Für die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs ist zwischen Verfahrensvorschriften, die im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Verfahren anwendbar sind, und materiell rechtlichen Vorschriften zu unterscheiden, die grds. nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten. Art. 121 UZK enthält ausschließlich Verfahrensvorschriften. Diese Vorschriften sind mithin auf sämtliche bei ihrem Inkrafttreten noch nicht abgeschlossene Verfahren anzuwenden. Das hat zur Folge, dass in den Fällen des Art. 120 UZK - abweichend von der bisherigen in Art. 239 Abs. 2 ZK vorgesehenen einjährigen Antragsfrist - gem. Art. 121 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. a UZK jetzt auch dann eine Antragsfrist von drei Jahren gilt, wenn die Zollschuld vor dem (Art. 288 Abs. 2 UZK) entstanden ist (Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Deimel, Artikel 121 UZK, Rz. 3).
Auf den vorliegenden Erstattungsfall sind daher die materiellrechtlichen Bestimmungen des Art. 239 ZK anzuwenden. Art. 120 UZK, der die Regelungen des Art. 239 ZK im Wesentlichen übernommen hat, ist auf Sachverhalte wie den gegenständlichen, in denen die Zollschuld vor dem entstanden ist nicht anzuwenden. Hier gelten noch die materiellrechtlichen Bestimmungen des Art. 239 ZK. Der Spruch des angefochtenen Bescheides war daher insofern abzuändern.
Hinsichtlich der Fristen sind hingegen die in Art. 121 UZK normierten Verfahrensvorschriften anzuwenden.
Dies gilt sowohl hinsichtlich der Dauer der Antragsfrist, die gem. Art. 121 Abs. 1 Buchstabe UZK nunmehr drei Jahre und nicht mehr wie zuvor in Art. 239 Abs. 2 ZK bloß ein Jahr beträgt, als auch hinsichtlich deren Aussetzung gem. Art. 121 Abs. 3 UZK.
Im Streitfall ist die Zollschuld im Jahr 2008 entstanden. Über den gegen die Mitteilung der Zollschuld (Bescheid des Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt vom , Zl. ***2***) seitens der Bf. erhobenen Rechtsbehelf der Beschwerde hat das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , GZ. RV/7200223/2013, entschieden. Für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens war daher die Frist des Art. 121 Abs. 1 UAbs. 1 UZK gem. Art. 121 Abs. 3 UZK ausgesetzt.
Der von der Bf. mit Eingabe vom eingebrachte verfahrensgegenständliche Erstattungsantrag erfolgte somit innerhalb der erwähnten Frist von drei Jahren und ist daher (wie vom Zollamt zutreffend festgestellt) als fristgerecht zu werten.
Im vorliegenden Beschwerdefall ist auf Grund des Gesagten zu prüfen, ob die Erstattungsvoraussetzungen des Art. 239 ZK und des § 83 ZollR-DG vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Österreich durch die Verweise des § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG die buchmäßige Erfassung der objektiv entstandenen Einfuhrumsatzsteuerschuld (Art. 220 ZK) und die Mitteilung dieser Abgabenschuld (Art. 221 ZK) an den Gesamtschuldner (§ 71a ZollR-DG) vorgesehen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit dieses Gesamtschuldners, seine Gutgläubigkeit und den Vertrauensschutz durch einen Antrag nach Art. 239 ZK und § 83 ZollR-DG auf Erlass der Umsatzsteuerschuld oder auf Erstattung der allenfalls bereits entrichteten Einfuhrumsatzsteuerschuld geltend zu machen ().
Artikel 239 des Zollkodex stellt eine "allgemeine Billigkeitsklausel" dar. Diese Bestimmung und Artikel 905 der Durchführungsverordnung sollen eine außergewöhnliche Situation erfassen, in der sich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern befindet (). Die Billigkeitsklausel und Artikel 905 der Durchführungsverordnung sollen insbesondere Anwendung finden, wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und der Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte.
Die Erstattung oder der Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den von den oben genannten Bestimmungen eigens dafür vorgesehenen Fällen gewährt werden können, stellen eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem dar ( Randnr. 91).
Der EuGH und das EuG haben wiederholt ausgesprochen, dass besondere Umstände iSd Art. 239 ZK jedenfalls nicht dadurch zu begründen sind, dass der Beteiligte nunmehr Einwendungen gegen den ursprünglichen Abgabenbescheid erhebt, also dessen Rechtmäßigkeit anzweifelt ( 144, 145/85, EuG , T-104/02).
Die Bf. kann daher mit ihren Einwänden, mit denen sie die Rechtswidrigkeit der Abgabenfestsetzung behauptet, nicht durchdringen. Denn das diesbezügliche Abgabenverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Das Billigkeitsverfahren dient nicht dazu, über das Bestehen einer Eingangsabgabenschuld zu befinden (EuG , T-104/02, Rz. 26). Ein näheres Eingehen auf die wortreichen Ausführungen der Bf., mit der sie die Rechtmäßigkeit der Abgabenvorschreibung in Frage stellt, erübrigt sich daher.
Die Einfuhrumsatzsteuer, deren Erstattung im Beschwerdefall beantragt wurde, ist für die oben genannten beiden italienischen Unternehmen gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 UStG entstanden. Das Zollamt hat daher die Bf. gemäß § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin herangezogen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der von einem nach § 71a ZollR-DG herangezogenen Gesamtschuldner dagegen eingewandte Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen (vgl. etwa , und ).
Der VwGH hat in einem vergleichbaren Fall der Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer u.a. ausgesprochen ():
"Im vorliegenden Revisionsfall einer Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer ist somit die Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. in jüngerer Zeit etwa Euro Tyre BV - Sucursal em Portugal, C-21/16, Rn. 40, und Santogal M - Comercio e ReparaCão de Automoveis Lda, C-26/16, Rn. 71), die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt."
Die Bf. macht Gutgläubigkeit iSd zitierten Rechtsprechung geltend. Die eingeführten Wirtschaftsgüter seien nach Italien verbracht worden. Aufgrund eines in Italien begangenen Steuerbetrugs sei die Umsatzsteuer in Italien entstanden. Sie sei gutgläubig als Vertreterin der beiden o.a. in Italien ansässigen Unternehmen (die sich im Nachhinein als Steuerbetrüger entpuppt hätten) eingeschritten. Es sei ihr daher gemäß der Rechtsprechung des EuGH Vertrauensschutz zu gewähren.
Dem steht entgegen, dass die Bf. - wie sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung deutlich gezeigt hat - im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Zollabfertigungen auffallend sorglos agiert hat.
Dies wird wie folgt begründet:
a) Fehlende Vertretungsmacht
Die Bf. ist laut Zollanmeldungen als indirekte Vertreterin der beiden o.a. in Italien ansässigen angeblichen Warenempfänger aufgetreten. Sie hat angegeben, im eigenen Namen aber für Rechnung dieser Unternehmen die Zollanmeldungen abzugeben. Die Rechtsmacht, die eine Person in die Lage versetzt, durch Vertreterhandeln Rechtswirkungen unmittelbar für und gegen den Vertretenen zu begründen, nennt man Vertretungsmacht.
Der Vertreter muss eine solche Vertretungsmacht besitzen, andernfalls sein Vertreterhandeln keine Fremd- oder Außenwirkung erzeugen kann. Aus diesem Grund bestimmt auch Art. 5 Abs. 4 letzter Satz ZK, dass Personen, die erklären, im Namen oder für Rechnungen eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd gelten.
Die Bf. verfügte zum Zeitpunkt der Zollabfertigungen über keine formelle rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht (schriftlichen Auftrag gem. § 38 Abs. 2 ZollR-DG) der beiden italienischen Unternehmen.
Dies hat der ehemalige Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der Verhandlung erstmals eingeräumt. Auf die Frage des Berichterstatters, ob die Bf. einen schriftlichen Auftrag von der **IT1** für ihr Einschreiten hatte, antwortete er (Frage 19):
"Wir erhielten unsere Aufträge von der **Sped1**. Wir hatten keinen schriftlichen Auftrag von den beiden italienischen Firmen. Wie bereits eingangs erwähnt, war unser Ansprechpartner die **Sped1**, in deren Auftrag wir eingeschritten sind."
Der Umstand, dass das Zollamt im Zuge der Zollabfertigungen von einer Glaubhaftmachung der Vertretungsmacht durch die Bf. ausging, ändert nichts an der - somit mittlerweile feststehenden - Tatsache, dass vom Bestehen der gesetzlich geforderten Vertretungsmacht im Zeitpunkt der Abgabe der in Rede stehenden Zollanmeldungen keine Rede sein kann.
Wenn die Bf. meint, die beiden eben angesprochenen Unternehmen hätten durch die Abrechnungen der **Sped1** und durch die von der **Sped1** übersandten Zollanmeldungen vom Einschreiten der Bf. als indirekte Vertreterin Kenntnis erlangt, übersieht sie, dass nach der Aktenlage diese italienischen Unternehmen die eingeführten Waren nicht übernommen haben (die Lieferungen erfolgten an bislang unbekannte Personen zum Zweck des späteren Verkaufs auf Schwarzmärkten). Dass seitens der **Sped1** Abrechnungen an die **IT1** bzw. an die **IT2** ergingen, kann nach der Aktenlage ebenfalls ausgeschlossen werden. Denn die Entrichtung der Kosten der **Sped1** erfolgte nach der Aktenlage nicht durch diese beiden Unternehmen, sondern in bar durch die im Schwarzmarkthandel involvierten Personen in Italien. Auch dafür, dass die Zollanmeldungen an die dort genannten Empfänger gesandt worden sein könnten, gibt es keinerlei Hinweise.
Im Übrigen hat der Vertreter der Bf. im Rahmen der Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, dass die **IT1** und die **IT2** erst im Nachhinein, also erst nach Abgabe der Zollanmeldungen Kenntnis vom Einschreiten der Bf. als Vertreterin erlangten.
Eine fehlende Bevollmächtigung kann aber, wenn ein vollmachtloser Vertreter eine Zollanmeldung abgibt, nicht durch nachträgliche Genehmigung des Vertretenen geheilt werden. Denn zum Zeitpunkt der Zollschuldentstehung, also bei Annahme der Zollanmeldung, muss ein für allemal feststehen, wer Zollschuldner ist (siehe Witte, 5. Auflage, Zollkodex, Rz. 34 zu Art. 5).
Die Bf. weist immer wieder darauf hin, dass sie in allen 236 Fällen nur im Auftrag der **Sped1** als Zollanmelderin eingeschritten ist. Dabei übersieht sie, dass die **Sped1** in den Zollanmeldungen nicht genannt ist und dass die Auftragserteilung durch die **Sped1** auch sonst dort keinen Niederschlag gefunden hat. Die Bf. hat vielmehr durch die Codierung 4 in den Zollanmeldungen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie als indirekte Vertreterin der in den Anmeldungen genannten Warenempfänger handelt. Es kommt daher nicht auf die Auftragserteilung durch die **Sped1** an. Entscheidungsmaßgeblich ist vielmehr die Auftragserteilung durch die **IT1** und durch die **IT2**. Der wesentliche Unterschied ist, dass (eine entsprechende Vertretungsmacht des indirekten Vertreters vorausgesetzt) ein in der Zollanmeldung genannter indirekt Vertretener (hier die beiden zuletzt genannten Unternehmen) im Gegensatz zu einem in der Zollanmeldung nicht genannten Auftraggeber (hier die **Sped1**) gem. Art. 201 Abs. 3 UA 1 Satz 2 ZK zum Zollschuldner wird.
Aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes ist es völlig unverständlich, warum die Bf. in den vorliegenden Fällen auf die geforderte Erteilung der Vertretungsmacht durch die **IT1** und durch die **IT2** verzichtet hat, war doch dieses Vorgehen aus mehreren Gründen mit erheblichem finanziellen Risiko behaftet:
Zum einen ist der indirekte Vertreter durch die Abgabe der Zollanmeldung gem. Art. 201 Abs. 3 UA 1 Satz 1 ZK selbst Zollschuldner, weil er gem. Art. 4 Nr. 18 ZK Anmelder ist. Dabei ist er gemeinsam mit dem indirekt Vertretenen Gesamtschuldner nach Art. 213 ZK. In den vorliegenden Fällen ging die Bf. mit den in den Zollanmeldungen genannten in Italien ansässigen Unternehmen ohne jegliche vorherige Kontaktaufnahme und ohne Vorliegen eines Auftrages eine gesamtschuldnerische Verpflichtung ein, ohne sich von deren tatsächlichen Existenz zu überzeugen und ohne zu überprüfen, ob die eingeführten Wirtschaftsgüter auch tatsächlich für diese Unternehmen bestimmt waren.
Darüber hinaus hat die Bf. mit ihrer Sorglosigkeit riskiert, dass die **IT1** und die **IT2** nach den Zollabfertigungen einwenden könnten, sie hätten nie einen Auftrag zur indirekten Vertretung erteilt. Da die Unerweislichkeit der Vertretungsmacht zu Lasten des Vertreters geht (BFH , VIIR60/84), hat die Bf. riskiert, dass sich die beiden Unternehmen mit großen Erfolgsaussichten gegen eine Heranziehung als Zollschuldner zur Wehr setzen können.
Die Bf. hat also das Risiko auf sich genommen, als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd (falsus procurator) angesehen zu werden und somit als einziger Zollschuldner zur Entrichtung der Eingangsabgaben verpflichtet zu werden. Denn bei fehlender Vertretungsmacht wird der Vertretene nicht berechtigt und verpflichtet. Die Wirkungen des Vertreterhandelns treffen in diesen Fällen nur den Vertreter (Art. 5 Abs. 4 UA 2 ZK).
Die Bf. brachte im Rahmen der Verhandlung vor, sie habe die **IT1** und die **IT2** deshalb nicht kontaktieren können, weil sie zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der **Sped1** den im Speditionsgewerbe üblichen Vertrauensschutz wahren wollte, der eine solche Kontaktaufnahme untersagte. Mit dieser Argumentation kann sie ihren Verzicht auf die geforderte Erteilung der Vertretungsmacht nicht überzeugend erklären. Denn die **Sped1** hätte den Auftrag bei den italienischen Unternehmen anfordern und an die Bf. weiterleiten können. Dies ist nachweislich nicht geschehen.
Dadurch, dass die Bf. auf die Erteilung der geforderten Vertretungsmacht verzichtet hat, hat sie nicht nur unrichtige Angaben in den Zollanmeldungen gemacht, sie hat darüber hinaus auch das Handeln der Steuerbetrüger begünstigt, indem sie es diesen Tätern erspart hat, entsprechende Aufträge zu organisieren.
Dazu kommt, dass es die Bf. durch ihr Vorgehen erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht hat, die Verantwortlichen der **IT1** und der **IT2** zu belangen. Denn diese Personen und die beiden Unternehmen konnten in einem (allenfalls in Italien durchgeführten) Abgaben- bzw. Strafverfahren zu Recht darauf hinweisen, dass sie die eingeführten und ohne ihren Auftrag bzw. ohne ihr Wissen verzollten Waren weder bestellt noch erhalten haben und ihre Beteiligung an den Betrugshandlungen somit mit hohen Erfolgsaussichten in Abrede stellen.
b) Fehlen von Ablieferungsnachweisen
In einer unternehmensintern erstellten Anweisung aus dem Jahr 2001 betreffend die Abfertigungen im Verfahren 4200 heißt es u.a.:
"Bitte unbedingt darauf zu achten, dass wir entsprechende CMR-Frachtbriefe und Weiterleitungslieferscheine von den Empfängern bestätigt in den Positionen haben. Ein ganz wichtiger Punkt!"
Die Bf. konnte dem Zollamt keine von den Empfängern bestätigten CMR-Frachtbriefe vorlegen. Befragt, warum bei den in Rede stehenden Lieferungen von den o.a. Anordnungen abgewichen worden war, gab der ehemalige Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung bekannt (Frage 17):
"Dazu verweise ich auf die Vereinbarung mit der **Sped1**. Dieses Unternehmen hat letztlich die Warenführer beauftragt und die Transporte organisiert. Uns war bekannt, dass die Frachtbriefe jederzeit bei der Fa. **Sped1** ausgehoben werden können. Nach Auffliegen des Betrugsfalles haben wir Kontakt aufgenommen mit dem in Slowenien ansässigen Frächter. Dieser hat uns nachträglich Speditionsbescheinigungen ausgestellt, aus denen hervorgeht, dass die Waren wie vorgesehen an den Empfänger geliefert worden sind. Von der **Sped1** konnten wir nicht alle Frachtbriefe erhalten, weil diese seitens des Zollamtes beschlagnahmt worden waren."
Dem ist zu entgegnen, dass die Waren - wie mittlerweile feststeht - nie an die in den Zollanmeldungen genannten Empfänger geliefert worden sind. Es gibt daher auch keine Frachtbriefe mit entsprechenden Übernahmebestätigungen durch die **IT1** bzw. **IT2**.
Dem ehemaligen Geschäftsführer der Bf. wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung u.a. die Verzollungsunterlagen zu CRN ***7*** vorgelegt. Zu dieser Sendung konnte auch ein CMR-Frachtbrief vorgefunden werden. Aus diesem CMR-Frachtbrief ergibt sich, dass ein anderes Unternehmen als der Warenempfänger die Sendung übernommen hat. Der ehemalige Geschäftsführer konnte auf Befragen (siehe Frage 18) diese Differenz nicht erklären.
Bemerkt wird, dass auf dem erwähnten Frachtbrief die vorgesehene Unterschrift des Warenführers fehlt. Auch darauf hat die Bf. offensichtlich in keiner Weise reagiert.
Zu den von der Bf. angesprochenen (erst nach Auffliegen des Betrugsfalles erstellten) Speditionsbescheinigungen ist darauf hinzuweisen, dass es sich dabei nicht um taugliche Ablieferungsnachweise handelt. Dies zeigt sich beispielsweise schon daran, dass die Speditionsbescheinigung zu CRN ***7*** einen anderen Warenempfänger nennt als die Zollanmeldung. Diese Dokumente sind daher entgegen der Ansicht der Bf. nicht als Beweis dafür geeignet, dass die eingeführten Waren an die vorgesehenen Empfänger übergeben worden sind.
Nach den Feststellungen des Zollamtes im o.a. Abgabenbescheid vom konnten im Zuge der Ermittlungen bei der **Sped1** einige CMR-Frachtbriefe zu den gegenständlichen Lieferungen sichergestellt werden. Diese waren sehr mangelhaft ausgestellt und entsprachen in vielen Fällen nicht den Formalerfordernissen des CMR-Abkommens. Auch diese Abweichungen führten zu keinen erkennbaren Beanstandungen durch die Bf.
Hätte die Bf. - entsprechend den von ihr selbst zum Zwecke der eigenen finanziellen Absicherung erstellten unternehmensinternen Vorgaben - die CMR-Frachtbriefe von der **Sped1** abverlangt, hätte sie schon nach den ersten Lieferungen erkennen können, dass die eingeführten Waren nicht an die in den Zollanmeldungen genannten Empfänger geliefert worden sind und hätte weitere Zollabfertigungen für diese Unternehmen sofort einstellen können.
Die Unterlassungen der Bf. waren daher auch aus dieser Sicht kausal für das Gelingen des Steuerbetrugs in den mehr als 200 gegenständlichen Fällen.
c) Keine Abfragen der UID-Nummern der Empfänger
Beantragt ein Spediteur als indirekter Vertreter mit seiner Sonder-UID in der Zollanmeldung die steuerfreie Einfuhr von Waren, die anschließend innergemeinschaftlich geliefert werden sollen, ist in der Zollanmeldung die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (UID-Nummer) des Empfängers einzutragen.
Die Verwendung der UID-Nummer hat eine wichtige Funktion für die Behandlung der Umsätze. Der Lieferant, dem der Abnehmer seine UID-Nummer eines anderen Mitgliedstaats bekannt gibt, kann grundsätzlich davon ausgehen, dass der Erwerber damit erklärt, im anderen Mitgliedstaat der Erwerbsbesteuerung zu unterliegen und daher die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferungen zu Recht in Anspruch genommen werden könne. Die UID-Nummer hat primär den Zweck, die ordnungsgemäße Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handels sicherzustellen, indem sie einerseits dem Steuerpflichtigen das Vorliegen von Tatbestandselementen signalisiert, deren Kenntnis er für die richtige Besteuerung benötigt, andererseits den Finanzbehörden die Kontrolle der korrespondierenden steuerlichen Behandlung des innergemeinschaftlichen Handels erlaubt. Zusätzlich dient die UID-Nr. dazu, in einzelnen Fällen die Besteuerung praktikabler zu gestalten bzw. Steuerhinterziehungen hintanzuhalten ().
Zur Überprüfung dieser UID-Nummern dient das sogenannte Bestätigungsverfahren.
Damit wird den in den Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen die Möglichkeit geboten, sich von der Gültigkeit der UID-Nr. eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Geschäftspartners überzeugen zu können.
Dabei ist grundsätzlich zwischen zwei Informationsstufen zu unterscheiden:
Stufe 1 (einfaches Bestätigungsverfahren): Hier wird lediglich die Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat vergebenen UID-Nr. überprüft. Der Bezug zu einem bestimmten Unternehmer wird nicht hergestellt.
Stufe 2 (qualifiziertes Bestätigungsverfahren: Hier wird die Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat vergebenen UID-Nummer iVm einem bestimmten Namen und einer bestimmten Anschrift in einem anderen Mitgliedstaat überprüft.
Zur Bedeutung der Inanspruchnahme des Bestätigungsverfahrens auf die Frage, ob der Wirtschaftsbeteiligte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns agiert hat, vertrat der Verwaltungsgerichtshof damals folgende Rechtsansicht ():
"Die Erklärungen des Abnehmers hat der Unternehmer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (Unternehmer) zu prüfen. Maßgebend sind nicht die persönlichen Fähigkeiten, Gewohnheiten und Kenntnisse des Unternehmers, sondern ein objektiver Maßstab, das Verhalten eines ordentlichen, gewissenhaften Kaufmannes, wobei der Sorgfaltsmaßstab nach Geschäftszweigen differenzieren kann ...
Im Regelfall wird der Sorgfaltspflicht dadurch Genüge getan, dass der Unternehmer sich die UID-Nr. des Abnehmers nachweisen lässt. Entscheidend sind aber letztlich die Umstände des Einzelfalles. Konnte der Unternehmer nach den bei der Lieferung gegebenen Umständen auch bei der Anwendung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabes davon ausgehen, dass der Abnehmer Unternehmereigenschaft besitzt und die Lieferung für sein Unternehmen bestimmt ist, bedarf es keiner weiteren Kontrollschritte. Dies wird bei langjährigen, unproblematischen Geschäftsbeziehungen oder bei Geschäften mit international bekannten Abnehmern zutreffen. Bestehen Zweifel an den Gültigkeitskriterien der vorgelegten UID-Nr., so entspricht es der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes, die zumutbaren Schritte zu unternehmen, um sich Gewissheit über die Gültigkeit der UID-Nr. zu verschaffen. Zumutbar ist jedenfalls die Inanspruchnahme des Bestätigungsverfahrens nach Art. 28 Abs. 2 UStG (Ruppe, aaO, Art. 7 BMR, Tz. 26)."
Konsequent durchgeführte Abfragen der UID-Nr der Abnehmer nach Stufe 2 reduzieren das Risiko für den Spediteur wesentlich, dass einer ursprünglich steuerfrei belassenen Lieferung die Steuerfreiheit wegen fehlender Voraussetzungen versagt wird und es zu einer Steuervorschreibung kommt (Hacker-Ostermann in Berger-Bürgler-Kanduth-Kristen-Wakounig (Hrsg), Umsatzsteuergesetz 1994, Auflage 2006, Rz. 31 zu Art. 28).
Der Bf. war die Bedeutung des Bestätigungsverfahrens iSd damaligen Rechtsprechung offensichtlich bekannt. Dies ergibt sich aus der dem Bundesfinanzgericht vorliegenden schriftlichen Vereinbarung zwischen der Bf. und der **Sped1** vom Jänner 2008 in der er u.a. heißt:
"Die UID-Nummern der im Feld 8 genannten Empfänger sind von **Sped1** "Stufe 2" geprüft. Gleichfalls nimmt [die Bf.] noch eine solche Prüfung "Stufe 2" vor."
Im Zuge der mündlichen Verhandlung hat der damalige Geschäftsführer der Bf. eingeräumt, dass diese vereinbarte Vorgehensweise nicht eingehalten worden ist. Dies deckt sich auch mit den Ermittlungserkenntnissen des Bundesfinanzgerichtes, die zu Tage brachten, dass die Bf. die Abfrage der UID-Nummern erstmals am vorgenommen hat.
Damit ist auch die Richtigkeit der Behauptung im Schriftsatz der Bf. vom widerlegt, wonach die Bf. zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr die UID-Nummern der vermeintlichen Empfänger in Italien im qualifizierten Verfahren überprüft habe.
Die Bf. hat sich durch die Unterlassung der vereinbarten Abfrage der UID-Nummern selbst die Möglichkeit genommen, sich davon zu überzeugen, ob die beiden Unternehmen tatsächlich bestehen und ob sie normal am Wirtschaftsleben teilnehmen bzw. ob sie sich bereits in Abwicklung befinden (die **IT1** befand sich bereits seit "in liquidazione").
Es kann als gesichert angenommen werden, dass die Bf. bei Kenntnis dieser Umstände zumindest keine Verzollungen mehr für Rechnung der **IT1** durchgeführt hätte, dass es also zu den Steuerbetrügereien im Zusammenhang mit diesem Empfänger nicht mehr gekommen wäre. Dies zeigt sich auch aus der Tatsache, dass die Bf. die Verzollungen für dieses Unternehmen sofort nach Durchführung des Bestätigungsverfahrens (und dem dabei erhaltenen negativen Ergebnis) eingestellt hat.
d) Ungereimtheiten bei Zollabfertigungen rund um den
Im o.a. Zollschuldbescheid vom heißt es u.a.:
"Erstmalig wurde die UID-Nummer ***8*** der **IT1** am abgefragt. Dabei wurde festgestellt, dass sich das italienische Unternehmen "in Liquidazione" befindet (laut MIAS-Abfragedatenbank seit ).
Daraufhin wurden die Abfertigungen auf dieses Unternehmen unverzüglich eingestellt.
Bei den nachfolgenden Lieferungen wurde der Abnehmer auf **IT2** geändert, deren UID-Nummer ***9*** am einmalig abgefragt wurde.
Hinweise auf diese Vorgehensweise ergaben sich aus den Speditionsakten der [Bf.], wo bei 21 Abfertigungsfällen in diesem Zeitraum zwei idente Rechnungen aufgefunden wurden, die sich nur durch den Empfänger unterscheiden."
Der Berichterstatter hat dem damaligen Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung dazu die Verzollungsunterlagen zu CRN ***7*** vorgelegt, die aus diesem Zeitraum stammen. Dabei handelt es sich um eine Zollanmeldung vom , in der die **IT2** als Empfänger aufscheint. In der bezughabenden Faktura Nr. ***10*** scheint jedoch nicht dieses Unternehmen, sondern die **IT1** als Rechnungsadressat auf. Dieser Rechnungsadressat ist auf der Faktura händisch durchgestrichen.
Der Aufforderung, diese Vorgehensweise zu erklären, kam der ehemalige Geschäftsführer nicht nach. Er verwies vielmehr bloß auf seine bisherigen Aussagen vor dem Zollamt. Diesen Aussagen ist allerdings nach der Aktenlage eine plausible Erklärung für diese doch sehr ungewöhnlichen Abläufe nicht zu entnehmen.
Konfrontiert mit der Tatsache, dass zu dieser Sendung auch ein CMR-Frachtbrief vorliegt, dem zu entnehmen ist, dass ein anderes Unternehmen als der in der Zollanmeldung genannte Empfänger die Ware übernommen hat, meinte er nur, sein Unternehmen habe mit der Frachtführung nichts zu tun gehabt.
Befragt, wie er darauf reagiert habe, als er davon Kenntnis erlangte, dass die Abfrage der UID-Nummer betreffend die **IT1** das Ergebnis N (= nicht gültig) brachte, teilte der ehemalige Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, es sei eine weitere Abfrage durchgeführt worden, die das Ergebnis J (= gültig) erbracht habe.
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Abfragen beim UID-Büro im damaligen Zeitraum dergestalt funktionierten, dass bei einer telefonischen Abfrage der genaue Firmenwortlaut des (hier italienischen) Unternehmens samt dessen UID-Nummer mit präziser Genauigkeit anzugeben war. Hat man bei der Abfrage den Firmenwortlaut oder einen allfälligen Zusatz (hier: in liquidazione) nicht vollständig angegeben, führte dies zum Ergebnis N (= nicht gültig). Nur wenn man den Firmenwortlaut samt Zusätzen korrekt angegeben hat, lautete das Ergebnis J (= gültig).
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass bei der zweiten Abfrage (mit dem positiven Ergebnis) seitens der Bf. der vollständige Firmenwortlaut der **IT1** samt dem Zusatz "in liquidazione" angegeben worden sein muss.
Aus dem gegebenen zeitlichen Zusammenhang ergibt sich der Schluss, dass die Bf. unmittelbar nach Bekanntwerden des Umstandes, dass sich die **IT1** "in liquidazione", also in Abwicklung befand, die Verzollungen für Rechnung dieses Unternehmens einstellte und ab diesem Zeitpunkt die Verzollungen für Rechnung der **IT2** vornahm. Zu diesem Zweck war es natürlich notwendig, die vorhandenen (auf **IT1** lautenden) Fakturen umzuschreiben und neue Fakturen (mit **IT2** als Käufer) zu besorgen. Diese Ersatzfakturen wurden der Bf. offensichtlich von der **Sped1** zur Verfügung gestellt. Die Bf. hatte daher in den erwähnten 21 Fällen zwei Rechnungen mit verschiedenen Rechnungsempfängern im Akt. Dass die Bf. selbst diese außergewöhnlichen Umstände nicht zum Anlass nahm, mit der **IT2** Kontakt aufzunehmen, um deren tatsächliche Eigenschaft als Käufer und Warenempfänger zu überprüfen oder um zumindest einen Auftrag gem. § 38 Abs. 2 ZollR-DG zu verlangen, spricht zweifellos zusätzlich gegen die von der Bf. geltend gemachte Gutgläubigkeit.
e) blindes Vertrauen in die Tätigkeiten der **Sped1**
Wie bereits erwähnt, erhielt die Bf. alle verfahrensgegenständlichen Verzollungsaufträge ausschließlich von der **Sped1** und hatte keinerlei Kontakte mit den von ihr laut Zollanmeldungen indirekt vertretenen Unternehmen. Die **Sped1** übernahm es laut der vorliegenden mit der Bf. geschlossenen Vereinbarung vom Jänner 2008, die für die Verzollungen erforderlichen Handelsrechnungen (die sich im Nachhinein allesamt als gefälscht herausgestellt haben) zu besorgen, diese auf ihre Plausibilität zu prüfen und die Abfragen der UID-Nummern vorzunehmen. Außerdem organisierte die **Sped1** den Transport und versprach der Bf. die Übermittlung von Originalbelegen zum Beweis für die Beförderung nach Italien. Nachträglich kam hervor, dass die **Sped1** die vereinbarten Abfragen der UID-Nummer (zumindest bis ) nicht vorgenommen hat und dass die **Sped1** über keine Frachtbriefe mit Empfangsbestätigungen der vorgesehenen Empfänger verfügte. Der Bf. blieben diese Umstände verborgen, weil sie keinerlei Schritte gesetzt hat, um das Handeln der **Sped1** einer Überprüfung zu unterziehen und nicht einmal das Ausbleiben der zugesagten Übermittlung der Frachtbriefe monierte.
Die Abwicklung war dergestalt organisiert, dass ausschließlich die Bf., nicht aber die **Sped1** zum Abgabenschuldner gem. Art. 201 Abs. 3 erster Satz ZK wurde. Denn die Bf. war Anmelderin und die **Sped1** in den Zollanmeldungen nicht genannt. Das Risiko der beiden involvierten Speditionen war also zum Nachteil der Bf. äußerst einseitig verteilt.
Auf Befragen, warum die Bf. (die mit der **Sped1** erst seit 2007 zusammenarbeitete) trotz der relativ kurzen Geschäftsbeziehung und trotz nur weniger loser Kontakte diesem Unternehmen ein derart großes Vertrauen entgegenbrachte wies der ehemalige Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass die **Sped1** seitens der Zollbehörden geprüft worden sei und eine E-Zollbewilligung erhalten habe. Außerdem habe die Bf. im Rahmen der geschäftlichen Beziehungen mit der **Sped1** ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Insbesondere sei es zu keinen Zahlungsverzögerungen und auch zu keinen zollamtlichen Beanstandungen bei den Zollabfertigungen gekommen. Darüber hinaus habe es sich bei der **Sped1** um einen bekannten Spediteur gehandelt, der große Umsätze an seinem Standort generiert habe.
Dem ist zu entgegnen, dass durch den - seitens der Bf. immer wieder ins Spiel gebrachten - Umstand, wonach die **Sped1** alle von der Bf. erhaltenen Rechnungen stets fristgerecht entrichtet habe, dieses Unternehmen nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichts keinen besonderen Vertrauensvorschuss verdiente. Denn die (grundsätzlich selbstverständliche) friktionslose Zusammenarbeit in diesem Bereich war unabdingbare Voraussetzung für die funktionierende Einschaltung der Bf. zum Zwecke der intendierten Betrugshandlungen.
Dazu kommt, dass sich die Bf. im Zusammenhang mit den hier gewählten speziellen Formen der Zollabfertigungen (Einschreiten als indirekte Vertreterin im Auftrag der **Sped1**) gerade nicht auf jahrelange Erfahrungen stützen konnte. Denn diese Art der Zusammenarbeit war völlig neu und startete erst mit .
Zum angesprochenen Verhältnis zwischen Zollbehörde und **Sped1** ist darauf hinzuweisen, dass laut Angaben der Bf. einer der Gründe für die Auftragserteilung durch die **Sped1** (und das Einschreiten der Bf. als indirekte Vertreterin) darin zu sehen ist, dass dieses Unternehmen über keine ausreichenden finanziellen Sicherheiten für das Nachhineinzahlungskonto beim Zollamt verfügte.
Angesichts der Tatsache, dass es bei den gegenständlichen Zollabfertigungen stets nur um sehr geringe Beträge an zu besichernden Einfuhrabgaben ging, ist der zuletzt genannte Umstand wohl eher nicht geeignet, das Vertrauen in eine verlässliche geschäftliche Partnerschaft zu fördern.
Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum sich die Bf. bei allen relevanten Einzelheiten im Zusammenhang mit der Abwicklung der gegenständlichen Einfuhren ausschließlich und ungeprüft auf die Angaben der **Sped1** verlassen hat und warum sie das mit jeder indirekten Vertretung und Begründung eines Gesamtschuldverhältnisses einhergehende große wirtschaftliche Risiko ohne jede Absicherung eingegangen ist.
f) Unterbleiben jeglicher Maßnahmen zur Minimierung des eigenen finanziellen Risikos
Dem Bundesfinanzgericht ist bekannt, dass sich damals Speditionen, die als Hauptverpflichtete für "fremde" Kunden und für "fremde" Warenführer eingeschritten sind, Namen und Kontaktdaten der Fahrer der Frächter notiert haben, um sich im Falle von Unregelmäßigkeiten über den Verbleib der Sendungen informieren zu können.
Nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes wären beispielsweise derartige Schritte auch in Fällen wie diesen geeignet gewesen, das wirtschaftliche Risiko der Bf. zu minimieren, im Falle allfälliger Nachforderungen als einzige Abgabenschuldnerin herangezogen zu werden. Denn der Bf. waren alle an den gegenständlichen Einfuhren wirtschaftlich beteiligten Unternehmen völlig unbekannt. Sie pflegte werde mit dem Versender, dem Abgangsspediteur in Koper, dem Warenführer noch mit den Warenempfängern (mit denen sie eine gesamtschuldnerische Verpflichtung einging) geschäftliche Beziehungen.
Die Frage, ob die Bf. in den vorliegenden Fällen die eben beschriebene Form der Absicherung zum Einsatz brachte, verneinte der damalige Geschäftsführer der Bf. im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Er verwies diesbezüglich wiederum bloß auf die **Sped1**, in deren Auftrag die Frächter unterwegs gewesen seien.
Der Vertreter der Bf. ergänzte, dass allen Beteiligten damals schlicht das Risiko einer indirekten Vertretung nicht bewusst gewesen sei. Dieses Argument kann seitens des Bundesfinanzgerichtes bloß als Schutzbehauptung qualifiziert werden. Denn, dass einer Spedition, die seit vielen Jahren als Anmelderin auftritt und dabei in unzähligen Fällen Zollanmeldungen als indirekte Vertreterin abgibt, die in Art. 201 Abs. 3 ZK festgelegten Bestimmungen betreffend die Zollschuldnerschaft des Anmelders nicht bekannt sind, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes hat die Bf. angesichts all dieser oben unter a) bis f) dargelegten Umstände nicht alle Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass ihr Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt:
Die von der Bf. zollabgefertigten Waren hat ein ihr unbekannter Frächter im Auftrag eines ihr unbekannten slowenischen Spediteurs von Koper nach Österreich zum Ort der Zollabfertigung befördert. Anschließend hat die Bf. in Vertretung eines ihr völlig unbekannten Warenempfängers mit Sitz in Italien und ohne über einen entsprechenden schriftlichen Auftrag zu verfügen, die Zollanmeldungen abgegeben, obwohl sie wissen hätte müssen, dass sie als indirekte Vertreterin zur Zahlung der EUSt herangezogen werden kann (die Bestimmung des § 71a ZollR-DG existiert seit 1998). Ablieferungsnachweise hat sie nicht verlangt.
Angesichts dieser doch sehr außergewöhnlichen Umstände, die davon geprägt waren, dass die Bf. keinerlei Kontrolle über die tatsächlichen Warenbewegungen hatte und dass die Bf. jede direkte Kontaktaufnahme mit den von ihr - laut Zollanmeldungen - vertretenen Unternehmen unterließ, war es der Bf. zuzumuten, ein Mindestmaß an Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die von ihr angemeldeten Waren Gegenstand eines Steuerbetruges werden. Dies hat die Bf. nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes unterlassen.
Die Bf. hat nicht nur keine erkennbaren wirksamen Schritte zur Minimierung des im Raum stehenden Risikos der Heranziehung als Abgabenschuldnerin gesetzt, sie hat darüber hinaus nicht einmal die von ihr selbst aufgestellten Sicherungsmaßnahmen beachtet. Sie hat sich vielmehr bloß auf die Angaben der **Sped1** verlassen, deren Richtigkeit sie nicht überprüft hat. Dieses Verhalten spricht bei gesamthafter Betrachtung der aufgezeigten Umstände gegen die von der Bf. geltend gemachte Gutgläubigkeit, denn sie hat es den Betrügern damit sehr leicht gemacht.
Die Bf. selbst räumt ein, dass - rückwirkend betrachtet - "wahrscheinlich" ein Mindestmaß an Misstrauen notwendig gewesen wäre.
Der Bf. ist aus den genannten Gründen im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Einfuhren auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen. Diese Einschätzung bezieht sich nicht bloß auf den Zeitraum ab dem , sondern auf den gesamten Zeitraum der verfahrensgegenständlichen Zollabfertigungen. Denn die Bf. hat von Beginn an nicht mit der Vorsicht eines ordentlichen Kaufmanns agiert, indem sie durch die unrichtigen Angaben in den Zollanmeldungen ein mit der **IT1** und der **IT2** tatsächlich nicht bestehendes Vertretungsverhältnis vorgetäuscht hat, obwohl sie - wie sich nun herausgestellt hat - über keinen Auftrag dieser Unternehmen verfügte und somit ohne Vertretungsmacht eingeschritten ist. Dazu kommt, dass sie sogar die unternehmensintern vorgesehenen Vorsichtsmaßnahmen nicht zu Anwendung brachte.
Die Bf. versucht ihr Verhalten damit zu erklären, dass es damals Wissensstand der Spediteure, Zollämter, Finanzämter und der WKÖ gewesen sei, dass ein Spediteur, der als indirekter Vertreter im Verfahren 4200 auftrat, kein Risiko einging, als Steuerschuldner für die EUSt in Anspruch genommen zu werden, wenn feststand, dass die Waren aufgrund der vorliegenden Frachtbriefe Österreich verlassen haben.
Dem ist zu entgegnen, dass eine (nach dem oben ausführlich geschilderten Verhalten der Bf. zweifellos bestehende) auffallende Sorglosigkeit eines Spediteurs nicht erfolgreich damit zu rechtfertigen ist, dass das Unternehmen der Meinung war, ohnedies nicht wegen der Unterlassung der gebotenen Sorgfaltspflichten als Abgabenschuldner belangt werden zu können.
Abgesehen davon stimmt es schlicht nicht, wenn die Bf. meint, die Zollämter hätten die EUSt-Vorschreibung in vergleichbaren Fällen damals nicht vorgenommen. Es ist vielmehr zahlreichen Judikaten zu entnehmen, dass es bereits seit dem Jahr 2003 zu einschlägigen Abgabenbescheiden der Zollbehörden gekommen ist (vgl. etwa oder ).
Die Bf. sprach im Rahmen der mündlichen Verhandlung die hohe Kontrolldichte der Zollbehörde im Zuge der in Rede stehenden Zollabfertigungen an. Sie meint, wenn anlässlich der seitens des Zollamtes durchgeführte Dokumentenkontrolle keine Zuwiderhandlungen entdeckt würden, müsse auch die Bf. annehmen, dass die Verzollungsunterlagen, wozu auch die Rechnungen zählen, in Ordnung seien.
Dem ist zu entgegnen, dass es im Rahmen einer gewöhnlichen Beschau bzw. Dokumentenkontrolle nicht möglich ist, die oben aufgezeigten Versäumnisse der Bf. bzw. die Rechnungsfälschungen zu entdecken. Das Zollamt hatte jedenfalls nach der Aktenlage im Zeitpunkt der Zollabfertigungen noch keine Kenntnis von den oben näher geschilderten Umständen.
Mit dem Hinweis, das Zollamt habe im o.a. Bescheid vom ausgeführt, es könne bei der Bf. weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit festgestellt werden, kann die Bf. im vorliegenden Verfahren nichts gewinnen. Denn das Bundesfinanzgericht erachtet sich im hier gegenständlichen Verfahren auf diese Ansicht, der im dortigen Verfahren auf Grund der vom Zollamt zitierten Bestimmungen des § 73 ZollR-DG keinerlei entscheidungsmaßgebliche Relevanz zukam, nicht gebunden.
Dazu kommt, dass das Zollamt im hier angefochtenen Bescheid der Bf. im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Zollabfertigungen zur Last legt, aufgrund ihrer Versäumnisse und Verfehlungen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns mehr als nur vernachlässigt zu haben und die Bf. daher ihren Antrag nicht erfolgreich auf Vertrauensschutz bzw. Gutgläubigkeit stützen könne (siehe angefochtener Bescheid, Seite 14). Daraus erhellt, dass das Zollamt der Bf. mittlerweile doch offensichtliche Fahrlässigkeit vorwirft.
Nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes ist dieser Vorwurf im Streitfall berechtigt. Dies trotz der Tatsache, dass der Bf. nach der Aktenlage nicht nachgewiesen werden konnte, vom geplanten Steuerbetrug Kenntnis gehabt zu haben. Denn schon die Unterlassung aller Maßnahmen, die vernünftigerweise von einem Wirtschaftsteilnehmer verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handel nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, genügt um von einer offensichtlichen Fahrlässigkeit ausgehen zu können.
Auf Grund der im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse und der oben ausführlich dargelegten Umstände ist davon auszugehen, dass die Bf. im Zusammenhang mit den vorliegenden Zollabfertigungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns agiert hat. Der Bf. selbst war lange vor den Zollabfertigungen bewusst, dass im Zusammenhang mit dem Verfahren 4200 einer sorgfältigen Abwicklung (wie etwa dem Vorliegen von ordnungsgemäßen CMR-Frachtbriefen und der Durchführung von Abfragen der UID-Nummern) eine besondere Bedeutung zukommt (siehe die o.a. Dokumente aus dem Jahr 2001 und vom Jänner 2008).
Dennoch hat sie alle Vorsichtsmaßnahmen unterlassen. Es ist schwer vorstellbar, dass die **Sped1** eine andere Spedition als die Bf. finden hätte können, die sich freiwillig dem bestehenden wirtschaftlichen Risiko aussetzt und dabei mit einer derartigen Sorglosigkeit vorgeht.
Die Bf. hat durch diese Unterlassungen und durch das aufgezeigte Fehlverhalten das Handeln der Steuerbetrüger im oben beschriebenen Ausmaß erleichtert und damit die Zuwiderhandlungen erst ermöglicht. Die daraus resultierende Abgabenbelastung erweist sich daher nicht als unbillig nach Lage der Sache iSd § 83 ZollR-DG.
Zum Antrag der Bf., das Bundesfinanzgericht möge im Zuge des Verfahrens nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union einige Fragen (vor allem im Zusammenhang mit der Heranziehung eines gutgläubigen Wirtschaftsbeteiligten als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer) herantragen, wird festgestellt, dass diesem Begehren nicht zu entsprechen ist, zumal im Streitfall - wie ausführlich dargelegt - gerade nicht von einer Gutgläubigkeit der Bf. auszugehen ist.
Denn der EuGH beantwortet keine hypothetischen Fragen (). Im Übrigen stützt sich die vorliegende Entscheidung auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH.
Das Zollamt ist somit im Ergebnis im Recht, wenn es die Abweisung des Erstattungsantrages damit begründet, dass die Bf. nicht gutgläubig gehandelt habe.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision wird zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage besteht, ob ein Wirtschaftsbeteiligter, der sich im Rahmen der Zollabfertigungen wie oben beschrieben verhält, mit Erfolg Gutgläubigkeit und damit sachliche Unbilligkeit iSd § 83 ZollR-DG geltend machen kann.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 71a ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 73 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 Art. 6 Abs. 3 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 38 Abs. 2 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 |
Verweise | ZK-DVO, Zollkodex-Durchführungsverordnung Art. 899 Abs. 2 ZK, Zollkodex Art. 239 BFH , VII B 19/00 UZK, Zollkodex Art. 288 Abs. 2 ZK, Zollkodex Art. 239 ZK, Zollkodex Art. 239 UZK, Zollkodex Art. 116 Abs. 1 UZK, Zollkodex Art. 121 ZK, Zollkodex Art. 239 Abs. 2 ZK, Zollkodex Art. 220 ZK, Zollkodex Art. 221 UZK, Zollkodex Art. 121 Abs. 3 ZK, Zollkodex Art. 239 ZK, Zollkodex Art. 204 Abs. 3 ZK, Zollkodex Art. 4 Nr. 18 ZK, Zollkodex Art. 201 Abs. 3 ZK, Zollkodex Art. 239 UZK, Zollkodex Art. 239 UZK, Zollkodex Art. 116 ff BFH , VII B 165/16 ZK, Zollkodex Art. 5 Abs. 4 ZK, Zollkodex Art. 213 ZK, Zollkodex Art. 5 UZK, Zollkodex Art. 120 ZK, Zollkodex Art. 236 ZK, Zollkodex Art. 204 Abs. 3 ZK, Zollkodex Art. 204 Abs. 1 ZK, Zollkodex Art. 239 Abs. 1 ZK, Zollkodex Art. 239 Abs. 2 ZK, Zollkodex Art. 239 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7200019.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at