Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.05.2022, RV/3100722/2021

Veruntreute Gelder als Vorteile aus einem Dienstverhältnis; Verjährungsfrist

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache Dr. ***1*** als Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren der Schuldnerin ***Bf1***, ***StNr1***, gegen

1. den von der belangten Behörde ***FA1***, nunmehr Finanzamt Österreich, am ausgefertigten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010

2. die von der belangten Behörde Finanzamt Österreich am ausgefertigten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011 bis 2019 und

3. die von der belangten Behörde Finanzamt Österreich am ausgefertigten Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2016 bis 2018

zu Recht erkannt:

I. Der Einkommensteuerbescheid 2010 wird gemäß § 279 Abs. 1 BAO abgeändert. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe bleiben zur Beschwerdevorentscheidung unverändert.

II. Die Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011 bis 2019 und gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2016 bis 2018 wird gemäß § 279 Abs. 1 BAO als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die belangte Behörde hat mit dem am ausgefertigten Bescheid die Einkommensteuer für das Jahr 2010 € 16.865,00 festgesetzt.

2. Mit Schreiben vom hat die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde erhoben und beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Die von der belangten Behörde angesetzten Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien keine steuerbaren Einkünfte, außerdem sei abgabenrechtlich Verjährung eingetreten.

3. Die belangte Behörde hat mit der am ausgefertigten Beschwerdevorentscheidung den angefochtenen Bescheid geändert und die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit € 20.015,96 festgesetzt.

4. Mit ebenfalls am 5. Oktober ausgefertigten Bescheiden hat die belangte Behörde die Einkommensteuer für die Jahre 2011 bis 2015 und 2019 festgesetzt, für 2011 mit € 74.985,00, für 2012 mit € 128.461,00, für das Jahr 2013 mit€ 84.400,00, für das Jahr 2014 mit € 116.787,00, für das Jahr 2015 mit € 148.386,00 und für das Jahr 2019 mit € 116.186,00. Für die Jahre 2016 bis 2018 hat die belangte Behörde zudem mit am ausgefertigten Bescheiden das Verfahren betreffend Einkommensteuer wiederaufgenommen und am gleichen Tag neue Sachbescheide ausgefertigt. Die Einkommensteuer wurde für 2016 mit € 81.789,00, für 2017 mit € 108.050,00 und für 2018 mit € 106.310,00 festgesetzt.

5. Mit Schreiben vom hat die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuerbescheide 2016 bis 2018 sowie gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2019 erhoben und den Antrag auf Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung sowie den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. Zur Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 wurde mit Schreiben vom gleichen Tag der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht und der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. In der Bescheidbeschwerde und im Vorlageantrag wird die Rechtsansicht vertreten, dass von der Beschwerdeführerin veruntreute Gelder weder zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit noch zu anderen Einkünften gehören. Zudem wird für die Jahre 2010 bis 2014 eingewendet, dass Verjährung eingetreten sei. Bemängelt wird auch, dass die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre2016 bis 2018 unterlassen habe, anzugeben, welcher Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs. 1 BAO tatsächlich vorliege.

6. Die belangte Behörde hat die Bescheidbeschwerden mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

7. Als gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter hat der Rechtsanwalt Dr. ***RA1*** mit Schreiben vom mitgeteilt, dass die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen werden.

II. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin war in den Jahren 2010 bis 2019 Dienstnehmerin der Firma ***GmbH1***. In diesem Zeitraum hat sie Scheinrechnungen erstellt und diese Scheinrechnungen durch ihre Stellung im Unternehmen ihrer Arbeitgeberin aus Geldmitteln der ***KG1*** beglichen. Dadurch hat sie dieses Unternehmen am Vermögen geschädigt und sich um rund € 2 Millionen bereichert (Schuldanerkenntnis vom ; Schuldanerkenntnis vom ; Vereinbarung zur tätigen Reue vom ). Aus dieser Tätigkeit sind der Beschwerdeführerin im Jahr 2010 € 40.032,00, im Jahr 2011 € 149.970,32, im Jahr 2012 € 256.923,00, im Jahr 2013 € 168.800,50, im Jahr 2014 € 233.575,00, im Jahr 2015 € 296.773,00, im Jahr 2016 € 163.688,00, im Jahr 2017 € 216.413,00, im Jahr 2018 € 212.790,00 und im Jahr 2019 € 232.394,00 als Gutschriften auf ihrem Bankkonto zugeflossen (Niederschrift über die Schlussbesprechung vom , Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom ; Konvolut an Scheinrechnungen im vorgelegten Akt).

III. Beweiswürdigung

Die unter Punkt II. dargestellte Sachverhalt ist nach der Aktenlage (siehe die zu Punkt II. angeführten Beweismittel) erwiesen und unbestritten.

IV. Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 gehören Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Bei diesen Einkünften ist es unmaßgeblich, ob es sich um einmalige oder laufende Einnahmen handelt, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob sie dem zunächst Bezugsberechtigten oder seinem Rechtsnachfolger zufließen (§ 25 Abs. 2 EStG 1988).

2. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unterliegen in der Regel dem Lohnsteuerabzug. Nur Ausnahmsweise werden sie im Wege der Veranlagung erfasst. Dies ist der Fall, wenn sich Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Vermögen gegen den Willen des Dienstgebers verschaffen, beispielsweise bei veruntreuten Geldern, Bestechungsgeldern oder Warendiebstählen (; ; ; ; ). Veruntreute Gelder gehören als Vorteile aus einem Dienstverhältnis gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Das Dienstverhältnis muss nur die Grundlage für die Möglichkeit der Zueignung der veruntreuten Gelder darstellen (; ).

3. Auf das Wesentliche zusammengefasst führt die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin in der Bescheidbeschwerde und im Vorlageantrag aus, die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Rechtsansicht, veruntreute Gelder seien keine steuerbaren Einkünfte, sei unrichtig und verfehlt. Dieser Auffassung kann das Bundesfinanzgericht nicht beitreten, es folgt der zitierten ständige Rechtsprechung des Höchstgerichts. Die Beschwerde ist in diesem Punkt daher unbegründet.

4. Gemäß § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO beträgt die Verjährungsfrist bei hinterzogenen Abgaben zehn Jahre.

5. Der Tatbestand der hinterzogenen Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO ist grundsätzlich nach § 33 FinStrG zu beurteilen (). Eine Abgabenhinterziehung liegt nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vor, sondern erfordert Vorsatz. Vorsätzliches Handeln beruht zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen (; ). Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet. Ein Wissen um die Verwirklichung ist zur Auslösung der verlängerten Verjährungsfrist somit nicht erforderlich (, ).

6. Die Beschwerdeführerin hat nach der unbestrittenen Sachlage Firmengelder ihres Arbeitgebers veruntreut. Damit ist untrennbar verbunden, dass die Beschwerdeführerin diese Gelder vorsätzlich nicht der belangten Behörde angezeigt beziehungsweise offengelegt und deshalb eine vorsätzliche Abgabenverkürzung begangen hat. Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument der Unkenntnis über die Rechtslage überzeugt nicht. In Anbetracht der jahrelangen mit Schädigungsvorsatz ausgeführten kriminellen Handlungen ist davon auszugehen, dass sie die Abgabenverkürzungen ernstlich für möglich gehalten und sich damit auch abgefunden hat. Das Recht, die Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2014 festzusetzten, war daher gemäß § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO noch nicht verjährt. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet.

7. Zur Rüge, die belangte Behörde habe nicht angegeben, welcher Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs. 1 BAO vorliege, wird festgehalten, dass die im Zuge der Außenprüfung über die Einkommensteuer 2010 bis 2019 hervorgekommenen neuen Tatsachen und Beweismittel (Seite 11 des Berichts über das Ergebnis der Außenprüfung vom ) die Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO jedenfalls rechtfertigen.

8. Somit war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2016 bis 2018 und gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2019 als unbegründet abzuweisen. Der Einkommensteuerbescheid 2010 war gemäß § 279 Abs. 1 BAO abzuändern, da auch in diesem Jahr die veruntreuten Gelder als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und nicht als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu qualifizieren sind. Im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit konnte weder das im angefochtenen Bescheid von den Einnahmen (€ 40.032,00) abgezogene Betriebsausgabenpauschale (€ 2.401,92) noch der Gewinnfreibetrag (€ 3.900) berücksichtigt werden. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe bleiben daher zur Beschwerdevorentscheidung unverändert.

V. Zulässigkeit einer Revision

Nach Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt vor Allem dann vor, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die im Beschwerdefall relevanten Rechtsfragen sind mit der unter Punkt IV. zitierten Judikatur ausreichend geklärt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demzufolge nicht zulässig. Zur außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof siehe nachstehende Rechtsbelehrung.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 33 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 8 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100722.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at