Erlass/Erstattung der im Verfahren 42 dem Anmelder nachträglich mitgeteilten Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 ZK iVm § 83 ZollR-DG
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2022/16/0081. Zurückweisung mit Beschluss vom .
Entscheidungstext
Im Namen der republik
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***BF1Adr***, vertreten durch ***V1***, ***V1Adr***, ***V2***, Rechtsanwalt, ***V2Adr***, und ***V3***, Rechtsanwalt, ***V3Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Linz Wels (nunmehr Zollamt Österreich) vom , Zahl ***1***, betreffend Erlass bzw. Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer und der Abgabenerhöhung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Bescheid vom , Zahl ***2***, teilte das damalige Zollamt Linz Wels der Beschwerdeführerin die buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von € 157.429,31 mit und setzte gleichzeitig eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG in Höhe von € 12.844,76 fest, weil die Voraussetzungen für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 in vier näher bezeichneten Einfuhrfällen nicht vorliegen würden.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ. RV/5200065/2014, rechtskräftig abgewiesen.
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin den Erlass bzw. die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 des Zollkodex.
Mit ergänzender Begründung vom brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass das Zollamt die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 3 UStG 1994 über Antrag und nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen gewährt habe. Jedem Antrag auf Überführung in das Zollverfahren sei die firmenmäßig unterzeichnete Zollvollmacht, die Handelsrechnung(en) mit dem Vermerk der innergemeinschaftlichen Lieferung, der Prüfbericht über die qualifizierte UID Abfrage nach Stufe 2 gemäß Artikel 28 Abs. 2 UStG 1994 und der Versendungsbeleg im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 2 der VO, BGBl. Nr. 401/1996, vorgelegt und dadurch der Zollbehörde die Möglichkeit eingeräumt worden, die Zollanmeldungen sowohl zollrechtlich als auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gemäß Artikel 6 Abs. 3 UStG 1994 zu prüfen. Nicht vorgelegt werden konnten der Zollbehörde zum Überlassungszeitpunkt die Abliefernachweise, die die Abgabenschuldnerin ja erst einfordern habe müssen, nachdem die Waren überlassen und diese vom Abnehmer auch übernommen worden sind.
Seitens der Beschwerdeführerin seien anlässlich jeden Geschäftsprozesses die Voraussetzungen für die steuerfreie Einfuhr geprüft worden. Gestützt auf das Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom , GZ. ZK-0621/3-IV/22/2002, durfte die Beschwerdeführerin darauf vertrauen, allen ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen zu sein.
Die Beschwerdeführerin habe die Sorgfaltspflichten sogar übererfüllt, habe sie doch über eine Kreditschutzorganisation zusätzlich Einblick in das Firmenbuch (Handelsregister) genommen und anlässlich jedes einzelnen Geschäfts-(Zollabfertigungs-)falles die qualifizierte UID Prüfung und auch eine EORI Abfrage vorgenommen, allesamt also Indizien über die Existenz und rechtmäßige Geschäftsausübung des Importeurs bzw. Abnehmers im Bestimmungsmitgliedstaat. Parallel dazu habe die Beschwerdeführerin mit Start eines derartigen Geschäftsprozesses und als Zusatzmaßnahme ein Informationsblatt in verschiedenen Landessprachen erarbeitet und die Auftraggeber (Zollverfahrensinhaber/Importeure/Abnehmer) dazu verpflichtet vor dem Start des ersten Verzollungsprozesses ihr Einverständnis zu den dort aufgeführten Maßnahmen und die Kenntnisnahme dieser Maßnahmen zu bescheinigen. Die Beschwerdeführerin durfte aufgrund ihres überbordenden Pflichtenprogramms darauf vertrauen, später nicht als Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen zu werden, habe sie doch alle Sorgfaltsmaßstäbe übererfüllt, insbesondere jene, die ihr aufgrund einer schriftlichen Anfrage beim Bundesministerium für Finanzen mit Schreiben vom mitgeteilt worden seien.
Die Beschwerdeführerin habe zu keiner Zeit offensichtlich fahrlässig, geschweige denn betrügerisch gehandelt. Wie bereits angeführt, habe die Abgabenschuldnerin alle zumutbaren Handlungen gesetzt, eine mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeit abzuwehren. So habe sie dem Zollamt alle geforderten Nachweise vorgelegt, die beweisen, dass die Unionswaren das Steuerhoheitsgebiet Österreich (also das Inland) verlassen haben.
Obwohl auch in der mündlichen Verhandlung am vom Zollamt Linz Wels kein einziger Beweis der Steuerhinterziehung durch die Beschwerdeführerin im Bestimmungsmitgliedstaat, insbesondere keine strafrechtliche Verfolgungshandlung gegen die Geschäftsführung der Beschwerdeführerin vorgebracht wurde, sei es in der Tat eine unzumutbare Härte, den Spediteur als indirekten Vertreter und Anmelder für Abgabenschulden (hier Einfuhrumsatzsteuer) einstehen zu lassen, die er nicht verursacht habe und deren rechtmäßige Einhebung bis zum heutigen Tag mehr als zweifelhaft sei. Das Landgericht Bochum sei völlig zu Recht gegen eine die Beschwerdeführerin unbekannte Bande vorgegangen und habe die handelnden Personen mit Freiheitsstrafen belegt.
Ein Spediteur sei kein Lieferer, sondern für die Grenzformalitäten verantwortlich und habe zu keinem Zeitpunkt Verfügungsmacht über die Ware. Auch sei dieser nach bisher herrschender Rechtsmeinung nicht berechtigt, die zu leistende Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend zu machen.
Obwohl sowohl Betrug als auch Fahrlässigkeit der Beschwerdeführerin auszuschließen seien, die Beschwerdeführerin alles getan habe, um Kunden mit Hilfe eines Informationsblattes umfassend über deren Pflichten im Bestimmungsmitgliedstaat aufzuklären, sei die Beschwerdeführerin abgesehen von einer etwaigen Unbilligkeit nach Lage der Sache massiv in ihrer Liquidität gefährdet. Sie habe noch vor Urteilsverkündung und in Anlehnung an den Unionszollkodex in eine neue Zollsoftware investiert, um den zukünftigen gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Die Geschäftsführer der Beschwerdeführerin hätten keine Kosten und Mühen gescheut permanent Mitarbeiterschulungen vorzunehmen, interne Kontrollmechanismen zu implementieren, Zollprozesse zu fixieren und in eine adäquate Zollsoftware zu investieren, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden und auch, um weitere Maßnahmen zu treffen, diese und ähnliche Vorfälle vermeiden zu helfen. Bedauerlicherweise könne trotz größter Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden, dass Abnehmer in anderen Mitgiiedstaaten ihren steuerlichen Meldepflichten nicht nachkommen, gehe es doch grundsätzlich nur um die Besteuerung des Erwerbs, der im Zusammenhang mit der Ausweisung der Steuerschuld im selben Zeitpunkt zum Vorsteuerabzug führe.
Die Beschwerdeführerin müsste, würde dem Ansinnen bei den diversen Verfahren auf Erlass gemäß Artikel 239 der VO (EWG) Nr. 2913/1992 nicht entsprochen werden, wegen Liquiditätsproblemen alle Investitionsmaßnahmen auf unbestimmte Zeit aussetzen.
Schließlich bringt die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Grenzspediteurs, der für eine drittländische Warensendung lediglich die Grenzformalitäten erledige, sonst aber damit nichts verbinde, verfassungsrechtliche Bedenken vor und veweist hinsichtlich des Entstehens der Einfuhrumsatzsteuerschuld auf die EuGH-Urteile Eurogate/DHL, C 226/14 und C 228/14 vom , Latvija, C-154/16 vom , betreffend die tatsächliche Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat auf ein nicht näher bezeichnetes Urteil des Hessischen Finanzgerichts und hinsichtlich der Beurteilung des Verfahrens 42 auf ein Gutachten das Institut für Steuerrecht und Steuerlehre an der Johanne- Keppler-Universität Linz.
Das Zollamt wies den Antrag mit Bescheid vom , Zahl ***1***, ab, weil der Beschwerdeführerin offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Es seien fernschriftliche Avisos erfolgt, in den jeweils die Lieferadresse "***8***" angegeben sei. Diese Lieferadresse gehe bei den drei weiteren Abfertigungen auch aus dem jeweiligen Frachtbrief hervor. In keinem Fall lägen Unterlagen vor, dass die Beschwerdeführerin mit dem/den tatsächlichen Empfängern direkt in Kontakt getreten sei. Dies, obwohl klar Unstimmigkeiten bezüglich des tatsächlichen Empfängers vorgelegen hätten. Es sei offensichtlich nicht geklärt worden, ob bzw. in welcher Geschäftsbeziehung die einzelnen Unternehmen zu einander gestanden haben. Es seien keinerlei Handlungen oder Vorkehrungen der Beschwerdeführerin zur Abwehr möglicher oder beabsichtigter Unregelmäßigkeiten zu erkennen.
Dass die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabebelastung ernsthaft gefährdet werde und demnach auch bei Vorliegen betrügerischer Absicht oder offensichtlicher Fahrlässigkeit ein Erlass des Abgabenbetrages in Betracht käme, sei nicht anzunehmen und werde auch nicht dargelegt. Ein dahin gerichtetes Parteiengehör vom sei unbeantwortet geblieben.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom Beschwerde und brachte im Wesentlichen begründend vor, dass die Vertrauensschutz- und Billigkeitsvorschriften des Art. 239 ZK iVm Art. 899 ZK-DVO im Bereich der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung nach Art. 6 Abs. 3 UStG über die §§ 2 Abs. 1, 83 ZollR-G und § 26 Abs. 1 UStG sinngemäß anzuwenden seien. Das bedeute, dass die rein zollrechtlichen Grundsätze, die der EuGH zu Art. 239 ZK entwickelt habe, hier nur modifiziert angewendet werden dürften. Es seien die gleichen Grundsätze anzuwenden, die der EuGH zur innergemeinschaftlichen Lieferung entwickelt habe.
Das Zollamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl ***9***, als unbegründet ab. Begründend wurde auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Die Regelung über den Vertrauensschutz nach Art. 7 Abs. 4 könnten auf die vorliegenden Fälle inngermeinschaftlichen Verbringens nicht angewendet werden. Der VwGH habe deshalb auf Art. 239 ZK verwiesen, womit die diesebzügliche Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen sei. Die Beschwerdeführerin erfülle hierfür die subjektiven Erfordernisse nicht. Es liege offensichtliche Fahrlässigkeit vor. Die Beschwerdeführerin sei ihren Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen, da sie nicht alle ihr zumutbaren Handlungen gesetzt habe, um mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten zu erkennen bzw. abzuwehren. Damit sei vom vorliegenden offensichtlicher Fahrlässigkeit auszugehen, die eine Billigkeit im Sinne des Art. 239 ZK ausschließe.
Dagegen richtet sich der vorliegende Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) vom .
Begründend wurde ergänzend vorgebracht, dass das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5200065/2014 in vielerlei Hinsicht verfassungs- und unionsrechtswidrig sei, die Sorgfalts- und Nachweispflichten erfüllt worden seien und Art. 239 ZK nur sinngemäß angewendet werden dürfe, da sonst die Anwendungsvoraussetzungen bei einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung nie vorliegen würden. Die Täuschung durch einen Geschäftspartner sei kein besonderer Umstand nach Art. 239 ZK.
In der am durchgeführten mündlichen Verhandlung betonte die Beschwerdeführerin nochmals, dass es nicht sein könne, dass sie auch die Rechtsbeziehung des Abnehmers zu dem am Entladeort ansässigen Unternehmen prüfen hätte müssen, um die vom Zollamt geforderten Sorgfaltspflichten zu erfüllen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, ein Speditionsunternehmen, beantragte mit 4 Zollanmeldungen im Zeitraum zwischen 5. April und die Überführung von Tonerkartuschen in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994. Sie trat dabei als indirekte Vertreterin der im Feld 8 der Anmeldungen angeführten belgischen Abnehmerin, der ***10***, auf und erklärte im Feld 44 der Zollanmeldung als Warenempfängerin die ***4***, ***5***, Deutschland. In Avisos bzw. in den Frachtbriefen wurde verfügt, dass die Waren in der ***8***, abgeladen werden sollen.
Die Beschwerdeführerin überprüfte die ihr bekannt gegebenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummern der belgischen Abnehmerin und der deutschen Warenempfängerin nach Stufe 2 (qualifiziertes Bestätigungsverfahren) und ließ sich die Frachtbriefe vorlegen. Die Waren wurden nach der Überlassung nach Deutschland transportiert.
In Deutschland wurden die Waren von einer Tätergruppe, die hinter den genannten Gesellschaften stand, in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen und in der Folge verkauft. Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin von der Einbeziehung der Waren in eine Steuerhinterziehung wusste oder wissen musste, wurden nicht getroffen.
Beweiswürdigung
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den Verwaltungsakten des Festsetzungsverfahrens, insbesondere aus den Zollanmeldungen, den Bestätigungen über die Prüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummern, aus den Frachtbriefen und aus den Überwachungsprotokollen über die Warenbewegungen sowie aus dem Urteiles des Strafgerichtes Bochum.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I.
Gemäß Art. 6 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden, steuerfrei. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
Es kann sowohl der Anmelder selbst, aber auch der vom Anmelder indirekt Vertretene den Tatbestand des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen (vgl. ).
Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 UStG 1994 auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes, nämlich das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer in Art. 3 Abs. 1 UStG 1994 näher beschriebenen vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat.
Gemäß Art. 204 Abs. 1 der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (Zollkodex - ZK) entsteht die Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 ZK genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inan-spruchnahme des Zollverfahrens, in das die Ware übergeführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung der Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich die Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder das betreffende Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt haben.
Zollschuldner ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraus-setzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
Der Zollkodex gilt gemäß § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) in der im Be-schwerdefall noch anzuwendenden der ersten ZollR-DG-Novelle, BGBl. Nr. 516/1996, und gemäß § 26 Abs. 1 UStG in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 756/1996, sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer.
Gemäß § 71a ZollR-DG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung der dritten ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, schuldet in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG eine nach Art. 204 Abs. 21 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Zollschuldner in Betracht kommt.
Art. 239 Abs. 1 ZK lautet:
"Artikel 239
(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden."
§ 83 ZollR-DG in der hier noch maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2005 (AbgÄG 2005, BGBl. I Nr. 161), und des (den materiellen Gehahlt des § 83 ZollR-DG unberührt lassenden) Abgabenänderungsgesetz 2010 (AbgÄG 2010, BGBl. I Nr. 34), lautet:
"§ 83. Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Aus-gangsabgaben nach den Bestimmungen des Artikels 239 ZK in Verbindung mit Artikel 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzterenfalls stellt die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."
§ 26 Abs. 1 erster Satz UStG 1994 in der bis zum geltenden Fassung lautet:
"§ 26. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß; ausgenommen sind die Vorschriften über den aktiven Veredlungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredlungsverkehr. …"
Die Einfuhrumsatzsteuer, deren Erlass bzw. - soweit diese teilweise entrichtet wurde - Erstattung nach Art. 239 ZK iVm § 83 ZollR-DG beantragt wird, ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 ZollR-DG für die ***10*** entstanden. Die Beschwerdeführerin wurde hierfür mit Bescheid des Zollamtes vom , bestätigt durch das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ. RV/5200065/2014, gemäß § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin herangezogen.
Abgesehen davon, dass Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung im Fest-setzungsverfahren und nicht im Erstattungsverfahren zu klären sind, vermag die Behauptung, dass die Vorschreibung der Einfuhrumsatzteuer evident unionsrechtswidrig sei, nicht zu über-zeugen. Keinem der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Urteile des EuGH, insbesondere auch nicht den EuGH-Urteilen vom , Rs. C-108/17 "Enteco Baltic"; vom , Rs. C-528/17 "Milan Božičevič Ježovnik" und auch nicht dem Urteil vom , Rs. C-531/17, "Vetsch Int. Transporte GmbH", ist zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Versagung der Befreiung von der Umsatzsteuer für innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. einem gleichgestellten innergemeinschaftlichen Verbringen als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer als rechtswidrig festgestellt hätte, wenn der Importeur bzw. Verbringer von der Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung wusste oder wissen hätte müssen bzw. die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die eine Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung verhindern hätte können. Die Täterschaft der hinter den Gesellschaften ***10*** und ***4*** stehenden Personen wurde durch das Strafgericht Bochum festgestellt. Ein tauglicher Erstattungsgrund wird mit dem diesbezüglichen Vorbringen somit nicht aufgezeigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass die Inanspruchnahme eines Anmelders nach § 71a ZollR-DG keine de facto unbedingte Haftung darstellt. Der einge-wandte Vertrauensschutz oder die Gutgläubigkeit ist in Verbringungsfällen, in denen Art. 7 Abs. 4 UStG 1994 nicht zur Anwendung gelangen kann, daher im Erlass- oder Erstattungsver-fahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen (, mwN).
Im Beschwerdefall ist somit die Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, die Richtschnur bei der Anwen-dung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (VwGH, aaO, mwN).
Es ist zutreffend, dass der Beschwerdeführerin als Anmelderin nicht die Durchführung komple-xer und umfassender Überprüfungen seiner Vertragspartner auferlegt und ihm faktisch die der Behörde obliegende Kontrolle übertragen werden kann. Zu prüfen ist allerdings, ob die Beschwerdeführerin aufgrund der in ihre Sphäre gelangten Informationen bzw. aufgrund der ihr zur Verfügung gestandenen Unterlagen zumutbare Maßnahmen unterlassen hat, die zur Vermeidung der Einbeziehung der Waren in die Steuerhinterziehung geführt hätten.
Die Beschwerdeführerin hat sich in den gegenständlichen Einfuhrfällen von der Richtigkeit der ihr bekannt gegebenen UID-Nrn. der belgischen Erwerberin und der deutschen Warenempfängerin in einem qualifizierten Bestätigungsverfahren nach Art. 28 Abs. 2 UStG 1994 (Stufe 2) überzeugt und sich auch die Versendungsnachweise (Frachtbriefe) vorlegen lassen. Außerdem wurde das tatsächliche Verbringen der Waren nach ***7*** in Deutschland durch Protokolle der satellitenunterstützten Überwachung der Transportfahrzeuge nachgewiesen.
Das Zollamt sieht im Beschwerdefall eine Sorgfaltspflichtverletzung aber darin gelegen, dass die Beschwerdeführerin nicht geklärt habe, in welcher Geschäftsbeziehung die in Belgien ansässige Erwerberin bzw. der in ***5***/Deutschland ansässigen Warenempfängerin zu der am Entladeort ansässigen Gesellschaft gestanden sind.
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann einem Importeur das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer für Einfuhren von Gegenständen, die er in diesem Mitgliedstaat vorgenommen hat und auf die eine innergemeinschaftliche Lieferung folgt, nicht mit der Begründung verweigert werden, dass diese Gegenstände nicht unmittelbar dem Erwerber übergeben worden sind, wenn die Befugnis, wie ein Eigentümer über diese Gegenstände zu verfügen, vom Importeur auf den Erwerber übertragen wurde ( "Enteco Baltic").
Vor diesem Hintergrund kann es der Beschwerdeführerin nicht als maßgebliche Sorgfaltswidrigkeit ausgelegt werden, wenn sie im Beschwerdefall die Geschäfts- bzw. Rechtsbeziehung der Erwerberin der Waren zu der am Entladeort, der ihr in Avisos bzw. durch Anführung in den Frachtbriefen bekannt gegeben wurde, ansässigen Gesellschaft nicht genauer hinterfragt hat. Eine Kontaktaufnahme mit der Erwerberin ist nach einem dem Akt beiliegenden E-Mail erfolgt. Das Abladen im wenige Kilometer entfernten ***7*** wurde der Beschwerdeführerin gegenüber auch begründet (defekter Stapler). Anders mag das zu beurteilen sein, wenn hinreichende Verdachtsgründe für eine Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung vorgelegen hätten. Solche wurden jedoch vom Zollamt nicht festgestellt. Vom Sitz des Empfängers abweichende Entladeorte sind im Transport- und Speditionsgewerbe nichts derart Ungewöhnliches, dass deshalb bereits eine Steuerhinterziehung vermutet werden müsste. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, wie eine Nachfrage bezüglich der Geschäfts-oder Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten die Einbeziehung der Waren in den von den deutschen Strafverfolgungsbehörden festgestellten Umsatzsteuerbetrag aufzudecken geeignet gewesen wäre.
Trotz der Einbeziehung der Waren in eine Steuerhinterziehung durch die Erwerberin, von dem die Beschwerdeführerin aber nichts wusste und dies auch nicht erkennen hätte müssen, ist in den gegenständlichen Einfuhrfällen der Beschwerdeführerin keine Sorgfaltswidrigkeit bzw. kein Unterlassen sich aufdrängender weiterer Überprüfungsschritte vorzuwerfen. Der Erlass bzw. die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer einschließlich der Abgabenerhöhung ist daher zu gewähren.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die für die Lösung der sich im Beschwerdefall stellenden Rechtsfragen sind, soweit sich deren Lösung nicht ohnedies bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt oder Tatsachenfragen dar-stellen, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichts-hofes ausreichend beantwortet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die über den Einzelfall hinaus Relevanz zukommt, war im Beschwerdefall nicht zu beantworten. Das Bundes-finanzgericht ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch vom Erkenntnis vom , Ra 2017/16/0037, nicht abgewichen. Die ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 Art. 239 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 § 26 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 71a ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.5200015.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at