Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.06.2022, RV/2100327/2022

Eigenanspruch auf Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Juni 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, SVNR ***1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf) beantragte am über FinanzOnline die Familienbeihilfe ab .
Am wurde der Antrag mangels ausreichender Anbindung des Beschwerdeführers an Österreich mittels Bescheid abgewiesen. Gegen den ergangenen Abweisungsbescheid reichte der Beschwerdeführer am Beschwerde ein. Mit der Begründung, dass sein Hauptwohnsitz in ***2*** sei und er seit Mai 2020 einer Teilzeitbeschäftigung nachgehe. Dem Beschwerdeschreiben wurden beigelegt:
• eine Bestätigung der Meldung aus dem Zentralen Melderegister,
• ein Arbeiterdienstvertrag für das Gastgewerbe,
• ein Datenblatt zur Anmeldung des Arbeiters für die Österreichische Gesundheitskasse,
• ein Bescheid ausgestellt vom Arbeitsmarktservice betreffend der Beschäftigungsbewilligung,
• Studienblätter beginnend mit dem Wintersemester 2017 bis Wintersemester 2021 und
• die Studienbestätigungen beginnend mit dem Vorstudienlehrgang im Wintersemester 2017 bis zum Wintersemester 2021 für das Bachelorstudium.

Im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung vom betreffend die Familienbeihilfe wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht vorlägen, zumal der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht im Bundesgebiet liege.
Am langte anhand der Weiterleitung des Bundesfinanzgerichts beim Finanzamt Österreich (FAÖ) der Vorlageantrag betreffend der Nichtgewährung der Familienbeihilfe ein mit der Begründung, es liege der Lebensmittelpunkt mittlerweile in Österreich.

Mittels Vorhalteschreiben vom - versandt am - wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, den Mittelpunkt der Lebensinteressen und die durchschnittlichen Lebenserhaltungskosten mit entsprechenden Unterlagen nachzuweisen. Am wurden vonseiten des Beschwerdeführers Unterlagen und Erläuterungen zur beantragten Familienbeihilfe nachgereicht. Diese beinhalteten Kontoauszüge betreffend der tatsächlichen Lebenserhaltungskosten und Erläuterungen bezüglich der Aufenthalte in Bosnien und Herzegowina, den persönlichen Beziehungen und etwaigen Unterstützungsleistungen.

Stellungnahme des FAÖ im Vorlagebericht:
"§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 sieht den Mittelpunkt der Lebensinteressen als in dem Staat gelegen an, zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen i.S.d. § 2 Abs. 8 FLAG nicht darauf an, ob der Aufenthalt im Bundesgebiet ein dauernder ist (vgl. 2009/16/0179; 2009/16/0124). Für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Beschwerdezeitraum sind neben den wirtschaftlichen Beziehungen - somit wie der Lebensunterhalt finanziert wurde - auch die persönlichen Beziehungen heranzuziehen (vgl. Ra 2014/15/0059). Letztlich ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl. 2008/15/0114). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln (vgl. Ra 2014/15/0059).

Nach Durchführung der noch erforderlichen Ermittlungen nach Einlangen des Vorlageantrags gemäß § 265 BAO gelangt das Finanzamt zu dem Schluss, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers im Beschwerdezeitraum in Österreich liegt.

Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben in der Vorhaltsbeantwortung monatliche Lebenserhaltungskosten in Höhe von 600 EUR und erhält keine zusätzlichen Unterstützungsleistungen. Der Beschwerdeführer verdiente im Beschwerdezeitraum rund 600,- EUR durch nichtselbständige Arbeit in Österreich, dieser Verdienst deckt seine Lebenserhaltungskosten. Da die wirtschaftliche Bindung vor allem danach beurteilt wird, wo eine örtlich gebundene Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. 2011/15/0193, mwN), ist auch im gegenständlichen Fall von einer stärkeren wirtschaftlichen Beziehung zu Österreich auszugehen.

Durch die Ausführungen des Beschwerdeführers, dass er zweimal im Jahr in sein Heimatland fährt und er auch in Zukunft in Österreich wohnhaft bleiben will, besteht auch eine stärkere persönliche Beziehung zu Österreich.
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist somit in Österreich gegeben.
Es wird daher seitens der Abgabenbehörde die Stattgabe der Beschwerde beantragt."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf ist bosnischer Staatsbürger und seit dem Wintersemester 2017 zu Studienzwecken für ein Bachelorstudium in Österreich. Er hat eine gültigen Aufenthaltstitel. Sein Hauptwohnsitz ist seit in ***2***.
Seit Juni 2020 geht er einer Teilzeitbeschäftigung nach, aus der er sich überwiegend den Unterhalt selbst finanziert.
Nach seinen Behauptungen leisten die bosnischen Eltern keinen Unterhalt. Dieser Behauptung ist das FAÖ nicht entgegengetreten.
Der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt nach den Ermittlungen und Feststellungen des FAÖ mittlerweile in Österreich.
Der Bf brachte einen Eigenantrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab 6/2020 ein.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und dem Parteienvorbringen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. …
Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. …

§ 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 lautet:
"(1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten."

§ 6 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 lautet:
"(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie
a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden; oder
b) …"

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland ist als allgemeine Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs. 8 FLAG 1967 für den Anspruchsberechtigten Voraussetzung für den Familienbeihilfenbezug.
Auf den Lebensmittelpunkt des Kindes kommt es in der Regel nicht an. Im beschwerdegegenständlichen Fall aber zusätzlich sehr wohl, weil bei einem Eigenantrag auf Familienbeihilfe der Anspruchsberechtigte gleichzeitig das den Anspruch vermittelnde Kind ist.
Daher hat der Antragsteller im Falle der Geltendmachung eines Eigenanspruches den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich nachzuweisen.

Nach der Rechtsprechung sind dabei unter persönlichen all jene Beziehungen zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen aufgrund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachen, an ein bestimmtes Land binden, während den wirtschaftlichen Beziehungen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt (vgl. ).
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die stärkste persönliche Beziehung eines Menschen im Regelfall zu dem Ort besteht, an dem er regelmäßig mit seiner Familie lebt, dass also der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt allerdings im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie als weiteren Umstand das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus (vgl. , sowie die darin zitierte Vorjudikatur; ferner ; ; und ).
Bei von der Familie getrennter Haushaltsführung kommt es auf die Umstände der Lebensführung, wie etwa eine eigene Wohnung, einen selbständigen Haushalt, gesellschaftliche Bindungen, aber auch auf den Pflichtenkreis einer Person und hier insbesondere auf ihre objektive und subjektive Beziehung zu diesem an (vgl. ; ).
Die auf die einzelnen Wohnsitze entfallenden Aufenthaltszeiten sind ein bedeutsames quantitatives Kriterium dafür, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person besteht (vgl. ).
Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (; ).

Daran ändert auch nichts, dass jeweils zeitbegrenzte Aufenthaltsbewilligungen zwecks Studiums in Österreich bestehen ("Aufenthaltsbewilligung Studierender"). Dies entspricht auch der gängigen VwGH-Rechtsprechung.

Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in den Erkenntnissen vom , 2008/15/0325, und vom , 2008/13/0218 ausgesprochen, dass ein zu Studienzwecken lediglich vorübergehend währender Aufenthalt im Bundesgebiet die Beurteilung nicht ausschließt, der Studierende habe den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich ().
Ein Zuzug für immer ist für den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe nicht erforderlich ().

Der Bf hält sich seit Studienbeginn überwiegend in Österreich auf. Die Besuche in der bosnischen Heimat erfolgen laut seinen Angaben selten (zweimal im Jahr). Er hat eine Beschäftigung in Österreich und plant auch nach dem Studium, in Österreich zu bleiben.

Es wird demnach der Stellungnahme des FAÖ nicht entgegengetreten und wird dieser folgend davon ausgegangen, dass die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen des Bf. an Österreich bestehen. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf. im beschwerdegegenständlichen Zeitraum liegt in Österreich.

Da auch die übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Familienbeihilfe (keine überwiegende Unterhaltstragung durch die Eltern, rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich, Berufsausbildung, Nachweis der Ablegung von Prüfungen im erforderlichen Umfang) erfüllt sind, hat der Bf. rückwirkend ab Juni 2020 (Beginn Antragszeitraum) für den beschwerdegegenständlichen Zeitraum bis 10/2021 (Bescheiddatum) Anspruch auf Familienbeihilfe.

Das FAÖ wird die aktuell erforderlichen Studienerfolge und Abschlüsse (Prüfungsnachweise, Überschreiten der Studienzeit) vor der weiteren Auszahlung entsprechend zu prüfen haben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Graz, am

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Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise











ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100327.2022

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