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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.06.2022, RV/2100084/2020

Umsatzsteuerveranlagung eines Telekom-Unternehmens aus dem Drittland

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 11/2012 und 11/2014 und die Beschwerden vom gegen die Bescheide vom betreffend Umsatzsteuer 2012 - 2015 und (richtigerweise) Festsetzung Umsatzsteuer 1-12/2016 sowie die Bescheide vom betreffend Verspätungszuschlag für die Umsatzsteuer der Jahre 2012 - 2016

A. zu Recht erkannt:

I. Die Bescheide vom betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 11/2012 und vom betreffend Umsatzsteuer 2012 werden - ersatzlos - aufgehoben.

II. Die Beschwerden betreffend Umsatzsteuer 2013 - 2015 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Damit ist die Beschwerde betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 11/2014 miterledigt.

III. Die Bescheide betreffend Verspätungszuschlag für die Umsatzsteuer 2012 - 2016 werden - ersatzlos - aufgehoben.

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

B. beschlossen

I. Der Bescheid betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 1-12/2016 wird gemäß § 278 Abs 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt Österreich aufgehoben.

II. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1***. (im Folgenden Bf.) ist ein Telekommunikations-Unternehmen mit Sitz im Hong Kong. In den Streitjahren 2012 - 2016 machte die Bf. ursprünglich Vorsteuern aus von österreichischen Unternehmern für Roaming Gebühren in Rechnung gestellter Umsatzsteuer im Erstattungsverfahren gem. VO BGBl. Nr. 279/1995 idF BGBl Nr. 2014/158 geltend, da die Bf. davon ausging, keine Umsätze in Österreich zu erzielen.

Mit Erkenntnis vom , RV/2100086/2020 hat das BFG dazu im Ergebnis entschieden:
Der Bescheid vom betreffend Erstattung von Vorsteuern 1-12/2012 ist rechtskräftig, weil für die verfügte Wiederaufnahme keine Gründe vorlagen.
Die Abweisungen vom betreffend Erstattungsantrag 1-12/2013, vom betreffend Erstattungsantrag 1-12/2014 und vom betreffend Erstattungsantrag 1-12/2015 jeweils mit der Begründung, die Bf. hätte Umsätze im Inland erzielt, erfolgten zu Recht.

In weiterer Folge hat das Finanzamt am die hier strittigen Umsatzsteuer-Jahresbescheide 2012 - 2015 erlassen. Laut gesonderter Bescheidbegründung vom selben Tag liegen den Bescheiden folgende Feststellungen zugrunde:

Kunden der Bf. telefonierten mit ihrem Handy in Österreich. Österreichische Mobiltelefonnetz-Betreiber (Provider) nämlich ***1***, ***2*** und ***3*** haben der Bf. dafür Roaminggebühren inklusive österreichischer Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Diese Provider haben der Bf. nachträglich Rabatte auf die Roaminggebühren gewährt.

Das Finanzamt zog daraus den Schluss, dass die Bf. lt VO 383/2003 idF 221/2009 Umsätze in Österreich erzielte. Es schätzte die Umsätze, indem es den in Rechnung gestellten Roaminggebühren (netto) einen Gewinnaufschlag von 30% hinzurechnete und diesen Betrag der Umsatzsteuer unterwarf.
Als Vorsteuern brachte das Finanzamt die in Rechnung gestellte USt aus Roaminggebühren, deren Erstattung die Bf. ursprünglich beantragt hatte, in Abzug.
Zusätzlich berichtigte das Finanzamt den Vorsteuerabzug gem. § 16 UStG 19943 in Höhe der von der IT-Systemprüfung bekannt gegeben (und von der Bf. der Höhe nach unbestrittenen) Rabatte.

In den Festsetzungsbescheiden 11/2012, 11/2014 und 1-12/2016 wurden ausschließlich Vorsteuern im Ausmaß der auf die gewährten Rabatte entfallenden Umsatzsteuer berichtigt. Es erfolgte keine Schätzung von Umsätzen und kein Abzug von Vorsteuern.

In den Beschwerden vertrat die Bf. die Auffassung, dass eine Veranlagung zur Umsatzsteuer nicht erfolgen könne, da die Bf. keine Umsätze in Österreich erzielt habe, weil das Finanzamt nicht festgestellt habe, ob die Leistung im Inland genutzt oder ausgewertet worden sei.

Nach der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom beantragte die Bf. mit Vorlageantrag vom (innerhalb verlängerter Frist) die Behandlung der Beschwerden durch das BFG und kündigte eine zusätzliche Begründung an.

Trotz mehrfacher Aufforderung durch das BFG hat die Bf. die angekündigte Begründung nicht beigebracht und sich insbesondere auch nicht zur Höhe der Schätzung geäußert.

Die Bescheide vom betreffend Verspätungszuschlag begründete das Finanzamt damit, dass es zu einer Umsatzsteuer-Veranlagung durch Schätzung gekommen sei. Der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom ist keine darüber hinausgehende Begründung betr. Verspätungszuschlag zu entnehmen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt und Beweiswürdigung

Die Bf. ist ein Telekomunternehmen aus Hong Kong (Drittland), dessen Kunden in den Streitjahren mit ihrem Handy in Österreich telefonierten (unwidersprochene Feststellung im BP-Bericht).
Österreichische Mobiltelefonnetz-Betreiber (Provider) haben der Bf. dafür Roaminggebühren inklusive österreichischer Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, die die Bf. in den Jahren 2012 - 2015 als Vorsteuer geltend machte (Erstattungsanträge).
Mit Erkenntnis vom , RV/2100086/2020 hat das BFG entschieden, dass der Bescheid betr. Erstattung von Vorsteuern 1-12/2012 rechtskräftig wurde und dass die Erstattungsanträge 2013, 2014 und 2015 zu Recht abgewiesen wurden.
Die Firmen ***1***, ***2*** und ***3*** haben der Bf. nachträglich Rabatte auf die Roaminggebühren gewährt, deren Höhe die IT-Systemprüfung in Wien dem Finanzamt übermittelt hat (BP-Bericht).
Das Finanzamt hat die den Kunden der Bf. in Rechnung gestellten Roaminggebühren geschätzt indem es nach den Erfahrungen mit anderen Telekom-Unternehmen einen Gewinnaufschlag von 30% ansetzte (Bescheidbegründung).
Die Bf. hat trotz mehrmaliger Aufforderung keine Angaben über die tatsächliche Höhe der den Kunden in Rechnung gestellten Entgelte gemacht.

Rechtliche Beurteilung

2.1. Rechtslage

§ 1 VO 383/2003 idF 221/2009: Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird.

§ 135 BAO: Abgabepflichtigen, die die Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung nicht wahren, kann die Abgabenbehörde einen Zuschlag bis zu 10 Prozent der festgesetzten Abgabe (Verspätungszuschlag) auferlegen, wenn die Verspätung nicht entschuldbar ist; solange die Voraussetzungen für die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung gegeben sind, tritt an die Stelle des festgesetzten Betrages der selbst berechnete Betrag. Dies gilt sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Verspätungszuschläge, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen.

§ 184 BAO (1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.

(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

2.2. Verfahrensrechtliches

2.2.1. Rechtskräftig abgeschlossenes Erstattungsverfahren 2012 und Umsatzsteuerveranlagung 2012

Im Jahr 2012 hat das Finanzamt mit Bescheid vom über die Erstattung von Vorsteuern für den Zeitraum 1-12/2012 abgesprochen. Da durch Erkenntnis des der Wiederaufnahmebescheid vom aufgehoben wurde, ist der (Erstattungs)Bescheid vom in Rechtskraft erwachsen (es wurde auch keine Revision beantragt).

Mit Bescheid vom wurde die Bf. für denselben Zeitraum, nämlich das Jahr 2012, zur Umsatzsteuer veranlagt.

Das Erstattungsverfahren nach VO 279/1995 steht zum Veranlagungsverfahren gem. § 21 UStG 1994 in einem Konkurrenzverhältnis:
Sofern ein ausländischer Unternehmer
1. keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 oder
2. nur steuerfreie Umsätze im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 UStG 1994 oder
3. nur Umsätze, bei denen die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergeht (§ 19 Abs. 1 zweiter Unterabsatz UStG 1994), ausgeführt hat;
4. weiters, wenn der Unternehmer nur Umsätze gemäß § 3a Abs. 13 lit. b UStG 1994 ausgeführt und von der Regelung des § 25a UStG 1994 oder in einem anderen Mitgliedstaat von der Regelung der Art. 357 bis 369 Richtlinie 2006/112/EG Gebrauch gemacht hat,
kann er die abziehbaren Vorsteuern abweichend von den §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 nur nach Maßgabe der §§ 2, 3 und 3a der Erstattungsverordnung geltend machen (§ 1 VO 279/1995, vgl auch Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 60).

Im Beschwerdefall wurden daher für denselben Zeitraum zwei sich widersprechende Bescheide erlassen:
Mit Erstattungsbescheid vom hat das Finanzamt (implizit) festgestellt, dass die Bf. als ausländischer Unternehmer im gesamten Jahr 2012 keine Umsätze im Inland erzielt hat.
Mit Veranlagungsbescheid hat das Finanzamt (explizit) festgestellt, dass die Bf. im Jahr 2012 Umsätze in einer bestimmten Höhe erzielt hat.

Hinsichtlich der Durchführung eines Erstattungsverfahrens sieht § 1 der Erstattungs-VO 279/199 vor, dass eine Erstattung "abweichend von den §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994" vorzunehmen ist. Mit anderen Worten: Das Erstattungsverfahren ist eine besondere Art der Umsatzsteuer-Veranlagung.

Da der Erstattungszeitraum nach der Wahl des Unternehmers ein Zeitraum von mindestens drei Monaten bis zu höchstens einem Kalenderjahr umfasst (§ 2 VO 279/1995) kann es jedoch dazu kommen, dass ein ausländischer Unternehmer zunächst für einige Monate, in denen er noch keine Umsätze im Inland erzielt, zu Recht das Erstattungsverfahren anwendet.
Sobald er im Inland Umsätze erzielt, steht ihm dieses Verfahren nicht mehr offen. Ab diesem Zeitpunkt sind seine Umsätze und seine Vorsteuern im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen (Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 60 unter Hinweis auf das USt-Protokoll der Finanzverwaltung 2010), wobei es zu keiner doppelten Berücksichtigung von Vorsteuern kommen darf.

Im Beschwerdefall umfassen jedoch beide Bescheide denselben Sachverhalt und denselben Zeitraum, nämlich das gesamte Jahr 2012.

Der Erstattungsbescheid 2012 vom ist formell rechtskräftig, weil er durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden kann (vgl Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II8, 1352).
Die materielle Rechtskraft des Bescheides liegt vor, wenn dieser (auch) von Amts wegen - von der Behörde - nicht mehr aufgehoben oder abgeändert werden kann, sofern nicht eine der ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen in Betracht kommt ( unter Hinweis auf ).

Ein materiell rechtskräftiger Bescheid ist verbindlich, unwiderruflich und unwiederholbar (Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II8, 1352 unter Hinweis auf ). Die materielle Rechtskraft tritt mit der wirksamen Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides ein (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 92 Anm 5).

Die Bundesabgabenordnung sieht als Ausnahmen die Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO innerhalb eines Jahres, die Berichtigung offenkundiger Schreib- Rechen oder EDV-Fehler, falscher Verbuchung oder Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten (§ 293, § 293a und § 293b BAO), die Wiederaufnahme (§ 303 BAO) oder die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 308 BAO) vor (Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II8, Überblick vor Rz 1388).

Im Beschwerdefall hat das Finanzamt diese Wiederaufnahme zwar verfügt, doch wurde dieser Wiederaufnahmebescheid mit Erkenntnis des BFG RV/2100086/2020 aufgehoben, weil kein Wiederaufnahmegrund vorlag.

Da auch im Abgabenverfahren davon auszugehen ist, dass in derselben Sache nur einmal abzusprechen ist ("ne bis in idem", zB ; unter Verweis auf , , und , mit Hinweis auf Stoll, BAO-Kommentar I, 960) ist es dem Finanzamt verwehrt, für denselben Zeitraum einen weiteren Umsatzsteuerbescheid zu erlassen.

Dasselbe gilt für den Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid 11/2012.

Der Umsatzsteuerbescheid 2012 und der Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid 11/2012 waren daher ersatzlos aufzuheben.

2.2.2. USt-Festsetzung 11/2014 und Jahresbescheid 2014 - Vorlageanträge

Im Beschwerdefall wurde am Beschwerde gegen die USt-Festsetzung 11/2014 erhoben, die mit Beschwerdevorentscheidung vom teilweise stattgebend erledigt wurde. Mit Schreiben vom wurde die Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragt. Dieser Vorlageantrag wurde dem BFG am übermittelt und ist bis dato nicht erledigt
Am wurde die Bf. zur Umsatzsteuer 2014 veranlagt. Die dagegen eingebrachten Beschwerde vom wurde mit Beschwerdevorentscheidungen vom erledigt. Die Vorlage an das BFG wurde am beantragt und mit Vorlagebericht vom dem BFG vorgelegt.

Damit liegen dem BFG zwei Bescheidbeschwerden zur Erledigung vor.

Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides, so gilt die Bescheidbeschwerde gem. § 253 BAO auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet. Dies gilt auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst.

Der Zweck des § 253 BAO (davor § 274 BAO) besteht darin, dem Bf. aus rechtspolitischen Gründen den Rechtsschutz zu sichern (vgl. 666/A XXI. GP - Initiativantrag zu Z 33 (§ 274 BAO): Die bisherige Regelung über die "Weitergeltung" von Berufungen betraf nur vorläufige Bescheide nach § 200 Abs. 1 zweiter Satz BAO, endgültige Bescheide nach § 200 Abs. 2 BAO sowie ändernde Bescheide (insbesondere solche gemäß § 295 BAO), nicht jedoch etwa neue Sachentscheidungen (im Sinn des § 307 Abs. 1 BAO) bei Wiederaufnahme des Verfahrens. Durch die Verfügung der Wiederaufnahme wurde die gegen den früheren (durch die Wiederaufnahme aufgehobenen) Bescheid gerichtete Berufung unzulässig. Dies erwies sich für Abgabepflichtige, die in Unkenntnis dieser Rechtslage den neuen Bescheid nicht mit Berufung anfochten, als nachteilig. Rechtspolitisch ist daher eine Regelung vorzuziehen, wonach auch in einem solchen Fall (und in ähnlichen Fällen) die Berufung als auch gegen den neuen Bescheid gerichtet gilt.Weiters wird auch hinsichtlich Gegenstandsloserklärung der Anwendungsbereich des § 274 BAO erweitert.)

Im Beschwerdefall wurde sowohl gegen den Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid 11/2014 als auch gegen den Umsatzsteuer(jahres)bescheid 2014 Beschwerde erhoben bzw. Vorlageanträge eingebracht.

Der Umsatzsteuer(jahres)bescheid 2014 spricht im Beschwerdefall über ausgeführte Umsätze, abzugsfähige Vorsteuern und Vorsteuerberichtigungen ab, während der Festsetzungsbescheid (nur) über Vorsteuerberichtigungen abspricht. Damit ist der Umsatzsteuer(jahres)bescheid weitergehend als der Festsetzungsbescheid, umfasst aber gleichzeitig die im Festsetzungsbescheid getroffenen Feststellungen.

Die Konsequenz aus § 253 BAO muss in Hinblick auf den Rechtsschutzgedanken sein, dass bei der Entscheidung über den Umsatzsteuer(jahres)bescheid 2014 jedenfalls auch über die Einwendungen zum Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid abzusprechen ist.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommt es zur Konfusion der beiden Beschwerden mit der Konsequenz, dass nur über die umfangreicheren (späteren) Beschwerden abzusprechen ist. Eine gesonderte Erledigung der Beschwerden gegen die Festsetzungsbescheide ist nicht notwendig, da die dort getroffenen Feststellungen im Jahresbescheid aufgehen.

2.3. Schätzung der Umsätze

Der VwGH hat am , Ro 2016/15/0035 erkannt: "Während Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom ) die allgemeine, fakultative Möglichkeit der Besteuerung mittels Leistungsortverlagerung durch die Mitgliedstaaten vorsieht, schreibt Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom bis ) eine zwingende Leistungsortverschiebung für jene Fälle vor, in denen ein drittländischer Unternehmer Telekommunikationsleistungen an in der Gemeinschaft ansässige Nichtsteuerpflichtige erbringt. Für alle Fälle, die nicht durch Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG erfasst sind, besteht ein Wahlrecht nach Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg), Umsatzsteuergesetz 138. Lieferung (Juli 2017) Art. 43-59b MwStSystRL Rz. 134 ff). Von diesem Wahlrecht hat der österreichische Verordnungsgeber mit der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 Gebrauch gemacht. Die genannte Verordnung findet daher in Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG ihre unionsrechtliche Deckung (vgl. Ecker in Melhardt/Tumpel, UStG2, § 3a Rz 274 f; Miladinovic, ecolex 2017/39, 75). Werden die Telekommunikationsdienste eines Drittlandunternehmens von einem nicht in der EU ansässigen Nichtunternehmer im Inland genutzt, verlagert sich der Ort der Leistung nach der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 in das Inland (vgl. auch Ruppe/Achatz, UStG4, § 3a Tz 190 (Fall 3); Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur MwSt, 46. Lfg (Dezember 2015), § 3a Abs 15 u 16 Tz 697). "

Auch der , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass die Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 dem Unionsrecht entspricht.

Damit steht fest, dass die Bf. in den Streitzeiträumen Umsätze in Österreich erzielt hat, weil ihre Telekommunikationsdienste von nicht in der EU ansässigen Nichtunternehmer im Inland genutzt wurden.

Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese gem. § 184 BAO zu schätzen.

Die Bf. vertrat zunächst die Rechtsansicht, dass sie keine Umsätze in Inland erziele. In weiterer Folge hat sich die Bf. in Zusammenhang mit der Schätzung trotz mehrmaliger Aufforderung (auch durch das BFG) nicht zu den Besteuerungsgrundlagen geäußert. Die Abgaben waren daher zu schätzen.

Das Finanzamt hat als Schätzungsmethode die kalkulatorische Schätzung unter Anwendung eines Gewinnaufschlages und Ansatz der von der Bf. selbst bekannt gegebenen Vorsteuern gewählt. Das ist keine unübliche Schätzmethode (vgl Ritz, BAO6 § 184 Tz 15).

Die Bf. ist dem weder durch Einwendungen theoretischer Art noch durch Bekanntgabe der tatsächlichen Umsätze entgegengetreten.

Es besteht damit kein Anlass daran zu zweifeln, dass mit dieser Methode den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nahegekommen werden kann.

Die Bescheide entsprechen den gesetzlichen Vorgaben. Die Beschwerde war diesbezüglich abzuweisen.

2.4. Verspätungszuschläge

Die Bf. hat für die Streitzeiträume Vorsteuererstattungsanträge eingereicht, die zwar objektiv betrachtet unrichtig waren, doch erfolgte die Abgabe der Erklärungen innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist.

Unrichtigkeiten in Abgabenerklärungen können nicht durch Vorschreibung von Verspätungszuschlägen sanktioniert werden (vgl auch oder zu Verspätungszuschlägen bei ausländischen Telekomunternehmen).

Die Verhängung von Verspätungszuschlägen findet im Beschwerdefall in § 135 BAO keine Deckung, weshalb die Bescheide ersatzlos aufzuheben waren.

2.5. Aufhebung und Zurückverweisung

Das BFG kann gemäß § 278 BAO die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.

Im Beschwerdefall hat das Finanzamt für das Jahr 2016 gar keine Ermittlungen zur Höhe der Umsätze bzw. der Vorsteuern angestellt. Hätte es das getan, wäre es zu einem anderslautenden Bescheid gekommen.

Eine Ermittlung durch das BFG selbst liegt nicht im Interesse der Raschheit oder der Kostenersparnis, zumal es sich beim angefochtenen Bescheid um eine Umsatzsteuer-Festsetzung iSd § 21 Abs 3 UStG 1994 handelt, die nur so lange erfolgen kann, als nicht ein den Voranmelungszeitraum beinhaltender Umsatzsteuer-Jahresbescheid erlassen wurde.

Soweit daher das BFG über den Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheid 1-12/2016 absprechen würde (weil BFG kann nur über den angefochtenen Bescheid absprechen kann), träte dieser wiederum durch eine Umsatzsteuer-Veranlagung des Jahres 2016 iSd § 21 Abs 4 UStG 1994 außer Kraft (Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 22 unter Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, zB )

Das Finanzamt ist demgegenüber nicht durch den angefochtenen Bescheid beschränkt. Das Finanzamt kann statt des Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheides auch einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid erlassen was zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen würde.

3. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100084.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at