Überwiegende Unterhaltskostentragung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike Stephan in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Familienbeihilfe ab 04/2011 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Strittig ist im gegenständlichen Verfahren, ob dem in Österreich seit 2011 selbständig erwerbstätigen Bf. Familienbeihilfe ab 04/2011 für seine in der Slowakei/Tschechei lebende Tochter zusteht, die mit Ihrer Mutter (der geschiedenen Gattin des Bf.) im gemeinsamen Haushalt lebt.
Anzumerken ist, dass der geschiedenen Gattin des Bf. von der belangten Behörde seit 08/2014 Familienbeihilfe/Differenzzahlung ausbezahlt wird.
Verfahrensgang
Am reichte der Beschwerdeführer (Bf.) einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für seine am ***Datum*** geborene Tochter ***1*** bei der belangten Behörde ein.
Am verschickte die belangte Behörde Bescheinigungsersuchen betreffen den Familienstand (Formular "E 401") und den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) (Formular "E 411") in die Slowakei sowie Bescheinigungsersuchen betreffend die Fortsetzung der Schulausbildung (Formular "E 402") und das Formular "E 411" betreffend Anspruch auf Familienleistungen in der Tschechischen Republik.
Mit Vorhalt vom forderte die belangte Behörde den Bf. auf, den Antrag (Beih 1) auszufüllen, eine gültige Bankverbindung bekannt zu geben, die Gattin die Verzichtserklärung unterzeichnen zu lassen, die Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde, alle Pflegeverträge seit April 2011, alle Honorarnoten für den Zeitraum, sowie eine Bestätigung über den gemeinsamen Wohnsitz der Familie in der Slowakei vorzulegen.
Am langten bei der belangten Behörde die von der slowakischen Behörde retournierten Formulare E 401 (Familienstandsbescheinigung) und E 411 (Anspruch auf Familienleistung) ein. Darin wird bescheinigt, dass die geschiedene Ehegattin des Bf. zusammen mit der Tochter des Bf. (für welche Familienbeihilfe beantragt wurde) in einem gemeinsamen Haushalt in der Slowakei lebt und die geschiedene Gattin des Bf. in der Zeit von 01/2011 bis 09/2011 Anspruch auf Familienleistungen in Höhe von € 198,09 € gehabt habe. Seit 10/2011 bestehe kein Anspruch auf Familienleistungen mehr in der Slowakei. In der Slowakei gehe die geschiedene Gattin des Bf. von 01/2011 bis laufend keiner beruflichen Tätigkeit nach.
Das von der tschechischen Behörde retournierte Formular "E 411" (Anspruch auf Familienleistung) bescheinigt, dass die geschiedene Gattin des Bf. ab 04/2011 eine berufliche Tätigkeit ausübt und in der Tschechei kein Anspruch auf Familienleistung bestehe, da das Familieneinkommen zu hoch sei.
Mit dem retournierten Formular "E402" (Bescheinigung über die Fortsetzung der Schulausbildung) wird vom Maticini Gymnazium bescheinigt, dass die Tochter des Bf. voraussichtlich bis 2020 in einer Schulausbildung stehe (Bestätigungsdatum ).
Mit Ergänzungsersuchen vom forderte die belangte Behörde einen Nachweis über die Unterhaltsleistung für seine Tochter und die Verzichtserklärung der Kindesmutter, da sie vorrangig anspruchsberechtigt sei.
Am übermittelte die Kindesmutter ein als "Ehrenerklärung" bezeichnetes Schreiben an die belangte Behörde samt Nachweis über die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen. Sie sei geschieden und nicht wiederverheiratet. Das Schreiben wurde von einem Notar beglaubigt.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag auf Familienbeihilfe ab 04/2011 mit folgender Begründung ab:
"Bei der Familienbeihilfe im Falle getrenntlebender Eltern, ist bei Wohnort des Kindes im Ausland zu prüfen, ob der in Österreich beschäftigte, getrenntlebende Elternteil überwiegend Unterhalt für das Kind leistet. Laut vorgelegten Nachweisen leisteten Sie im Zeitraum 04/2011 bis 05/2013 €42, ab 06/2013 bis laufend monatliche € 100. Die überwiegende Kostentragung ist somit nicht nachgewiesen und der Antrag vom abzuweisen."
In der gegen den Abweisungsbescheid rechtzeitig eingebrachten Beschwerde vom brachte der Bf. vor, die leibliche Mutter und seine Tochter würden in Tschechien leben und die Tochter gehe dort auch zur Schule. In der Tschechei bekomme die Mutter kein Kindergeld und habe er diese Bestätigungen bereits vorgelegt. Er zahle Alimente in Höhe von monatlich € 100 und lebe die Tochter im Sommer bei ihm und kaufe er alles für die Schule, Ausflüge und Kleidung. Er werde die Familienbeihilfe mit seiner Frau teilen.
Die am ergangene abweisenden Beschwerdevorentscheidung begründete die belangte Behörde wie folgt:
"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Abs. 2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom in der Rechtssache C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) obliegt es der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.
Da in Österreich vorrangig anspruchsberechtigt jener Elternteil ist, der das Kind in seinem Haushalt hat, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, da Ihre Tochter nicht in Ihrem Haushalt lebt."
Im Vorlageantrag vom (wegen Ortsabwesenheit als rechtzeitig zu werten), bringt der Bf. vor, er habe mit seiner Frau eine schriftliche Vereinbarung getroffen, die Familienbeihilfe zur Gänze der Tochter zu überweisen. Die Unterschrift der Mutter wurde auf dem Vorlageantrag notariell beglaubigt.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Auf der Grundlage des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:
Der Bf. ist slowakischer Staatsbürger. Er ist von der leiblichen Mutter seiner Tochter geschieden, Mutter und Tochter leben in einem gemeinsamen Haushalt. Sie sind dauerhaft wohnhaft in ***Adr1*** (Slowakei) und vorübergehend wohnhaft in ***Adr2*** (Tschechische Republik), wo die Tochter ein Gymnasium besucht.
Der Bf. ist in Österreich als Personenbetreuer tätig. Er hat das Gewerbe am angemeldet. Er unterliegt als gewerblich selbständiger Erwerbstätiger der Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) und leistet Sozialversicherungs-beiträge an die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA).
Die geschiedene Gattin des Bf. ist in der Tschechei beschäftigt. Sie bezog für den Zeitraum 01/2011 bis 09/2011 Kindergeld in Höhe von € 198,09. Seit 10/2011 hat sie, wegen zu hohem Familieneinkommens, weder in der Tschechischen Republik noch in der Slowakei Anspruch auf Familienleistungen.
Der Bf. hat im Zeitraum 04/2011 bis 05/2013 Unterhaltskosten in Höhe von € 42 pro Monat und ab 06/2013 € 100 pro Monat getragen.
Die durchschnittlichen Unterhaltskosten für ein in der Tschechischen Republik lebendes Kind im Alter von 10 bis 15 Jahren betragen € 255.
Beweiswürdigung
Aktenkundig ist die Auskunft der zuständigen tschechischen Behörde, des Arbeitsamts der Tschechischen Republik (Úřad práce ČR), dass die Bf im Streitzeitraum zufolge Übersteigens der Familieneinkommensgrenze keinen Anspruch auf tschechisches Kindergeld für ihr haushaltszugehöriges Kind hatte. In der Slowakei bestand laut Auskunft der zuständigen Behörde ein Anspruch auf Familienleistung für den Zeitraum 01/2011 bis 09/2011.
Die durchschnittlichen Unterhaltskosten wurden im Schätzungswege ermittelt (siehe unten).
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
§ 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) lautet:
"Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,"
….
§ 2 Abs. 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 lautet:
"Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist."
Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Im Titel I (Allgemeine Bestimmungen) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom , in der Fassung der Berichtigung ABl. L 200 vom , (im Folgenden VO 883/2004) lautet der Art. 7 samt Überschrift:
"Aufhebung der Wohnortklauseln: Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."
Im Titel II (Bestimmung des anwendbaren Rechts) der VO 883/2004 lautet der Art. 11 Abs. 1 bis 3 samt Überschrift:
"Allgemeine Regelung
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
………..
Im Titel III (Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen) Kapitel 8 (Familienleistungen) der VO 883/2004 lauten die Art. 67 und 68 jeweils samt Überschrift:
"Art 67: Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen
Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.
Artikel 68: Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen
(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;
ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;
iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.
(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.
……
Rechtliche Erwägungen
Der Bf. unterlag für den Streitzeitraum den Rechtsvorschriften Österreichs, weil er hier unstrittig eine Beschäftigung ausübte (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der VO 883/2004).
Damit besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe für die im Streitzeitraum noch minderjährige Tochter des Bf. (§ 2 Abs. 1 lit. a FLAG). Die Bestimmung des § 5 Abs. 3 FLAG wird für die in Tschechien/Slowakei lebende Tochter des Bf. durch die Bestimmung des § 53 Abs. 1 zweiter Satz FLAG iVm Art. 67 der VO 883/2004 verdrängt.
Die Mutter der Tochter des Bf. unterlag im Streitzeitraum den Rechtsvorschriften Tschechiens (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der VO 883/2004).
Nach den Rechtsvorschriften der Tschechischen Republik sowie der Slowakei bestand ab 10/2011 kein Anspruch mehr auf Familienleistungen für die Tochter des Bf.
Zum Familienbeihilfenanspruch eines in Österreich Beschäftigten oder selbständig Erwerbs-tätigen, dessen Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und zu dessen Haushalt es nicht gehört, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits zur Vorgängerregelung der VO 883/2004 darauf abgestellt, ob der in Österreich lebende Elternteil die Unterhaltskosten für das in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Kind überwiegend trägt (vgl. etwa ; ; ; , VwSlg 8225/F).
Zu vergleichbaren Konstellationen hat der Verwaltungsgerichtshof im Anwendungsbereich der VO 883/2004 einen Anspruch des in einem anderen Mitgliedstaat im gemeinsamen Haushalt mit dem Kind wohnenden Elternteils dann verneint, wenn der in Österreich eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübende Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind nicht gehört, die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt (vgl. ; ).
Art. 67 der VO 883/2004 soll es den Wandererwerbstätigen erleichtern, Familienbeihilfen in ihrem Beschäftigungsstaat zu erlangen, wenn ihre Familie ihnen nicht in diesen Staat gefolgt ist, und soll insbesondere verhindern, dass ein Mitgliedstaat die Gewährung oder die Höhe von Familienleistungen davon abhängig machen kann, dass die Familienangehörigen des Erwerbstätigen in dem Mitgliedstaat wohnen, in dem die Leistungen erbracht werden (, Michael Moser, Rn 36).
Dergestalt besteht gemäß § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG der Anspruch auf Familienbeihilfe des Elternteils, welcher im Bundesgebiet wohnt und die Unterhaltskosten des Kindes überwiegend trägt, wenn der andere Elternteil, zu dessen Haushalt das Kind gehört, im Bundesgebiet weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat und somit die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 FLAG nicht erfüllt. Insoweit bedarf es einer Verdrängung der nationalen Bestimmung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG durch Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der VO 987/2009 nicht, um den Anspruch für das Kind zu begründen (vgl. ).
Erst wenn der in Österreich wohnhafte Elternteil die Unterhaltskosten für das Kind nicht überwiegend trägt und deshalb aus § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG keinen Anspruch ableiten kann, und auch sonst nach nationalem Recht keine andere Person in Betracht käme, greift die Verdrängung des Wohnsitzerfordernisses in § 2 Abs. 1 FLAG für einen in § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG genannten Anspruchsberechtigten.
Ob eine Person die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend getragen hat, hängt einerseits von der Höhe der gesamten Unterhaltskosten für ein den Anspruch auf FB vermittelndes Kind in einem bestimmten Zeitraum und andererseits von der Höhe der im selben Zeitraum von dieser Person tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeiträge ab. Ohne (zumindest schätzungsweise) Feststellung der gesamten Unterhaltskosten für ein Kind lässt sich, wenn dies nicht auf Grund der geringen (absoluten) Höhe der geleisteten Unterhaltsbeiträge ausgeschlossen werden kann, somit nicht sagen, ob die Unterhaltsleistung in einem konkreten Fall eine überwiegende war ( mit Verweis auf ).
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben die Unterhaltskosten der Tochter des Bf. nicht ermittelt/bekanntgegeben.
Im Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht zu einer möglichen objektivierbaren Schätzung von Unterhaltskosten auf die österreichischen Regelbedarfssätze hin.
Unter Regelbedarf ist allgemein jener Bedarf zu verstehen, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidern, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (vgl. ; u.v.a.).
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gibt auf Grund statistischer Daten "Regelbedarfsätze" bekannt. Das BMF veröffentlicht diese "Regelbedarfsätze" regelmäßig.
In den Jahren 2011-2014 hat der Regelbedarf in Österreich für ein im Jahr 2000 geborenes Kind € 354 betragen (vgl. Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 33 Anm 100).
Im Jahr 2011 hat das österreichische Preisniveau gegenüber dem Durchschnittswert in der Europäischen Union 107 betragen, das tschechische Preisniveau 77. € 354 in Österreich entsprechen im Durchschnitt der Europäischen Union (27) € 331 (354/1,07). Nach dem tschechischen Preisniveau läge der Regelbedarf bei rund € 255 (331*0,77).
Das Bundesfinanzgericht schätzt daher die Unterhaltskosten aus den oben wiedergegebenen Überlegungen mit € 255 monatlich.
Der Bf. hat im Zeitraum 04/2011 bis 05/2013 monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von € 42 und ab 06/2013 in Höhe von € 100 geleistet.
Da der Bf. die Unterhaltskosten nicht überwiegend getragen hat, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit im Beschwerdefall Rechtsfragen zu lösen waren, folgt das Bundesfinanzgericht der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden ist.
Linz, am
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.5101812.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at