Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 06.04.2022, RV/5100516/2020

Zustellung von Beschlüssen in Verlassenschaftsangelegenheiten ohne Verlassenschaftskuratorbestellung

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Christoph Kordik in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend Beschwerde vom gegen den Rückforderungsbescheid des vormals ***FA*** , nunmehr FAÖ ***1***, vom betreffend Familienbeihilfe 12.2017-04.2019 Sozialversicherungsnummer ***9*** beschlossen:

I. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Verfahrensablauf

Mit Bescheid v. wurde vom zuständigen Finanzamt die Familienbeihilfe bzw. der Kinderabsetzbetrag für zwei Kinder des Bf. rückgefordert. Für beide Kinder ergab sich insgesamt ein Rückforderungsbetrag von € 5.573,20.

Detaillierter Verfahrensgang:


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Familienbeihilfen -Rückforderungsbescheid
Beschwerde
Beschwerdevorentscheidung
Vorlageantrag
E-Mail (Urgenzschreiben des Bfs.an das Gericht)
Ableben des Bfs.
***3***
Übermittlung des Beschlusses in der Verlassenschaftssache nach Bf. durch das Finanzamt Österreich
31.03. 2022

Im Vorlagebericht des vormals ***FA***, nunmehr Finanzamt Österreich ***1***, v. wurde der Sachverhalt betreffend Rückforderung von Familienbeihilfen für 2 Kinder des Bfs. geschildert. Auf diesen wird verwiesen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Der BF., zuletzt wohnhaft in 4020 Linz, ***2***, verstarb am ***3***. Wie aus dem übermittelten Beschluss des Bezirksgerichtes Linz v.***4*** zu GZ ***5*** in der Verlassenschaftssache hervorging, wurde die Tochter des Bfs., Frau ***6***, wohnhaft in A -***7***, geb.***8***, aufgrund ihres Antrages vom gemäß § 153 des Außerstreitgesetzes zur Verfügung über den Nachlass (Aktiva weniger als € 5.000) ermächtigt. Eine eigene Verlassenschaftsabhandlung wurde nicht durchgeführt. Eine Einantwortung unterblieb.

Beweiswürdigung

Aus dem Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom ***4*** geht hervor, dass der Bf. am ***3*** verstorben ist und die Verlassenschaft Aktiva im Wert von € 1.234,72 aufgewiesen hat. Es wurde die Tochter des Bfs. gemäß § 153 Außerstreitgesetz ermächtigt, über diese Aktiva zu verfügen. Eine Zustellvollmacht beinhaltete diese Ermächtigung in Abgabenrechtssachen nicht. Ein Einantwortungsbeschluss wurde nicht vorgelegt. Es wurden auch keine anderen Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich wäre, wer zur Vertretung der Verlassenschaft berechtigt ist. Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten.

Rechtliche Beurteilung:

Normen

§ 79 BAO lautet:

Für die Rechts- und Handlungsfähigkeit gelten die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes. § 2 Zivilprozeßordnung ist sinngemäß anzuwenden.

§ 80 BAO lautet:

(1) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

(2) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.

(3) Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach § 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.

§ 82 BAO lautet:

§ 82. (1) Soll gegen eine nicht voll handlungsfähige Person, die eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Abgabenbehörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, auf Kosten des zu Vertretenden die Betrauung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) beim zuständigen Gericht (§ 109 Jurisdiktionsnorm) beantragen.

(2) Ist zweifelhaft, wer zur Vertretung einer Verlassenschaft befugt ist, oder wer beim Wegfall einer juristischen Person oder eines dieser ähnlichen Gebildes oder eines sonst verbleibenden Vermögens vertretungsbefugt ist, gilt Abs. 1 sinngemäß.

Die Voraussetzungen des § 153 AußStrG in der für den Beschwerdezeitraum geltenden Fassung lagen unstrittig vor.

Erwägungen

Gemäß § 79 BAO gelten für die Rechts- und Handlungsfähigkeit (hier betreffend den Nachlass und nach Einantwortung betreffend die Erben) die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes; § 2 Zivilprozessordnung ist sinngemäß anzuwenden. Die Rechtsfähigkeit von natürlichen Personen endet mit dem Tod (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 79 Anm 7).

Für den Zeitraum zwischen dem Tod des Verstorbenen und der Einantwortung kennt das bürgerliche Recht die Rechtsfigur des ruhenden Nachlasses (§ 531 ABGB - hereditas iacens). Da gemäß § 79 BAO im Abgaben(verfahrens-)recht für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gelten, ist der ruhende Nachlass beispielsweise auch Adressat von Bescheiden (vgl. etwa ; ; ).

Somit ist ein Bescheid nach dem Tod des Erblassers über eine in dessen Person entstandene Abgabenschuld vor der Einantwortung an die Verlassenschaft (vertreten durch den Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder den bzw. die erbserklärten Erben) und nach der Einantwortung an die Erben als Rechtsnachfolger zu richten (; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 19 Anm 8).

Als Verlassenschaftsverfahren bezeichnet das Gesetz alle Verfahren, die sich mit der rechtlichen Abwicklung des Nachlasses befassen. Dazu zählen neben der Verlassenschaftsabhandlung auch alle Verfahren, in denen es nicht zu einer Einantwortung kommt (kein ausreichendes Vermögen, überschuldetes Vermögen, Fehlen der inländischen Abhandlungsgerichtsbarkeit oder erblose Verlassenschaft - vgl Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) Vor § 143 Rz 1). Die Bestimmungen über die eigentliche Verlassenschaftsabhandlung beginne mit der Vertretungsvorsorge, die in § 156 AußStrG geregelt ist. Davor finden sich die Bestimmungen über das Vorverfahren. Zu diesem Vorverfahren gehört auch die Überlassung an Zahlungs statt (zB. § 153 AußStrG).

Vor der Annahme durch den Erben wird die Verlassenschaft so betrachtet, als wenn sie noch vom Verstorbenen besessen würde. Die überwiegende Lehre definiert den Nachlass als juristische Person (Koziol/Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I14 Tz 246; Sprohar/Heimlich in Fenyves/Kerschner/Vonkilch ABGB 3 [ Klang] § 547 aF Rz 3 mwN; vgl auch Grabner/Wiesner in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 1 Anm 2). Der ruhende Nachlass soll als Rechtssubjekt die Zeitspanne zwischen dem Erbfall und der Einantwortung überbrücken (Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 Rz 7).

Der ruhende Nachlass verliert seine Rechtspersönlichkeit erst mit der Einantwortung. Konsequenterweise besteht er dann weiter, wenn eine Einantwortung nicht stattgefunden hat (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).

Als juristische Person bedarf es eines Vertreters, der für diese juristische Person (Verlassenschaft) handelt. Solche Vertreter können ein Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder der bzw. die erbserklärten Erben sein. Mit der Bestellung des Verlassenschaftskurators enden die Rechte der präsumtiven oder erbantrittserklärten Erben nach § 810 ABGB (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 810 Rz 11). Die "Antretung der Erbschaft", die Erbantrittserklärung, ist gegenüber dem Gerichtskommissär abzugeben (§ 157 Abs 1 AußStrG - Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) § 171 Rz 8).
Aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Linz ist nicht ersichtlich, dass die Tochter des Verstorbenen oder eine andere Person eine Erbserklärung (Erklärung einer erbberechtigten Person, eine Erbschaft anzunehmen, wobei zwischen bedingter und unbedingter Erbserklärung unterschieden wird) abgegeben hätte. Vielmehr lässt sich aus dem Beschluss gem. § 153 Außerstreitgesetz ableiten, dass gerade keine Erbserklärungen abgegeben wurden und das Verlassenschaftsverfahren gemäß § 153 Außerstreitgesetz beendet wurde. Hat kein Erbe eine Erbserklärung abgegeben, kann die in § 810 ABGB vorgesehene Vertretungsfunktion nicht ausgeübt werden. Es wurde auch keine Amtsbestätigung gem § 172 AußStrG vorgelegt.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Verlassenschaftskurator oder Erbenmachthaber (eine Person, die von einem Erben mit der Vertretung im Rahmen der Verlassenschaftsabhandlung betraut ist) bestellt worden wäre.

Der Beschluss gem. § 153 Außerstreitgesetz stellt einen materiell-rechtlichen Erwerbstitel dar. Er stellt aber keinen Erwerbstitel für die Erbschaft selbst, sondern nur für die im Beschluss bezeichneten einzelnen Bestandteile dar und führt zur Einzelrechtsnachfolge; der Zustand des ruhenden Nachlasses bleibt im Übrigen erhalten (Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 (2012), §§ 798-798a Rz 5; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 798 Rz 2). Allerdings wirkt die Maßnahme gemäß § 153 Außerstreitgesetz verfahrensbeendend (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).
Gibt es jedoch keinen Vertreter der juristischen Person "ruhender Nachlass", der für diese Person rechtsgeschäftliche Handlungen vornehmen kann, kann es auch niemanden geben, der für die juristische Person einen Bescheid oder eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts entgegen nehmen kann. Ohne einen Vertreter für die Verlassenschaft erscheint auch eine gewillkürte Vertretung durch einen Wirtschaftstreuhänder nicht denkbar, weil die Bevollmächtigung durch den Vertreter der Verlassenschaft erfolgen müsste. Wegen der fehlenden Möglichkeit, eine Rechtsmittelentscheidung einer vertretungslosen Verlassenschaft zuzustellen, kann eine solche durch das Gericht auch nicht wirksam erlassen werden.

Ein noch anhängiges Beschwerdeverfahren kann nur eingestellt werden. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Erledigung des Bundesfinanzgerichts nur an die Abgabenbehörde zugestellt werden kann.

Gemäß § 82 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, auf Kosten des zu Vertretenden (die Verlassenschaft) die Betrauung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) beim zuständigen Gericht (§ 109 Jurisdiktionsnorm) beantragen. Dasselbe gilt sinngemäß, wenn zweifelhaft ist, wer zur Vertretung einer Verlassenschaft befugt ist (§ 82 Abs 2 BAO).

Gemäß § 269 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

Ein an eine " Verlassenschaft " gerichteter Bescheid oder ein Beschluss würde nicht wirksam werden, wenn er einer Person zugestellt wird, die erst nach dem Zustelltag vom Gericht zur Vertretung der Verlassenschaft (§ 810 ABGB) ermächtigt wird. In diesem Fall ist auch eine rückwirkende Sanierung des unterlaufenen Fehlers bei der Bescheidadressierung ausgeschlossen ().

Nach Bestellung eines Verlassenschaftskurators (auf Kosten der Verlassenschaft) könnte die Rechtsmittelerledigung zwar wirksam der Verlassenschaft zugestellt werden. Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators würde nur vermeidbare Kosten und hohen Verwaltungsaufwand verursachen, weshalb von einem Antrag auf Bestellung mangels Erforderlichkeit Abstand genommen wird.

Das Beschwerdeverfahren war einzustellen.

Dieser Beschluss kann daher rechtswirksam nur an die Amtspartei ergehen, weil aus den bereits genannten Gründen an die Verlassenschaft ohne Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht zugestellt werden könnte und das Bundesfinanzgericht eine derartige Bestellung nicht als geboten erachtet.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es liegt daher kein Grund für eine Revisionszulassung vor.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 153 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 79 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Verlassenschaftsangelegenheit ohne Verlassenschaftskurator
Zustellung
Rückforderungsfall Familienbeihilfe
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100516.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at