Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.03.2022, RV/2100514/2021

"Unverzüglicher" Rücktritt der Geschäftsführerin

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch R in der Beschwerdesache ***Bf1***, geboren am 111, ***Bf1-Adr*** vertreten durch V, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Oststeiermark vom , Abgabenkontonummer 112, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) vertrat die im Jahr 2004 errichtete K1.GmbH vom Datum1 bis Datum2 und vom Datum3 bis Datum4 als Geschäftsführerin (Auszug Firmenbuch FN1).

Mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum5, GZ, wurde über die Gesellschaft ein Sanierungsverfahren eröffnet, das kurz darauf in ein Konkursverfahren geändert wurde.
Mit dem Beschluss des Gerichtes vom Datum6 wurde der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben.
Mit dem Generalversammlungsbeschluss vom wurde die Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen (Auszug Firmenbuch FN1).

Mit dem Vorhalt vom teilte das Finanzamt der Bf. als potentiell Haftungspflichtige gemäß § 9 BAO mit, bei der K1.GmbH hafteten während der Geschäftsführertätigkeit der Bf. angefallenen Abgaben in der Höhe 661.917,63 € unberichtigt aus. Der Bf. obliege der Nachweis, in welcher Höhe der Gesellschaft Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden seien und in welchem Ausmaß die anderen Gläubiger der Gesellschaft befriedigt worden seien. Sollte der Nachweis nicht erbracht werden, müsse von einer schuldhaften Pflichtverletzung der Bf. im Hinblick auf ihre Verpflichtung, die fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu entrichten, ausgegangen werden; in diesem Fall hafte sie für die uneinbringlichen Abgabenschulden in vollem Ausmaß.

In der Vorhaltsbeantwortung vom übermittelte der steuerliche Vertreter der Bf. eine Aufstellung der zur Verfügung gestandenen liquiden Mittel und die Darstellung der Gläubigerzahlungen für den Zeitraum Mai bis August 2019. Die Bf. sei vom 12.09. bis Datum7 (52 Tage [richtig: 70 Tage]) und vom Datum3 bis Datum8 (11 Tage) als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen gewesen. Das Finanzamt möge das Ermessen insofern ausüben, als die Bf. nicht zur Haftung in Anspruch genommen werde. Sie habe sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht und ihr Geschäftsführungsmandat zurückgelegt, sobald sie die tatsächliche finanzielle Situation der K1.GmbH erkannt habe. Über diese sei sie im Zeitpunkt des Antretens der Geschäftsführung nicht informiert gewesen, da das persönliche Verhältnis mit ihrem Ex-Gatten G und ihrem Sohn S derart schlecht gewesen sei, dass sie nur über Gericht verkehrt hätten. Sie habe die Geschäftsführung übernommen, um den Fortbestand der Gesellschaft zu ermöglichen.

Mit dem hier angefochtenen Haftungsbescheid vom zog das Finanzamt Oststeiermark die Bf. gemäß § 9 BAO zur Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der K1.GmbH im Ausmaß von 383.398,51 € heran. Die Insolvenzquote von 22% wurde bei der Haftungssumme berücksichtigt.
Die Abgaben seien an den Fälligkeitstagen nicht entrichtet worden, weshalb von einer schuldhaften Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten der Bf. auszugehen sei. Eine Gläubigergleichbehandlung sei dem Finanzamt nicht vorgelegt worden.
Hinsichtlich der Lohnsteuer ergebe sich die schuldhafte Pflichtverletzung aus der Nichtbeachtung der Kürzungspflicht (§ 79 Abs. 1 bzw. § 78 Abs. 3 EStG). Demzufolge seien auszubezahlende Löhne entsprechend zu kürzen, wenn die vorhandenen Mittel für die Entrichtung der Löhne und der darauf entfallenden Lohnabgaben nicht ausreichten.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom führte die Bf. durch ihren Vertreter aus:
"…..
Zusammensetzung der Haftungssumme laut Bescheid

Kapitalertragsteuer 2012, 2013 und 2014
….. Im Haftungsbescheid wurde die Haftung für Kapitalertragsteuern für die Jahre 2012. 2013 und 2014 im Ausmaß von

  1. € 35.524,91 für das Jahr 2012

  2. € 35.552,36 für das Jahr 2013 und

  3. € 20.224,08 für das Jahr 2014

vorgeschrieben. Die Bezeichnung dieser Positionen ist falsch. Das Abgabenkonto der K1.GmbH wurde niemals mit Kapitalertragsteuern für die Zeiträume 2012, 2013 und 2014 im genannten Ausmaß belastet, es wurde allerdings für die K1.GmbH für abzugssteuern gemäß § 99 EStG für einen polnischen Subunternehmer namens "U" zur Haftung herangezogen; diese Beträge wurden auf dem Abgabenkonto belastet.

Es kann daher für diese Positionen schon aufgrund der fehlerhaften Bezeichnung der Abgaben keine Haftung begründet werden.

Es ist anzumerken, dass gegen die Vorschreibung dieser Abgaben das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht wurde und die Entscheidung darüber beim Bundesfinanzgericht anhängig ist. Es ist diesbezüglich noch keine Entscheidung ergangen.

L, DB, DZ 9
Die Lohnsteuer, der Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für den Monat September 2020 wurde am ordnungsgemäß zur Einzahlung gebracht. Diese Beträge können daher nicht Teil der Haftungssumme sein.

Haftung für Abgaben, die bereits vor der Zeit der Geschäftsführung fällig wurden
Frau
***Bf1*** war

• vom Datum1 bis Datum7 (52 Tage) und
• vom
Datum3 bis Datum8 (11 Tage)

als Geschäftsführerin der K1.GmbH im Firmenbuch eingetragen (…..).

Da Frau ***Bf1*** erst mit Datum1 Geschäftsführerin der K1.GmbH wurde, haftet sie nicht für die Einbringlichkeit jener Abgaben, die vor ihrer Zeit als Geschäftsführerin fällig wurden (Erkenntnis des ). In dem Erkenntnis wird ausgeführt, dass § 9 BAO nicht auf eine faktische Wahrnehmung der steuerlichen Obliegenheiten abstellt. Maßgebend für die Vertreterhaftung ist die gesellschaftsrechtliche Stellung als Vertreter bzw. als Geschäftsführer der GesmbH. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person tatsächlich als Geschäftsführer tätig ist oder nur auf dem Papier.

"Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführerin hinsichtlich solcher Abgabenforderungen, welche nicht während ihrer Funktionsperiode gesetzlich fällig geworden sind, nicht zur Haftung herangezogen werden kann, weil sie eben hinsichtlich solcher Abgabenforderungen nicht als Vertreter der GmbH fungiert hat." Die Geschäftsführerin kann somit nur für jene Abgabenforderungen zur Haftung herangezogen werden, die während ihrer Funktionsperiode fällig geworden sind.

Die Trennung in jene Abgaben, die vor ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin fällig wurden und jene Abgaben, die während der Zeit als Geschäftsführerin fällig wurden, liegt dieser Beschwerde als Beilage 1 bei. Während ihrer Zeit als Geschäftsführerin wurden € 123.452,22 fällig; für diesen Betrag kann sie theoretisch zur Haftung herangezogen werden. Für € 259.946,29 kann sie nicht zur Haftung herangezogen werden, da diese Abgaben vor ihrer Zeit als Geschäftsführerin fällig wurden.

Verletzung von Pflichten
Die Geschäftsführerin kann nur dann zur Haftung herangezogen werden, wenn sie die Verletzung von abgabenrechtlichen Pflichten begangen hat und diese Pflichtverletzung kausal für den Ausfall der Abgaben ist.

Bei der Übernahme einer Vertretertätigkeit hat sich der Geschäftsführer darüber zu unterrichten, ob und in welchem Ausmaß der von ihm nunmehr Vertretene (hier K1.GmbH) bisher seinen abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist.

Behauptet die Vertreterin, die Geschäftsführerin der GesmbH, sie sei an der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gehindert bzw. behindert worden, so kann eine Verletzung der Pflichten nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Geschäftsführerin die Funktion unverzüglich niederlegt und als Geschäftsführerin ausscheidet ( Ritz, Kommentar BAO, RZ 17 zu § 9 BAO).

Unter "unverzüglich" versteht die Literatur einen Zeitraum von drei Monaten, beginnend mit dem Zeitpunkt des Erkennens des Fehlers (Althuber, Geschäftsführer- und Vorstandshaftung im österreichischen Steuerrecht, S 63)

Welcher Zeitraum zwischen Erkennen der Behinderung und dem Rücktritt haftungsrelevant ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im Erkenntnis vom (88/15/0089) hat der VwGH eine Zurücklegung nach zwei Monaten als ausreichend beurteilt. Der VwGH schließt mit seinem Erkenntnis vom , 89/15/0159, auch einen Zeitraum von nahezu drei Monaten zwischen der Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH und dessen Rücktritt wegen einer Behinderung in der Ausübung seiner Funktion nicht von vornherein als unverzüglich aus, weil die Verpflichtung zum Rücktritt erst durch die Erkennbarkeit der Behinderung und der Ergebnislosigkeit der Bemühungen, diese zu beseitigen, ausgelöst wird.

Frau ***Bf1*** war vom Datum1 bis Datum7 als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen. Dies umfasst einen Zeitraum von 52 Tagen. Da sie in dieser Zeit aufgrund der Spannungen und unzähligen gegenseitigen Klagen und Verfahren im Gesellschafterkreise erkannt hat, dass Bemühungen, keine abgabenrechtlichen Pflichten zu verletzen, nicht umzusetzen sind, hat sie den Rücktritt als Geschäftsführerin erklärt. Dieser Rücktritt nach 52 Tagen ist ausreichend, um eine Haftung von Frau ***Bf1*** mangels Pflichtverletzung zu verneinen.

Sie erklärte sich bereit, erneut die Geschäftsführung zu übernehmen, weil sie die Chance sah, die Geschäftsführung in allen Belangen ordnungsgemäß durchzuführen. Als sie erkannte, dass dies wieder nicht möglich ist, trat sie erneut als Geschäftsführerin nach 11 Tagen zurück.

Gleichbehandlung der Gläubiger/Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Wenn nun trotz fehlender Pflichtverletzung eine Haftung bestünde, so wäre diese Haftung für jene Beträge anzuwenden, die in der Zeit ihrer Geschäftsführung entstanden sind. Diese Beträge sind in der Beilage 2 dargestellt.

Eine Haftung tritt nur dann ein, wenn der Abgabengläubiger schlechter gestellt wurde als andere Gläubiger. Es müsste der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt sein.

Es wurde für die Fälligkeitszeiträume September bis November 2019 eine Untersuchung dahingehend gemacht, ob der Abgabengläubiger besser oder schlechter gestellt wurde als alle anderen Gläubiger. Diese Berechnung ist in der Beilage 2 ersichtlich. Die Berechnung, ob nun der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wurde, geht davon aus, dass jener Prozentsatz, den die Verbindlichkeiten des Finanzamts an den Gesamtverbindlichkeiten zum Monatsletzten betragen, auch an das Finanzamt zu bezahlen gewesen wäre. Wenn dieser Prozentsatz nicht an das Finanzamt bezahlt wurde, so liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor.

Im September des Jahres 2019 betragen die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt 35,3 % der Gesamtverbindlichkeiten. Es wären daher bei Zahlungen im September von € 755.231,26 35,3 % dieses Betrages an das Finanzamt zu leisten gewesen. Theoretisch wären somit € 266.591,11 an das Finanzamt zu bezahlen gewesen. Bei einem Rückstand beim Finanzamt ohne den Lohnsteuern von € 409.916,41 ergebe dies bei einer theoretischen Zahlung von € 266.591,11 einen Prozentsatz der Tilgung der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt von 65,04 %. Da in diesem Monat nichts an das Finanzamt bezahlt wurde, haftet die Geschäftsführerin für die Differenz zwischen 0 % einerseits und 65,04 % andererseits. Dies ergibt eine Haftung in Höhe von 65,04 %. Dieser Prozentsatz ist anzuwenden auf den möglichen Haftungsbetrag von € 67.813,72. (Dies sind jene Abgaben, die im Haftungsbescheid mit einer Fälligkeit von angeführt wurden.) Die mögliche Haftung beläuft sich daher auf € 44.102,98.

Die gleichen Berechnungen wurden für die Monate Oktober und November 2019 durchgeführt. Es ergibt sich daher für Oktober 2019 eine mögliche Haftung von € 16.520,98 und für November 2019 eine mögliche Haftung von € 5.968,23.

Die Darstellung der Gleichbehandlung bzw. das Ausmaß der Verletzung der Gleichbehandlung ist ebenfalls in der Beilage 2 dargestellt."

Der steuerliche Vertreter der Bf. stellte den Antrag, den Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben und im Fall der direkten Weiterleitung der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht eine mündliche Verhandlung abzuhalten.

Ergänzend brachte die Bf. im Schriftsatz vom vor:
"Ich habe die Geschäftsführung auf Ersuchen des Masseverwalters der K3.GmbH angenommen. Die K1.GmbH hatte eine gute Auftragslage und war nicht insolvenzgefährdet.

Erste Priorität war, das im letzten Jahr entnommene Darlehen in der Höhe von € 611.771,- zurückzufordern. Der Darlehensnehmer G verfügte über genügend Vermögenswerte. Diese Rücküberweisung des Darlehens hätte die Öffnung der Girokontenrahmen bei den Bankinstituten und die Öffnung des Rahmens für die Haftungsgarantien für Anzahlungen, Deckungsrücklässe und Haftrücklässe erwirkt, sodass unmittelbar danach mit einer Liquidität von mindesten € 1,2 Millionen zu rechnen war, zusätzlich zu der Darlehensrückzahlung von € 611.771,-. Die Gespräche mit dem Darlehensnehmer erfolgten persönlich, da das Beschreiten des Rechtswegs auf Grund der zu erwartenden Verfahrenslänge nicht sinnvoll gewesen wäre.

Ferner hat die K1.GmbH ein Industriegrundstück von der KB erworben. Der Kaufpreis für das Grundstück in Höhe von € 600.000,- wurde zur Gänze von der K1.GmbH überwiesen. Es fehlte lediglich die Eintragung ins Grundbuch. G hat sich persönlich um diese Angelegenheit gekümmert. Es handelt sich bei dem Grundstück um 32000 m2 Industriegrund in bester Lage. Meines Wissens ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft in dieser Sache.

Nach intensiven Gesprächen und Verhandlungen mit dem Darlehensnehmer stellte sich leider heraus, dass dieser seine Schuld nicht ohne langwierige Rechtsstreitigkeiten zurückzahlen wird. Ab diesem Zeitpunkt ist aus meiner Sicht die Zahlungsunfähigkeit der K1.GmbH erst eingetreten. Ich habe daraufhin umgehend die Zahlungsunfähigkeit der K1.GmbH bekanntgegeben und die Geschäftsführung zurückgelegt, als ich die Ausweglosigkeit der Situation erkannt habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich keine Zahlungen mehr getätigt. Eine Gläubigrbevorzugung trifft daher in keinster Weise zu.

Ich habe als Geschäftsführer der K1.GmbH nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und bin verwundert, dass ich nun zu einer Haftung herangezogen werden soll, obwohl keine Gläubigerbevorzugung stattgefunden hat."

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom schränkte das Finanzamt die Haftung auf die Lohnsteuer 09/2019 in der Höhe von 6.920,11 € ein.
Die Bf. sei ihrer Verpflichtung, ihre Funktion im Fall einer Behinderung in der Ausübung der Geschäftsführertätigkeit niederzulegen, nachgekommen.
Die Haftungsinanspruchnahme bleibe nur gegenüber der Lohnsteuer 09/2019 in voller Höhe bestehen. Die Auszahlung der Löhne für September 2019 falle ebenso wie die Fälligkeit der Lohnsteuer in den Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit. Diesbezüglich könne die Bf. weder das Fehlen der Mittel zur Abgabenentrichtung noch eine Behinderung an der Geschäftsführerfunktion oder die Dauer der Geschäftsführertätigkeit exkulpieren, da aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988 die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Lohn zu berechnen und einzubehalten sei, gegebenenfalls die Löhne auf die zur Verfügung stehenden Mittel entsprechend zu kürzen seien. Eine Nichtbeachtung der Bestimmung stelle eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO dar.

Mit dem Schriftsatz vom beantragte die Bf. ohne weitere Ausführungen die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht.

Im ergänzenden Schriftsatz vom führte der steuerliche Vertreter der Bf. aus:
"…..
Für den Monat September 2019 fielen Nettolöhne in Höhe von € 200.255,21 an (siehe beiliegender Buchungsbeleg). Es wurden rund 50 % dieser Nettolöhne durch folgende Überweisungen bezahlt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Überweisung vom :
(Überweisungsliste liegt bei)
€ 99.069,61
Kassenausgang Beleg 19-00411
(Beleg liegt bei)
€ 909,94
Kassenausgang Beleg 19-00426
(Beleg liegt bei)
€ 909,93
Summe Überweisungen
€ 100.889,48

Die Überweisungen von € 100.889,48 entsprechen 50,38%, gerundet 50%, des gesamten zu bezahlenden Nettobetrages.

Da nun 50 % der Nettolöhne zur Überweisung gelangt sind, wurden ebenfalls 50 % der Lohnsteuer zur Einzahlung gebracht. Die Lohnsteuer für den Monat September 2019 belief sich auf € 32.114,51. Mit Überweisung vom wurden genau 50 %, das sind € 16.057,26 zur Einzahlung gebracht. Die diesbezügliche Überweisung liegt bei. Die Verbuchung erfolgte mit .

Mit erfolgte fälschlicherweise die Verbuchung von 100% der Lohnsteuern für den Monat 09/2019 auf dem Abgabenkonto. Durch die Buchung am Abgabenkonto mit und wurden somit 150% der Lohnsteuern für den Monat 09/2019 verbucht. Die Buchung vom ist somit zu stornieren. (Das Abgabenkonto mit der Kennzeichnung der Buchungen liegt bei)

Antrag
Es wird der

Antrag

gestellt, dass der Haftungsbescheid von Frau ***Bf1*** zur Gänze aufgehoben wird.
….."

Der steuerliche Vertreter der Bf. teilte am mit, eine mündliche Verhandlung sei im Hinblick darauf, dass eine solche nur für den nicht eingetretenen Fall der sofortigen Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht gestellt wurde, nicht abzuhalten.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach ihrem Vorbringen und der Aktenlage war die Bf. vom Datum1 bis Datum7 (die diesbezügliche Eintragung im Firmenbuch erfolgte am Datum2) und vom Datum3 bis Datum8 (eingetragen im Firmenbuch am Datum4) Geschäftsführerin der K1.GmbH.
Vom Datum7 bis Datum9 vertrat auch ihr Sohn S die Gesellschaft als Geschäftsführer.
Am Datum5 wurde über die Gesellschaft das Sanierungsverfahren eröffnet (Auszug aus dem Firmenbuch FN1).

Im Schriftsatz vom führte die Bf. aus, sie habe die Geschäftsführung auf Ersuchen des Masseverwalters der K3.GmbH (zu diesem Zeitpunkt Alleingesellschafterin der K1.GmbH) angenommen. Über die K3.GmbH war mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz am das Konkursverfahren eröffnet worden (Firmenbuch FN3).

Der Stellungnahme der K3.GmbH an die Staatsanwaltschaft Graz vom ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
Die K3.GmbH war Alleingesellschafterin der K2.GmbH und der K1.GmbH. G, der Ex-Gatte der Bf., war seit Geschäftsführer der K2.GmbH und seit Geschäftsführer der K1.GmbH.
Mit der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit des G in diesen Gesellschaften legte die Bank1 die Globalzession sämtlicher Forderungen der K2.GmbH offen und prolongierte den Kontokorrentrahmen nicht. Dies hatte zur Folge, dass über die K2.GmbH ein Sanierungsverfahren eröffnet werden musste (Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum10, GZ, Firmenbuch FN2). Im Rahmen des Sanierungsverfahren wurde der Sanierungsplan von den Insolvenzgläubigern angenommen.
Die K3.GmbH hatte für die K2.GmbH eine Haftung gegenüber der Bank1 übernommen, die ihre Forderungen gerichtlich geltend machte (210.000 € s.A.). Seit der Bewilligung der von der Bank1 betriebenen Exekution weigerte sich G, die Forderungen der K3.GmbH zu bezahlen (die K3.GmbH erbrachte Leistungen an die K2.GmbH und an die K1.GmbH und stellte hierfür ein drittübliches Entgelt in Rechnung).
Die K3.GmbH verschaffte der K2.GmbH und der K1.GmbH jeweils eine Sale and Lease Back-Finanzierung und wies deren Geschäftsführer G an, die Finanzmittel als Liquiditätsreserve zu verwenden (für den Fall, dass die zu diesem Zeitpunkt laufenden Finanzierungsgespräche der Gesellschaften mit der Bank2 nicht positiv abgeschlossen werden).
G investierte die Beträge jedoch in den Ausbau der K2.GmbH, insbesondere in den Aufbau einer Serienfertigung mit der deutschen D.GmbH und verwendete hierbei finanzielle Mittel der K1.GmbH in der Höhe von mindestens 611.771 €. Trotz mehrfacher Aufforderung wurde dieser Betrag weder von der K2.GmbH noch von G an die K1.GmbH rücküberwiesen.
Gegenüber der Geschäftsführung der K3.GmbH und gegenüber Führungskräften der K1.GmbH gab G am zu Protokoll, dass er für "sämtliche Zahlungen, welche Darlehens-Charakter aufweisen, die persönliche Haftung übernimmt und diese unmittelbar zurückführt, sobald Liquiditätsbedarf besteht."
Über die K2.GmbH wurde mit dem Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Graz vom Datum11, GZ, der Konkurs eröffnet, nachdem der vom Masseverwalter eingesetzte Geschäftsführer die Überschuldung der Gesellschaft festgestellt hatte.
Die Verhandlungen mit der Bank2 führten zur Erstellung eines Entwurfes eines Kreditvertrages, nachdem G zugesagt hatte, aus der K4.GmbH (Gesellschafter und alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer G) materielle Sicherheiten zur Verfügung zu stellen. Entgegen seinen bis dahin getätigten Zusagen wollte G den Kreditvertrag doch nicht unterfertigen.
Der Aufforderung der K3.GmbH, den Betrag von 661.771 € bis an die K1.GmbH zurückzuzahlen, kam G nicht nach. In weiterer Folge wurde über die K3.GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.
Am erklärte G seinen Rücktritt als Geschäftsführer der K2.GmbH und der K1.GmbH , führte aber als faktischer Geschäftsführer die Geschäfte beider Gesellschaften weiter.

Im Hinblick auf den vorliegenden Fall ist daher festzuhalten, dass der frühere Geschäftsführer der K1.GmbH der Gesellschaft unberechtigterweise 661.771 € entzogen und für die K2.GmbH verwendet hat.
Während G noch im April 2019 gegenüber Führungskräften der K1.GmbH versicherte, für diese Beträge die persönliche Haftung zu übernehmen und im Juni 2017 bereits Kreditverträge mit der Bank2 ausgearbeitet waren, in denen G materielle Sicherheiten von der K4.GmbH zur Verfügung stellte, wurde in der Folge weder der Kreditvertrag unterzeichnet noch der in der Schwestergesellschaft verwendete Betrag von 661.771 € zurückbezahlt.

Laut ihrer schriftlichen Stellungnahme vom übernahm die Bf. über Ersuchen des Masseverwalters der K3.GmbH die Geschäftsführung der K1.GmbH. Die Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt nicht insolvenzgefährdet und verfügte über eine gute Auftragslage. Die Bf. konnte daher berechtigt davon ausgehen, dass im Fall der Rückzahlung des Darlehens von 661.771 € durch ihren Ex-Gatten G, der über ausreichende Vermögenswerte verfügte, der Girokontenrahmen wieder geöffnet werden und die Gesellschaft über ausreichend Liquidität verfügen würde.
Es ist auch nachvollziehbar, dass die Bf. versuchte, das ehemalige Familienunternehmen durch ihr Eingreifen zu retten und ihren Ex-Gatten zu bewegen, die zunächst zugesagte Rückzahlung des aus der K1.GmbH für die Schwestergesellschaft entnommenen Betrages zu tätigen.

Wenn die Bf. daher nach knapp zwei Monaten (es handelt sich um insgesamt 70 Tage, und nicht, wie der steuerliche Vertreter an mehreren Stellen der Schriftsätze ausführt, um 50 Tage) in dem Zeitpunkt, in dem sie erkannte, dass trotz intensiver Gespräche und Verhandlungen eine Rückzahlung des Darlehens durch G ohne (weitere) langwierige Rechtsstreitigkeiten nicht erfolgen werde, ihren Rücktritt als Geschäftsführerin erklärte, kann noch von einem "unverzüglichen" Rücktritt der Bf. als Geschäftsführerin ausgegangen werden.

Daran ändert auch nichts, dass die Bf. nach der Zurücklegung ihrer Geschäftsführertätigkeit (Zurücklegung am Datum7, im Firmenbuch eingetragen am Datum2) zwei Tage später noch einmal die Geschäftsführung - diesmal zusammen mit ihrem Sohn S - übernahm, weil sie doch noch eine Chance auf eine Lösung sah, nach Erkennen der Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen diesmal aber bereits nach elf Tagen ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin zurücklegte (Datum3 bis Datum8, im Firmenbuch eingetragen am Datum4).
Diese zweite Übernahme der Geschäftsführertätigkeit veranschaulicht, dass die Bf. nichts unversucht lassen wollte, die finanziellen Probleme der Gesellschaft zu beseitigen, sie aber auch, nachdem sie die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkannte, sofort ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin beendete und ihrer Verpflichtung zum Rücktritt daher unverzüglich nachkam.
Für die Nichtabfuhr von während ihrer Geschäftsführertätigkeit fällig gewordenen Abgabenverbindlichkeiten ist der Bf. daher ein schuldhaftes Verhalten nicht vorzuwerfen.

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde beginnt die Verantwortung als Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht erst mit der Begründung der Vertretungsfunktion. Der Geschäftsführer ist auch verpflichtet ist, bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit von der Gesellschaft angesammelte Abgabenrückstände zu begleichen (). Der Rechtsansicht, dass die Bf. von vornherein nicht für Abgabenforderungen zur Haftung herangezogen werden kann, die nicht während ihrer Funktionsperiode fällig wurden, ist daher nicht zuzustimmen.
Im vorliegenden Fall wusste die Bf. entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde bei der Übernahme der Geschäftsführerfunktion auch über die finanzielle Lage der Gesellschaft Bescheid. Ihre Aufgabe - auch über Ersuchen des Masseverwalters der K3.GmbH - war, die Liquidität der Gesellschaft wiederherzustellen, die allein von der Rückzahlung des Darlehens durch G abhing, weil im Erfolgsfall der Girokontenrahmen sowie die Rahmen für die Haftungsgarantien bei der Bank geöffnet worden wären, sodass mit der dadurch erwarteten Liquidität von über 1,8 Millionen Euro nicht nur die Fortführung des Geschäftsbetriebes, der über eine gute Auftragslage verfügte, sondern auch die Entrichtung der im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten (450.000 €) ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Der Bf. ist daher auch an der Nichtentrichtung der vor ihrer Geschäftsführertätigkeit fällig gewordenen Abgabenschulden bis zum Erkennen der Aussichtlosigkeit der Situation kein Verschulden anzulasten.

Nach der Rechtsprechung des VwGH (, 89/15/0159) muss ein Geschäftsführer, der an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Obliegenheiten - so auch an der Entrichtung der Abgaben - gehindert wird, so entweder sofort die Behinderung seiner Funktion - allenfalls im Rechtsweg - abstellen oder seine Funktion niederlegen und als Geschäftsführer ausscheiden. Ob der Rücktritt "unverzüglich" erfolgte, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Auch ein Zeitraum von nahezu drei Monaten zwischen der Bestellung zum Geschäftsführer und dessen Rücktritt wegen einer Behinderung in der Ausübung seiner Funktion schließt eine Beurteilung des Rücktrittes als "unverzüglich" nicht von vornherein aus, weil die Verpflichtung zum Rücktritt erst durch die Erkennbarkeit der Behinderung und der Ergebnislosigkeit der Bemühungen, diese zu beseitigen, ausgelöst wird ().

In Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Finanzamtes in der Beschwerdevorentscheidung und in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist daher der Rücktritt der Bf. nach etwas mehr als zwei Monaten nach ihrer Bestellung zur Geschäftsführerin als rechtzeitig anzusehen.

Lohnsteuer 09/2019

Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (siehe zuletzt , und die dort zitierte Vorjudikatur).

Zur Meldung bzw. Verbuchung der Lohnsteuer 09/2019 wird festgestellt:

Die Lohnsteuer 09/2019 wurde dem Finanzamt am in der Höhe von 32.114,51 € bekannt gegeben, aber nicht entrichtet.
Am wurde ein Betrag in der Höhe von 46.515,41 € an das Finanzamt überwiesen und u.a. die Lohnsteuer 09/2019 mit einem bekanntgegebenen Betrag von 16.057,26 € entrichtet.
Im Vorlageantrag vom wurde seitens der Bf. ausgeführt, sie habe im Monat September 2019 nur 50 % der Löhne ausbezahlt, dafür aber auch nur 50% der Lohnsteuer abgeführt.

Von der insgesamt gemeldeten Lohnsteuer 09/2019 (32.114,51 + 16.057,26 = 48.171,77) haftet noch ein Betrag in der Höhe von 6.920,11 € am Abgabenkonto aus, sodass von der Gesellschaft ein Betrag an Lohnsteuer 09/2019 in der Höhe von 41.251,66 € entrichtet wurde.

Nach einer über die Jahre 2017 bis 2019 bei der K1.GmbH durchgeführten GPLA-Prüfung (Bericht vom , ABNr. AB) wurde die Lohnsteuer für 09/2019 vom Prüfer um einen Betrag von -23.242,58 € korrigiert (die Verbuchung am Abgabenkonto erfolgte am für die gesamte Lohnsteuer 2019 in einem Betrag).

Ein schuldhaftes Verhalten der Bf. an der an der Nichtentrichtung des noch aushaftenden Betrages an Lohnsteuer 09/2019 ist daher ebenfalls nicht erweislich, weshalb der Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben war.

Zur Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall war nicht über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, weshalb eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100514.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at