zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.06.2022, RV/2100384/2022

Aufhebung eines Bescheides über die Festsetzung von Aussetzungszinsen, wenn ein Feststellungsbescheid nicht rechtmäßig zugestellt wurde und in der Folge der vom Feststellungsbescheid („Nichtbescheid“) abgeleitete Einkommensteuerbescheid, der zu einer Nachforderung geführt hat, die antragsgemäß gemäß § 212a BAO ausgesetzt wurde, gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufgehoben wird

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1*** über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch V, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Leoben Mürzzuschlag vom , Abgabenkontonummer 999, über die Festsetzung von Aussetzungszinsen in der Höhe von 79.699,15 Euro zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Unter Verweis auf die Feststellungen einer abgabenbehördlichen Prüfung erließ das Finanzamt A am an die K.KG Wiederaufnahmsbescheide sowie im wieder aufgenommenen Verfahren (neue) Bescheide über die Feststellung von Einkünften für die Jahre 2008 und 2009.

In weiterer Folge erließ das Finanzamt Bruck Leoben Mürzzuschlag gegenüber dem Bf., einem Gesellschafter der KG, am einen gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2008, der eine Nachforderung an Einkommensteuer in der Höhe von 630.653,55 € zur Folge hatte und setzte mit dem Bescheid vom gleichen Tag Anspruchszinsen in der Höhe von 42.885,07 € fest.

Die KG erhob gegen die Wiederaufnahms- und Feststellungsbescheide das Rechtsmittel der Beschwerde.

Im Schriftsatz vom beantragte der Bf. im Hinblick auf das bei der K.KG gegen den Feststellungsbescheid 2008 anhängige Beschwerdeverfahren die Einhebung der Einkommensteuer 2008 und der Anspruchszinsen 2008 bis zur Erledigung der Berufung auszusetzen.
Nach der Entrichtung eines Teilbetrages der Einkommensteuer in der Höhe von 95.000 € setzte das Finanzamt die Einhebung der offenen Einkommensteuer 2008 in der Höhe von 535.653,55 € sowie der Anspruchszinsen 2008 in der Höhe von 42.885,07 € antragsgemäß aus.

Die Beschwerde der K.KG gegen die Wiederaufnahms- und Feststellungsbescheide wurde mit dem , mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, die Bescheide seien nicht rechtswirksam ergangen.

Daraufhin verfügte das Finanzamt gegenüber dem Bf. mit dem Bescheid vom den Ablauf der Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuer 2008 und der Anspruchszinsen 2008 und setzte für den Zeitraum bis für den Aussetzungsbetrag von 673.538,62 € mit dem Bescheid vom gleichen Tag Aussetzungszinsen in der Höhe von 79.699,15 € mit der Begründung fest, die Aussetzungszinsen seien für jene Abgaben vorzuschreiben, für die aufgrund eines Antrags auf Aussetzung der Einhebung bzw. aufgrund der Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung ein Zahlungsaufschub eingetreten sei.

Gegen den hier angefochtenen Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen brachte der Bf. durch seinen Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde mit der Begründung ein, es sei die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 sowie der festgesetzten Nebenansprüche gemäß § 295 BAO beantragt worden.

Mit dem Bescheid vom wurde der Einkommensteuerbescheid 2008 und der Bescheid über die Festsetzung von Anspruchszinsen vom vom Finanzamt aufgehoben. Am Abgabenkonto des Bf. wurde die Einkommensteuer 2008 in der Höhe von 630.653,55 € ebenso wie die Anspruchszinsen 2008 in der Höhe von 42.885,07 € gutgeschrieben (Buchungsabfrage Abgabenkonto StNr. 999).

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom als unbegründet ab. Die Bescheidaufhebung nach § 295 Abs. 4 BAO sei weder unmittelbar noch mittelbar im Beschwerdeverfahren erfolgt, auf Grund dessen die Aussetzung der Einhebung bewilligt und ihr Ablauf verfügt wurden.
Anders läge der Fall nur dann, wenn gegen eine Zurückweisung (oder Abweisung) eines Antrages gemäß § 295 BAO Beschwerde erhoben und auf Grund dieser Beschwerde die Aussetzung der Einhebung bewilligt worden sei. Werde dieser Beschwerde in weiterer Folge stattgegeben, seien keine Aussetzungszinsen festzusetzen.

Im Vorlageantrag vom wurde vom steuerlichen Vertreter des Bf. vorgebracht:
…..
3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Gem § 212a Abs 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist.

3.2. Die Aussetzung gem§ 212a BAOerfordert eine bescheidmäßig festgestellte Abgabennachforderung (Ritz/Koran, BAO7 § 212a Rz 13 ff.). Die Aussetzung ist somit streng akzessorisch an einen bestimmten Abgabenbescheid geknüpft. Gem § 212a Abs 9 BAO sind Aussetzungszinsen im Fall einer nachträglichen Herabsetzung der Abgabenschuld unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu berechnen. Diese Pflicht zur nachträglichen Anpassung der Aussetzungszinsen ist von Amts wegen und auch im Falle einer nachträglichen Änderung des zugrundeliegenden Bescheids nach § 295 Abs 1 BAOwahrzunehmen (Ritz/Koran, BAO7 § 212a Rz 34). Selbiges sehen auch die Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung vor:

"Obsiegt der Abgabepflichtige im Berufungsverfahren, so sind Zinsen nicht festzusetzen, es sei denn, dass im Hinblick auf § 212a Abs 3 erster Satz BAO der durch die Berufungserledigung in Wegfall gekommenen Betrag geringer ist als der ausgesetzt gewesene. Wird dem Berufungsbegehren zum Teil stattgegeben, so erfolgt eine Zinsenvorschreibung für den verbleibenden Betrag. Wurde die Berufung des Abgabepflichtigen zur Gänze abgewiesen, erfolgt jedoch zu einem späteren Zeitpunkt eine Herabsetzung des Abgabenbetrages durch eine Änderung gemäß § 295 BAO, so hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen" (Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung (AE) gemäß § 212a BAO, AÖF 1988/53; https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.ER0932800021).

Beweis: Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung (AE) gemäß § 212a BAO

3.3. Nichts anderes kann freilich bei einer gänzlichen Aufhebung des Bescheids nach § 295 Abs4 BAO gelten; in diesem Fall sind die Aussetzungszinsen zur Gänze wieder gutzuschreiben. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom fußte auf einem "Nichtbescheid" und war daher zur Gänze rechtswidrig. Somit gab es rückwirkend keine Abgabenschuld, deren Einhebung ausgesetzt werden konnte und keine Grundlage für die Vorschreibung von Aussetzungszinsen.

3.4. Da der zugrundeliegende Abgabenbescheid vom mit Bescheid vom aufgehoben wurde, gibt es keinen Rechtsgrund für die Vorschreibung von Aussetzungszinsen. Der angefochtene Aussetzungszinsenbescheid ist daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

4. Anträge

Aus den oben angeführten Gründen stellen wir die folgenden Anträge:

4.1. Auf Vorlage der Bescheidbeschwerde vom sowie der genannten Aktenbestandteile an das Gericht;

4.2. Auf Aufhebung des bekämpften Aussetzungszinsenbescheides vom ;

4.3. Auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem § 274 Abs 1 Z 1 lit a BAO.

Im beim Bundesfinanzgericht am eingelangten Schriftsatz brachte der Bf. eine Vorlageerinnerung gemäß § 264 Abs. 6 BAO ein.
Mit dem Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Bescheidbeschwerde und die bezughabenden Aktenunterlagen dem Bundesfinanzgericht vor.
Im Schriftsatz vom zog die steuerliche Vertreterin den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Im vorliegenden Fall erfolgte seitens des Finanzamtes innerhalb von zwei Monaten ab der Einbringung des Vorlageantrages vom keine Vorlage der Bescheidbeschwerde an das Bundesfinanzgericht. Die vom Bf. am im Sinne des § 264 Abs. 6 BAO eingebrachte Vorlageerinnerung wirkt daher wie die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

§ 212a BAO lautet auszugsweise:

(1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.

(9) Für Abgabenschuldigkeiten sind
a) solange auf Grund eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung, über den noch nicht entschieden wurde, Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 230 Abs. 6) oder

b) soweit infolge einer Aussetzung der Einhebung ein Zahlungsaufschub eintritt,

Aussetzungszinsen in Höhe von zwei Prozent über dem jeweils geltenden Basiszinssatz pro Jahr zu entrichten. Aussetzungszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Im Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen. Wird einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung nicht stattgegeben, so sind Aussetzungszinsen vor der Erlassung des diesen Antrag erledigenden Bescheides nicht festzusetzen. Im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung sind Aussetzungszinsen vor der Verfügung des Ablaufes (Abs. 5 oder 5a) oder des Widerrufes der Aussetzung nicht festzusetzen.

§ 295 BAO lautet auszugsweise:

(1) Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

(3) Ein Bescheid ist ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Mit der Änderung oder Aufhebung des Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des anderen Bescheides oder der nachträglich erlassene andere Bescheid rechtskräftig geworden ist.

(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines

- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben (idF BGBl I 2020/2).

Eine Bewilligung der Aussetzung der Einhebung ist nur auf Antrag möglich; eine amtswegige Verfügung der Aussetzung ist nicht vorgesehen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht ein Rechtsanspruch auf Bewilligung eines auf Aussetzung der Einhebung gerichteten Antrages.

Grundsätzlich besteht Anspruch auf Aussetzung von berufungsverfangenen Abgaben nicht nur im Falle einer Berufung gegen den (abgeleiteten) Abgabenbescheid, sondern es genügt auch eine Berufung gegen einen dem (abgeleiteten) Abgabenbescheid vorgeschalteten Feststellungsbescheid (siehe , und die dort zitierte Vorjudikatur).

Der vom Finanzamt gemäß § 295 Abs. 1 BAO erlassene Einkommensteuerbescheid 2008 vom erwuchs in Rechtskraft; aufgrund der gegen den (dem Einkommensteuerbescheid vorgeschalteten) Feststellungsbescheid vom eingebrachten Berufung genehmigte das Finanzamt mit dem Bescheid vom antragsgemäß die Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuer 2008 und der Anspruchszinsen 2008.

Die Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid 2008 wurde mit dem , als unzulässig zurückgewiesen, weil der Bescheid an eine bereits beendete Personengesellschaft und daher nicht rechtswirksam erlassen wurde.

Da ein sogenannter "Nichtbescheid" auch nicht Rechtsgrundlage für die Erlassung eines von diesem abgeleiteten Bescheides sein kann, sieht § 295 Abs. 4 BAO (BGBl I 2011/76), um sowohl für die Abgabenbehörde als auch für den Abgabepflichtigen aufwändige Verwaltungsverfahren zu vermeiden, in einem solchen Fall auf Antrag die Aufhebung des abgeleiteten Bescheides vor.

Die (antragsgemäße) Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 erfolgte mit dem Bescheid des Finanzamtes vom ; die (ursprünglich rechtskräftig) festgesetzte Einkommensteuer, die (zusammen mit den Anspruchszinsen) Grundlage der Aussetzung der Einhebung war, gehört daher nicht mehr dem Rechtsbestand an.

Aussetzungszinsen (§ 212a Abs. 9 BAO) stellen ein Äquivalent für den tatsächlich in Anspruch genommenen Zahlungsaufschub dar (). Der Abgabepflichtige trägt daher das Zinsenrisiko für strittige Abgabenbeträge, deren Nachforderung sich im Rechtsmittelverfahren als rechtmäßig erweist.

Im Fall der nachträglichen Herabsetzung der Abgabenschuld entfällt insoweit die Verpflichtung zur Entrichtung von Aussetzungszinsen. Die Aussetzung kommt höchstens insoweit in Betracht, als der Bescheid eine Nachforderung zur Folge hat ().

Das Finanzamt führte in der Beschwerdevorentscheidung vom aus, die Bescheidaufhebung nach § 295 Abs. 4 BAO sei weder unmittelbar noch mittelbar im Beschwerdeverfahren erfolgt, auf Grund dessen die Aussetzung der Einhebung bewilligt und ihr Ablauf verfügt wurden.

Zu den Abgaben, deren Höhe mittelbar im Sinne des § 212a BAO von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, gehören nach herrschender Ansicht all jene, die im Fall einer dem Begehren des Beschwerdeführers Rechnung tragenden Berufungserledigung entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen herabzusetzen sind oder deren Festsetzung diesfalls überhaupt aufzuheben ist ( mit Zitierung von Lehrmeinungen).
Gegenstand des Verfahrens vor dem VwGH war die (vom VwGH als rechtswidrig angesehene) Abweisung eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung von Einkommensteuer (und Anspruchszinsen) gemäß § 212a BAO in einem Verfahren, das die Zurückweisung eines auf § 295 Abs. 4 BAO gestützten Antrages auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides zum Gegenstand hatte, nachdem im Rechtsmittelverfahren festgestellt worden war, dass den an die KG erlassenen Feststellungsbescheiden keine Bescheidqualität zukam.

Im zitierten Erkenntnis führt der VwGH wörtlich aus:

"Um dem rechtsstaatlichen Prinzip gerecht zu werden, müssen Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Maß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Revisionswerber nicht einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange belastet sein, bis seine Beschwerde endgültig erledigt ist (vgl. , VfSlg. 11196). Vor diesem Hintergrund ging der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 97/15/0085, VwSlg. 7340/F, davon aus, dass § 212a BAO die Aussetzung der Einhebung des Streitgegenstandes des Hauptverfahrens (Berufung gegen den Abgabenbescheid) auch für die Zeit ermöglicht, während der in einem Nebenverfahren geprüft wird, ob die Voraussetzungen einer Berufung vorliegen.

Auf Nichtbescheide gestützte Änderungsbescheide sind gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist ein Anbringen zur Geltendmachung von Rechten im Sinne des § 85 Abs. 1 BAO und unterliegt der Entscheidungspflicht (vgl. Ritz, BAO6, § 295 Tz 21f). Die Aufhebung eines Änderungsbescheides liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörde und kann - wie im Revisionsfall - zu einer Herabsetzung, aber auch zu einem gänzlichen Wegfall einer Abgabenschuld führen. Wird ein auf § 295 Abs. 4 BAO gestützter Antrag vom Finanzamt abgewiesen und vom Abgabepflichtigen dagegen Beschwerde erhoben, hängt die Einhebung der im Falle einer stattgebenden Erledigung in Wegfall kommenden Abgabenschuld mittelbar von der Erledigung der gegen den Abweisungsbescheid gerichteten Bescheidbeschwerde ab. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass ein auf § 295 Abs. 4 BAO gestützter Antrag vom Finanzamt zurückgewiesen wird (vgl. idS nochmals )."

Aus diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass die Höhe der Einkommensteuer und der Anspruchszinsen 2008 mittelbar im Sinne des § 212a Abs. 1 BAO nicht nur von der Erledigung der Bescheidbeschwerde gegen den Feststellungsbescheid, sondern auch von der Erledigung der Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem der Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO zurückgewiesen wurde, abhängt.

Eine Einschränkung dahingehend, dass nur die im anhängigen Beschwerdeverfahren erfolgte Herabsetzung der der Aussetzung der Einhebung zu Grunde liegenden Abgabenschuld zur Herabsetzung (bzw. dem Wegfall) von Aussetzungszinsen führt, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Wird eine Bescheidbeschwerde, die unmittelbar Anlass für eine Aussetzung der Einhebung war, durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides erledigt, wird durch die Aufhebung die aus dem angefochtenen Bescheid resultierende Nachforderung beseitigt und für die weggefallene Nachforderung sind keine Aussetzungszinsen festzusetzen.

Wird eine Bescheidbeschwerde, die mittelbar Anlass für eine Aussetzung der Einhebung war, durch Zurückweisung der Beschwerde erledigt wird, weil sich herausstellt, dass der Bescheid nicht rechtmäßig ergangen ist, sind ebenfalls keine Aussetzungszinsen festzusetzen, weil eine Abgabenschuld von vornherein nicht bestanden hat (siehe Ritz, BAO6, § 212a BAO, Rz 34, wonach entscheidend ist, ob sich der strittige Betrag letztlich als rechtswidrig oder rechtmäßig erweist).

Im vorliegenden Fall wurde eine Bescheidbeschwerde, die mittelbar Anlass für die Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuer war, durch Zurückweisung der Beschwerde erledigt, weil sich herausgestellt hat, dass der Feststellungsbescheid nicht rechtmäßig ergangen ist. Dem für einen solchen Fall vom Gesetzgeber vorgesehenen Antrag, den vom Feststellungsbescheid abgeleiteten Einkommensteuerbescheid aufzuheben, wurde stattgegeben und dem Bf. die zu Unrecht verbuchte Einkommensteuernachforderung wieder gutgeschrieben. Es liegt daher eine nachträgliche Herabsetzung der Einkommensteuerschuld vor, die zu einer Herabsetzung (bzw. dem Wegfall) der Aussetzungszinsen führt.

Im Hinblick auf die Ausführungen des VfGH im Erkenntnis vom , G119/86, ist es auch nicht einsichtig, dass ein Abgabepflichtiger mit den Folgen einer rechtswidrigen Inanspruchnahme durch die Abgabenbehörde über die Erledigung seines Rechtsschutzgesuches hinaus belastet bleibt, obwohl die (rechtswidrige) Festsetzung der Abgabe nicht mehr dem Rechtsbestand angehört.

Nach der Rechtsansicht des Finanzamtes fallen Aussetzungszinsen nicht an, wenn gegen die Zurückweisung oder die Abweisung eines Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO Beschwerde erhoben und in Folge dieser Beschwerde eine Aussetzung der Einhebung durch das Finanzamt bewilligt (und der Beschwerde in weiterer Folge stattgegeben) wird.

Diese Rechtsansicht hätte zur Folge, dass bei sofortiger stattgebender Erledigung des Antrages nach § 295 Abs. 4 BAO der Abgabepflichtige stets die Aussetzungszinsen zu tragen hätte, während ihm in einem Rechtsmittelverfahren, das mit der beantragten Bescheidaufhebung nach § 295 Abs. 4 BAO endet, die Aussetzungszinsen gutzuschreiben wären.

Um in den Genuss der Aufhebung der Aussetzungszinsen zu kommen müsste der Bf. daher darauf hoffen, dass das Finanzamt seinen Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO rechtswidrig ab- oder zurückweist.

Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden, weil es keinen Unterschied machen kann, ob das Finanzamt dem Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO sofort stattgibt oder die antragsgemäße Erledigung erst im Zuge des Rechtsmittelverfahrens erfolgt.

Damit kann es sich aber auch im Fall der Aufhebung des Einkommensteuerbescheides nach § 295 Abs. 4 BAO nur um einen Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld im Sinne des § 212a Abs. 9 BAO handeln.

Nach § 295 Abs. 3 BAO ist ein Bescheid ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid aufgehoben gewesen.

Bei den im Gesetzestext genannten "anderen" Bescheid handelt es sich nicht um einen förmlichen Grundlagenbescheid, sondern um einen Bescheid, der in seinen Wirkungen materiell andere Bescheide beeinflusst (siehe und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 beeinflusst auch die Festsetzung der Aussetzungszinsen: Wäre nämlich im Zeitpunkt der Festsetzung der Aussetzungszinsen der Einkommensteuerbescheid 2008 bereits aufgehoben gewesen, wären Aussetzungszinsen nicht festzusetzen gewesen, weil eine Abgabenschuld gar nicht vorlag.

Zusammengefasst sprechen daher die von den Parteien im Verfahren vorgebrachten Argumente dafür, dass mit der Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 gemäß § 295 Abs. 4 BAO, der zu einer Nachforderung an Einkommensteuer 2008 und in weiterer Folge zur Festsetzung von Anspruchszinsen 2008 geführt hatte, die der Anspruchszinsenberechnung zu Grunde gelegt wurden, nicht nur die Nachforderung an Einkommensteuer sowie der Anspruchszinsen, sondern auch die Bemessungsgrundlage für die Aussetzungszinsen nachträglich weggefallen ist. Es liegt ein Anwendungsfall des § 212 Abs. 9 3. Satz BAO vor, weshalb der Bescheid vom über die Festsetzung von Aussetzungszinsen aufzuheben war.

Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob ein Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen von Amts wegen aufzuheben ist, wenn ein Feststellungsbescheid nicht rechtmäßig zugestellt wurde und in der Folge der vom Feststellungsbescheid ("Nichtbescheid") abgeleitete Einkommensteuerbescheid, der zu einer Nachforderung geführt hat, die antragsgemäß gemäß § 212a BAO ausgesetzt wurde, gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufgehoben wird, ist die ordentliche Revision zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100384.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at