Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.05.2022, RV/7105830/2019

AgB für behindertes Kind - Höhe des gegenzurechnenden Pflegegeldes bei Anspruchsübergang auf den Kostenträger

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/7105830/2019-RS1
Gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 können Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt berücksichtigt werden, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen. Gemäß § 13 Abs. 1 BPGG geht der Anspruch auf Pflegegeld bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 % auf den jeweiligen Kostenträger über, wenn die pflegebedürftige Person auf Kosten oder unter Kostenbeteiligung eines Landes, einer Gemeinde oder eines Sozialhilfeträgers in einem Pflege-, Wohn-, Alten- oder Erziehungsheim stationär gepflegt wird. Ist der Anspruch auf Pflegegeld auf den jeweiligen Kostenträger übergegangen, kann nicht das gesamte Pflegegeld, sondern nur der tatsächlich verbleibende Betrag als pflegebedingte Geldleistung gegengerechnet werden.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Monika Ahorn in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 (Steuernummer ****) zu Recht:

I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Das Einkommen beträgt 42.687,95 Euro.
Die festgesetzte Einkommensteuer beträgt nach Berücksichtigung der anrechenbaren Lohnsteuer und Rundung -1.531,84 Euro.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Einkommensteuerbescheid vom wurde der beantragte Freibetrag gemäß § 5 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen (BGBl. Nr. 303/1996) iHv monatlich 262,- Euro nicht berücksichtigt, da das gegengerechnete Pflegegeld diesen Betrag überstieg.

In der dagegen erhobenen Bescheidbeschwerde (in Folge: Beschwerde) vom ersuchte der Beschwerdeführer (in Folge: Bf.) nochmals um Berücksichtigung des Freibetrages, da die pflegebedingte Geldleistung nicht an ihn sondern an Jugend am Werk ausbezahlt worden sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen, da der monatliche Freibetrag um das bezogene Pflegegeld zu kürzen sei.

Aufgrund einer Mitteilung über Sonderausgaben wurde das Einkommensteuerverfahren wiederaufgenommen und am ein neuer Sachbescheid unter Berücksichtigung von Zuwendungen für karitative Einrichtungen iHv 585,- Euro und Kirchenbeitrag iHv 261,60 Euro erlassen.

Innerhalb verlängerter Frist wurde am rechtzeitig ein Vorlageantrag eingebracht und nun tatsächliche Ausgaben als außergewöhnliche Belastungen für den Sohn beantragt und in einem anschließenden Vorhalteverfahren die von der Abgabenbehörde abverlangten Unterlagen vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der schwer behinderte Sohn des Bf., für den der Bf. erhöhte Familienbeihilfe bezog, lebte im streitgegenständliche Zeitraum in einem Wohnheim von Jugend am Werk in Vollbetreuung. Wochentags besuchte er eine Tagesstruktur-Einrichtung (Werkstätte) der Lebenshilfe.

Zur Deckung der Verpflegungskosten wurden monatlich 80 % des dem Sohn gebührenden Pflegegeldes und der Waisenpension von der Pensionsversicherungsanstalt einbehalten und an den Fonds Soziales Wien überwiesen. Der Sohn erhielt monatlich einen Betrag in Höhe von 206,72 Euro, wobei dieser Betrag Pflegegeld in Höhe von 90,44 Euro beinhaltete.

Der Bf. bezahlte im Jahr 2017 2.560,30 Euro an Wohnhausbeiträgen an Jugend am Werk, 354,- Euro als Förderbeitrag für die Werkstätte der Lebenshilfe und für Vitaminpräparate 625,80 Euro.

Beweiswürdigung

Mit dem Vorlageantrag wurden folgende Ausgaben als außergewöhnliche Belastungen für den Sohn, der seit frühester Kindheit an schwerer geistiger Behinderung, seit ca 1990 zusätzlich an Epilepsie und an Problemen im Zahn- und Kieferbereich und seit ca acht Jahren an ständig wiederkehrenden Schmerzen im Mund und Gesichtsbereich durch eine Trigeminus-Neuralgie leide, geltend gemacht (nachfolgend alle Beträge in Euro):

Differenz der persönlichen Ausgaben ***1*** 1.327,-
Wohnhausbeitrag für Jugend am Werk 2.628,-
Werkstätten-Beitrag Lebenshilfe 354,-
Homöopathische Arzneien 115,-
Mundhygiene (2x) 200,-
Vitaminpräparate auf ärztliche Anordnung 731,-
Wegekosten für Betreuung 1.083,-
Verpflegungskosten bei Krankheit im elterl. Haushalt 270,-
Anteilige Wohnkosten 1.308,-

Von dieser Summe (8.016,-) zog der Bf. die erhaltene erhöhte Familienbeihilfe iHv 4.479,- ab und beantragte die Differenz iHv. 3.537,- als außergewöhnliche Belastungen.

Infolge seiner schweren geistigen Behinderung habe der Sohn immer wieder längere Phasen, in denen er seine Unterhosen, Socken, Pyjama, Pullover, Schuhe und sonstige Gegenstände des täglichen Bedarfs zerstöre, was häufig zu erheblichem finanziellen Mehraufwand führe.

2.1."Differenz der persönlichen Ausgaben ***1***":
Von den nachfolgend angeführten, vom Sohn selbst zu tragenden Ausgaben (Summe 4.427,-) hat der Bf. 3.100,- (Pflegegeld das sein Sohn lt Finanzamt erhalte) abgezogen und die Differenz iHv 1.327,- als außergewöhnliche Belastungen beantragt.

(Kleidung: 250,- / Schuhe: 130,- / Toilette-Artikel: 100,- / Friseur (12x20,-): 240,- / Urlaubsaktion Jugend am Werk: 650,- / Urlaubsaktion Lebenshilfe: 650,- / Besuchsdienst (5x65,-): 325,- / Besuch von Veranstaltungen (Eisrevue, Kino etc.) und Kaffeehaus: 750,- / Getränke, Obst, Süßigkeiten: 120,- / Spielzeug: 100,- /Diverses (Weihnachtsgeschenke für Betreuer, Familie, Freunde): 200,- / Vitaminbehandlung (lt. Zahnarzt): 302,- / Einzahlungen auf Sparbuch bei Jugend am Werk (für Ausflüge, Gasthausbesuche… 12x50,87): 610,-)

Diesbezügliche Belege oder andere Nachweise wurden keine vorgelegt.

2.2. Die Wohnhausbeiträge für Jugend am Werk
ergeben sich aus den belegmäßig nachgewiesenen Ausgaben iHv 2.628,- abzüglich einer Rückvergütung iHv 67,70.

2.3. Der Beitrag für die Werkstätte ergibt sich aus den vorgelegten Belegen.

2.4.Homöopathische Arzneien:
Die homöopathischen Arzneien seien durch einen befreundeten Arzt aus Berlin zur Behandlung von ***1*** Trigeminus-Neuralgie eingesetzt worden. Rechnungen oder Belege konnten keine vorgelegt werden

2.5.Mundhygiene:
Mundhygiene sei zweimal jährlich erforderlich, da ***1*** die Zähne selbst nicht ausreichend putzen kann (jeweils 100,-). Es konnten keine Rechnungen oder Belege vorgelegt werden.

2.6."Vitaminpräparate auf ärztliche Anordnung"
Es wurden ein Verordnungsblatt einer Dauermedikation sowie ein Beleg für Omega 3 und Vitamin B12 Präparate in Höhe von 652,80 vorgelegt. Für die Differenz zu den beantragen 731,- Euro liegen keine Belege vor.

2.7."Wegekosten für Betreuung":
Mit dem Vorlageantrag wurden Fahrtkosten für 2.580 km à 0,42 beantragt. Die km ergeben sich aus Betreuungsbesuchen (zur Zahnpflege) im Wohnhaus 2x pro Woche, in der Werkstätte 1x pro Woche sowie Arzt- und Spitalsbesuche. Ein Fahrtenbuch, andere Aufzeichnungen oder Nachweise liegen nicht bei.

Mit Ergänzungsersuchen vom wurden unter Punkt f) detaillierte Unterlagen zu den Fahrtkosten abverlangt. Mit Antwort vom führte der Bf. aus, dass von Jugend am Werk jährlich verschiedene Kontrolluntersuchungen bei Fachärzten vorgeschrieben werden, die der Bf. persönlich für seinen Sohn veranlasse und ihn mit seinem PKW zum jeweiligen Arzt begleite. (Zahnarzt 1x 16 km, Zahnambulanz 2x 52 km, HNO 3x 30 km, Urologe 1x 14 km, Augen 2x 42 km, Allgemeinmediziner 2x 32 km, Neurologie Spital 3x 45 km; gesamt somit 231 km). Allfällige Befunde oder Verordnungen seien zu Jugend am Werk weitergeleitet worden und nicht mehr zugänglich.

2.8."Verpflegungskosten bei Krankheit im elterlichen Haushalt":
Diesbezüglich gab der Bf. im Vorlageantrag 27 Tage à 10,- Euro an, da Probleme bei der Nahrungsaufnahme teure Zusatzstoffe wie Protein-Shakes etc erfordern.
Rechnungen bzw ärztliche Verordnungen wurden nicht vorgelegt.

2.9."Anteilige Wohnkosten":
Der Bf. beantragte 10 % der monatlichen Wohnungskosten, somit 12x 109,-, da sein Sohn beim Bf. zweitgemeldet sei und Wochenenden, Urlaube und Krankheitszeiten bei ihm verbringe und er ihm daher einen eigenen Raum zur Verfügung stellen müsse.

Die Abgabenbehörde führt in ihrer Stellungnahme im Vorlagebericht aus, dass das erhaltene Pflegegeld in Höhe von 12.847,20 gegenzurechnen sei. Da dieses die eingewandten bzw grundsätzlich abzugsfähigen Aufwendungen übersteige, verbleiben keine abzuziehenden außergewöhnlichen Belastungen. Weiters wird auf den Aktenvermerk zur Beschwerdevorlage hingewiesen. Darin legt die Abgabenbehörde die Abfolge des Verwaltungsgeschehens und den verfahrensrechtlichen Status dar und geht auf die einzelnen Punkte des Vorlageantrages im Wesentlichen wie folgt ein:

Zu 2.1.: Die Ausgaben seien weder nachgewiesen worden, noch sei nachgewiesen, dass diese Beträge in der Behinderung des Kindes begründet wären. Ein Abzug als außergewöhnliche Belastung sei daher nicht möglich.

Zu 2.2.: Die Kostenbeiträge seien grundsätzlich als behinderungs-, bzw pflegebedingte Aufwendungen anzuerkennen, allerdings um allfällige Kosten-Rückerstattungen zu reduzieren.

Zu 2.3.: Der Beitrag für die Werkstätte sei behinderungsbedingt und daher abzugsfähig.

Zu 2.4.: Aus dem Beihilfen-Akt sei ersichtlich, dass die 100 prozentige Behinderung (samt voraussichtlich dauernder Erwerbsunfähigkeit) im Jahr 1991 attestiert und auf einen "Zustand der Hopoglykämie und Imbezillität" gestützt wurde. Eine Trigeminus-Neuralgie sei nicht als ein Mit-Auslöser der Behinderung aktenkundig. Die Aufwendungen können daher nicht als behinderungsbedingt, sondern allenfalls als sonst krankheitsbedingt unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes angesehen werden. Allerdings sei kein Nachweis erbracht worden.

Zu 2.5.: Mundhygiene sei auch für nichtbehinderte Menschen eine typische Zahnarztleistung. Weder der konkrete Zusammenhang mit der Behinderung noch der Aufwand selbst sei nachgewiesen worden.

Zu 2.6.: Im Hinblick auf die im Heim erfolgte Dauereinnahme unter ärztlicher Aufsicht werde von einer Pflegebedingtheit und somit Abzugsfähigkeit ausgegangen.

Zu 2.7.: Aufgrund der Angaben in der Vorhaltsbeantwortung vom gehe die Abgabenbehörde von einem errechneten Kilometergeld von 231,- aus.

Zu 2.8. und 2.9.: Es handle sich um typische Kosten für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt von Familienangehörigen iSd § 20 Abs. 1 Z 1 EStG. Diese Kosten wandeln sich auch durch den Umstand, dass ein (allenfalls) unterhaltsberechtigtes Kind (vgl. Berufsunfähigkeitsrente und Pflegegeld des Kindes) eine erhebliche Behinderung (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967) hat, nicht in Aufwendungen, die Mehraufwendungen aus der Behinderung des unterhaltsberechtigten Kindes wären.
Bei Protein-Shakes handle es sich weder um ein Medikament noch um ein sonstiges Heilbehandlungsmittel, weshalb eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung nicht möglich sei. Auch liege keine diesbezügliche ärztliche Verordnung vor.
Anteilige Wohnkosten, die nach einem Quadratmeter- oder sonstigem Schlüssel rechnerisch auf ein Zimmer entfallen, das einem Kind zur Nutzung zur Verfügung gestellt wird, seien nicht abzugsfähig und in aller Regel mit der Familienbeihilfe abgegolten.

Nach Ansicht der Abgabenbehörde kommen zusammengefasst demnach folgende behinderungsbedingte Kosten in Betracht: Wohnhausbeitrag 2.628,- abzüglich allfälliger Rückerstattungen; Werkstätten-Beitrag 354,-; Vitaminpräparate 731,-; Wegekosten 231,-. Das Pflegegeld in Höhe von 12.847,20 sei von diesen Beträgen abzuziehen, weshalb im Ergebnis keine außergewöhnlichen Belastungen zu berücksichtigen seien.

In Beantwortung des Beschlusses des Bundesfinanzgerichtes vom legte der Bf. mit Schreiben, beim Bundesfinanzgericht eingelangt am folgende Unterlagen vor:

- Verständigung über die Leistungshöhe der Waisenpension zum der Pensionsversicherungsanstalt, wonach dem Sohn des Bf. nach Abzug von "Ruhen" und dem Verpflegungskostenanteil (80 % der Waisenpension, des Pflegegeldes sowie der Ausgleichszulage) monatlich 206,72 angewiesen wurden.

- Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom über die monatliche Leistung ab März 2022 und der Bestätigung, dass seit 2013 monatlich 80 % des gebührenden Pflegegeldes, der Waisenpension und der Ausgleichszulage an den Fonds Soziales Wien - Behindertenhilfe überwiesen werden.

Bezüglich der Anzahl der Tage, die der Sohn im beschwerdegegenständlichen Jahr beim Bf. verbracht hat, gibt der Bf. in seinem Antwortschreiben Folgendes an:
Im Regelfall 1x pro Woche, 2x jährlich 6-8 Tage Urlaub und bei Bedarf zusätzliche Tage bei Krankheit. Insgesamt etwa 62-70 Tage im Jahr 2017. Eine monatliche Aufstellung könne nicht erstellt werden, da der Kalender 2017 nicht mehr zur Verfügung stehe.
Diese Anzahl der Tage ist für das Bundesfinanzgericht glaubhaft.

Der Beschluss und das Antwortschreiben des Bf. samt Beilagen wurden der Abgabenbehörde mit Beschluss vom zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt. Seitens der belangten Behörde wurde auf eine Stellungnahme verzichtet.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Fraglich ist im ersten Schritt, ob der Vorlageantrag zulässig ist, da innerhalb offener Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (somit vor gestelltem Vorlageantrag) eine Wiederaufnahme des Verfahrens samt neuem Sachbescheid erfolgt ist.

Eine meritorische Beschwerdevorentscheidung tritt an die Stelle des mit Beschwerde angefochtenen Bescheides und ersetzt diesen zur Gänze (Ritz, BAO6, § 263 Tz 11).

Die Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens führt zur gänzlichen Beseitigung jenes Bescheides, der das wiederaufgenommene Verfahren seinerzeit zum Abschluss gebracht hat. Der frühere Bescheid tritt dabei durch die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Gänze außer Kraft (Ritz, BAO6, § 307 Tz 5 mVa ).

Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom ist somit an die Stelle des Einkommensteuerbescheides vom getreten und hat diesen zur Gänze ersetzt. Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens trat dieser Bescheid (vom ) außer Kraft und es wurde am ein neuer Sachbescheid erlassen.

Der Vorlageantrag vom wurde innerhalb verlängerter Frist und somit rechtzeitig eingebracht. Dadurch gilt die Beschwerde vom wiederum als unerledigt (§ 264 Abs. 3 BAO).

Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Beschwerde angefochtenen Bescheides, so gilt die Beschwerde auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet (§ 253 BAO). Ein solcher Bescheid ist auch ein neuer Sachbescheid, der bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ergeht (Ritz, BAO6, § 253 Tz 2).

Hier vorliegend tritt der Bescheid vom an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung () [die den Bescheid vom ersetzt hat]. Weil durch den rechtzeitigen Vorlageantrag die Beschwerde wiederum als unerledigt gilt, gilt sie (die Beschwerde) gemäß § 253 BAO auch als gegen den - nach Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen - Bescheid vom gerichtet.

§ 34 EStG 1988 lautet auszugsweise:
§ 34. (1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. […]

Gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 können Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt berücksichtigt werden, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Die zu dieser gesetzlichen Bestimmung ergangene Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II 430/2010 (in Folge VO) normiert in § 5 Abs. 1, dass solche Mehraufwendungen ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262,- vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen berücksichtigt werden können. Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindert sich nach Abs. 2 dieser Bestimmung der Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.

Gemäß § 1 Bundespflegegeldgesetz (in Folge: BPGG) hat die Gewährung des Pflegegeldes den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 2.2).

Gemäß § 13 Abs. 1 BPGG geht der Anspruch auf Pflegegeld bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 % auf den jeweiligen Kostenträger über, wenn die pflegebedürftige Person auf Kosten oder unter Kostenbeteiligung eines Landes, einer Gemeinde oder eines Sozialhilfeträgers in einem Pflege-, Wohn-, Alten- oder Erziehungsheim stationär gepflegt wird. Für die Dauer des Anspruchsüberganges gebührt der pflegebedürftigen Person ein Taschengeld in Höhe von 10 vH des Pflegegeldes der Stufe 3; im Übrigen ruht der Anspruch auf Pflegegeld.

Der Sohn des Bf. war ganzjährig in einem Wohnheim untergebracht und der Anspruch des Pflegegeldes und der Waisenpension ging im Ausmaß von 80 % auf den Kostenträger über. Ihm selbst verblieb ein Betrag iHv 206,72 monatlich, der sich aus dem restlichen Betrag der Waisenpension (406,33 x 20 % = 81,26), des Pflegegeldes (1.225,20 x 20 % = 245,04 abzgl "Ruhen" 154,60 = 90,44) und der Ausgleichszulage (175,27 x 20 % = 35,05) zusammensetzte.

Da der Anspruch auf Pflegegeld gemäß § 13 BPGG auf den Fonds Soziales Wien übergegangen ist und dem Sohn des Bf. das Pflegegeld in dieser Höhe nicht zur Deckung seiner pflegebedingten Mehraufwendungen zur Verfügung stand, kann nicht das gesamte Pflegegeld, sondern nur der verbleibende Betrag iHv 90,44 Euro monatlich als pflegebedingte Geldleistung gegengerechnet werden. (vgl auch )

Zu den pflegebedingten Geldleistungen iSd § 34 Abs. 6 EStG 1988 zählen das Pflegegeld, die Pflegezulage, das Blindengeld oder die Blindenzulage, weshalb der verbleibende Anteil der Waisenpension und der Ausgleichszulage nicht dazuzuzählen ist.

Aufgrund der Unterbringung in einem Vollinternat ist jedoch auch die Bestimmung des § 5 Abs. 2 der VO zu berücksichtigen, wonach sich der Freibetrag von 262,- um jeden Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel vermindert.

Da der Sohn des Bf. 2017 ganzjährig in einem Wohnheim untergebracht war, und davon rund 70 Tage beim Vater und nicht im Wohnheim verbracht hat, ist grundsätzlich der Freibetrag von 262,- im Ausmaß von siebzig Dreißigstel zu gewähren. Da das erhaltene Pflegegeld in Höhe von monatlich 90,44 diesen Betrag übersteigt, kann ein pauschalierter Mehraufwand, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten nicht berücksichtigt werden.
[262*70/30=611,33 abzgl 1.085,28 (=90,44*12)]

Anstelle des pauschalierten Mehraufwandes können nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 auch die tatsächlichen (nachgewiesenen) Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden, soweit sie in ursächlichem Zusammenhang mit der Behinderung stehen und die Summe der pflegebedingten Geldleistungen übersteigen.

Abzugsfähig, sind somit die Wohnhausbeiträge für Jugend am Werk in Höhe von 2.560,30, wobei das erhaltene Pflegegeld in Höhe von 1.085,28 (=90,44*12) abzuziehen ist.

Ohne Nachweis der Kosten ist, wie zuvor ausgeführt, nur der pauschale Mehraufwand gemäß § 5 Abs. 1 der VO abzugsfähig, eine Glaubhaftmachung der Ausgaben reicht nicht aus. Daher konnten schon mangels der erforderlichen Nachweise die Kosten für persönliche Ausgaben, Wegekosten und Verpflegungskosten bei Krankheit im elterlichen Haushalt nicht berücksichtigt werden. Neben dem Nachweis, dass die Kosten angefallen sind fehlt auch ein Nachweis, dass die Aufwendungen mit der Behinderung des Sohnes in ursächlichem Zusammenhang stehen.

Zusätzlich, ohne Anrechnung der pflegebedingten Geldleistungen (; LStR 858), sind auch Aufwendungen gemäß § 4 VO - das sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät) und Kosten der Heilbehandlung - sowie das Entgelt für Unterrichtserteilung oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 3 VO).

Demnach sind folgende nachgewiesene Aufwendungen ohne Abzug der pflegebedingten Geldleistungen anzuerkennen:
Kostenbeitrag Lebenshilfe (Behindertenwerkstätte):
354,-
Kosten der Heilbehandlung (Omega 3, Vit B12):
652,80

Weitere Kosten der Heilbehandlung wie "Mucozink", "Homöopathische Arzneien" und "Mundhygiene" können unabhängig von einer Prüfung, ob sie abzugsfähig wären, mangels Vorlage von Rechnungen nicht berücksichtigt werden.

Zu den Kosten der Heilbehandlung zählen auch Fahrtkosten für Arzt- und Spitalsbesuche, sofern sie in Zusammenhang mit der Behinderung stehen. Auch hierbei ist gemäß § 4 und auch gemäß 5 Abs. 3 VO ein Nachweis erforderlich, der im vorliegenden Fall nicht erbracht wurde. Die Fahrtkosten waren daher nicht anzuerkennen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage der Höhe der Gegenrechnung der pflegebedingten Geldleistungen bei Übergang des Anspruches auf den Kostenträger fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb die Revision zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7105830.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at