Von der Steuerpflichtigen übernommene Pflegekosten ihres Vaters als außergewöhnliche Belastung
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7100292/2022-RS1 | Derjenige Teil der Pflegekosten, die der Gepflegte mangels Vermögens und hinreichenden Einkommens nicht selbst tragen kann und die tatsächlich von dem einzigen Kind des Gepflegten getragen werden, erwachsen dem Kind zwangsläufig und sind außergewöhnlich. Die wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist durch Ansatz des Selbstbehaltes zu berücksichtigen. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Christian Seywald in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Bf.) vom gegen den Einkommensteuerbescheid (Arbeitnehmerveranlagung) für 2019 des Finanzamtes Österreich vom zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
Gemäß § 279 BAO wird der Beschwerde teilweise stattgegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert. Die Einkommensteuer für das Jahr 2019 wird mit -3.086,00 Euro festgesetzt. Die Bemessungsgrundlagen hierfür sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
A) Verfahrensablauf:
Die Beschwerdeführerin (Bf.) machte in ihrer Einkommensteuererklärung (Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung) für 2019 Krankheitskosten in Höhe von 11.834,16 € als außergewöhnliche Belastungen geltend.
Das Finanzamt richtete einen mit datierten Ergänzungsauftrag gemäß § 161 Abs. 1 BAO ("Ersuchen um Ergänzung", Vorhalt) an die Bf., welchen die Bf. mit Schreiben vom (samt Beilagen) beantwortete. Demnach machte die Bf. außergewöhnliche Belastungen von in Summe 13.578,26 € geltend, welche sich folgendermaßen zusammensetzten:
2.674,63 € hinsichtlich der Bf. persönlich;
10.903,63 € von der Bf. übernommene Ausgaben hinsichtlich des pflegebedürftigen, im Jahr 1922 geborenen und im Mai 2020 verstorbenen Vaters der Bf.
Das Finanzamt Österreich erließ an die Bf. den angefochtenen, mit datierten Einkommensteuerbescheid 2019, mit welchem die Einkommensteuer für 2019 mit -336,00 € festgesetzt wurde, was gleichbedeutend mit einer Gutschrift aus der Arbeitnehmerveranlagung für 2019 in Höhe von 336,00 € war. Bei der Ermittlung des Einkommens wurden außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.674,63 € anerkannt, welche aber sogleich durch einen Selbstbehalt in derselben Höhe neutralisiert wurden. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde zu den außergewöhnlichen Belastungen einerseits ausgeführt, dass der für die Bf. gültige Selbstbehalt 6.375,79 € betrage, und andererseits ausgeführt: "Die beantragten außergewöhnlichen Belastungen Ihres Vater sind um die erhaltenen steuerfreienZuschüsse (zB Pflegegeld) zu kürzen. Daher wurden die nachgewiesenen Kosten um das erhaltenePflegegeld gekürzt. Da das Pflegegeld im Veranlagungsjahr jedoch höher war als die beantragtenaußergewöhnlichen Belastungen des Vaters, konnten diese keine steuerliche Berücksichtigung finden."
Die Bf. erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom Beschwerde. Die Bf. gab den diesbezüglichen Brief an das Finanzamt Österreich eingeschrieben am bei einem Postpartner auf. Zunächst wurde die Beschwerde nicht dem Steuerakt der Bf. zugeordnet. Infolge einer telefonischen Urgenz der Bf. reichte die Bf. als Beilage zu einem Schreiben vom die Beschwerde vom nochmals beim Finanzamt ein. In der Beschwerde bringt die Bf. insbesondere vor: "Mit meiner Arbeitnehmerveranlagung 2019 habe ich parallel auch für meinen am verstorbenen Vater NameVater für das Jahr 2019 eine Arbeitnehmerveranlagung gemacht.In dieser Arbeitnehmerveranlagung (Steuernr. StNrVater, Versicherungsnr. SVnrVater),über die bis dato noch nicht entschieden wurde, wurden von mir die außergewöhnlichenBelastungen für meinen Vater nur soweit aufgenommen, soweit er sie aus seinem Einkommendecken konnte (…).
Daher habe ich in meine Arbeitnehmerveranlagung (…) nur dieaußergewöhnlichen Belastungen meines Vaters aufgenommen, die er nicht aus seinemEinkommen (inklusive Pflegegeld, Unterstützungsbeitrag für die 24-Stunden-Hilfe und ErsatzBVA) tragen konnte.
Aus diesem Grund ist der überschießende Betrag, der aus sittlichen Gründen durch michgedeckt werden musste (…) in der Höhe von € 10.903,63 bei mir alsaußergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt (mein Vater hatte Pflegestufe 7!) zuberücksichtigen."
Das Finanzamt richtete einen mit datierten Ergänzungsauftrag gemäß § 161 Abs. 1 BAO ("Ersuchen um Ergänzung", Vorhalt), der auch Elemente eines Bedenkenvorhaltes gemäß § 161 Abs. 2 BAO enthielt, an die Bf., welchen die Bf. mit Schreiben vom (samt Beilagen) beantwortete. Demnach war der Nachlass ihres Vaters, der ihr am eingeantwortet wurde, mit 2.228,88 € überschuldet. Die Bf. machte in Summe 12.923,06 € (10.248,43 € hinsichtlich ihres Vaters plus 2.674,63 € hinsichtlich ihr persönlich) geltend. Auf eine entsprechende Frage des Finanzamtes antwortete die Bf., dass sie in den letzten sieben Jahren keine größeren Vermögenszuwendungen des Vaters erhalten habe.
Auf das vom Finanzamt vorgehaltene Einkommen des Vaters (23.219,87 € laut dem diesen betreffenden Einkommensteuerbescheid 2019 vom ; später durch eine BVE abgeändert) antwortete die Bf.: "Die von Ihnen genannte Summe von € 23.220,- für 2019 ergibt monatlich € 1.935,-.Dieser Betrag musste aufgewendet werden für die üblichen Lebenshaltungskosten,wie Essen und Trinken (auch für die 24-Stunden-Betreuer/in), Bekleidung,Betriebskosten der Wohnung in Wien an die Hausverwaltung, Strom und Gas,Raumpflege, Fuß- und Handtrainer, Rotlicht (Repuls Gerät), Anschaffung eines Radios,eines Klimagerätes und Taschengeld. All dies konnte und wurde nicht unter denaußergewöhnlichen Belastungen geltend gemacht.
Allein die Kosten für die 24-Stunden-Hilfe betrugen 2019 insgesamt € 30.398,08."
Die Kosten der Pflege ihres Vaters stellte die Bf. anhand folgender zwei Berechnungen dar:
2019 / vom Vater getragene Kosten:
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Medizinische Kosten (Pflege und Hilfe) | 30.398,08 € |
Behandlungsbeiträge | 114,28 € |
Sonstiges | 425,64 € |
Heilbehelfe | 196,84 € |
31.134,84 € | |
- Unterstützungsbeitrag für 24-Stunden-Hilfe | -4.950,00 € |
- Pflegeld (abzüglich Spitalsaufenthalte) | -16.790,51 € |
9.394,33 € |
2019 / von der Bf. für ihren Vater übernommene Kosten:
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Medizinische Kosten (Wundmanagement, Physio, Arzt, Apotheke) | 9.875,28 € |
Heilbehelfe | 3.825,19 € |
13.700,47 € | |
- Kostenersatz BVA (Physio) | -3.382,92 € |
- Kostenersatz BVA (Wundmanagement) | -69,12 € |
10.248,43 € |
Das Finanzamt Österreich (belangte Behörde) erließ eine mit datierte Beschwerdevorentscheidung (BVE) gemäß § 262 BAO an die Bf., mit welcher der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2019 dahingehend geändert wurde, dass außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 4.296,03 € anerkannt wurden, welche aber sogleich durch einen Selbstbehalt in derselben Höhe neutralisiert wurden. Laut Begründung setzte sich dieser Betrag aus 2.674,63 € eigene außergewöhnliche Belastungen und 1.621,40 € hinsichtlich des Vaters zusammen. Letztgenannten Betrag ermittelte die belangte Behörde mittels folgendem Berechnungsschema:
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Pflegekosten f.24h-Betr.u.sonst. Aufwendungen hinsichtl. d.Vaters | 44.835,31 € | |
- Pflegezuschuss | -4.950,00 € | |
- Pflegegeld | -16.790,51 € | |
- Kostenersätze BVA | -3.452,04 € | |
Kosten abzüglich steuerfreier Ersätze | 19.642,76 € | |
Einkommen des Vaters der Bf. | 30.285,36 € | |
- Ausgleichszulagenrichtsatz | -12.264,00 € | |
= vom Vater zu tragen gewesene Kosten | 18.021,36 € | -18.021,36 € |
1.621,40 € |
Mit Schreiben vom brachte die Bf. eine Beschwerde gegen den vorgenannten Bescheid (Beschwerdevorentscheidung) vom ein. Die Bf. brachte darin vor: "Der hier bekämpfteBescheid vernachlässigt, dass mein Vater …auch während des ganzenJahres 2019 Inhabereines Behindertenpasses (ausgestelltvom Sozialministeriumam , Gradder Behinderung 100 %) war. Ein diesbezüglicher Freibetrag ist in früherenEinkommensteuerbescheiden als außergewöhnliche Belastung enthalten (sieheEinkommensteuerbescheid 2015, Steuenummer04 StNrVater).Diese außergewöhnliche Belastung sollte nach meinem Wissen zu einem Abzug vonzumindest € 363,00 im Jahr 2019 vonseinemsteuerpflichtigen Einkommen führen. Da ich aufgrund meiner besonderen Situationals einzigeTochter meines verwitweten Vaters sozialverpflichtet war, die aus seinem Einkommen nichttragbaren hohenKrankheits- undPflegekostenzu übernehmen, würde sich diese Reduktion seines Einkommens auf eineErhöhung meiner außergewöhnlichen Belastungenunddamit auf meine einkommensteuerrechtlicheSituation auswirken."
Das Finanzamt Österreich (belangte Behörde) legte die Beschwerde vom sowie die als Vorlageantrag zu wertende Beschwerde vom gegen die Beschwerdevorentscheidung am an das Bundesfinanzgericht vor. In dem diesbezüglichen Vorlagebericht vom wird u.a. ausgeführt:
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde: "Die Beschwerde vom wurde laut Aufgabeschein (siehe Vorhaltsbeantwortung 2 vom Seite 9) am bei der Post aufgegeben."
"Zur Frist: Da die Beschwerde nachweislich fristgerecht bei der Post aufgegeben wurde, ist von einer rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde auszugehen."inhaltlich: "Die Kosten der häuslichen Pflege und sonstigen für den Vater … zu tragenden Aufwendungen betrugen im Jahr 2019 insgesamt € 44.835,31.
An Ersätzen wurden dem Vater folgende Beträge gewährt:
Pflegegeld € 16.790,51
Pflegezuschuss € 4.950,00
Kostenersätze BVA € 3.452,04
Der Vater erzielte im Jahr 2019 ein steuerpflichtiges Einkommen von € 30.285,36.
Bei der Bf. selbst fielen Krankheitskosten in Höhe von € 2.674,63 (nach Abzug von Gutschriften der Wr. GKK in Höhe von € 302,30) an."
"Es wird auf die ausführliche Begründung der BVE vom verwiesen.
Auszuführen ist, dass die von der Bf. im Vorlageantrag beantragte Abänderung keine Auswirkung auf das Ergebnis der Veranlagung 2019 hätte. Würde man das Einkommen des Vaters um weitere € 363 reduzieren, würde sich der bei der Bf. zur berücksichtigende Betrag zwar erhöhen, im Ergebnis würde der Selbstbehalt aber nicht überschritten werden.
Abgesehen davon ist Sinn der in der BVE dargestellten Berechnung, zu ermitteln in welcher Höhe die beantragten außergewöhnlichen Belastungen in der Veranlagung des Pfleglings (= Vater der Bf.) zu berücksichtigen wären. Es wäre entsprechend sinnwidrig, wenn man bei Berechnung dieses Betrages das Einkommen bereits um außergewöhnliche Belastungen kürzen würde.
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass im Einkommensteuerbescheid des Vaters der Bf. kein Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 angesetzt wurde, weil stattdessen ein wesentlich höherer Betrag an tatsächlichen Kosten der Behinderung berücksichtigt wurde (vgl. § 35 Abs. 5 EStG 1988).
Insgesamt erweist sich der angefochtene Bescheid somit als rechtsrichtig. Es wird beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen."
Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat erwogen:
B) Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde vom :
Die Bf. hat die Beschwerde mit eingeschriebenem Brief am an das Finanzamt Österreich (Postleitzahl 1000) abgesendet. Dies ist unstrittig und durch den Beleg des Postpartners nachgewiesen. Weiters ist unstrittig, dass die Beschwerde fristgerecht eingebracht wurde. Damit ist unstrittig, dass die Beschwerde beim Finanzamt Österreich eingelangt ist, aber innerhalb des Finanzamtes, d.h. vor oder beim Scannen oder beim Zuordnen zum elektronischen Steuerakt in Verstoß geraten ist. Dies erscheint auch dem BFG angesichts der Umorganisation der Finanzverwaltung per als wahrscheinlicher als das Verschwinden auf dem Postweg, welches der Bf. zuzurechnen gewesen wäre und nur durch einen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 308 BAO zu sanieren gewesen wäre.
Aufgrund dieser Sachverhaltsfeststellung ist die Beschwerde beim Finanzamt Österreich wirksam am und damit rechtzeitig eingebracht worden, weil die Tage des Postlaufes gemäß § 108 Abs. 4 BAO nicht in die Frist eingerechnet werden, wenn das Schriftstück - wie hier laut Sachverhaltsfeststellung - überhaupt bei der Behörde eingelangt ist. (Vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 108 Tz. 9 f.)
C) Zum Rechtsmittel vom :
Zu einer Beschwerde hat gemäß § 262 BAO im Regelfall zwingend eine Beschwerdevorentscheidung zu ergehen (vgl. § 262 Abs. 1 BAO: "Über Bescheidbeschwerden ist nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.") Dies ist hier mit der Erledigung vom , welche mit "EINKOMMENSTEUERBESCHEID 2019" und "Beschwerdevorentscheidung gem. § 262 BAO" bezeichnet wurde, geschehen.
Gegen eine Beschwerdevorentscheidung (BVE) ist als Rechtsmittel nicht die (Bescheid)Beschwerde gemäß § 243 BAO vorgesehen, sondern nur der Vorlageantrag (=Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht), zu welchem § 264 Abs. 1 Satz 1 BAO bestimmt: "Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§ 97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag)."
Die Bf. hat ihr Rechtsmittel vom gegen die BVE vom als Beschwerde bezeichnet, jedoch nicht als Antrag auf Entscheidung über ihre (Bescheid)Beschwerde durch das Verwaltungsgericht (BFG) oder als Vorlageantrag. Dies ist aber unschädlich, und das Rechtsmittel vom ist nicht zurückzuweisen. Vielmehr ist klar erkennbar, was die Bf. mit dem Rechtsmittel vom anstrebt, nämlich eine weitere Entscheidung in der gegenständlichen Angelegenheit zu erlangen. Daher ist das Rechtsmittel vom als Vorlageantrag gegen die BVE vom (=Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde vom durch das Verwaltungsgericht) aufzufassen. (Vgl. Ellinger et al., E10 und E10a zu § 85 BAO)
Somit liegt ein (rechtzeitig innerhalb eines Monates eingebrachter) Vorlageantrag vor. Gemäß § 264 Abs. 3 BAO gilt die Beschwerde vom ab Einbringung des Vorlageantrages wiederum als unerledigt, sodass das BFG mit der vorliegenden Entscheidung (Erkenntnis) über die Beschwerde vom entscheiden kann. Eine gesonderte Entscheidung über den Vorlageantrag erfolgt nach dem in der BAO vorgesehenen System nicht.
D) Zu den inhaltlichen Streitpunkten, und zwar der Höhe der außergewöhnlichen Belastungen und der Berücksichtigung eines Selbstbehaltes:
D/1) Hinsichtlich der persönlichen außergewöhnlichen Belastungen (Krankheitskosten) der Bf.:
D/1/a) Höhe und Eigenschaft als außergewöhnliche Belastungen:
Die Höhe der außergewöhnlichen Belastungen (und deren Eigenschaft als solche), die der Bf. im Jahr 2019 aus persönlichen Krankheitskosten (medizinische Kosten und Heilbehelfe) abzüglich Ersätzen durch die WGKK erwachsen sind, ist unstrittig: 2.674,63 € entsprechen sowohl dem von der Bf. diesbezüglich geltend gemachten Betrag als auch dem im angefochtenen Bescheid berücksichtigten Betrag (welcher freilich durch einen Selbstbehalt in gleicher Höhe neutralisiert wurde).
D/1/b) Zum Selbstbehalt für die außergewöhnlichen Belastungen aus persönlichen Gründen:
Gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 bis 3 EStG 1988 muss eine Belastung folgende Voraussetzungen erfüllen, damit sie als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig ist: Sie muss außergewöhnlich sein, zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Zu Letzterem wird in § 34 Abs. 4 Satz 1 EStG ausgeführt: "Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt."
Die Ausnahmen hierzu werden ist § 34 Abs. 6 EStG 1988 folgendermaßen geregelt: "Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
-Aufwendungen zur Beseitigung von Katastrophenschäden, insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden im Ausmaß der erforderlichen Ersatzbeschaffungskosten.
-Kosten einer auswärtigen Berufsausbildung nach Abs. 8.
-Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
-Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).
-Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind."
Keine dieser Ausnahmen trifft hier zu: Die der Bf. aus persönlichen Krankheitskosten erwachsenen außergewöhnlichen Belastungen sind keine Kosten, die der Bf. aus einer Behinderung erwachsen wären, denn es wird nicht vorgebracht und gibt auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bf. behindert wäre.
Die außergewöhnlichen Belastungen aus persönlichen Krankheitskosten sind daher nur insoweit abzugsfähig, als sie gemeinsam mit den außergewöhnlichen Belastungen aus der Behinderung ihres Vaters den Selbstbehalt in Höhe von 6.375,79 € übersteigen.
D/2) Zu den außergewöhnlichen Belastungen hinsichtlich des Vaters der Bf.:
D/2/a) Sachverhalt:
Der Vater der Bf. war laut Diagnose Dris ArztFürAllgemeinmedizin auf der Honorarnote vom an Parkinson-Syndrom und Hypertonie erkrankt. Die in der Beschwerde zusätzlich angeführte Demenz und Herzinsuffizienz erscheint aufgrund des geltend gemachten Aufwandes für Inkontinenz bzw. als Ursache der Hypertonie glaubwürdig, können aber hier dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls handelte es sich nicht um eine kurzfristige Erkrankung, sondern um eine längerfristige Einschränkung aufgrund der Krankheiten, sodass es sich bei den Krankheiten um eine Behinderung handelte (vgl. Wanke in Wiesner et al., Anm. 3 zu § 35 EStG).
An die Bf. als Erbin nach ihrem Vater erging betreffend Einkommensteuer 2019 eine mit datierte Beschwerdevorentscheidung (BVE), aufgrund welcher unter dem Titel "nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen" 9.419,89 € bei der Einkommensermittlung abgezogen wurden, und aufgrund welcher im Jahr 2019 das Einkommen des Vaters der Bf. 20.865,47 € betrug. Auch daraus ist auf das Vorliegen einer Behinderung des Vaters der Bf. im Streitjahr 2019 zu schließen. Dieses Einkommen laut BVE ist um 2.354,40 € niedriger als laut ursprünglichem Einkommensteuerbescheid 2019 vom , indem die von der Bf. als Erbin in einer Beschwerde vom zusätzlich beantragten außergewöhnlichen Belastungen aus dem Titel der Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft in Höhe von 2.354,40 € anerkannt wurden.
Der Vater der Bf. hatte in den Monaten des Streitjahres 2019 zumindest Pflegestufe 4. Dies entspricht dem Beschwerdevorbringen und dem übermittelten Lohnzettel für das Jahr 2019, laut dem der Vater der Bf. im Jahr 2019 Bundespflegegeld in Höhe von 16.891,70 € erhielt.
Der Vater der Bf. hatte eine festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit von zumindest 55%, was aus der Gewährung eines Freibetrages wegen eigener Behinderung in Höhe von 294,00 € im vorgebrachten Einkommensteuerbescheid 2015 in Verbindung mit § 35 Abs. 3 EStG zu schließen ist, woraus (>25%) wiederum auf das Vorliegen einer Behinderung zu schließen ist. Die höhere vorgebrachte Erwerbsminderung im Ausmaß von 100% kann dahingestellt bleiben.
Die Kosten der Pflege und sonstigen Aufwendungen für den Vater infolge der Krankheiten (=Behinderung) betrugen im Jahr 2019 insgesamt € 44.835,31. Dies entspricht dem zuletzt geäußerten Vorbringen der Bf. (Vorhaltsbeantwortung vom ) und den Ausführungen der belangten Behörde in der BVE vom ; daher ist dies unstrittig. Davon verbleiben nach Abzug von 24-Stunden-Unterstützung (4.950,00 €), Pflegegeld (16.790,51 €), Kostenersätze BVA (3.382,92+69,12=3.452,04 €) 19.642,76 €.
Der Vater der Bf. hatte keine Ersparnisse mehr, wie aus der Vermögenserklärung in der Verlassenschaftssache zu schließen ist. Er erbrachte keine geldwerte Gegenleistung für die von der Bf. übernommenen Aufwendungen für seine Pflege. Aus seinen Einkünften im Jahr 2019 stand dem Vater der Bf. zur Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten (ohne die Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft, weil diese schon als außergewöhnliche Belastungen in der BVE betreffend die Einkommensteuer 2019 des Vaters vom berücksichtigt worden sind) zur Verfügung:
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sein Einkommen laut BVE zur ESt 2019 vom | 20.865,47 € |
zuzüglich Sonderzahlungen=Sonstige Bezüge vor Abzug d. SV-Beiträge | 5.472,24 € |
abzüglich SV-Beiträge für Sonstige Bezüge | -393,16 € |
abzüglich die Lohnsteuer in den Monaten 1 bis 12/2019 | -6.317,48 € |
für die Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten | 19.627,07 € |
Dieser Betrag, dividiert durch 12, ergibt einen monatlich für die Deckung der allgemeinen Lebenshaltungskosten des Vaters (ohne Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft) zur Verfügung gestandenen Betrag in Höhe von 1.635,59 €. Inklusive der Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft (2.354,40 : 12 = 196,20 €) wären es 1.831,79 € monatlich.
Die Bf. brachte in ihrer Eingabe vom vor, dass 1.935,00 € monatlich (umgerechneter, vom Finanzamt vorgehaltener Jahresbetrag) für die allgemeinen Lebenshaltungskosten inklusive Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft verbraucht würden. Dies ist hinsichtlich 1.831,79 € monatlich inklusive Verpflegungskosten der 24-Stunden-Pflegekraft bzw. hinsichtlich 1.635,59 € monatlich ohne Verpflegskosten der 24-Stunden-Pflegekraft glaubwürdig.
Der Vater der Bf. war daher nicht in der Lage, die im Jahr 2019 von der Bf. getragenen Aufwendungen für seine Behinderung selbst zu tragen. Die Bf. übernahm im Streitjahr 2019 Aufwendungen für die Behinderung ihres Vaters in Höhe von 10.248,43 € (Kostenersätze durch BVA bereits abgezogen).
Angesichts des in Österreich weit ausgebauten Sozialstaates sind Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem Elternteil etwas Außergewöhnliches.
D/2/b) rechtliche Würdigung zu Höhe und Eigenschaft als außergewöhnliche Belastung:
§ 234 Abs. 1 ABGB: "Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat." Für Letztgenanntes gibt es keine Anhaltspunkte. Der aktenkundige Gesamtbetrag der Einkünfte der Bf. im Jahr 2019 (47.233,40 €) bedeutet, dass die Bf. nach ihren Lebensverhältnissen die von ihr getragenen Aufwendungen in Höhe von 10.248,43 € für die Behinderung ihres Vaters als Unterhalt schuldete. Der Vater der Bf. war im Jahr 2019 nicht imstande, sich selbst vollständig zu erhalten, weil er die gegenständlichen 10.248,43 € nicht selbst tragen konnte.
Die gegenständliche Belastung ist der Bf. folglich aus rechtlichen Gründen und damit gemäß § 34 Abs. 3 EStG zwangsläufig erwachsen. Da rechtliche Gründe gegeben sind, können sittliche Gründe dahingestellt bleiben.
Über Unterhaltsleistungen für Kinder (§ 34 Abs. 7 Z 1 und 2 EStG) hinaus sind gemäß § 34 Abs. 7 Z 4 EStG "Unterhaltsleistungen nur insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Ein Selbstbehalt (Abs. 4) auf Grund eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten ist nicht zu berücksichtigen."
Die gegenständliche Belastung für die Behinderung des Vaters der Bf. hätte für den Vater der Bf. eine außergewöhnliche Belastung dargestellt, wenn er sie selbst getragen hätte.
D/2/c) rechtliche Würdigung zum Selbstbehalt:
Die in dem bereits zitierten § 34 Abs. 6 EStG normierten Ausnahmen vom Selbstbehalt sind hier nicht anwendbar:
Es handelt sich hier nicht um "Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5)": Denn § 35 EStG gilt nur für außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung sowie unter Umständen durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners sowie unter Umständen durch eine Behinderung eines Kindes.
Deshalb handelt es sich hier auch nicht um "Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit …"
Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. 1996/303 idF BGBl. II 430/2010 (eigene Behinderung, unter Umständen Behinderung des (Ehe)Partners, Kind ohne erhöhte Familienbeihilfe) sowie des § 5 dieser Verordnung (erhöhte Familienbehilfe) sind hier nicht erfüllt.
Die außergewöhnlichen Belastungen der Bf. aus der Behinderung ihres Vaters sind daher nur insoweit abzugsfähig, als sie gemeinsam mit den außergewöhnlichen Belastungen aus persönlichen Krankheitskosten der Bf. den Selbstbehalt in Höhe von 6.375,79 € übersteigen.
D/3) Die außergewöhnlichen Belastungen der Bf. im Streitjahr 2019 betragen somit - vorbehaltlich der wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bf. - in Summe 12.923,06 € (= 2.674,63 + 10.248,43). Das Kriterium der wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist hier durch Abzug des Selbstbehaltes (6.375,79 €) von der vorgenannten Summe zu berücksichtigen. Dem Antrag der Bf. auf den Ansatz der außergewöhnlichen Belastungen ohne Selbstbehalt kann aus den bereits dargestellten Gründen nicht gefolgt werden, weshalb die Entscheidungsrichtung eine teilweise Stattgabe ist.
Zur Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hier wird einerseits die klare, eindeutige Gesetzeslage angewendet (vgl. ) und andererseits von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen. Die Beurteilung, ob der Vater der Bf. den streitgegenständlichen, von der Bf. übernommenen Betrag selbst tragen oder nicht tragen konnte, ist eine Sachverhaltsfrage (Tatfrage). Eine Tatfrage ist keine Rechtsfrage und daher nicht revisibel. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 34 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100292.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
JAAAC-30707