Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.05.2022, RV/3100565/2020

Besuch Gymnasium für Berufstätige: Keine Berufsausbildung iSd FLAG 1967, wenn bei 26 Wochenstunden wegen Abwesenheiten 6 von 8 Fächer (= 20 Wochenstunden) "nicht beurteilt" wurden, und Schulbesuch offenkundig nicht fortgesetzt wurde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck (nunmehr: FA Österreich) vom , SV-Nr, betreffend die Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum März 2018 bis September 2018
zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf) hat für den Sohn A, geb. 08/1998, laufend die Familienbeihilfe (FB) und Kinderabsetzbetrag (KG) bezogen.

2. In Beantwortung einer Überprüfung des FB-Anspruches hat die Bf im Juni 2018 dem Finanzamt ua. mitgeteilt:

Der Sohn sei Schüler am Bundesgymnasium Ort1, das er voraussichtlich bis 2020/2021 besuche. Dazu wurde eine Bestätigung des Bundesgymnasiums für Berufstätige, X-Straße (kurzXX) in Ort1, v. beigelegt, wonach der Sohn das Abendgymnasium im 5. Semester besucht und bis zur Ablegung der Reifeprüfung noch mindestens 4 Semester benötigt.

Daneben sei der Sohn beim Arbeitgeber "FirmaB" 2-3 Tage pro Woche mit Einkünften in Höhe von mtl. ca. € 350-400 geringfügig beschäftigt.

3. Eine nochmalige Überprüfung sowie ein Ergänzungsersuchen v. , verschiedene Unterlagen vorzulegen (Bestätigungen über die Zeiten der Schulbesuche an C-Schule und Abendgymnasium mit Anzahl der Wochenstunden; alle Jahreszeugnisse bis laufend; Dienstgeberbestätigung mit Angabe der Beschäftigungszeiten und Einkommensnachweis), blieben zunächst weitgehend unbeantwortet; eine Nachsendung von Bestätigungen wurde angekündigt.

4. In der Folge wurden nachgereicht:

- eine Schulbesuchsbestätigung der C-Schule über den Besuch des Sohnes
der Klassen 1a - 4a und 4b im Zeitraum bis ;
- eine Schulbesuchsbestätigung des Bundesgymnasiums kurzXX, demnach der Sohn die
Klasse 5K vom bis im Ausmaß von 26 Wochenstunden besucht;
- eine Gehaltsabrechnung für 04/2018 der Fa. FirmaB.,wonach der Sohn als
Einzelhandelskaufmann mtl. brutto € 412 verdient.

5. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , SV-Nr, von der Bf zu Unrecht bezogene Beträge an Familienbeihilfe (FB) und Kinderabsetzbetrag (KG) in Höhe von gesamt € 1.564,50 für den Zeitraum März 2018 bis September 2018 zurückgefordert.

Begründend wurde unter Verweis auf § 2 Abs. 1 lit b bis e Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 ausgeführt, dass die Bf mehrfachen Aufforderungen zur Nachreichung von Unterlagen nicht nachgekommen wäre. Ein Nachweis zum ernsthaften und zielstrebigen Schulbesuch des Sohnes (Gymnasium für Berufstätige) liege daher nicht vor.

6. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wurde die Bescheidaufhebung begehrt und vorgebracht, entgegen der Ansicht des Finanzamtes habe die Bf sehr wohl Schulbesuchsbestätigungen vorgelegt, die nochmals in der Beilage übermittelt werden.

7. In Beantwortung eines weiteren FA-Vorhaltschreibens hat die Bf das Semesterzeugnis des Bundesgymnasiums kurzXX beigebracht, wonach der Sohn im Sommersemester 2018 bei gesamt 26 Wochenstunden in 6 (= 20 Wochenstunden) von 8 Fächern "Nicht beurteilt" wurde und in den restlichen 2 Fächern (= 6 Wochenstunden) die Note "5" erhielt.

8. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde vom Finanzamt nach Darstellung von Verfahrensablauf und bezughabender Gesetzesbestimmung dahin begründet, dass laut vorgelegtem Semesterzeugnis von 26 Unterrichtsstunden lediglich 6 (negativ) beurteilt worden seien und eine Bestätigung zu einem derzeitigen Schulbesuch nicht vorliege. Aufgrund dieser Umstände sei keine ernsthafte und zielstrebige Berufsausbildung des Sohnes zu erkennen.

9. In dem als Vorlageantrag zu wertenden Schriftsatz vom , eingelangt am , bringt die Bf vor, der Sohn habe das Gymnasium in der Zeit vom März bis Juli 2018 regelmäßig besucht, sei jedoch auch sehr oft krank zu Hause gewesen. Sie müsse daher die FB - wenn überhaupt - lediglich von August bis September 2018 zurückzahlen.

10. Der anschließend vom Finanzamt erlassene Mängelbehebungsauftrag stützt sich (verfehlt) zum Einen hinsichtlich mehrerer inhaltlicher Mängel der "Eingabe v. " auf § 250 Abs. 1 BAO (betr. Bescheidbeschwerde); zum Anderen liegt diesbezüglich kein Zustellnachweis vor.

11. Mit Schreiben vom wurde eine "Ärztliche Stellungnahme" der Psychiatrischen Ambulanz, Klinik Ort2., vom nachgereicht. Daraus geht hervor, dass sich der Sohn mit der Diagnose "Akute Belastungsreaktion, Anpassungsstörung" dort in fachärztlicher ambulanter Betreuung (medikamentöse Behandlung samt beginnender Psychotherapie) befunden hat.

12. Laut Einsichtnahme des Finzamtes in die Sozialversicherungs-Daten war der Sohn ua. vom 5.2. - als "geringfügig beschäftigter Angestellter" und ab bis laufend (Abfrage am ) als "Angestellter" bei DD (= FirmaB.) beschäftigt; Gesamteinkünfte - : brutto € 38.772,85.

II. Sachverhalt:

Der Sohn der Bf, geb. 08/1998, hat im August 2016 die Volljährigkeit erreicht.

Er hat von Herbst 2013 bis die C-Schule und anschließend ab bis das Bundesgymnasium kurzXX (für Berufstätige) im Ausmaß von 26 Wochenstunden besucht (siehe Schulbesuchsbestätigungen).

In diesem Sommersemester 2018 konnte er in 6 von 8 Lehrfächern (20 Wochenstunden) nicht beurteilt werden und hat in 2 Fächern (6 Wochenstunden) die Note "5" erhalten (siehe Semesterzeugnis vom ).

Die Ursache waren oftmalige krankheitsbedingte Abwesenheiten, weswegen sich der Sohn auch in fachärztlicher ambulanter Betreuung befunden hat (eigene Angaben; Ärztliche Stellungnahme der Psychiatr. Ambulanz v. ).

Ein weiterer Schulbesuch hat offenkundig nicht mehr stattgefunden.

Der Sohn war von Feber bis April 2018 geringfügig beschäftigt und ab Mai 2018 als Angestellter (jedenfalls bis Ende Juli 2020 lt. Abfrage der Sozialversicherungs-Daten) beruflich tätig.

III. Beweiswürdigung:

Obiger entscheidungswesentlicher Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem Akteninhalt, insbesondere den eigenen Angaben der Bf samt vorgelegten Unterlagen und ergänzt durch die Erhebung des Finanzamtes (Einsicht in die SV-Daten).

IV. Rechtslage:

A) Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF, haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben,
lit a) für minderjährige Kinder,
lit b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. ..…

Nach § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschliessungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gleiches gilt für zu Unrecht bezogene und gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlte Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 26 FLAG 1967).

B) Rechtsprechung:

Nach § 2 Abs. 1 lit b FLAG 1967 ist die Gewährung von Familienbeihilfe (+ KG) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, an die Voraussetzung der Berufsausbildung gebunden.

Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird.

Ob tatsächlich eine Berufsausbildung iSd FLAG vorliegt, kann in der Regel nur im Einzelfall beurteilt werden.

Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit b FLAG kommt es nicht nur auf das "ernste und zielstrebige Bemühen um den Ausbildungserfolg" an, sondern eine Berufsausbildung muss grundsätzlich auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (vgl. ).
Dies gilt auch im Fall des Besuches einer Maturaschule ().

Nach den vom VwGH zu diesem Begriff in stRSpr entwickelten Kriterien (zB ; u.v.a.) weist jede anzuerkennende Berufsausbildung ein qualitatives und ein quantitatives Element auf: Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang.

In diesem Zusammenhalt liegt eine Berufsausbildung iSd FLAG nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes (BFG) - analog zum Besuch einer AHS oder BHS - generell nur dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungen von mindestens 30 Wochenstunden anfällt (vgl. u.a.).
Das BFG nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an, dh. insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG zu sprechen (vgl. ; u.a.).
Wenn bei einer 25 Wochenstunden umfassenden Schulausbildung die Hälfte der Unterrichtsgegenstände infolge Abwesenheit vom Unterricht nicht beurteilt wird, ist davon auszugehen, dass die Berufsausbildung nicht die überwiegende Zeit des Schülers in Anspruch genommen hat ().
(siehe zu vor in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rzn. 39-40 zu § 2 mit weiteren Judikaturverweisen).

Unterbrechungen des tatsächlichen Ausbildungsvorganges - wie zB Erkrankungen, die die Berufsausbildung auf begrenzte Zeit unterbrechen - sind für einen bereits vorher entstandenen Anspruch auf FB nicht schädlich. Von einer bloßen Unterbrechung des tatsächlichen Ausbildungsvorganges kann allerdings dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die Ausbildung nach ihrem Abbruch nicht wieder aufgenommen wird ( mwN; siehe auch: Lenneis/Wanke, aaO, Rz 38 zu § 2 FLAG).

V. Erwägungen:

Zunächst gilt festzuhalten, dass der Besuch einer Maturaschule bzw. wie hier des Gymnasiums für Berufstätige durch den Sohn der Bf an sich eine Berufsausbildung iSd FLAG darstellen würde.
Zwecks Anerkennung als solche "Berufsausbildung", die den Anspruch auf Familienbeihilfe verschafft, ist jedoch nach oben dargestellter Rechtsprechung ua. in quantitativer Hinsicht ein wöchentlicher Zeitaufwand von zumindest 30 Wochenstunden (Schule/Kurs ca. 20 - 25 Stunden + Hausaufgaben) erforderlich (zB ).

Gegenständlich wurde laut dem vorgelegten Semesterzeugnis (Sommersemester 2018) der Sohn bei einer 26 Wochenstunden umfassenden Schulausbildung in 6 von 8 Unterrichts-gegenständen bzw. im Umfang von 20 Wochenstunden, dh. im Ausmaß von rund 77 % infolge Abwesenheit vom Unterricht nicht beurteilt sowie in den restlichen 2 Fächern negativ beurteilt. Aufgrund dieser Umstände muss nach Ansicht des BFG davon ausgegangen werden, dass die Berufsausbildung nicht die überwiegende Zeit des Schülers in Anspruch genommen hat und damit kein erforderliches "ernsthaftes und zielstrebiges Bemühen um den Ausbildungserfolg" vorgelegen war (siehe ).

Daran vermag auch der Nachweis einer vorgelegenen psychischen Erkrankung des Sohnes, die zu den Abwesenheiten vom Unterricht geführt habe, nichts zu ändern, da nur eine dadurch verursachte, zeitlich begrenzte Unterbrechung der Ausbildung - bei vorher entstandenem FB-Anspruch - nicht als beihilfenschädlich zu betrachten wäre. Von einer bloßen Unterbrechung kann hier jedoch nicht gesprochen werden, da der Besuch des Gymnasiums für Berufstätige nach dem Sommersemester 2018 offenkundig nicht fortgeführt und somit abgebrochen wurde. Eine Fortführung wurde von der Bf jedenfalls weder behauptet noch nachgewiesen.

In Zusammenhalt mit den genannten gesundheitlichen Problemen des Sohnes ist abschließend darauf hinzuweisen, dass in § 26 FLAG eine (rein) objektive Erstattungspflicht desjenigen normiert wird, der die Familienbeihilfe (und den Kinderabsetzbetrag) zu Unrecht bezogen hat; dies ohne Rücksicht darauf, ob die bezogenen Beträge etwa gutgläubig empfangen wurden oder ob die Rückzahlung eine Härte bedeutet. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist nach Gesetzeslage und Rechtsprechung von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge objektiv zu Unrecht erhalten hat. Ebenso wäre unerheblich, ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat (vgl. ; ).

Das BFG zweifelt nicht an, dass der Sohn trotz der Erkrankung nach Möglichkeit die Schule besucht haben wird und um Fortsetzung der Berufsausbildung bemüht war. Dennoch sind nach der Intention des Gesetzgebers subjektive Momente bei der Rückforderung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge nicht zu berücksichtigen, sondern es ist ausschließlich zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe gegeben sind.

VI. Ergebnis:

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage waren daher im Streitzeitraum die Anspruchs-voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe sowie des Kinderabsetzbetrages nicht erfüllt; die Rückforderung für den Zeitraum März bis September 2018 mit bekämpftem Bescheid ist aus obgenannten Gründen zu Recht erfolgt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichsthofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, ob "in quantitativer Hinsicht die volle Zeit" des Sohnes der Bf in Anspruch genommen wurde und insofern eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 vorgelegen war, ist anhand der tatsächlichen Umstände in Anwendung der og. Judikatur des VwGH wie auch des BFG zu beurteilen. Insofern liegt keine strittige Rechtsfrage vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at