Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.05.2022, RV/2100527/2020

Wiederaufnahme der Vorsteuererstattung eines Telekom-Unternehmens

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/2100527/2020-RS1
Werden zusätzlich zu quartalsmäßigen Erstattungen sämtliche Erstattungszeiträume in einem weiteren Jahres-Erstattungsbescheid zusammengefasst, sind hinsichtlich der Wiederaufnahme von einer in einem Monat auftretenden neuen Tatsache automatisch sämtliche in dem Jahr liegende Zeiträume betroffen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BDO Audit GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Am Belvedere 4, 1100 Wien,

über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Vorsteuererstattung für die Zeiträume 1-9/2010, 10-12/2010, 1-12/2010, 1-3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1- 12/2011, 1- 3/2012, 4-6/2012, 7-9/2012, 1-12/2012, 1-3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1- 12/2013, 1-3/2014, 4-6/2014, 7-9/2014, 10-12/2014 und 1- 12/2014, Vorsteuererstattung für die Zeiträume 1-9/2010, 10-12/2010, 1-12/2010, 1-3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1- 12/2011, 1- 3/2012, 4-6/2012, 7-9/2012, 1-12/2012, 1-3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1- 12/2013, 1-3/2014, 4-6/2014, 7-9/2014, 10-12/2014 und 1- 12/2014, die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Vorsteuererstattung 1- 3/2016, die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Vorsteuererstattung 4- 6/2016 und die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Vorsteuererstattung 7- 9/2016, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1*** (im Folgenden Bf) ist ein Mobilfunkanbieter aus Hong Kong (Drittland).

In den Streitzeiträumen 1-9/2010, 10-12/2010, 1-12/2010, 1-3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1- 12/2011, 1- 3/2012, 4-6/2012, 7-9/2012, 1-12/2012, 1-3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1-12/2013, 1-3/2014, 4-6/2014, 7-9/2014 10-12/2014 und 1- 12/2014 reichte die Bf. Vorsteuer-Erstattungsanträge ein und das Finanzamt erstattete die in den Rechnungen österreichischer Telekom-Unternehmen für Roaminggebühren ausgewiesenen Beträge an Umsatzsteuer.

Im Jahr 2016 ermittelte das Finanzamt, dass die österreichischen Telekom-Unternehmer ihren Kunden nachträglich hohe Rabatte gewährten, die zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage führten.

Eine Überprüfung bei der Bf. ergab, dass diese die Minderung des Vorsteueranspruches aufgrund der Rabatte bei ihren Erstattungsanträgen nicht berücksichtigt hatte. Mit den Bescheiden vom nahm das Finanzamt aufgrund dieser Tatsache die Verfahren wieder auf. Begründend führte das Finanzamt aus:

"Mangels vergleichbarer Umsatzbesteuerung im Ansässigkeitsstaat verlagert sich die Umsatzsteuerpflicht nach Österreich und ist daher das Umsatzsteuerveranlagungsverfahren und nicht das Vorsteuererstattungsverfahren anzuwenden (vgl. V0 BGBl II 383/2003 auf Unionsrecht zu berufen). Ferner wurde seitens der österr. Finanzverwaltung nunmehr bekannt, dass auf Basis von zwischen der Konzernmutter des österr. Teleunternehmers und dem Drittstaatstelekommunikationsunternehmer geschlossener Rabattvereinbarungen es zur nachträglichen Rabattierung von Roamingdienstleistungen kommt, wobei der Rabatt über die Konzernmutter verrechnet/weitergeleitet wird. Nach Minderung der Bemessungsgrundlage beim österr. Telekomunternehmer wären die Vorsteuern des Leistungsempfängers zu korrigieren. Auf die Umsatzsteuerveranlagungspflicht, dh die Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Gewinnzuschlages sowie gewährter Rabatte wird verwiesen "

In den am gemeinsam ergangenen Sachbescheiden würdigte das Finanzamt zusätzlich zu den Wiederaufnahmegründen "Rabatte" auch den Umstand, dass die Bf. gem. VO 383/2003 Umsätze im Inland erzielten. Da in diesem Fall eine Umsatzsteuer-Veranlagung vorzunehmen ist, wies die Erstattungsanträge ab, indem es den Erstattungsbetrag mit Null festsetzte.

Mit Bescheiden vom betreffend Vorsteuererstattung 1- 3/2016, vom betreffend Vorsteuererstattung 4-6/2016 und vom betreffend Vorsteuererstattung 7- 9/2016 wies das Finanzamt die Erstattungsanträge (teilweise durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null) mit der Begründung ab, dass die Bf. Umsätze im Inland erziele.

In den Beschwerden vom brachte die Bf. vor, dass die Anwendung der VO 308/2003 unionsrechtswidrig sei und dass die der steuerlichen Vertretung vorliegenden Gutschriften nur folgende Streitzeiträume beträfen: Gutschrift vom betr. 8/09-7/10 (797,80 Euro), Gutschrift vom betr. 8/10-7/11 (535,20 Euro), Gutschrift vom betr. 8/11-7/12 (6.301,50 Euro), Gutschrift vom betr. 8/12-7/13 (6.244,36 Euro) und Gutschrift vom betr. 8/13-7/14 (8.502,40 Euro). "Folglich sind die Voraussetzungen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 303 Abs 1 BAO lediglich für die Perioden 1-12/2010, 1-12/2011, 1-12/2012, 1-12/2013 und 1-12/2014 gegeben. Für die restlichen Perioden ist aufgrund unserer Recherchen und uns erteilten Auskünfte kein Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs 1 BAO vorliegend, da für den gegenständlichen Zeitraum keine neu hervorgekommenen Tatsachen bekannt sind, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht wurden und zu einen im Spruch anders lautenden Bescheid geführt hätten. "

Die Beschwerden vom betreffend Vorsteuererstattung 1- 3/2016, vom betreffend Vorsteuererstattung 4-6/2016 und vom betreffend Vorsteuererstattung 7- 9/2016 begründetet die Bf. mit der Unionsrechtswidrigkeit der VO 383/2003.

Das Finanzamt wies die Beschwerden betr. Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Verweis auf die Rabatte ab, ohne auf das zeitliche Argument einzugehen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom selben Tag wies das Finanzamt auch die Beschwerden gegen die Sachbescheide unter Verweis auf die Rechtslage ab.
Die Beschwerden gegen die Abweisung der Erstattungsanträge 1- 3/2016, 4-6/2016 und 7- 9/2016 wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom ebenfalls unter Verweis auf die Rechtslage ab.

Mit Vorlageantrag vom beantragte die Bf. die Behandlung der Beschwerden durch das BFG. Darin heißt es in Ergänzung zum Sachverhalt:
"Die vom Finanzamt zwischenzeitlich ermittelten und im Rahmen anderer Bescheide angeführten Vorsteuerbeträge aufgrund von Gutschriften wurden von unserem Klienten überprüft und werden als zutreffend anerkannt. Unser Klient bedauert, dass diese Gutschriften bei den jeweiligen VSt-Erstattungsanträgen versehentlich nicht berücksichtigt worden sind. "

Inhaltlich wiederholte die Bf. ihre Rechtsansicht, dass sämtliche Vorsteuern im Rahmen des Erstattungsverfahrens geltend zu machen seien.

Der Hinweis auf neu hervorgekommene, erhaltene Rabatte als neue Tatsache gehe schon deshalb ins Leere, weil das Finanzamt mit den gegenständlichen Vorsteuer-Erstattungsbescheiden gerade keine Festsetzung dieser Rabatte vorgenommen habe und das Vorliegen von Rabatten auch zu keiner Änderung der Anwendbarkeit des VSt-Erstattungsverfahrens führe.

Zahlenmäßig differieren die Berichtigungsbeträge laut Vorlageantrag zum Teil von denen in der ursprünglichen Beschwerde. Ein genaues Datum der Rechnungsberichtigung bzw. weitere Daten zur Berichtigung sind dem Vorlageantrag nicht (mehr) zu entnehmen.


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Jahr
Beantragte VSt
Berichtigung lt Vorlageantrag
Berichtigung lt Beschwerde
VSt lt Vorlageantrag
2010
11.201,82
797,80
797,80
10.404,02
2011
12.215,62
996,54
535,20
11.219,08
2012
12.378,43
6.844,24
6.301,50
5.534,19
2013
39.536,83
7.465,74
6.244,36
32.071,09
2014
18.076,79
31.897,42
8.502,40
-13.820,63
2016
26.923,13
21.629,66
5.293,47

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt und Beweiswürdigung

Aktenkundig betreibt die Bf. in Hong Kong (Drittland) ein Mobilfunkunternehmen.

Aktenkundig und unbestritten ist auch, dass die Bf. in den Streitzeiträumen 1-9/2010, 10- 12/2010, 1-12/2010, 1-3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1-12/2011, 1- 3/2012, 4-6/2012, 7- 9/2012, 1-12/2012, 1-3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1-12/2013, 1-3/2014, 4- 6/2014, 7-9/2014 und 10-12/2014 1- 12/2014, Vorsteuer-Erstattungsanträge eingereicht hat und das Finanzamt diese Vorsteuern ursprünglich in der beantragten Höhe erstattet hat.

Die Vorsteuern sämtlicher Bescheide resultierten aus Rechnungen österreichischer Mobilfunkpartnerunternehmen, die der Bf. für Roamingdienstleistungen österreichische Umsatzsteuer in Rechnung gestellt haben.

Die österreichischen Mobilfunkpartnerunternehmen haben der Bf. nachträglich Rabatte auf die Roamingdienstleistungen gewährt.

Betroffen sind laut Angaben der Bf. folgende Gutschriften: Gutschrift vom betr. 8/09-7/10 (797,80 Euro), Gutschrift vom betr. 8/10-7/11 (535,20 Euro), Gutschrift vom betr. 8/11-7/12 (6.301,50 Euro), Gutschrift vom betr. 8/12-7/13 (6.244,36 Euro) und Gutschrift vom betr. 8/13-7/14 (8.502,40 Euro) wobei die Bf. in ihrem Vorlageantrag weitere Rabatte einräumte, ohne genaue Gutschriftsdaten anzuführen.

Die Minderung des Vorsteueranspruches aufgrund der Rabatte hat die Bf. bei ihren Erstattungsanträgen nicht berücksichtigt.

Mit den Bescheiden vom nahm das Finanzamt sämtliche o.a. Verfahren wieder auf, weil ihm bekannt wurde, dass es im Ansässigkeitsstaat Hong Kong keine vergleichbare Umsatzbesteuerung gibt und dass es zur Gewährung von Rabatten gekommen ist.

In den am gemeinsam ergangenen Sachbescheiden würdigte das Finanzamt zusätzlich zu den Wiederaufnahmegründen "Rabatte" auch den Umstand, dass die Bf. gem. VO 383/2003 Umsätze im Inland erzielte. Da in diesem Fall eine Umsatzsteuer-Veranlagung vorzunehmen ist, wies die Erstattungsanträge ab, indem es den Erstattungsbetrag mit Null festsetzte.

Mit Bescheiden vom betreffend Vorsteuererstattung 1- 3/2016, vom betreffend Vorsteuererstattung 4-6/2016 und vom betreffend Vorsteuererstattung 7- 9/2016 wies das Finanzamt die Erstattungsanträge (teilweise durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null) mit der Begründung ab, dass die Bf. Umsätze im Inland erziele.

Rechtliche Beurteilung

Erstattungszeitraum

Schaffung eines eigenen Verfahrens für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer, BGBl Nr. 279/1995:

§ 2 Erstattungszeitraum ist nach der Wahl des Unternehmers ein Zeitraum von mindestens drei Monaten bis zu höchstens einem Kalenderjahr. Der Erstattungszeitraum kann weniger als drei Monate umfassen, wenn es sich um den restlichen Zeitraum des Kalenderjahres handelt. In dem Antrag für diesen Zeitraum können auch abziehbare Vorsteuerbeträge aufgenommen werden, die in vorangegangene Erstattungszeiträume des betreffenden Kalenderjahres fallen.

Die Verordnung BGBl 279/1995, mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer geschaffen wird (im Folgenden kurz: Erstattungsverordnung) regelt, dass der Unternehmer den Erstattungszeitraum grundsätzlich im Ausmaß von 3 Monaten bis zu einem Kalenderjahr selbst wählen kann (vgl dazu die Beispiele bei Kollmann in Melhardt/Tumpel, UStG § 21 Rz 70).

Der Bf. hat in den Streitjahren folgende Erstattungszeiträume gewählt:
1-9/2010, 10-12/2010, 1-12/2010, 1-3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1-12/2011, 1- 3/2012, 4- 6/2012, 7-9/2012, 1-12/2012, 1-3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1-12/2013, 1- 3/2014, 4-6/2014, 7-9/2014, 10-12/2014 und 1- 12/2014.

Grundsätzlich kann für einen gewählten Erstattungszeitraum nur ein Antrag gestellt werden (Ruppe/Achatz, UStG 19945, § 21 Tz 58).

Die Bf. hat zusätzlich zu den quartalsmäßigen Erstattungsanträgen noch einen Jahresantrag gestellt, der sämtliche Quartale, für die bereits ein Antrag gestellt bzw. Vorsteuern vergütet wurden, umfasste. In diesem Antrag hat die Bf. "vergessene" Vorsteuern geltend gemacht, die das Finanzamt mit Erlassen des Bescheides für das gesamte Kalenderjahr zusätzlich vergütet hat.

In der Erstattungsverordnung ist eine solche Vorgangsweise weder ausdrücklich vorgesehen noch ausdrücklich verboten.

In Hinblick auf den Umstand, dass die Verordnung auf einer Ermächtigung des § 21 Abs 9 UStG 1994 beruht, kann der Erstattung für das ganze Kalenderjahr, die zusätzlich zur quartalsmäßigen Erstattung erfolgt ist, nur die Wirkung einer Jahresveranlagung zukommen, die gleich einem Umsatzsteuer-Jahresbescheid sämtliche Vorauszahlungszeiträume (im Beschwerdefall eben Erstattungszeiträume) umfasst und die bereits geleisteten Vorauszahlungen (im Beschwerdefall Erstattungen ) hinsichtlich der Zahllast als "Vorsoll" berücksichtigt.
Als Auszahlungsbetrag des Bescheides 1-12 des jeweiligen Jahres bleibt damit nach Abzug der bereits erfolgten Erstattungen nur noch die "vergessene Vorsteuer", so wie sich beim Umsatzsteuer-Jahresbescheid die Zahllast als Differenz zwischen Jahressteuer und Vorauszahlungen berechnet.

Daraus folgt konsequenterweise, dass den Bescheiden betreffend die Quartale die Wirkung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen iSd § 21 Abs 1 UStG 1994 zukommt, für die durch die Erstattung des gesamten Jahres analog zu § 21 Abs 5 UStG 1994 keine abweichende Fälligkeit begründet wird.

Wiederaufnahme

§ 303 (1) BAO: Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Werden sowohl der Wiederaufnahmebescheid als auch der im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Sachbescheid mit Beschwerde bekämpft, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden (vgl. zB ).

Allgemeines - neue Tatsachen

Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen.

Tatsachen in diesem Sinne sind Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine Tatsachen.

Die Tatsachen müssen auch neu hervorkommen, das heißt es muss sich um solche Tatsachen handeln, die bereits vor Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens bestanden haben, aber erst nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens der Behörde bekannt geworden sind ().

Im Beschwerdefall stützt das Finanzamt die Wiederaufnahme auf die Kenntnis einer nicht vergleichbaren Mehrwertsteuerbelastung in Hong Kong und darauf, dass die Bf. wesentliche Entgeltsminderungen nicht in die Berechnung der abzugsfähigen Vorsteuerung eingerechnet hat.

Nach Ansicht des , "SK Telecom Co. Ltd" entspricht die Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 dem Unionsrecht. Für die Besteuerung im Inland kommt es hierbei nicht darauf an, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen.

Der Umstand, dass es in Hong Kong keine vergleichbare Mehrwertbesteuerung gibt, kann demnach zu keinem anders lautenden Bescheid führen. Diese Tatsache ist damit nicht geeignet, eine Wiederaufnahme zu begründen.

Anderes gilt für die gewährten Rabatte: Nachträglich gewährte Rabatte führen zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage. Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert, so haben
1. der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag, und
2. der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Die Berichtigungen sind für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung des Entgeltes eingetreten ist (§ 16 Abs 1 UStG 1994).

Die Bf. bestreitet nicht, dass diese Tatsache dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurde, somit eine neue Tatsache iSd § 303 BAO darstellt.

Die Kenntnis allein dieser Umstände hätte im Spruch anders lautende Bescheide (nämlich jedenfalls mit niedrigeren Vorsteuerbeträgen) herbeigeführt, weshalb die Gewährung von bisher unbekannten Rabatten grundsätzlich als Wiederaufnahmegrund tauglich ist.

Betroffene Bescheide

Das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln ist nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens betreffend die konkrete Abgabe und einen konkreten Zeitraum zu beurteilen (, vgl auch ).

Von der Tatsache der Rabatte ist im Beschwerdefall die Umsatzsteuer des jeweiligen Jahres betroffen.

Dazu wurden jedenfalls einmal pro Beschwerdejahr Rabattgutschriften ausgestellt, deren genaue Daten die Bf. in der Beschwerde bekannt gegeben hat. Für die weiteren, von der Bf. im Vorlageantrag eingeräumten Rabattierungen hat die Bf. keine weiteren Gutschriftsdaten bekannt gegeben.

Eine genaue Zuordnung zu einem bestimmten Ausstellungsdatum ist aber auch nicht erforderlich, da auf Antrag der Bf. sämtliche gewählte Erstattungszeiträume eines Jahres in einem eigenen Jahresbescheid zusammengefasst wurden. Durch diese Zusammenfassung in den Erstattungsbescheiden 1-12 des jeweiligen Jahres sind von einer Minderung der Bemessungsgrundlage in einem Monat automatisch sämtliche in dem Jahr liegende Zeiträume betroffen, sodass aus Sicht sämtlicher wieder aufgenommener Bescheide zur Vorsteuererstattung eine Tatsache neu hervorgekommen ist.

Missverhältnis der Auswirkungen

Im Beschwerdefall wird in den Sachbescheiden nicht nur der unmittelbare Wiederaufnahmsgrund "Rabatte" gewürdigt (geringere Vorsteuerbeträge), sondern auch der der bekannte Sachverhalt (Kunden der Bf. telefonieren im Inland) mit einer geänderten Rechtsansicht gewürdigt.

Da es Ziel einer amtswegigen Wiederaufnahme ist, insgesamt ein rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen ( unter Hinweis B 2/96), ist es zulässig, wenn nicht geboten, auch die Bestimmungen über den Leistungsort von Telekom-Leistungen in die Sachbescheide einfließen zu lassen.

Bei einem Auseinanderklaffen der steuerlichen Auswirkungen, die unmittelbar auf Wiederaufnahmsgründe zurückzuführen sind, gegenüber solchen, die auf einer geänderten Rechtsansicht beruhen, ist im Rahmen der Ermessensübung insbesondere dem Gesamtverhalten des Abgabepflichtigen Gewicht beizumessen. Eine offenkundige Abgabenverkürzungsabsicht des Abgabepflichtigen wird ebenso zu berücksichtigen sein wie dessen Bestreben, den Sachverhalt oder die rechtliche Situation in einer Weise darzustellen, die zwar nichts verschweigt, aber dennoch geeignet ist, der Abgabenbehörde einen falschen Eindruck von der rechtlichen Relevanz des Geschehens zu vermitteln ()

Im Beschwerdefall sind die Auswirkungen der Entgeltminderung nicht bloß geringfügig und die Bf. hat durch das jahrelange Verschweigen der Berichtigungen im Ergebnis Abgaben verkürzt.

Die Abgabenbehörde hat daher ihr Ermessen in dem Gesetz entsprechender Weise geübt, indem sie in den Sachbescheiden auch die Bestimmungen über den Leistungsort herangezogen hat.

Es ist daher nicht als rechtswidrig anzusehen, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme sämtlicher angefochtener Bescheide verfügt hat.

Abweisung der Erstattungsanträge

Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuer abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.
Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird", wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

Nach § 3a Abs. 13 lit. a iVm Abs. 14 Z 12 UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 52/2009 werden Telekommunikationsdienste im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 13 lit. a UStG 1994 bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird. Der Ort der sonstigen Leistung kann danach statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:

"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird ."

Der VwGH hat am , Ro 2016/15/0035 erkannt: "Während Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom ) die allgemeine, fakultative Möglichkeit der Besteuerung mittels Leistungsortverlagerung durch die Mitgliedstaaten vorsieht, schreibt Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom bis ) eine zwingende Leistungsortverschiebung für jene Fälle vor, in denen ein drittländischer Unternehmer Telekommunikationsleistungen an in der Gemeinschaft ansässige Nichtsteuerpflichtige erbringt. Für alle Fälle, die nicht durch Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG erfasst sind, besteht ein Wahlrecht nach Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg), Umsatzsteuergesetz 138. Lieferung (Juli 2017) Art. 43-59b MwStSystRL Rz. 134 ff). Von diesem Wahlrecht hat der österreichische Verordnungsgeber mit der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 Gebrauch gemacht. Die genannte Verordnung findet daher in Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG ihre unionsrechtliche Deckung (vgl. Ecker in Melhardt/Tumpel, UStG2, § 3a Rz 274 f; Miladinovic, ecolex 2017/39, 75). Werden die Telekommunikationsdienste eines Drittlandunternehmens von einem nicht in der EU ansässigen Nichtunternehmer im Inland genutzt, verlagert sich der Ort der Leistung nach der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 in das Inland (vgl. auch Ruppe/Achatz, UStG4, § 3a Tz 190 (Fall 3); Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur MwSt, 46. Lfg (Dezember 2015), § 3a Abs 15 u 16 Tz 697). "

Auch der , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass die Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 dem Unionsrecht entspricht. Im Tenor heißt es dazu:

"Art. 59a Abs. 1 Buchst, b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom mit Wirkung vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen. "

Damit ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl II 383/2003 idF BGBl II 221/2009 in das Inland verlagern.

Erzielt ein ausländischer Unternehmer Umsätze im Inland, ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen.

Das Finanzamt hat daher die Erstattungsanträge 1- 3/2016, 4-6/2016 und 7- 9/2016 zu Recht abgewiesen (durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null).

Auch in den im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheiden 1-9/2010, 10- 12/2010, 1-12/2010, 1- 3/2011, 4- 6/2011, 7- 9/2011, 1-12/2011, 1- 3/2012, 4- 6/2012, 7- 9/2012, 1-12/2012, 1- 3/2013, 4- 6/2013, 7- 9/2013, 10- 12/2013, 1-12/2013, 1- 3/2014, 4- 6/2014, 7-9/2014, 10- 12/2014 und 1- 12/2014 hat das Finanzamt die Erstattungsanträge zu Recht (durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null) abgewiesen.

Aus den genannten Gründen war die Beschwerde abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall gibt es keine Rechtsprechung zur Frage, ob bei mehreren Erstattungsanträgen, die insgesamt das gesamte Kalenderjahr abdecken, zusätzlich eine Erstattung für das gesamte Kalenderjahr vorgenommen werden kann und welche Wirkung dieser Erstattung zukommt. Die Revision war daher zuzulassen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern, BGBl. Nr. 279/1995
§ 1 Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

B 2/96

, SK Telecom
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100527.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at