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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.04.2022, RV/6100310/2021

Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/6100310/2021-RS1
Ein Abweichen der Abgabenbehörde von der Erklärung stellt kein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO dar.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***Stb***, ***AdrStb***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages gemäß § 295a BAO auf Änderung der Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 jeweils vom zu Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Nach einer betreffend die Jahre 2006 und 2007 durchgeführten Betriebsprüfung sowie nach einer den Zeitraum betreffend Jänner 2008 bis September 2009 durchgeführten Nachschau, wurden die Erträge einer maltesischen Gesellschaft (an der der Beschwerdeführer beteiligt war) direkt dem Beschwerdeführer zugerechnet.

Die Abgabenbehörde folgte den Ergebnissen der Außenprüfung und setzte die Einkommensteuerbescheide 2006, 2007 und 2009 entsprechend fest (direkte Zurechnung).

Gegen die Einkommensteuerbescheide 2006, 2007 und 2009 wurde Beschwerde erhoben und in weiterer Folge dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

Noch vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens wurden die in Streit befindlichen Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 erklärungsgemäß am erlassen. Die Ausschüttungen der maltesischen Gesellschaft wurden als solche (Dividenden KZ 754) besteuert. Die Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.

Der Einkommensteuerbescheid 2008 wurde entsprechend den Ergebnissen der Nachschau (entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers) am veranlagt (direkte Zurechnung).

In einem (laut steuerlichem Vertreter) mit dem Beschwerdeführer in untrennbarem Zusammenhang stehenden Beschwerdeverfahren betreffend ***1*** wurde mit Erkenntnissen vom (RV/6100101/2013 und RV/6100628/2014) der Durchgriff und die Zurechnung der Einkünfte an diesen bestätigt.

Am stellte die steuerliche Vertretung vorsorglich einen Antrag gemäß § 295a BAO betreffend die Einkommensteuer 2010 und 2011 und führte begründend aus:

"Das für ***1*** zuständige BFG Außenstelle Salzburg hat nunmehr mit den Berufungsentscheidungen jeweils vom GZ RV/6100101/2013 und RV/6100628/2014 den Durchgriff bestätigt und die Einkünfte der ***2*** direkt Herrn ***1*** zugerechnet.
Da die Verfahren
***1/Bf1*** sachverhaltsmäßig untrennbar miteinander verbunden bzw. verstrickt sind, ist auch im BFG Verfahren bei unserem Mandanten ***Bf1*** mit einer Entscheidung zu rechnen, mit welcher der Durchgriff bestätigt wird.
Bei unserem Mandanten wurden aber in den Jahren 2010 und 2011 Dividenden aus der
***2*** besteuert.
Diese Dividendenbesteuerung ist im Lichte der oben angeführten BFG Entscheidungen vom nicht zulässig.
Die BFG Entscheidungen vom betreffend
***1*** stellen daher für unseren Mandanten rückwirkende Ereignisse dar."

Mit Erkenntnis vom bestätigte das Bundesfinanzgericht die direkte Zurechnung an den Beschwerdeführer betreffend Einkommensteuer 2006, 2007 und 2009.

Die Abgabenbehörde wies den Antrag betreffend § 295a BAO mit Bescheiden vom ab.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom Beschwerde ein und ersuchte um Direktvorlage an das Bundesfinanzgericht und ergänzte sein Vorbringen betreffend das rückwirkende Ereignis.

Am hob das Bundesfinanzgericht den Einkommensteuerbescheid 2008 wegen eingetretener Verjährung ersatzlos auf.

Die Abgabenbehörde legte den Akt am dem Bundesfinanzgericht zur weiteren Bearbeitung vor.

Am fand die beantragte mündliche Verhandlung statt. In der Verhandlung wurde ergänzend vorgebracht, dass es sich bei Darstellung des rückwirkenden Ereignisses in der Beschwerde um eine Konkretisierung des Antrages vom Dezember 2020 handle. Dies wurde von der belangten Behörde außer Streit gestellt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Festgestellter Sachverhalt

Die Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 wurden am erklärungsgemäß erlassen. Die Ausschüttungen der maltesischen Gesellschaft wurden als Erträge aus Dividenden (KZ 754) besteuert.

Die Einkommensteuerklärung 2008 wurde am veranlagt, wobei die Einkünfte aus der maltesischen Firma entgegen der Erklärung dem Beschwerdeführer direkt zugerechnet wurden.

Der Beschwerdeführer stellte mit Schreiben vom einen Antrag gemäß § 295a BAO betreffend die Einkommensteuer 2010 und 2011. Als rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO wurden zunächst die BFG-Entscheidungen vom betreffend ***1*** angeführt.

Mit Erkenntnis vom wurde die Ansicht der Betriebsprüfung insoweit bestätigt, dass die Erträge der Gesellschaft betreffend Einkommensteuer 2006, 2007 und 2009 direkt dem Beschwerdeführer als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet wurden.

In der Bescheidbeschwerde vom wurde ergänzend zum Antrag gemäß § 295a BAO vom als Begründung die Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom und die dadurch im Wege des Durchgriffs erfolgte Unterwerfung der im Jahr 2008 erwirtschafteten Beträge unter die Einkommensteuer als sachverhaltsänderndes Element angeführt.

Mit Erkenntnis vom hob das Bundesfinanzgericht den Einkommensteuerbescheid 2008 ersatzlos auf.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ist insoweit unstrittig und ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, zu denen auch die Bescheide und die Bescheidbeschwerde gehört.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Mit Antrag vom ersuchte der Beschwerdeführer um Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 2010 und 2011 aufgrund des Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 295a BAO.

Gemäß § 295a BAO kann ein Bescheid auf Antrag der Partei oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat.

Die Abgabenbehörde veranlagte die Einkommensteuer 2010 und 2011 erklärungsgemäß. Die in den Erklärungen ausgewiesenen Ausschüttungen wurden als eben solche behandelt.

Entgegen der bisherigen Ansicht des Beschwerdeführers wurden die Ausschüttungen im Zuge des Beschwerdeverfahrens betreffend die Jahre 2006, 2007 und 2009 nach durchgeführter Außenprüfung dem Beschwerdeführer direkt zugerechnet und als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gewertet. Das Bundesfinanzgericht folgte dieser Rechtsansicht.

Betreffend die Einkommensteuer 2008 hob das Bundesfinanzgericht den Einkommensteuerbescheid 2008 mit Erkenntnis vom ersatzlos aufgrund bereits eingetretener Verjährung auf.

Ist einmal ein Abgabenanspruch gemäß § 4 Abs. 1 BAO entstanden, so kann er nachträglich nicht mehr abgeändert werden. Die Behörde hat also aufgrund des entstandenen Abgabenanspruches einen Bescheid zu erlassen.

Im Hinblick auf die für das Jahr 2008 eingetretene Verjährung ist dem in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argument des Beschwerdeführers insoweit zuzustimmen, dass die Verjährungsbestimmungen keine Normen des materiellen Rechts, sondern solche des Verfahrensrechts sind. Die Verjährung führt nicht zum Erlöschen des Abgabenanspruches, sondern lediglich zum Verlust des Rechtes, dessen Anspruch geltend zu machen. Der Eintritt der Verjährung bewirkt nicht das materiellrechtliche Erlöschen des Abgabenanspruches ().

Grundsätzlich verändern nach Entstehung des Abgabenanspruchs eingetretene Ereignisse nicht den Bestand und Umfang des Abgabenanspruches. Tritt ein Ereignis, das abgabenrechtliche Wirkung entfaltet, vor Bescheiderlassung ein, so ist dieses im Bescheid zu berücksichtigen. § 295a BAO ist hingegen dann anwendbar, wenn ein solches Ereignis nachträglich (nach Erlassung des Bescheids) eintritt (Ritz/Koran, BAO7, § 295a Tz 3ff).

Es war daher zu prüfen, ob hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Jahre 2010 und 2011 ein entsprechendes Ereignis iSd § 295a BAO vorliegt und ob dieses (Ereignis) abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder den Umfang des Abgabenanspruches hat.

Nach dem Gesetzeswortlaut ist § 295a BAO dann anzuwenden, wenn abgabenrelevante Umstände rückwirkend erfasst werden müssen, weil sie den Sachverhalt, der einem Bescheid zugrunde gelegt wurde, ändern. Im Gegensatz zu den anderen Rechtsschutzinstrumenten der BAO, bei denen die ursprünglichen Bescheide an einem wichtigen Mangel leiden, kann mit § 295a BAO ein ursprünglich richtiger Bescheid abgeändert werden. Dieser ursprüngliche Bescheid erging aufgrund eines richtig festgestellten Sachverhaltes, der durch ein Ereignis, das auf den Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld zurückwirkt, geändert wird. Der zunächst rechtmäßige Bescheid wird durch den Eintritt des Ereignisses im Sinne des § 295a BAO rechtswidrig (Reiter, § 295a BAO - Ereignisse mit Wirkung für die Vergangenheit, Orac 2006, Seite 20 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , 2006/15/0085 festgehalten, dass Ereignisse im Sinne des § 295a BAO sachverhaltsändernde tatsächliche oder rechtliche Vorgänge sind, von denen sich - aus den die steuerlich relevanten Tatbestände regelnden Abgabenvorschriften - eine abgabenrechtliche Wirkung für bereits entstandene Abgabenansprüche ergeben (vgl. ); gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Entscheidungen sind in der Regel keine Ereignisse im vorgenannten Sinn, es sei denn, dass eine Entscheidung Tatbestandselement ist, die die Abänderung oder Aufhebung einer solchen Entscheidung zum Gegenstand hat oder gegebenenfalls ein (anderes) Tatbestandselement ändert.

Im gegenständlichen Fall erklärte der Beschwerdeführer die Ausschüttungen als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens wurde die Einkommensteuer 2010 und 2011 erklärungsgemäß veranlagt.

Mit Antrag vom wurde zunächst die BFG Entscheidungen vom betreffend ***1*** im Hinblick auf die direkte Zurechnung der erwirtschafteten Beträge als rückwirkendes Ereignis angeführt.

Die Entscheidungen des betreffend ***1*** stellen kein rückwirkendes Ereignis für den Beschwerdeführer dar, da es sich hier lediglich um eine rechtliche Beurteilung eines festgestellten Sachverhaltes einer anderen Person handelt. Eine Wirkung auf den Bestand oder Umfang des Abgabenanspruches des Beschwerdeführers aufgrund dieser Entscheidung ist nicht gegeben, handelt es sich doch um unterschiedliche Steuersubjekte.

In der Beschwerde wurde ergänzend zum Antrag vom ausgeführt, dass mit dem Einkommensteuerbescheid 2008 vom im Wege des Durchgriffs alle im Jahr 2008 erwirtschafteten Beträge laut Prüfungsbericht (entgegen der Ansicht in der Erklärung) der Einkommensteuer unterworfen worden seien. Diese Beträge wären bereits mit den Einkommensteuerbescheiden vom für die Jahre 2010 und 2011 mittels Dividendenbesteuerung ebenfalls der Einkommensteuer unterworfen worden. Aus der Zeitachse sei ersichtlich, dass die Dividendenbesteuerung 2010 und 2011 im Jahr 2013 erfolgt sei und erst im Jahr 2018 der in den Bescheiden 2013 erfasste Sachverhalt verändert wurde. Aus diesem Grund läge ein rückwirkendes Ereignis vor.

§ 295a BAO erfasst abgabenrelevante Sachverhalte, die nach Entstehung der Steuerschuld eintreten, jedoch Bestand und Umfang der Abgabenschuld an der Wurzel ihrer Entstehung berühren. Der abgabenrelevante Sachverhalt muss sich in die Vergangenheit in der Weise auswirken, dass anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhaltes nunmehr ein veränderter Sachverhalt der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Dabei müssen materielle Abgabenvorschriften normieren, dass einem Ereignis rückwirkend Bedeutung zukommt ( unter Verweis auf ).

Das Abweichen der belangten Behörde von Erklärungen oder die neue oder andere Beurteilung zB der Betriebsprüfung kann aber niemals ein rückwirkendes Ereignis darstellen, da dies lediglich eine (rechtliche/steuerliche) Beurteilung eines bereits vorliegenden Sachverhaltes darstellt. Der Sachverhalt selbst wird jedoch nicht verändert.

Mit Abgabe der Erklärung wird ein vorliegender bereits verwirklichter Sachverhalt abgebildet. Mit Veranlagung wird dieser (bereits vorliegende Sachverhalt) unter die gesetzlichen Vorschriften subsumiert und somit von der Behörde rechtlich beurteilt. Wird von der Erklärung abgewichen, wird lediglich eine andere Beurteilung vorgenommen, jedoch nicht der zugrundeliegende Sachverhalt verändert. Nichts Anderes kann gelten, wenn die Betriebsprüfung einen Sachverhalt (anders als der/die Pflichtige) beurteilt, wäre doch sonst jegliche andere Beurteilung der Behörde (zB auch die Zuordnung von Einkünften in eine andere Periode) oder auch die Abgabe einer berichtigten Erklärung ein rückwirkendes Ereignis.

Im vorliegenden Fall wurde lediglich eine andere rechtliche Beurteilung vorgenommen. Es trat somit kein Ereignis im Sinne des § 295a BAO ein, welches den Sachverhalt im Jahr 2010 oder 2011 in irgendeiner Weise geändert hätte.

§ 295a BAO ist eine Ermessensentscheidung. Tritt ein Ereignis ein, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat, kann ein Bescheid insoweit abgeändert werden. Voraussetzung für die Ermessensentscheidung ist somit das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses.

Diesbezüglich musste (auch seitens der belangten Behörde) auf das Ermessen nicht mehr eingegangen werden, da kein rückwirkendes Ereignis vorgelegen hat.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt, nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100310.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at