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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.02.2022, RV/7104417/2020

Eigenantrag eines Kindes; die Vertretungsbefugnis der mit der Pflege und Erziehung betrauten Person muss nicht die Vermögensverwaltung umfassen, unabhängig davon, ob die Familienbeihilfe für laufende oder rückwirkende Zeiträume geltend gemacht wird

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Christian Doktor über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Bezirkshauptmannschaft Mistelbach, Hauptplatz 4, 2130 Mistelbach, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom , betreffend Zurückweisung des Antrages auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag für die Monate März 2020 bis Juli 2020, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Mutter des mj. Bf1, geb. am tt.mm.2006, bezog bis Februar 2020 die erhöhte Familienbeihilfe.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Mistelbach vom , 1 Ps 127/19k-23, wurde die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach mit der Obsorge des mj. Bf1, im Bereich Pflege und Erziehung betraut.

Am stellte die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach für den Minderjährigen mit Formular Beih100 und Beih3 einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages rückwirkend ab September 2019.

Dem Antrag war folgendes Schreiben beigelegt:

"Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach als örtlich zuständiger Kinder- und Jugendhilfeträger übermittelt beiliegend unter Berufung auf § 6 Abs. 5 1. Satz des FLAG i.d.F. BGBl. 77/2018 als gesetzlicher Vertreter von X. Bf1, geboren am tt.mm.2006 einen unterfertigten Antrag auf Eigenbezug der Familienbeihilfe ab .

Das Kind befindet sich seit auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung gemäß §§ 39,49, 50 Nö KJHG im SZB Betreuungszentrum in 2100 Korneuburg.

[x| Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach ist auf Grund Beschluss des Bezirksgerichts Mistelbach vom , 1 Ps 127/19k-23, mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung betraut. Dieser Beschuss wurde gemäß § 44 AußStrG sofort in Vollzug gesetzt.

|x| Der Vater des Kindes X. Z., geboren am tt.mm.1984, ist zu einem monatlichen Kostenbeitrag (§ 30 B-KJHG / § 77 Nö KJHG) von € 185,- verpflichtet und kommt seiner Verpflichtung nach.

|x| Die Mutter des Kindes KM, geboren am tt.mm.1981 ist derzeit noch nicht zu einem monatlichen Kostenbeitrag verpflichtet, die entsprechenden Erhebungen wurden eingeleitet.

|x| Die Mutter erbringt jedoch seit Monaten regelmäßig Naturalunterhaltsleistungen im Rahmen von Heimfahrten des Kindes zu ihr samt Übernachtungen in regelmäßigen Abständen (14-tägig)."

Mit Schreiben vom wurde der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom Finanzamt mitgeteilt, dass für einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe eine Übertragung der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung notwendig sei. Es werde daher um Vorlage einer entsprechenden Bestätigung bzw. um Übermittlung des Beschlusses des BG Mistelbach ersucht.

Mit Schreiben vom wurde der Beschluss des Bezirksgerichtes Mistelbach vom , GZ, in Kopie übermittelt:

"Die Obsorge zum mj. Bf1 X., geb. am tt.mm.2006, wird der Mutter KM in den Teilbereichen Pflege und Erziehung (inklusive der Aufenthaltsbestimmung sowie Angelegenheiten betreffend medizinische und psychologische sowie psychotherapeutische Versorgung des Minderjährigen) entzogen und dem Land Niederösterreich, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach übertragen.

Der Antrag der mütterlichen Großeltern Maria C. und Muharrem C. auf Übertragung der Obsorge an sie wird abgewiesen.

Dieser Beschluss wird gemäß § 44 AußStrG sofort in Vollzug gesetzt.

Begründung:

KM (vormals: X.) ist die Mutter von 5 Kindern. Das älteste Kind der Mutter, K2, ist bereits volljährig.

Aufgrund der besonderen Dringlichkeit war der Beschluss sofort in Vollzug zu setzen, weil bei weiterem Zuwarten, bzw. Abwarten der Rechtskraft die Gefährdung der Kinder weiterbestehen würde und sie weitere Monate in ihrem Fortkommen verlieren würden.2

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom mit folgender Begründung ab:

"Für eine rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ist eine Übertragung der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung notwendig.

Laut Beschluss des Bezirksgerichtes Mistelbach wurde dem Land Niederösterreich die Obsorge in den Teilbereichen Pflege und Erziehung Stimmung sowie Angelegenheiten betreffend medizinische und psychologische sowie psychotherapeutische Versorgung übertragen, nicht jedoch die Vermögensverwaltung.

Eine Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ist somit erst ab Antragstellung (August 2020) möglich.

Ihr Antrag musste dahingehend für die Monate März bis Juli 2020 abgewiesen werden."

Gegen den Abweisungsbescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben (Schreiben vom ) und vorgebracht, dass für die rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe mit der Entscheidung des zu 6 Ob 62/20s klargestellt worden sei, dass der Kinder und Jugendhilfeträger, der mit der Pflege und Erziehung betraut sei, eine ausreichende Vertretungsbefugnis für die Geltendmachung des Eigenanspruches des Kindes nach § 6 Abs 5 FLAG habe. Diese Vertretungsbefugnis sei auch für die rückwirkende Geltendmachung des Eigenanspruches des Kindes ausreichend. Daher werde die Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie der erhöhten Familienbeihilfe nach gängiger Rechtsprechung Antragsdatum bis laufend für den mj. Bf1 beantragt.


Die Beschwerde wurde vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung abgewiesen:

"Das minderjährige Kind Bf1 ist seit aufgrund einer Maßnahme der vollen Erziehung im Sozialpädagogischen Betreuungszentrum Korneuburg fremduntergebracht. Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Mistelbach vom mit der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung betraut, die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung wurde jedoch nicht übertragen. Es liegt ein Beitrag zur Tragung der Unterhaltskosten des Kindes durch die Eltern vor.

Am wurde ein Eigenantrag des Kindes, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab März 2020 eingebracht.

Grundsätzlich ist der Kinder- und Jugendhilfeträger, sofern er über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung des Kindes verfügt, legitimiert den Eigenanspruch für das betroffene Kind geltend zu machen und den Antrag auf laufende Familienbeihilfe für das Kind zu stellen. Die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung ist jedoch nicht ausreichend, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Dafür muss eine Obsorgeübertragung im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein. Eine rückwirkende Antragstellung bedeutet die Geltendmachung von Vermögensbestandteilen, die durch die einmalige Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führen.

In seiner Entscheidung vom , 6 Ob 62/20s, hat der OGH differenzierende Kriterien herausgearbeitet, gemäß welcher ein finanzieller Anspruch dem Bereich Unterhalt bzw. dem Bereich der Vermögensverwaltung zuzuordnen ist. Nach dem Wortlaut der Entscheidung dient der Unterhalt (S. 5) "der Deckung der aktuellen, angemessenen Lebensbedürfnisse des Kindes. Dies betreffe vor allem die regelmäßig benötigten Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die benötigten Leistungen zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit, weiters die Aufwendungen für die Ausbildung und zur Freizeitgestaltung". Die Vermögensverwaltung betrifft demgegenüber die "Erhaltung und mögliche Vermehrung des Stammvermögens sowie die Gebarung mit den Erträgnissen".

Aufgrund der vorliegenden Entscheidung ist davon auszugehen, dass die darin enthaltenen Ausführungen des OGH sich lediglich auf die Geltendmachung eines laufenden Familienbeihilfenanspruches beziehen. Mit der Frage von rückwirkenden Ansprüchen setzt sich der OGH in diesem Erkenntnis nicht auseinander. Die Geltendmachung eines laufenden Familienbeihilfeanspruches betrifft zweifelsfrei die Deckung der aktuellen, angemessenen Lebensbedürfnisse. Mit der Geltendmachung von rückwirkenden Familienbeihilfenbeträgen werden iSd vorliegenden Entscheidung jedoch keine Beträge zur Deckung von aktuellen Lebensbedürfnisse geltend gemacht. Da sich diese Geldbeträge auf bereits vergangene Zeiträume beziehen, fehlen hier die genannten Kriterien des OGH für eine Zuordnung dieser finanziellen Beträge zum Unterhaltsbereich. Vielmehr werden mit der erfolgreichen Geltendmachung von Familienbeihilfebeträgen für vergangene Zeiträume finanzielle Beträge erzielt, die zu einer Vermehrung des Stammvermögens des Kindes führen, da diese nicht mehr dazu dienen können, die aktuellen Lebensbedürfnisse zu decken, sondern jene der Vergangenheit.

Verfügt der Kinder- und Jugendhilfeträger ausschließlich über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung, nicht jedoch über die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung, ist dieser nicht legitimiert den Eigenanspruch für das betroffene Kind für vergangene Zeiträume geltend zu machen.

Die Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum März bis Juli 2020 erfolgte somit zu Recht."

Am wurde ein Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht gestellt und vorgebracht, dass für die rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe mit der Entscheidung des zu 6 Ob 62/20s, klargestellt sei, dass der Kinder- und Jugendhilfeträger, der mit der Pflege und Erziehung betraut sei, eine ausreichende Vertretungsbefugnis für die Geltendmachung des Eigenanspruches des Kindes nach § 6 Abs 5 FLAG hätten. Diese Vertretungsbefugnis sei auch für die rückwirkende Geltendmachung des Eigenanspruches des Kindes ausreichend. Es sei auch nicht von Relevanz, ob dem Kinder- und Jugendhilfeträger diese Vertretungsbefugnis aufgrund einer Antragstellung wegen Gefahr in Verzug bei Gericht zukomme oder ob eine Vereinbarung mit der/dem Obsorgeberechtigten erfolgt sei.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger verwende die Familienbeihilfe zur Abdeckung des laufenden Unterhaltsbedarfs des Kindes. Ein Ansparen sei nicht vorgesehen.

Weiters müsse festgehalten werden, dass bei einer Antragstellung der Familienbeihilfe für fünf Monate rückwirkend keinesfalls von einer Vermögensbildung die Rede sein könne.

Sollte die Familienbeihilfe für den mj. Bf1 nicht ab gewährt werden, so wäre dies eine massive Ungleichbehandlung gegenüber anderen Minderjährigen.

Im Hinblick auf all diese Aspekte werde daher unverändert die Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie der erhöhten Familienbeihilfe nach gängiger Rechtsprechung ab Antragsdatum bis laufend für den mj. Bf1 beantragt.

Mit Schreiben vom übermittelte die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach, Fachgebiet Rechtsvertretung Minderjähriger, dem Bundesfinanzgericht den Beschluss des Bezirksgerichtes Mistelbach vom , GZ, und teilte mit, dass sie nur die Teilbereiche Pflege und Erziehung innehabe.

Im Aktengutachten vom wurde Bf1 wegen seiner Behinderung (Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen mit ADHS) ein Grad der Behinderung von 60 vH rückwirkend ab Jänner 2012 bescheinigt.

Im Zuge eines Vorhaltsverfahrens des BFGübermittelte die BH Mistelbach, per , Nachweise, wonach der leistungspflichtige Vater seiner bestehenden anteiligen Unterhaltsverpflichtung in Höhe von € 185 zwar grundsätzlich nachgekommen ist, sich allerdings die tatsächlichen Zahlungen im Streitraum, wegen Arbeitslosigkeit bzw. geringem Einkommens, lediglich zwischen € 31,78 und € 130 monatlich bewegten und zwischenzeitlich ein Rückstand an ausständigem Unterhalt in Höhe von € 8.661,02 aufgelaufen ist.

Die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Unterhaltsleistungen bemessen sich nach den Leistungsbeschreibungen der NÖ Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungsverordnung, welche der Vorhaltsbeantwortung beigeschlossen ist. Für das zu betreuenden Kind ergeben sich daraus Aufwand bzw. Leistungen in Höhe von € 418 monatlich, zuzüglich diverser Sonderposten.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Folgender Sachverhalt ergibt sich aus dem Familienbeihilfenakt:

Zunächst wird festgehalten, dass dem mj. Bf. im Aktengutachten vom wegen seiner Behinderung (Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen mit ADHS) ein Grad der Behinderung von 60 vH rückwirkend ab Jänner 2012 bescheinigt wurde.

Der Bf. befindet sich seit aufgrund einer Maßnahme der vollen Erziehung im Sozialpädagogischen Betreuungszentrum Korneuburg.

Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach wurde mit Beschluss des BG Mistelbach vom mit der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung betraut.

Die Betrauung mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung umfasst auch die gesetzliche Vertretung in diesem Bereich.

Die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung wurde nicht übertragen und verblieb weiterhin bei der Kindesmutter.

Der Kindesvater ist zu einem monatlichen Kostenbeitrag (§ 30 B-KJHG / § 77 Nö KJHG) von € 185,- verpflichtet und kommt laut Auskunft der BH Mistelbach seiner Verpflichtung nach.

Die Kindesmutter ist derzeit noch nicht zu einem monatlichen Kostenbeitrag verpflichtet, die entsprechenden Erhebungen wurden eingeleitet. Sie erbringt laut Auskunft der BH Mistelbach seit Monaten regelmäßig Naturalunterhaltsleistungen im Rahmen von Heimfahrten des Kindes zu ihr samt Übernachtungen in regelmäßigen Abständen (14-tägig).

Strittig ist, ob die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach als Obsorgeberechtigter im Bereich Pflege und Erziehung legitimiert ist, den Anspruch auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum März 2020 bis Juli 2020 geltend zu machen.

Nach Ansicht der Abgabenbehörde ist zur Geltendmachung von Ansprüchen für vergangene Zeiträume auch die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich. Das Finanzamt bezieht sich dabei auf die Entscheidung des .

Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 idgF haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Rechtliche Beurteilung

Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen

Eigenanspruch eines Kindes

§ 6 Abs. 5 1. Satz:

Kinder haben einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe unter denselben Voraussetzungen unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (§6 Abs. 1 bis 3):

  1. sofern ihre Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und

  2. ihr Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfs getragen wird.

Der Eigenanspruch eines Kindes in voller Erziehung auf Familienbeihilfe setzt voraus, dass dieses seinen Elternteilen gegenüber nicht haushaltszugehörig ist, d.h. keine Haushaltsgemeinschaft des Kindes mit einem Elternteil vorliegt (§ 2 Abs. 2 1. Satz). Entsprechend der ständigen Judikatur des VwGH sowie der Bundesfinanzgerichte ist bei Kinderschutzmaßnahmen einer Unterbringung des Kindes in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung, die einen dauerhaften Charakter beinhalten, die tatsächliche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ( iSd § 2 Abs. 5 1. Satz) zwischen dem Kind und seinen Elternteilen beendet. (vgl. , , , , , , ).

Haushaltszugehörigkeit

Keine Haushaltszugehörigkeit besteht insbesondere in den Fällen einer dauerhaften Entziehung und Übertragung der Obsorge auf den Kinder- und Jugendhilfeträger (Betreuung des Kindes im Rahmen der vollen Erziehung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger). In diesen Fällen vermögen auch wiederholte Familienbesuche, die von vornherein nur auf Zeit angelegt sind (sogenannte Ausgänge) und sich nur auf wenige Tage/Ferienzeiten erstrecken, an der dauernden, nicht nur vorübergehenden Unterbringung in einer sozialpädagogischen Einrichtung nichts ändern. Im Sinne der oben genannten Judikatur begründen weiter bestehende und dokumentierte Besuchskontakte zwischen dem fremduntergebrachten Kind und seinen Elternteilen (im Rahmen von Wochenendbesuchen, 14 tägigen Heimfahrten, Aufenthalten während der Ferienzeiten) keine Haushaltszugehörigkeit des Kindes zu seinen Eltern.

Tragung der Unterhaltskosten

Ist ein Kind seinen Eltern nicht haushaltszugehörig, besteht ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe nur, sofern die Eltern die Unterhaltskosten für ihr Kind nicht überwiegend tragen (). Leisten die Eltern ihrem nicht haushaltszugehörigen Kind hingegen überwiegend Unterhalt, ist ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe ausgeschlossen, da in diesem Fall jenem Elternteil ein vorrangiger Anspruch auf Familienbeihilfe zukommt, der überwiegend die Unterhaltskosten für sein Kind trägt (vgl. § 2 Abs. 2 2. Satz FLAG 1967).

Wird der Unterhalt eines Kindes in voller Erziehung in einer sozialpädagogischen Einrichtung zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe getragen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, besteht kein Anspruch auf die Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist.

Im Umkehrschluss besteht bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe des fremduntergebrachten Kindes, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten eines Kindes vorliegt, da in diesem Fall die Unterhaltskostentragung nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt. Dieser Beitrag kann durch das Kind selbst erfolgen oder durch seine unterhaltspflichtigen Eltern. Der Gesetzgeber nennt keine Mindestbeträge im Hinblick auf die Höhe dieses Beitrages. D.h. auch kleine, geringfügige Beträge reichen aus, um von einem regelmäßigen Beitrag zu den Unterhaltskosten auszugehen. Da die Unterhaltskosten eines Kindes laufend anfallen, sollten die Beiträge zwar nicht zwingend monatlich, jedoch in zumindest regelmäßig wiederkehrenden Abständen erfolgen.

Leisten die leiblichen Eltern ihrem Kind zwar nicht überwiegend, aber dennoch zum Teil Unterhalt, tragen sie dadurch regelmäßig, zumindest teilweise zum Unterhalt ihres Kindes bei und kommen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht zumindest zum Teil nach. Diese Unterhaltsbeiträge der Eltern lösen ebenfalls einen Eigenanspruch des Kindes aus. Ein solcher Unterhaltsbeitrag ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Eltern ihrer gesetzlichen Verpflichtung zum Ersatz der Kosten der vollen Erziehung für ihr fremduntergebrachtes Kind nachkommen: gemäß § 30 B-KJHG sowie der dazu ergangenen Ausführungsgesetze sind Eltern zum Kostenersatz für die anfallenden Kosten der vollen Erziehung ihres Kindes verpflichtet. Rechtsgrundlage für diesen Kostenersatz besteht entweder aufgrund einer Vereinbarung, die zwischen dem Kinder- und Jugendhilfeträger und dem kostenersatzpflichtigen Elternteil abgeschlossen wird (§ 42 B-KJHG) oder aufgrund eines Gerichtsbeschlusses, mit welchem der unterhaltspflichtige Elternteil zum Kostenersatz verpflichtet wird (§ 43 B-KJHG).

Für den Fall, dass regelmäßige finanzielle Unterstützungen im Sinne eines Kostenersatzes nach § 30 B-KJHG nicht erfolgen, kommt subsidiär der Nachweis einer regelmäßigen Erbringung von Naturalunterhaltsleistungen seitens der unterhaltspflichtigen Eltern in Betracht.

Im gegenständlichen Verfahren hat die BH den Nachweis erbracht, dass der Vater tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt, diese jedoch deutlich hinter seiner Verpflichtung - € 185 monatlich - zurückstehen und in jedem Fall diese Unterhaltsleistungen nicht jene Höhe erreichen, ab der von einer überwiegenden Unterhaltstragung durch den Vater auszugehen wäre. Die BH leistet mit mindestens € 418 monatlich den überwiegenden Anteil der Unterhaltskosten, deren Höhe sich aus den landesgesetzlich geregelten Sätzen ergibt.


Judikatur des OGH, Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe (s. FLAG-Plattform BMFJ

Pflege und Erziehung, Vertretung, Vermögensverwaltung

Der Oberste Gerichtshof (OGH) verweist zur Frage, ob die Vertretungsbefugnis der mit der Pflege und Erziehung betrauten Person auch die Vermögensverwaltung umfassen muss, im Beschluss vom auf seine bisherige Rechtsprechung.

"… Die Vertretungsbefugnis der mit der Pflege und Erziehung betrauten Person umfasst auch die Geltendmachung von rückständigem Unterhalt (6 Ob 50/20a).

…Die Familienbeihilfe soll die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuss erleichtern und die mit der Betreuung verbundenen Mehrbelastungen ausgleichen. Da sie dem gleichen Zweck wie der Unterhaltsbeitrag des geldunterhaltspflichtigen Elternteils dient, gehört die Geltendmachung und Empfangnahme der dem Kind zustehenden Familienbeihilfeleistungen ebenfalls zum Obsorgeteilbereich Pflege und Erziehung (6 Ob 62/20s).

Auszug aus der Entscheidung des :

"Da nach der Entscheidung 8 Ob 99/12k (ErwG 3.3.) für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme und der Geltendmachung von Unterhalt kein sachlicher Grund besteht (ebenso 6 Ob 62/20s), teilt der erkennende Senat auch nicht die Auffassung des Vaters im Revisionsrekurs, eine Vertretungsbefugnis des KJHT für die beiden Kinder bestehe hier in "Unterhaltssachen, jedenfalls was den rückständigen Unterhalt betrifft" - jedenfalls in diesem Fall sei Vermögensverwaltung gegeben - nicht..." (Anm.: Kursivdruck durch BFG).

…Wie sich aus der Entscheidung 6 Ob 50/20a ergibt, umfasst die Vertretungsbefugnis der mit der Pflege und Erziehung betrauten Person auch die Geltendmachung rückständigen Unterhalts. Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach diese Vertretungsbefugnis auch für die Geltendmachung rückwirkender Familienbeihilfe gilt, steht daher mit der zitierten Rechtsprechung im Einklang."


Auch wenn das BFG nicht daran gebunden ist, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsansicht auch von der Fachabteilung für Familienbeihilfe vertreten wird (s. FLAG-Plattform BMFJ auf Basis einer Stellungnahme des für zivilrechtliche Fragestellungen materiell-rechtlich zuständigen Justizressorts, vertreten und auf die Entscheidung des verwiesen.

"Gemäß der höchstgerichtlichen Entscheidung des ) ist die Geltendmachung eines Familienbeihilfeanspruches dem Bereich der Geltendmachung von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen zuzuordnen. Dies ergibt sich nach Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe aus den primären Zielsetzungen des FLAG 1967 gemäß welcher Unterhaltskosten, die durch die Betreuung und Versorgung von Kindern entstehen, ausgeglichen und der Mindestunterhalt des Kindes sichergestellt werden soll.

In Fällen einer der Fremdunterbringung im Rahmen der vollen Erziehung (Kinderschutzmaßnahme), verfügt der Kinder- und Jugendhilfeträger jedenfalls über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung.

In seiner jüngsten Judikatur (Entscheidung vom , 6Ob50/20a) hat der OGH bestätigt, dass der Unterhalt der Eltern regelmäßig der Erbringung und Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dient, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht daher grundsätzlich, außer bei anderslautender Beschlussfassung des Gerichts, jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw. übertragen wurde.

Im Gegensatz zu der bisherigen Rechtsansicht der Fachabteilung vertritt der OGH darüber hinaus die Rechtsaufassung, dass für die Geltendmachung von rückständigen Unterhalt, die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung des Kindes ausreichend ist.D.h. eine Vermögensverwaltungsvollmacht ist nicht erforderlich. Laut dem Erkenntnis 6Ob50/20a entspricht es der ständigen Rechtsprechung des OGH, dass die Vermögensbildung zu Sparzwecken kein den Unterhaltsanspruch erhöhendes Bedürfnis des Kindes darstellt.

Unter Berufung auf diese höchstgerichtliche, jüngste Entscheidung des OGH geht das BFG in seiner Entscheidung vom (GZ. RV/7100110/2021) in Bezug auf die rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe für Kinder, welche im Rahmen der vollen Erziehung fremduntergebracht sind, davon aus, dass die gesetzliche Vertretung bei der Geltendmachung eines Eigenanspruches jedenfalls in den Teilbereich der Pflege und Erziehung fällt, unabhängig davon, ob die Familienbeihilfe für laufende oder rückwirkende Zeiträume geltend gemacht wird.

Grundsätzlich ist der Kinder- und Jugendhilfeträger, sofern er über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung des Kindes verfügt, legitimiert den Eigenanspruch für das betroffene Kind geltend zu machen und den Antrag auf Familienbeihilfe für das Kind zu stellen.

Dies gilt grundsätzlich sowohl für Eigenansprüche auf laufende Familienbeihilfe als auch für rückwirkende Zeiträume.

Entsprechend diesem Erkenntnis ist eine Spezialvollmacht im Bereich der Vermögensverwaltung für die Geltendmachung eines rückwirkenden Familienbeihilfebezuges nicht erforderlich.

Bringt der Kinder- und Jugendhilfeträger als gesetzlicher Vertreter des fremduntergebrachten Kindes (Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung liegt vor) einen Antrag auf laufende Familienbeihilfe für das fremduntergebrachte Kind ein, ist diesem stattzugeben, sofern die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den beantragten Zeitraum vorliegen (Unterhaltskostentragung erfolgt nicht zur Gänze durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, siehe im Detail FLAG Thema materiell-rechtliche Voraussetzungen bei Fremdunterbringung des Kindes). D.h. bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen ist die Familienbeihilfe ab dem Monat der Antragstellung bzw. rückwirkend ab dem Monat in welchem die materiell rechtlichen Voraussetzungen für den Eigenanspruch des Kindes vorliegen, zu gewähren.

… Sollte für den vergangenen Zeitraum ein Eigenanspruch des Kindes zu Recht bestehen, jedoch für denselben Zeitraum ein erfolgter Familienbeihilfebezug durch einen Elternteil vorliegen, so war dieser Bezug rechtswidrig und eine Prüfung im Hinblick auf eine Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfebeträge bei dem betroffenen Elternteil ist durchzuführen…"

In Anlehnung an die Judikatur des OGH hat auch dasBundesfinanzgericht entschieden, dass neben den angeführten weiteren Voraussetzungen für die Geltendmachung von rückständigen Unterhalt, die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung des Kindes ausreichend, dh eine Vermögensverwaltungsvollmacht, nicht erforderlich ist (vgl. insbes. die Erkenntnisse , , ).

Da gemäß § 13 FLAG 1967 im Falle einer völligen Stattgabe eines Antrages auf Familienbeihilfe eine bescheidmäßige Erledigung zu unterbleiben hat und die Familienbeihilfe einfach auszuzahlen ist, war der gegenständliche Bescheid ersatzlos aufzuheben.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine derartige Rechtsfrage liegt im vorliegenden Fall nicht vor, da hierzu die obzit. Rechtsprechung des OGH und auch eine einheitliche Rechtsprechung des BFG vorliegt.

Wien, am

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