Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 15.03.2022, RV/7101314/2021

Wiedereinsetzung - Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters an einer Fristversäumnis

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik als Vorsitzenden, die Richterin MMag. Elisabeth Brunner und die Laienrichter Erwin Agneter und Manfred Schuckert, über die Beschwerde vom des Bf., Adresse, vertreten durch Stb., Adresse, gegen den Bescheid vom des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten, betreffend Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich Einkommensteuer 2014, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am (Datum der Verkündung des Erkenntnisses), zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Die ordentliche Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Vorverfahren:

Der Antrag des steuerlich vertretenen Beschwerdeführers (Bf) auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 wurde mit Bescheid des Finanzamts (FA) vom als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung des FA vom als unbegründet abgewiesen.

Dagegen richtete sich der Antrag vom , die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorzulegen.

Der Antrag wurde mit ) als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.
Das BFG führte in der Begründung u.a. aus, der offene Wiedereinsetzungsantrag vom stehe der Zurückweisung des Vorlageantrags nicht entgegen. Unter Verweis auf entsprechende Judikatur argumentierte das BFG, zuerst sei zu klären, ob überhaupt eine Fristversäumnis vorliege. Nur wenn diese Frage bejaht werde, sei die Bewilligung einer Wiedereinsetzung erst denkbar. Der offene Wiedereinsetzungsantrag werde in weiterer Folge vom FA zu erledigen sein.

Ggstdl. Verfahren:

Der Bf stellte am den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Vorlageantrag zur Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkommensteuer 2014.
Zur Begründung führte der steuerliche Vertreter i.w. aus, wie vom FA richtig festgestellt worden sei, hätte der ggstdl. Vorlageantrag spätestens am eingebracht werden müssen, um die Frist zu wahren.
Der Grund für die Fristversäumnis (der Vorlageantrag wurde erst am eingebracht) liege i.w. darin, dass die ursprüngliche Sachbearbeiterin A. B. (vormals C.) mit die Wochenhilfe anlässlich der bevorstehenden Geburt angetreten hatte und bei der Übergabe des offenen Falles des Bf an die neue zuständige Mitarbeiterin, unglücklicherweise ein Fehler unterlaufen sei. Von Frau B. sei nämlich die offene Frist nicht wie sonst üblich in der Fristen- und Aufgabenverwaltung im Outlook sowie im diesbezüglichen, zusätzlichen für die physische Verwaltung der Fristen vorliegenden Büroordner, festgehalten worden.
In Folge der Zustellung des zugrundeliegenden Abweisungsbescheides am und der somit am endenden Frist, sei der Beginn der Wochenhilfe und der somit einhergehenden Übergabe der offenen Fälle innerhalb der Frist für das Einbringen des Vorlageantrages gewesen.
Frau B. sei bereits seit in ggstdl. Steuerberatungsbüro beschäftigt. Sie habe die HAK-Matura und nach dem Eintritt in das Steuerberatungsbüro die Ausbildung zur Buchhalterin und zur Bilanzbuchhalterin erfolgreich absolviert.
Sie sei eine sehr tüchtige und verlässliche sowie nunmehr bereits langjährige Mitarbeiterin und das missgeschickliche Versehen der nicht in Evidenznahme der Frist für den Vorlageantrag sei nur dadurch zu erklären, dass eben in Folge der Schwangerschaft doch ein gewisser "Ausnahmezustand" bestehe, was auch durch die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen, wie z.B. dem Kündigungs- und Entlassungsschutz dokumentiert sei. In der Schwangerschaft würden sich Frauen eben in einem zwar durchaus erfreulichen, aber besonderen Zustand befinden, worauf das Versehen zurückzuführen sei.
Der interne Büroablauf schließe ein derartiges Versehen grundsätzlich aus und es würden auch entsprechende Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen vorliegen. Der Ablauf hinsichtlich der Fristenverwaltung sei der, dass diese Fristen zum einen im Outlook in der diesbezüglichen Fristenverwaltung festgehalten werden. Hierbei werde der Beginn und das Ende der entsprechenden Frist, der betroffenen Klienten, sowie das betreffende Verfahren und dessen Frist und natürlich die zuständige Sachbearbeiterin festgehalten. Einen entsprechenden Ausdruck aus der Fristenverwaltung sei diesem Schreiben beigelegt. Zum anderen erfolge gleichzeitig mit dem Eintrag in die Fristenverwaltung im Outlook eine weitere physische, sprich in Papierform, in Evidenz gehaltene Verwaltung der Fristen im entsprechenden Monat und dem entsprechenden Tag des Endes der betreffen Frist. Auch diesbezüglich sei eine Kopie der Beschriftung des Fristenordners sowie des Monats- und Tagesregisters beigelegt.

Die Überprüfung und Anleitung zur Bearbeitung von offenen Erledigungen wie Beschwerden, Vorlageanträgen, etc. und deren Fristen würden täglich unter Vorlage des Ausdrucks der Fristen und Aufgaben des jeweiligen Tages vor Beginn der Geschäftszeiten überprüft. Dies erfolge in der Weise, dass die zuständige Sekretärin diese Fristen in ausgedruckter Form mit dem Steuerberater und Geschäftsführer bespreche und eben deren Bearbeitung durch die zuständigen Sachbearbeiterinnen entsprechend überprüft und zur Bearbeitung angeleitet würden. Auch diesbezüglich sei ein Ausdruck aus der Fristen- und Aufgabenverwaltung aus dem Outlook beigelegt.
Zur weiteren Dokumentation der entschuldbaren Fehlleistung liege diesem Schreiben eine Kopie des Abweisungsbescheides vom bei, auf welchem das Kurzzeichen der Sachbearbeiterin "AB" für A. C. (nunmehr B.) ersichtlich sei.
Des Weiteren sei die Mutterschutzmeldung, die ärztliche Bestätigung des Entbindungstermins, die Arbeits- und Entgeltsbestätigung für das Wochengeld sowie die Meldung der Karenz von Frau A. B. (vormals C.) beigelegt.
Den vorherigen Ausführungen zufolge, sowie der diesbezüglich vorgelegten Nachweise bzw. Unterlagen zufolge handle es sich beim Verschulden an der Versäumung der Frist für den Vorlageantrag um einen minderen Grad des Versehens und somit werde um Stattgabe hinsichtlich der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersucht.
Verschiedene Unterlagen waren beigelegt.

Das FA wies den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Bescheid vom ab und führte in der Begründung i.w. aus, die Partei müsse glaubhaft machen, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Ein bloß minderer Grad des Versehens hindere die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht. Ereignis im Sinne des § 308 Abs 1 BAO sei jedes Geschehen, daher auch ein "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen".
Ein Ereignis sei dann als unabwendbar zu qualifizieren, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden könne und dann als unvorhergesehen anzusehen sei, wenn es die Partei tatsächlich nicht einberechnet habe und mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten hätte können. Ein bloßes "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen" ohne das Hinzutreten besonderer, hierfür ausschlaggebender Umstände stelle kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis dar.
Das Verschulden des Vertreters sei dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten. Hingegen sei das Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter nicht schädlich; maßgeblich sei diesfalls, ob den Parteienvertreter ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden treffe. Der Parteienvertreter habe die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sei.
Leichte Fahrlässigkeit und somit ein minderer Grad des Versehens liege vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begehe.
Keine leichte Fahrlässigkeit liege aber vor, wenn jemand auffallend sorglos handle. Auffallend sorglos handle, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lasse.
Für die richtige Beachtung der Fristen sei in einer Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters stets der Vertreter verantwortlich. Dieser müsse seine Kanzlei so organisieren, dass die fristgerechte Einbringung von Schriftsätzen sichergestellt sei (vgl. ).
Obwohl ggstdl. Fall als "offen" geführt worden sei, sei die Frist zur Einbringung des Vorlageantrages weder von der abgebenden Sachbearbeiterin, welche noch bis tätig war, noch von der übernehmenden Sachbearbeiterin in den für die Terminüberwachung vorhandenen Systemen erfasst worden.
Ein im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist erfolgtes Fehlverhalten eines Mitarbeiters des Vertreters sei letzterem und damit auch der Partei dann als Verschulden anzurechnen, wenn der bevollmächtigte Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten unterlassen habe. Das FA vertrete die Ansicht, dass ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Einreichung eines Vorlageantrages vorliege, das über den minderen Grad des Versehens hinausgehe.

In der nach Fristverlängerung am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde i.w. ausgeführt, es sei im Antrag auf Wiedereinsetzung explizit und genau dargestellt worden, dass eine entsprechende Organisation zur Festhaltung der Fristen im Steuerberatungsbüro vorliege und diese Organisation sorgfältig überwacht und bearbeitet werde. Im mehr als 10-jährigen Bestehen des Steuerberatungsbüros handle es sich bei dem gegenständlichen Versäumnis um das erste und einzige Versäumnis einer Frist. Insbesonders sei dies auch dadurch dokumentiert, dass es sich beim zugrundeliegenden Wiedereinsetzungsantrag um den ersten und einzigen derartigen Antrag während des gesamten Bestehens des Büros handle.
Ggstdl. Steuerberatungsbüro vertrete rund 1.200 Klienten und hätte für diese verschiedenste Fristen zu verwalten. Momentan seien rund 70 bis 80 offene Fristen in Verwaltung, wobei sich diese durchschnittlich innerhalb 1 bis 2 Monaten durch Bearbeitung erledigen und sich wiederum durch neue Fristen permanent deren Anzahl erneuern würden.
Somit könne wohl bei der Anzahl an zu überwachenden Fristen und der Dauer des Bestehens des Steuerberatungsbüros beim ersten und einzigen Fall wohl kaum von einem nicht minderen Grad des Versehens ausgegangen werden.
Insbesondere sei die Verwaltung der Fristen dreistufig abgesichert, zum einen durch die jeweilige Sachbearbeiterin, zum anderen durch die Sekretariatsmitarbeiterin, welche die Fristen übergeordnet den Sachbearbeiterinnen verwalte und überwache, und sowie zusätzlich noch die tägliche Überwachung der Fristen durch den Geschäftsführer und Steuerberater persönlich.
Wenn hier nun erstmalig und einmalig bei der Übergabe der offenen Fälle durch eine langjährige und äußerst zuverlässige Mitarbeiterin das Festhalten einer derartigen Frist versäumt worden sei, könne wohl unzweifelhaft von minderem Grad eines Versehens gesprochen werden. Insbesondere eben auch in dem Zusammenhang, dass dies im Rahmen des Mutterschutzes geschehen sei und hier unzweifelhaft eine persönliche Ausnahmesituation für die Mitarbeiterin vorliege.
Es sei allgemein bekannt, dass sich der Fokus einer werdenden Mutter gegen Ende der Schwangerschaft wohl immer weiter der bevorstehenden Geburt des Kindes sich verändern müsse, was auch insbesondere aus den diesbezüglich einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen abzuleiten sei, wie insbesondere dem Mutterschutz.
Anzufügen sei noch, dass bei sämtlichen anderen offenen Fällen im Zuge des Antritts des Mutterschutzes keinerlei Versäumnisse bzw. Versehen in Bezug auf offene Fristen und dergleichen passiert seien.
Daher treffe den berufsmäßigen Parteienvertreter hier kein die leichte Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden.

Das FA wies mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde als unbegründet ab.
In der Begründung wurde nach Darstellung der Rechtslage i.w. ausgeführt, die Frist zur Einbringung des Vorlageantrages habe mit dessen Zustellung am begonnen und somit am geendet.
Die Frist zur Einbringung des Vorlageantrages sei jedoch weder von der ersten Sachbearbeiterin, welche noch bis tätig war, noch nach der Übergabe des offenen Falles von der zweiten Sachbearbeiterin erfasst worden.
Im gegenständlichen Fall sei es somit sogar zu Fehlleistungen zweier Sachbearbeiterinnen gekommen.
Die Organisation des Kanzleibetriebes weise somit nach Ansicht des FA insoweit Mängel auf, als diese eine entsprechende organisatorische Vorsorge zur Verhinderung der Fehlleistung missen lasse. Gerade die Übergabe von Fällen von einer die Wochenhilfe antretenden Sachbearbeiterin, welche sich - wie der Vertreter selbst ausführe - zu dieser Zeit in einer persönlich sehr erfreulichen Ausnahmesituation befand und deren Fokus sich zu Ende der Schwangerschaft immer weiter in Richtung der bevorstehenden Geburt des Kindes verändere, zu einer neuen Sachbearbeiterin hätte einer genaueren Überwachung durch den Vertreter bedurft.
Denn für die richtige Beachtung der Fristen sei in einer Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters stets der Vertreter verantwortlich. Dieser müsse seine Kanzlei so organisieren, dass die fristgerechte Einbringung von Schriftsätzen an Gerichte sichergestellt sei (vgl. ).

Mit nach Fristverlängerungen rechtzeitig eingebrachtem Antrag vom beantragte der Bf ohne weitere Begründung, die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorzulegen.

Mit Vorlagebericht vom legte das FA die Beschwerde dem BFG vor und beantragte ohne weitere Begründung deren Abweisung.

In der mündlichen Senatsverhandlung vor dem BFG am erläuterte der steuerliche Vertreter des Bf (Stb) i.w. ergänzend die genauen Abläufe in der Kanzlei bei Einlangen eines Poststückes. Die Poststücke würden in eine Mappe eingelegt und dem Stb von der Sekretärin vorab zur Kontrolle vorgelegt. Falls es sich um ein Schriftstück handle, wo wahrscheinlich ein Rechtsmittel oder ähnliches eingebracht wird, lege der Stb dieses Schriftstück so in den Ordner ein, dass es oben herausschaue. Die Sekretärin übernehme nach der Erstkontrolle durch den Stb dann die Mappe mit dem herausragenden Schriftstück; sie gebe auf das gekennzeichnete Schriftstück noch ein Post It darauf. Die Sekretärin teile dann die Poststücke der Mappe auf die zuständigen Sachbearbeiterinnen auf und weise diese auf die extra gekennzeichneten (herausragenden) und mit Post It nochmals gekennzeichneten Schriftstücke hin.
Dadurch wisse die zuständige Sachbearbeiterin, dass sie mit dem Stb bei der täglichen Besprechung am Morgen Rücksprache halten solle.
Der Stb weise bei der Rücksprache gegebenenfalls darauf hin, dass ein Rechtsmittel einzubringen sei und dass die Sachbearbeiterin die Frist eintragen solle.
Die Sachbearbeiterin trage nach der Rücksprache mit dem Stb die Frist in die bereits beschriebenen Systeme (Outlook, Fristenordner) ein.
Als Kontrolle verwalte nicht nur die zuständige Sachbearbeiterin die Frist, sondern auch noch das Sekretariat. Täglich gebe es in der Früh auch noch eine Besprechung mit der Sekretärin, wo sie dem Stb die Fristen vorlege.
Im Schnitt handle es sich täglich um ca. 20 Poststücke, von denen im Durchschnitt 1 - 2 täglich als Friststücke gekennzeichnet seien.
Die beschriebene Rücksprache sei offenbar im vorliegenden Fall nicht passiert. Andernfalls hätte der Stb bei der Rücksprache darauf hingewiesen, dass innerhalb der vorgesehenen Frist ein Rechtsmittel einzubringen sei und dass die Sachbearbeiterin Fr. B. die entsprechende Frist eintragen solle.
Im vorliegenden Fall habe die bis dahin stets zuverlässige Fr. B. das Schriftstück mit dem Post It darauf von der Sekretärin bekommen, habe aber aG ihrer damaligen Ausnahmesituation vergessen, mit dem Stb diesbezüglich Rücksprache zu halten, sodass die Frist nicht eingetragen war.
Nach der Übergabe des vorliegenden Falles an die nunmehr zuständige Sachbearbeiterin habe diese bemerkt, dass die Frist nicht eingetragen war; die Frist sei aber zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Ohne diese Kontrolle wäre die Frist überhaupt untergegangen, da sie nirgendwo eingetragen war.
Es handle sich um ca. 100 - 120 Fälle, die von Fr. B. übergeben wurden.
Ein Fall sei immer pro Klient zu verstehen. Die Fälle seien nach Klienten auf die Sachbearbeiterinnen verteilt.
Zu diesem Zeitpunkt habe es 8 Sachbearbeiterinnen gegeben.
Der Stb sei mittlerweile im 13. Berufsjahr und er weise nochmals darauf, dass dies der einzige Fall sei, der diesbezüglich passiert sei.

Die Vertreterin des FA verwies i.w. auf die besondere Ausnahmesituation der Sachbearbeiterin Fr. B. und gerade in so einer Situation sollte eine besondere Kontrolle erfolgen.
Sie verweise darauf, dass hier eine Lücke bestehe zwischen dem Kennzeichnen der Schriftstücke als fristgebunden und dem Eintragen der Frist, welches schlussendlich erst viel später erfolge, nämlich erst nach der Rücksprache mit dem Steuerberater.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Sachverhalt

Der Antrag des steuerlich vertretenen Bf auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 wurde mit Bescheid des FA vom als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung des FA vom als unbegründet abgewiesen.

Dagegen richtete sich der Antrag vom , die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorzulegen.

Der Antrag wurde mit ) als nicht fristgerecht eingebracht zurückgewiesen.

Der Fall war in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters der Bf der Sachbearbeiterin A. B. zugeteilt.
Diese ist seit in der Kanzlei beschäftigt. Sie absolvierte vor Eintritt in die Kanzlei die HAK und legte während ihrer Tätigkeit die staatlichen Prüfungen zur Buchhalterin und Bilanzbuchhalterin erfolgreich ab.
Die bis dahin stets zuverlässige Sachbearbeiterin war bis tätig und trat ab die Wochenhilfe anlässlich der bevorstehenden Geburt ihres Kindes an.

In der Kanzlei des Stb ist der kanzleimäßige Ablauf der Fristenverwaltung bei Einlangen der Poststücke folgendermaßen geregelt:

Wenn ein Schriftstück einlangt, überprüft die Sekretärin die Post und gibt dieses Schriftstück in einen entsprechenden Ordner. Es kommt dann ein Stempel darauf, dass das Schriftstück eingelangt ist. Es kommt dann auch gleich das Kurzzeichen der zuständigen Sachbearbeiterin darauf, in vorliegendem Fall AB für A. B.. Die Sekretärin teilt die Schriftstücke den zuständigen Sachbearbeiterinnen (damals 8) nach der bereits bestehenden Klientenliste zu.

Der Stb bekommt von der Sekretärin den gesamten Ordner mit dem Posteingang vorab zur Kontrolle vorgelegt. Falls es sich um ein Schriftstück handelt, wo wahrscheinlich ein Rechtsmittel oder ähnliches eingebracht wird, legt der Stb dieses Schriftstück so in den Ordner ein, dass es oben herausschaut.
Die Sekretärin übernimmt nach der Erstkontrolle durch den Stb dann die Mappe mit dem herausragenden Schriftstück; sie gibt auf das gekennzeichnete Schriftstück noch ein Post It darauf. Die Sekretärin teilt dann die Poststücke auf die zuständigen Sachbearbeiterinnen auf und weist diese auf die herausragenden und mit Post It nochmals gekennzeichneten Schriftstücke hin.
Dadurch weiß die zuständige Sachbearbeiterin, dass sie mit dem Stb bei der täglichen Besprechung am Morgen Rücksprache halten solle.
Der Stb weist bei der Rücksprache gegebenenfalls darauf hin, dass ein Rechtsmittel einzubringen ist und dass die Sachbearbeiterin die Frist eintragen soll.
Die Sachbearbeiterin trägt nach der Rücksprache mit dem Stb die Frist elektronisch in Outlook und in einen körperlichen Fristenordner ein.
Als Kontrolle verwaltet nicht nur die zuständige Sachbearbeiterin die Frist, sondern auch noch das Sekretariat. Täglich gibt es in der Früh auch noch eine Besprechung mit der Sekretärin, wo sie dem Stb die Fristen vorlegt.
Im Schnitt handelt es sich täglich um ca. 20 Poststücke, von denen im Durchschnitt 1 - 2 täglich als Friststücke gekennzeichnet sind.

Im vorliegenden Fall hat Fr. B. das herausragende Schriftstück mit dem Post It darauf von der Sekretärin bekommen, hat aber auf Grund ihrer damaligen Ausnahmesituation (bevorstehende Geburt ihres Kindes) vergessen, mit dem Stb diesbezüglich Rücksprache zu halten, sodass die Frist zur Einbringung eines Vorlageantrags nicht in die für die Terminüberwachung vorhandenen Systeme (Fristenverwaltung in Outlook und physische Fristverwaltung in einem Büroordner) eingetragen war.

Es handelt sich in 13 Berufsjahren des Stb um den einzigen diesbezüglichen Fall einer Fristversäumnis.

Vor ihrem Antritt der Wochenhilfe am übergab Fr. B. vorliegenden Fall an die nunmehr zuständige Sachbearbeiterin Fr. D.. Diese bemerkte, dass die Frist nicht eingetragen war; die Frist zur Einbringung eines Vorlageantrags () war aber zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen; der Vorlageantrag wurde am verspätet eingebracht.
Insgesamt wurden von Fr. B. ca. 100 - 120 Fälle übergeben, wobei ein Fall immer pro Klient zu verstehen ist.
Es gab anlässlich der Übergabe der Fälle durch Fr. B. keine besonderen Maßnahmen bzw. Anweisungen zur Fristenkontrolle durch die (nunmehr) neu zuständigen Sachbearbeiterinnen.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt beruht in Bezug auf den Verfahrensablauf auf vorliegenden, aktenkundigen Bescheiden.

Die Ausführungen zu den Abläufen in der Kanzlei des Stb im allgemeinen und speziell im vorliegenden Fall beruhen auf dem glaubhaften Vorbringen des Stb in den Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vor dem BFG. Auch die Ausführungen zur Zuverlässigkeit der Sachbearbeiterin Fr. B. sind glaubwürdig. Die Daten des Mutterschutzes und Karenzurlaub wurden durch Vorlage entsprechender Dokumente nachgewiesen, ebenso wie die Eintragung der Fristen und die auf den Poststücken angebrachten Vermerke (Eingangsstempel, Kürzel der zuständigen Sachbearbeiterin).
Dass die neu zuständige Sachbearbeiterin Fr. D. bemerkte, dass die Frist nicht eingetragen war, ist durch den zeitlichen Ablauf nachvollziehbar.
Dass auszuschließen ist, dass der Stb die Frist bei der Erstkontrolle übersehen hat, ist glaubhaft, da es sich um den in 13 Jahren einzigen derartigen Fall in der Kanzlei handelt.

Dass es anlässlich der Übergabe der Fälle durch Fr. B. keine besonderen Maßnahmen bzw. Anweisungen zur Fristenkontrolle durch die (nunmehr) neu zuständigen Sachbearbeiterinnen gab, ist durch das Vorbringen des Stb vor dem BFG, nunmehr werde bei der Übergabe von Fällen aG Karenz verstärkt darauf geschaut, dass nichts passiert, denklogisch. Außerdem ist davon auszugehen, dass bei einer derartigen Anweisung Fr. D. schon während der noch laufenden Frist entdeckt hätte, dass ggstdl Frist nicht eingetragen war, denn sie hätte vom - noch ausreichend Zeit gehabt, die Fälle dahingehend zu prüfen. Es wurde auch nicht vorgebracht, dass entsprechende Anweisungen gegeben worden wären.

Rechtliche Beurteilung

Unstrittig ist, dass der Vorlageantrag vom verspätet eingebracht und die Frist versäumt wurde.

§ 308 Abs 1 BAO lautet:

"Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

Nach Ritz, BAO7, § 308, Tz 13f., ist ein minderer Grad des Versehens leichter Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB gleichzusetzen (zB ; ; ). Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (zB ; , B 1948/97;, G 176/96).

Keine leichte Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt (zB ). Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (zB ; ; ; ). An rechtskundige Parteienvertreter ist hierbei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen ( 9 Ob A 199/90, RZ 1991, 200; ;, RZ 1998, 68; vgl auch , 0078, strengerer Maßstab bei Rechtsanwalt als bei rechtsunkundigen Personen).

Ob ein Wiedereinsetzungsgrund vorliegt bzw ob ein grobes Verschulden anzunehmen ist, ist stets nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Wiedereinsetzungswerbers (bzw seines Vertreters) zu beurteilen (vgl Frauenberger, ÖJZ 1992, 116).

Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (vgl zB ; ; ; ).

Hingegen ist ein Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter nicht schädlich (zB ). Maßgebend ist diesfalls, ob den Parteienvertreter ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden trifft. Das Verschulden eines Kanzleibediensteten stellt dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist (zB bis 0060; ; ).

Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind (zB bis 0060; ).

Nach , ist für die richtige Beachtung der Fristen in einer Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters stets der Vertreter verantwortlich. Dieser muss seine Kanzlei so organisieren, dass die fristgerechte Einbringung von Schriftsätzen an Behörden und Gerichte sichergestellt ist. Dabei wird auch durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.

Nach , ist bei der Organisation der Behandlung von Einlaufstücken vorzukehren, dass bei der Bearbeitung der Einlaufstücke die Möglichkeit von deren Verlegung etwa in andere Akten, bevor sie der Sachbearbeiter überhaupt zu Gesicht bekommen hat, nicht besteht. Dass ein Geschäftsstück, das geeignet ist, die Notwendigkeit einer fristgebundenen Maßnahme nach sich zu ziehen, in der Kanzlei des berufsmäßigen Parteienvertreters abgelegt wird, ohne dass der Parteienvertreter selbst es zu Gesicht bekommt und ohne dass es in das Fristenbuch eingetragen wird, ist ein Geschehensablauf, der in einem Kanzleibetrieb mit dem zu fordernden Organisationsstandard schlechterdings nicht eintreten darf.

Im ggstdl Fall hat zwar der Stb das Posteingangsstück zur Vorabkontrolle erhalten und es wurde entsprechend gekennzeichnet, indem es so eingelegt wurde, dass es herausragt und zusätzlich wurde ein Post It angebracht, wonach Rücksprache mit dem Stb zu halten sei.

Das Poststück wurde aber nicht als Friststück vermerkt oder in ein Posteingangsbuch eingetragen, sondern wäre die Eintragung in die für die Terminüberwachung zuständigen Systeme nach der bestehenden Kanzleiorganisation erst nach der Besprechung am folgenden Tag nach Anweisung durch den Stb erfolgt.
Schon darin ist eine Fehlerquelle zu sehen, denn eine solche Kanzleiorganisation bedeutet, dass ein Posteingangsstück ohne sofortige Eintragung weitergeleitet wird und bereits dadurch eine für Missgeschicke anfällige Situation hinsichtlich der Schriftstücke geschaffen wird.
Vorstellbar ist zB, dass das Schriftstück in der Postmappe verrutscht und nicht mehr herausragt oder dass das Post It verlorengeht oder das Schriftstück aus der Mappe herausfällt.

Die Organisation des Kanzleibetriebes war daher nicht so eingerichtet, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen durch ein wirksames Kontrollsystem sichergestellt ist, da eine nicht unbeträchtliche zeitliche Lücke zwischen dem Eingang des Schriftstücks und der Eintragung in das Fristenbuch bzw. in Outlook bestand, auf Grund derer das System bereits fehleranfällig war, sodass die fristgerechte Einbringung von Schriftsätzen nicht mehr zuverlässig sichergestellt war.
Daran kann auch das glaubwürdige Vorbringen des Stb, es handle sich um den einzigen diesbezüglichen Fall in 13 Jahren, nichts ändern; zu beurteilen ist, ob der Kanzleibetrieb entsprechend eingerichtet ist, dass derartige Fehler aller Voraussicht nach ausgeschlossen sind, zumal die Fristenberechnung und Kontrolle zu den haftungsträchtigsten Tätigkeiten eines berufsmäßigen Parteienvertreters gehört ().

Dazu kommt noch, dass bei der beschriebenen Übergabe der Fälle durch Fr. B. anlässlich ihrer unmittelbar bevorstehenden Wochenhilfe und anschließender Karenz ebenfalls kein wirksames Kontrollsystem etabliert war, das einen derartigen Fehler aufzudecken imstande war. Beide Parteien gehen zu Recht davon aus, dass sich Fr. B. in einer besonderen Situation befand, was aber auch eine besondere Kontrolle erfordert hätte. Dass die Sachbearbeiterin stets zuverlässig war, ändert nichts an der bekannten emotionalen Ausnahmesituation, welche naturgemäß zu Fehlern führen kann. Es wäre noch genügend Zeit gewesen, bei einer entsprechenden Anweisung zum gezielten Durchforsten der Fälle in Bezug auf Friststücke die Nichteintragung der Frist in ggstdl. Fall zu entdecken und fristwahrend den Vorlageantrag einzubringen.

Damit kann aber von einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden keine Rede sein, weil die zur Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche Sorgfalt mangels eines wirksamen Kontrollsystems verletzt wurde.

Den Parteienvertreter (Stb) trifft daher ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden, das dem Bf zuzurechnen ist.

Es liegt daher kein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis vor, welches eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung ggstdl Rechtsfrage folgt der umfangreichen, ständigen Judikatur des VwGH, sodass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 308 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1332 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
Verweise
, G 176/96
, B 1948/97


















9 Ob A 199/90
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101314.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at