Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.04.2022, RV/2101381/2019

Keine Vorsteuererstattung aus Roaminggebühren für Drittlandsunternehmer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch KPMG Alpen-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Porzellangasse 51, 1090 Wien,

über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom , betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Vorsteuererstattung 2009, 2010 und 2011 sowie die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Vorsteuererstattung 2009, 2010, 2011, 2012 und 2013, die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom , betreffend Vorsteuererstattung 2014 und die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom , betreffend Vorsteuererstattung 2015 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

  • Die Bescheide vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Vorsteuererstattung 2009, 2010 und 2011 werden - ersatzlos - aufgehoben.

  • Die Beschwerden betreffend Vorsteuererstattung 2012, 2013, 2014 und 2015 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

  • Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

beschlossen:

  • Die Bescheide vom betreffend Vorsteuererstattung 2009, 2010 und 2011 werden als gegenstandslos erklärt.

  • Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Bisheriger Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, die ***Bf1***. ist ein Mobilfunkunternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Für die Streitjahre 2009 - 2011 reichet die Bf. Vorsteuer-Erstattungsanträge ein und das Finanzamt erstattete die in den Rechnungen österreichischer Mobilfunkunternehmer für Roaminggebühren ausgewiesenen Beträge an Umsatzsteuer.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom nahm das Finanzamt die Verfahren zur Vorsteuererstattung 2009, 2010 und 2011 wieder auf und setzte in den verbundenen Sachbescheiden zur Vorsteuererstattung 2009, 2010 und 2011 die Vorsteuer mit Null fest, weil die Bf. Umsätze im Inland ausführe.

Begründend verwies das Finanzamt auf das Ergebnis einer abgabenbehördlichen Prüfung.
Dem Außenprüfungsbericht vom ist dazu im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich der Leistungsort der Telekomleistungen der Bf. an ihre Kunden durch die VO BGBl II 383/2003 nach Österreich verlagere und daher das Erstattungsverfahren nicht anzuwenden sei.

Mit den Bescheiden vom (Vorsteuererstattung 2012 und 2013), vom (Vorsteuererstattung 2014) und vom (Vorsteuererstattung 2015) wies das Finanzamt die Erstattungsanträge auch für die Folgejahre ab, indem es den Erstattungsbetrag mit Null festsetzte.

In den Beschwerden vom brachte die Bf. zur Wiederaufnahme vor, dass dem Finanzamt der Sachverhalt aufgrund der eingereichten Unterlagen vollständig bekannt gewesen sei, weshalb keine Gründe für eine Wiederaufnahme vorlägen.

Zur Leistungsortsverlagerung gem. VO 383/2003 führte die Bf. in den Beschwerden vom , vom und vom im Wesentlichen aus, dass die VO 308/2003 nicht anwendbar und unionsrechtswidrig sei.

Das Finanzamt wies die Beschwerden betr. Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass dem Finanzamt "der Tatsachenkomplex" erst im Zuge der Prüfung bekannt geworden sei.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt auch die Beschwerden gegen die Sachbescheide unter Verweis auf die Rechtslage ab. Eine Telekommunikationsdienstleistung werde dann in Österreich genutzt, wenn hier telefoniert oder das österreichische Telefonnetz genützt wird.

Mit Schreiben vom beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerden betreffend Vorsteuererstattung 2009 - 2015 an das Bundesfinanzgericht und wiederholte ihr Vorbringen zur mangelnden Anwendbarkeit der Verordnung 383/2003.

Am beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerden betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens an das Bundesfinanzgericht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Sachverhalt stellt sich wie im Verfahrensgang ausgeführt dar und wird von den Parteien nicht bestritten.

Rechtliche Beurteilung

Wiederaufnahme

§ 303 (1) BAO: Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Werden sowohl der Wiederaufnahmebescheid als auch der im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Sachbescheid mit Beschwerde bekämpft, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden (vgl. zB ).

Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen.

Tatsachen in diesem Sinne sind Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine Tatsachen.

Die Tatsachen müssen auch neu hervorkommen, das heißt es muss sich um solche Tatsachen handeln, die bereits vor Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens bestanden haben, aber erst nach rechtskräftigem Abschluss dieses Verfahrens der Behörde bekannt geworden sind ().

Nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer haben die Vorsteuererstattung laut § 3a der Erstattungsverordnung BGBl 279/1995 in der jeweiligen Fassung mittels amtlich vorgeschriebenen Vordruckes beim ***FA*** zu beantragen. Dem Erstattungsantrag sind die Rechnungen und die Belege über die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer im Original beizufügen. Dem Akt ist nicht zu entnehmen, dass die Bf. dies nicht getan hätte.

Im Zuge der Außenprüfung hat das Finanzamt festgestellt, dass Kunden der Bf. in Österreich telefonierten und die Bf. so gem. VO 383/2003 Umsätze in Österreich erzielte.
Der "Tatsachenkomplex" der zur Wiederaufnahme geführt hat, lässt sich auf den Umstand reduzieren, dass Kunden der Bf. aus dem Drittland in Österreich ihr Mobiltelefon nutzten.

Dieser Umstand musste dem Finanzamt jedoch aufgrund der im Original eingereichten Rechnungen bekannt gewesen sein: Aus den eingereichten Rechnungen österreichischer Telekom-Anbieter ergibt sich nämlich, dass die Bf. als Telekom-Unternehmen aus dem Drittland Roamingdienstleistungen in Österreich in Anspruch genommen hat. Damit musste dem Finanzamt auch bekannt gewesen sein, dass Kunden des Telekomunternehmens aus dem Drittland in Österreich telefoniert haben, da ansonsten keine Roamingdienstleistungen in Anspruch genommen werden müssen.

Zusammengefasst ist das Finanzamt im Zuge der Außenprüfung nur zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf die rechtliche Beurteilung des bekannten Umstandes gekommen, dass die Bf. für Telefonate ihrer Kunden in Österreich Roamingdienstleistungen österreichischer Telekom-Anbieter in Anspruch genommen hat.

Mangels neuer Tatsachen liegen die in § 303 Abs 1 BAO normierten Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme nicht vor. Die Bescheide waren daher wie im Spruch ersichtlich aufzuheben.

Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 300 Abs. 3) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären. Die Beschwerden gegen die Erstattungsbescheide 2009 - 2011 waren daher als gegenstandslos zu erklären.

Abweisung der Erstattungsanträge 2012 - 2015

Gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuer abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln.

Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 erging die Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 222/2009, "mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird", wenn der Unternehmer (von gegenständlich nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) keine Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 ausgeführt hat.

Nach § 3a Abs. 13 lit. a iVm Abs. 14 Z 12 UStG 1994 idF BGBl. I Nr. 52/2009 werden Telekommunikationsdienste im Drittland ausgeführt, wenn der Empfänger ein Nichtunternehmer ist und er keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat.

Nach § 3a Abs. 16 UStG 1994 in der kann der Bundesminister für Finanzen, um Doppelbesteuerungen, Nichtbesteuerungen oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, durch Verordnung festlegen, dass sich bei sonstigen Leistungen, deren Leistungsort sich u.a. nach Abs. 13 lit. a UStG 1994 bestimmt, der Ort der sonstigen Leistungen danach richtet, wo die sonstige Leistung genutzt oder ausgewertet wird. Der Ort der sonstigen Leistung kann danach statt im Drittlandsgebiet als im Inland gelegen behandelt werden.

§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:

"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird."

Die Bf. macht diesbezüglich geltend, dass die Verordnung auf den Beschwerdefall aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar sei.

Der VwGH hat am , Ro 2016/15/0035 erkannt: "Während Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom ) die allgemeine, fakultative Möglichkeit der Besteuerung mittels Leistungsortverlagerung durch die Mitgliedstaaten vorsieht, schreibt Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (mit Wirkung vom bis ) eine zwingende Leistungsortverschiebung für jene Fälle vor, in denen ein drittländischer Unternehmer Telekommunikationsleistungen an in der Gemeinschaft ansässige Nichtsteuerpflichtige erbringt. Für alle Fälle, die nicht durch Art. 59b MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG erfasst sind, besteht ein Wahlrecht nach Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG (vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg), Umsatzsteuergesetz 138. Lieferung (Juli 2017) Art. 43-59b MwStSystRL Rz. 134 ff). Von diesem Wahlrecht hat der österreichische Verordnungsgeber mit der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 Gebrauch gemacht. Die genannte Verordnung findet daher in Art. 59a MwStSystRL idF Art. 2 der RL 2008/8/EG ihre unionsrechtliche Deckung (vgl. Ecker in Melhardt/Tumpel, UStG2, § 3a Rz 274 f; Miladinovic, ecolex 2017/39, 75). Werden die Telekommunikationsdienste eines Drittlandunternehmens von einem nicht in der EU ansässigen Nichtunternehmer im Inland genutzt, verlagert sich der Ort der Leistung nach der Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 in das Inland (vgl. auch Ruppe/Achatz, UStG4, § 3a Tz 190 (Fall 3); Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur MwSt, 46. Lfg (Dezember 2015), § 3a Abs 15 u 16 Tz 697)."

Auch der , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass die Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF 221/2009 dem Unionsrecht entspricht. Im Tenor heißt es dazu:

"Art. 59a Abs. 1 Buchst, b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom mit Wirkung vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen"

Damit ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in das Inland verlagern. Daher ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen, weil die Bf. Umsätze im Inland erzielte.

Das Finanzamt hat die entsprechenden Erstattungsanträge zu Recht abgewiesen (durch Festsetzung des Erstattungsbetrages mit Null). Die Beschwerde war diesbezüglich abzuweisen.

Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall liegt eine eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung vor (), der auch gefolgt wurde. Daher ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung gegeben, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern, BGBl. Nr. 279/1995
§ 1 Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2101381.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at