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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.02.2022, RV/6100078/2022

1. Neue Lohnzettel als Wiederaufnahmsgrund iSd § 303 Abs 1 lit b BAO 2. Gegenstandsloserklärung der Beschwerde gegen den Sachbescheid

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Albert Salzmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom gegen den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom sowie gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 vom und Einkommensteuer 2014 vom , jeweils erlassen vom Finanzamt Salzburg Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich), zu Recht erkannt:

I. Soweit sich die Beschwerden vom gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 richten, wird den Beschwerden gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

Das Bundesfinanzgericht hat beschlossen:

II. Soweit sich die Beschwerden vom gegen den Einkommensteuerbescheid für 2013 richten, werden die Beschwerden gemäß § 261 Abs 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

III. Gegen dieses Erkenntnis und diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheiden vom und hat das Finanzamt (FA) die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 gem § 303 Abs 1 BAO wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen.

Die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 wurden im Aufbau abweichend, inhaltlich jedoch gleichlautend wie folgt begründet:

"Im Rahmen einer steuerlichen Prüfung beim Bundesministerium für Landesverteidigung wurde festgestellt, dass bei pensionierten Bundesheerbediensteten die Vorteile aus dem Dienstverhältnis (Dienstwohnung) nicht in der richtigen Höhe angesetzt wurden. Der nunmehr vorliegende Lohnzettel vom Bundesministerium für Landesverteidigung stellt neue Tatsachen und Beweismittel dar.

Wir haben das Verfahren nach § 303 Abs. 1 Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
- Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt.
- Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder
Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt.

Die nähere Begründung finden Sie im neuen Einkommensteuerbescheid."

In den jeweiligen Sachbescheiden wird hierzu ausgeführt:

"Stellt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer (dies gilt auch für Pensionisten) Wohnraum kostenlos oder verbilligt zur Verfügung, ist als monatlicher Quadratmeterwert der Richtwert laut Sachbezugswerteverordnung anzusetzen, wobei Kostenbeiträge des Arbeitnehmers diesen Sachbezug vermindern.

Dieser Wert stellt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar und erhöhte daher Ihre zu versteuernden Einkünfte."

Mit zwei Schriftsätzen vom hat die beschwerdeführende Partei (bP) ua gegen den Einkommensteuerbescheid für 2013 und die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 Beschwerde erhoben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das FA ua die Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 als unbegründet abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom hat die bP die Entscheidung über diese Beschwerden durch das BFG beantragt (Vorlageantrag).

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das FA die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid für 2003 als unbegründet abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom hat die bP die Entscheidung über diese Beschwerde durch das BFG beantragt (Vorlageantrag).

Mit Vorlagebericht vom hat das FA die og Beschwerden dem BFG elektronisch zur Entscheidung vorgelegt und beantragt die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 aufzuheben, weil in den angefochtenen Bescheiden keine konkreten, neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel angeführt wurden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Das FA hat im Anschluss an ein durch ein anderes Finanzamt durchgeführtes Außenprüfungs-verfahren beim ehemaligen Dienstgeber der bP und unter Verwendung einer standardisierten Begründung des Bundesweiten Fachbereiches Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteurer 2013 und 2014 erlassen.

Als Wiederaufnahmsgrund wurden dabei die "nunmehr vorliegenden Lohnzettel vom Bundesministerium für Landesverteidigung" angeführt, welche "neue Tatsachen und Beweismittel" darstellen.

Dem bescheiderlassenden FA waren zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 weder der über die Außenprüfung erstellte GPLA-Bericht, noch konkrete Tatsachen oder Beweismittel, welche im Zuge der Außenprüfung allenfalls gegenüber dem prüfenden Finanzamt neu hervorgekommen sind, bekannt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten und dem Ermittlungsergebnis des Gerichtes und ist zwischen den Verfahrensparteien unstrittig.

Die Formulierung der Begründungen ist unmissverständliche. Jeweils wird der "nunmehr vorliegende Lohnzettel" als neue Tatsache und Beweismittel angeführt. Der jeweilige Verweis auf die Einkommensteuerbescheide geht ins Leere, weil diesen keine anderen neuen Tatsachen und Beweismittel, zu entnehmen sind, sondern ausschließlich eine rechtliche Würdigung.

Darüber hinaus ist aufgrund des Wissensstandes des FA zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keine andere Interpretation denkmöglich:
- Vom FA wurden auf Grundlage einer standardisierten Begründung des Bundesweiten Fachbereiches und ohne konkretes Wissen über neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 wiederaufgenommen. Der Inhalt und Verfahrensstand des Außenprüfungsverfahrens beim ehemaligen Dienstgeber der bP war dem FA zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der genannten Verfahren nicht bekannt.
- Der den Wiederaufnahmebescheiden offenkundig zugrundeliegende GPLA-Bericht stand dem FA zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren nicht zur Verfügung.
- Auch hatte das FA zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis vom Verfahrensstand und Inhalt des Außenprüfungsverfahrens beim ehemaligen Dienstgebers.

Demzufolge konnten die im Zuge der Außenprüfung eventuell neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel, welche allenfalls im GPLA-Bericht angeführten sein könnten, dem FA zum Bescheiderlassungszeitpunkt nicht bekannt sein.

Das FA kann im Bescheid über die Wiederaufnahme eines Verfahrens nur jene Tatsachen und Beweismittel anführen, die bis zur Bescheiderlassung gegenüber dem FA hervorgekommen sind. Da außer den nunmehr vorliegenden, berichtigten Lohnzetteln dem FA keine anderen "neuen" Tatsachen und Beweismittel bekannt waren, war die Benennung dieser Lohnzettel als Wiederaufnahmsgründe schlüssig und konsequent.

3. Rechtliche Beurteilung

§ 261 Abs 2 BAO lautet:
"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."

§ 303 Abs 1 lit b BAO lautet:
"Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) …., oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) ….,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

§ 307 BAO lautet:
"(1) Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 97/2002)

(3) Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat."

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Erkenntnis - Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Solche Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ).

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB ; ,2011/15/0106).

Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (zB ; , 90/14/0044; , 91/14/0165; , 93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittel-behörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 307 Rz 3).

Gemäß § 279 Abs 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2010/16/0032; , 2012/15/0161). Daher darf ein Erkenntnis beispielsweise nicht den vom FA herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen ersetzen (zB ; , 97/13/0199; , 2003/15/0141; , 2012/15/0172; , 2012/15/0030) (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 279 Rz 10f).

Für die Auslegung von Bescheiden sind die für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (§§6 und 7 ABGB) analog heranzuziehen (). Ausgangspunkt ist somit immer eine Wortinterpretation, allenfalls ergänzt durch die systematische, die teleologische oder die historische Auslegung ().

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies nach dem klaren Wortlaut der Begründung der Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014, dass ein "nunmehr vorliegender Lohnzettel" als Wiederaufnahmsgrund herangezogen wurde. Auch in der Beschwerdevorentscheidung vom stützt das FA die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 darauf, dass die nunmehr vorliegenden (berichtigten) Lohnzettel vom ehemaligen Dienstgeber neue Tatsache und Beweismittel darstellten und damit die Voraussetzungen gem § 303 Abs 1 lit b BAO für eine Wiederaufnahme der genannten Verfahren vorlägen.

Diese Lohnzettel wurden jedoch erst 2019 erstellt. Es handelt sich nicht um neu hervorgekommene Beweismittel, sondern um später entstandene Beweismittel. Die diesen neuen Lohnzettel zugrundeliegenden und allenfalls im Prüfungsverfahren des anderen Finanzamtes neu hervorgekommenen Tatsachen konnten vom FA in den Bescheiden über die Wiederauf-nahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 nicht angeführt werden, weil diese Tatsachen dem FA zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht bekannt waren.

Die og "neuen" Lohnzettel waren die einzigen dem FA bekannten neuen Tatsachen, die im Sinne der oben zitierten Entscheidungen jedoch keinen tauglichen Wiederaufnahmsgründe gem § 303 Abs 1 lit b BAO darstellen.

Da die Entscheidung des BFG über die Beschwerden gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2013 und 2014 wie oben dargestellt durch die "Sache" (den vom FA angeführten Wiederaufnahmsgrund) begrenzt ist, war den Beschwerden bereits aus diesem Grund stattzugeben. Auf die sonstigen Vorbringen der bP (Verweis auf ein zum selben Sachverhalt angängiges Beschwerdeverfahren beim Dienstgeber) war daher nicht weiter einzugehen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Beschluss - Gegenstandloserklärung)

Gem § 261 Abs 2 BAO ist eine gegen die Sachentscheidung gerichtete Beschwerde als gegenstandslos zu erklären, wenn der Beschwerde gegen einen mit der Sachentscheidung verbundenen und die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid entsprochen wird. Dementsprechend war die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2013 als gegenstandslos zu erklären.

Wird, wie in der gegenständlichen Beschwerdesache, der Wiederaufnahmebescheid aufgehoben, so tritt gem § 307 Abs 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnhame befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (Ritz/Koran, BAO-Kommentar, 7. Auflage, § 307 Rz 8).

Demzufolge scheiden sowohl der Einkommensteuerbescheid für 2013 vom als auch der Einkommensteuerbescheid für 2014 vom aus dem Rechtsbestand aus und leben der Einkommensteuerbescheid für 2013 vom und der Einkommensteuerbescheid für 2014 vom wieder auf.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Alle im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch die oben zitierte Rechtsprechung des VwGH geklärt und wird in diesem Erkenntnis nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen. Eine ordentliche Revision an den VwGH war daher nicht zuzulassen.

Salzburg, am

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