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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 06.05.2022, RV/2101383/2019

Keine Vorsteuererstattung für Roaminggebühren nach der Erstattungsverordnung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden***1***, sowie ***2***, die fachkundigen Laienrichter ***3*** und ***4*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch FISCHER Steuerberatung GmbH, Gonzagagasse 15, 2. Stock, 1010 Wien, über die Beschwerde vom , und gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom , und betreffend Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern für die Zeiträume 1-12/2014, 1-3/2015 und 10-12/2015 Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***5*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist ein Telekommunikationsunternehmen im Drittland und beansprucht Vorsteuern für inländische Roaminggebühren. Sie verschafft ihren Kunden die Möglichkeit des Führens von Telefongesprächen im Inland. In den angefochtenen Bescheiden wurde die Vorsteuererstattung abgewiesen. Begründend wurde einerseits darauf verwiesen, die Bf. erziele durch ihre Tätigkeit im Inland steuerbare und steuerpflichtige Inlandsumsätze und andererseits betrage die im Heimatstaat erhobene Umsatzsteuer lediglich 13%.
In ihren gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden führte die Bf. aus, Kommunikationsdienstleister, die Roaming-Leistungen erbringen, hätten ein Recht auf Vorsteuererstattung.
In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung führte die belangte Behörde unter Hinweis auf innerstaatliche Rechtsquellen aus, nach der Verordnung finde dann eine Ortsverlagerung ins Inland statt, wenn sie im Drittland keiner der inländischen Umsatzsteuerbelastung vergleichbaren Belastung unterliege. Von einer vergleichbaren Steuerbelastung sei dann auszugehen, wenn der in Art. 97 RL 2006/112/EG vorgesehene Mindeststeuersatz von 15% angewandt werde, da innerhalb der EU dieser Standardsteuersatz nicht unterschritten werden dürfe. Den Nachweis einer vergleichbaren Steuerbelastung müsse der Unternehmer erbringen, wobei sämtliche Unterlagen und Beweismittel herangezogen werden könnten. Da die belangte Behörde von keiner nachgewiesenen vergleichbaren Steuerbelastung ausgehe, verlagere sich der Leistungsort ins Inland und daher sei das Erstattungsverfahren nicht mehr anwendbar.
In einer weiteren einen späteren Zeitraum betreffende Beschwerdevorentscheidung verwies die belangte Behörde auf die zuletzt bekannte Judikatur des VwGH und sich dieser anschließenden neueren Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts.
Im dagegen erhobenen Vorlageantrag beantragte die Bf. die Entscheidungsfindung durch einen Senat unter Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Weiters führte sie aus, sie habe in einer Revisionsbeantwortung die Abweisung der Amtsrevision beantragt und in eventu die Vorlage eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH angeregt. Bis zur Klärung dieser Rechtsfrage möge das Verfahren ausgesetzt werden.

Nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung durch den Senat führte die steuerliche Vertreterin in einem E-Mail aus, zur mündlichen Verhandlung infolge Antritt eines Urlaubs nicht erscheinen zu können. Die mündliche Verhandlung wurde daher in Anwesenheit der Bf. und unter Teilnahme der Vertreterinnen der belangten Behörde durchgeführt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus dem oa. Verfahrensgang. Auf Grund der Telekom-Verordnung des BMF und der entsprechenden Rz. der UStR (Verwaltungspraxis) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Ermöglichung des Telefonierens im Inland durch ein drittländisches Telekommunikationsunternehmen einen steuerbaren und steuerpflichtigen Inlandsumsatz darstellt. Diese Rechtsansicht wurde auch im Erkenntnis des , vertreten.

Beweiswürdigung

Der Ausgangssachverhalt der gewährten Rabatte wurde von der Bf. dem Grunde nicht weiter bestritten und kann daher als unbedenklich angenommen werden.

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuer abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln. Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995, in der hier anzuwendenden Fassung, BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird", wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

Nach § 3a Abs. 13 lit. a iVm. Abs. 14 Z 12 UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 52/2009 (im Beschwerdefall anzuwenden) werden Telekommunikationsdienstleistungen im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der angeführten Fassung kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 13 lit. a UStG 1994 bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird. Der Ort der sonstigen Leistung kann danach statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:

"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird."

Der VwGH hat im Beschwerdefall im Erkenntnis vom , Ro 2016/15/0038, ausgeführt:
"Das Bundesfinanzgericht ist davon ausgegangen, dass die mitbeteiligte Partei (=Bf.) im Erstattungszeitraum keine in Österreich steuerpflichtigen Umsätze erzielt hat. Dass die mitbeteiligte Partei ihren in einem Drittland ansässigen Kunden das Telefonieren in Österreich unter Benützung des österreichischen Mobilfunknetzes ermöglicht habe, stelle keine im Inland steuerpflichtige Leistung dar, weil der Leistungsort im Drittland liege. Die mitbeteiligte Partei könne daher die ihr vom österreichischen Provider in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge unter Anwendung des besonderen Erstattungsverfahrens geltend machen.
Demgegenüber vertritt das revisionswerbende Finanzamt die Ansicht, dass die in Rede stehenden Leistungen der mitbeteiligten Partei nach der Verordnung
BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in Österreich erbracht würden, sodass die mitbeteiligte Partei die ihr in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge nur im Veranlagungsverfahren unter Erklärung der Umsätze geltend machen könne.
Nach Art. 59 MwStSystRL 2006/112/EG idF
Art. 2 der RL 2008/8/EG gilt als Ort bestimmter Dienstleistungen (u.a. nach lit. i der Telekommunikationsdienstleistungen) an einen Nichtsteuerpflichtigen, der außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb der Gemeinschaft hat, der Ort, an dem dieser Nichtsteuerpflichtige ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung und Wettbewerbsverzerrungen bestimmen Art. 59a und Art. 59b der MwStSystRL 2006/112/EG idF Art. 2 der RL 2008/8/EG bezüglich des Ortes der Dienstleistung Folgendes:

Art. 59a MwStSystRL
(…) Um Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, können die Mitgliedstaaten bei Dienstleistungen, deren Erbringungsort sich gemäß den Artikeln 44, 45, 56 und 59 bestimmt,
a) (…) den Ort einer oder aller dieser Dienstleistungen, der in ihrem Gebiet liegt, so behandeln, als läge er außerhalb der Gemeinschaft, wenn die tatsächliche Nutzung oder Auswertung außerhalb der Gemeinschaft erfolgt;
b) (…) den Ort einer oder aller dieser Dienstleistungen, der außerhalb der Gemeinschaft liegt, so behandeln, als läge er in ihrem Gebiet, wenn in ihrem Gebiet die tatsächliche Nutzung oder Auswertung erfolgt.(…)

Art. 59b MwStSystRL
Die Mitgliedstaaten wenden Artikel 59a Buchstabe b auf Telekommunikationsdienstleistungen und auf die in Artikel 59 Absatz 1 Buchstabe j genannten Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen an, die von einem Steuerpflichtigen, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung, von der aus die Dienstleistung erbracht wird oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb der Gemeinschaft hat, an Nichtsteuerpflichtige erbracht werden, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind oder dort ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort haben."

Während Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom ) die allgemeine, fakultative Möglichkeit der Besteuerung mittels Leistungsortverlagerung durch die Mitgliedstaaten vorsieht, schreibt Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom bis ) eine zwingende Leistungsortverschiebung für jene Fälle vor, in denen ein drittländischer Unternehmer Telekommunikationsleistungen an in der Gemeinschaft ansässige Nichtsteuerpflichtige erbringt. Für alle Fälle, die nicht durch Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG erfasst sind, besteht ein Wahlrecht nach Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg), Umsatzsteuergesetz 138. Lieferung (Juli 2017) Art. 43- 59b MwStSystRL Rz. 134 ff).

Von diesem Wahlrecht hat der österreichische Verordnungsgeber mit der angeführten Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 Gebrauch gemacht. Die genannte Verordnung findet daher in Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG ihre unionsrechtliche Deckung (Ecker in Melhardt/Tumpel, UStG2, § 3a Rz 274 f; Miladinovic, ecolex 2017/39, 75). Werden die Telekommunikationsdienste eines Drittlandunternehmens von einem nicht in der EU ansässigen Nichtunternehmer im Inland genutzt, verlagert sich der Ort der Leistung nach der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 in das Inland (vgl. auch Ruppe/Achatz, UStG4, § 3a Tz. 190 (Fall 3); Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur MwSt, 46. Lfg. (Dezember 2015), § 3a Abs 15 u 16 Tz. 697)."

Die strittigen, von der Bf. an Kunden erbrachten Roamingleistungen, mit denen sie ihren Kunden die Nutzung des nationalen Mobilfunknetzes ermöglichte, sind als Dienstleistungen anzusehen, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" gemäß § 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in Österreich liegt.

Diese Auslegung hat der geteilt, ähnlich auch , Ro 2019/15/0012 und , Ra 2019/15/0008 und Ra 2019/15/0010).

Folglich stellen die strittigen Roamingleistungen Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 dar, die die Anwendung der Verordnung BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird", ausschließen.

Die beantragte Erstattung der von der Bf. im Streitzeitraum entrichteten Vorsteuern für die Nutzung des inländischen Netzes ist daher nicht zulässig.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im Übrigen wird auf die oa. Vorjudikatur verwiesen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2101383.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at