Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 04.03.2022, RV/7101937/2018

Ansuchen um Nachsicht wegen Verletzung von Treu und Glauben hinsichtlich der bescheidmäßigen Festsetzung der ursprünglich selbst berechneten Gebühr für Bestandverträge.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Maga. Ilse Rauhofer, die Richterin***Ri*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***1*** und ***2*** in den Beschwerdesachen ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***3***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom , ***4***, ***5***, ***11*** und ***12*** betreffend Abweisung von Anträgen um Nachsicht (§ 236 BAO) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***6*** zu Recht erkannt:

  • Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt und Verfahrensgang

Sache in vorliegenden Verfahren ist jeweils die Abweisung des Ansuchens um Nachsicht (§ 236 BAO) hinsichtlich des - gegenüber der Selbstberechnung bescheidmäßig festgesetzten - Mehrbetrages (§ 201 BAO).

Gegenständlichen Beschwerdesachen liegen in der Hauptsache Gebührenfestsetzungen hinsichtlich folgender Mietverträge zu Grunde:

  • RV/7101936/2018, Erf.Nr. ***11***

Mietvertrag vom , zwischen der ***8*** (Vermieterin) und ***Bf1*** (Mieterin), betreffend die Liegenschaften ***13***. Mit Bescheid gem. § 201 BAO vom wurden EUR 221.946,37 festgesetzt.

Nach Ansicht der Antragstellerin beträgt die richtige Höhe der Rechtsgeschäftsgebühr EUR 36.991,06 (auf Basis des 3-fachen Jahresentgeltes von EUR 3.699.106,20). Von dieser Rechtsgeschäftsgebühr wurde ein Betrag von EUR 36.388,54 nach Selbstberechnung eingezahlt. Der Differenzbetrag von EUR 602,52 sollte noch an die zuständige Behörde entrichtet werden. Folglich ist der Differenzbetrag zwischen EUR 221,946,37 und EUR 36.991,06, sohin EUR 184.955,31 jener Betrag, welcher der Nachsicht unterliegen soll und wurde mit Antrag vom um Nachsicht ersucht, welche mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid vom als unbegründet abgewiesen wurde. Das Verfahren in der Gebührensache ist unter RV/7102457/2018 anhängig.

  • RV/7101937/2018, Erf.Nr. ***15***

Mietvertrag vom , zwischen der ***8*** (Vermieterin) und ***Bf1*** (Mieterin), betreffend die Liegenschaft ***7***. Mit Bescheid gem. § 201 BAO vom wurden EUR 298.997,47 festgesetzt. Nach Ansicht der Antragstellerin beträgt die richtige Höhe der Rechtsgeschäftsgebühr EUR 52.845,57 (auf Basis des 3-fachen Jahresentgeltes zzgl Baukostenzuschuss, insgesamt EUR 5.284.557,15). Von dieser Rechtsgeschäftsgebühr wurde ein Betrag von EUR 52.181,50 nach Selbstberechnung eingezahlt. Der Differenzbetrag von EUR 664,07 sollte noch an die zuständige Behörde entrichtet werden. Folglich ist der Differenzbetrag zwischen EUR 298.997,47 und EUR 52.845,57, sohin EUR 246.151,90 jener Betrag, welcher der Nachsicht unterliegen soll und wurde mit Antrag vom um Nachsicht ersucht, welche mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid vom als unbegründet abgewiesen wurde. Das Verfahren in der Gebührensache wurde unter RV/7102456/2018 abgehandelt und die Beschwerde mit Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde ist zur Zahl E 2616/2021 beim Verfassungsgerichtshof anhängig.

  • RV/7101938/2018, Erf.Nr. ***12***

Mietvertrag vom , zwischen der ***8*** (Vermieterin) und ***Bf1*** (Mieterin), betreffend die Liegenschaften ***14***. Mit Bescheid gem. § 201 BAO vom wurden EUR 1.000.349,58 festgesetzt. Nach Ansicht der Antragstellerin beträgt die richtige Höhe der Rechtsgeschäftsgebühr EUR 166.724,93 (auf Basis des 3-fachen Jahresentgeltes von EUR 16.672.493,01). Von dieser Rechtsgeschäftsgebühr wurde ein Betrag von EUR 164.689,20 nach Selbstberechnung eingezahlt. Der Differenzbetrag von EUR 2.035,73 sollte noch an die zuständige Behörde entrichtet werden. Folglich ist der Differenzbetrag zwischen EUR 1.000.349,58 und EUR 166.724,93, sohin EUR 833.624,65 jener Betrag, welcher der Nachsicht unterliegen soll und wurde mit Antrag vom um Nachsicht ersucht, welche mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid vom als unbegründet abgewiesen wurde. Das Verfahren in der Gebührensache ist unter RV/7102458/2018 anhängig.

Gegen die abweisenden Bescheide vom betreffend die Nachsichtsansuchen wurden jeweils mit Schriftsätzen vom Beschwerden eingebracht, welche jeweils mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet abgewiesen wurden. Mit Schriftsätzen vom wurden Vorlageanträge eingebracht und Anträge auf mündliche Verhandlung und Abhaltung eines Senates gestellt. Am erging seitens des BFG zu RV/7101937/2018 ein Vorhalt mit der Darstellung der Sach- und Rechtslage an die Vertretung der Bf, welche nach Fristerstreckung am beantwortet wurde. Die Stellungnahme wurde dem Finanzamt am zur Kenntnis gebracht. Das Finanzamt hat zum Vorhalt der beabsichtigten Entscheidung vom bekanntgegeben, keine Stellungnahme mehr abzugeben.

In der Hauptsache kam das BFG zu RV/7102456/2018 zu folgendem Ergebnis:

"Aufgrund des vereinbarten Kündigungsverzichts der Vertragsparteien und der Eingeschränktheit der Kündigungsmöglichkeit bzw. der Unwahrscheinlichkeit der Ausübung des einzig in der Disposition der Vermieterin verbleibenden Kündigungsgrundes sowie aufgrund des Umstands, dass der Mieterin vertraglich ein bloßes Recht zur Untervermietung eingeräumt wurde, das nicht zu einer Ungewissheit hinsichtlich der Dauer des Bestandverhältnisses führt, liegt gegenständlich dem Vertragsinhalt nach ein auf 15 Jahre befristeter Mietvertrag vor.

Ein derartiger Vertrag ist gebührenrechtlich zunächst als Vertrag mit bestimmter Vertragsdauer zu qualifizieren und gilt danach als Vertrag mit unbestimmter Vertragsdauer. Nach Rechtsprechung des VwGH sind derartige Verträge einer nach der bestimmten und der unbestimmten Vertragsdauer berechneten Bemessungsgrundlage zu unterwerfen (vgl 95/16/0281). Die korrekte Berechnung der Bestandgebühr unter der Prämisse eines befristeten Mietvertrages ist unbestritten."

Auch lagen nach der Beurteilung durch das Bundesfinanzgericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor.

Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.

In den hier strittigen Nachsichtssachen bringt die steuerliche Vertretung der Bf. vor, dass sowohl die persönlichen als auch sachlichen Gründe für die Gewährung der Nachsichten vorliegen würden.

In den Anträgen wird ausgeführt, sollte die Behörde an ihrer Entscheidung zur Neufestsetzung der Abgabe festhalten, wäre dies jeweils ein Vielfaches des ursprünglichen Betrages und würde selbst eine solide Wirtschaft eines Unternehmens vor eine bedeutende finanzielle Herausforderung stellen. Nachdem es - wie dargetan - keiner Existenzgefährdung bedürfe um den Grund der Unbilligkeit anzunehmen, sei allein schon aufgrund des hier vorliegenden Differenzbetrages jedenfalls eine persönliche Unbilligkeit gegeben.

Hinsichtlich der sachlichen Unbilligkeit führt die Bf. aus, die Behörde stütze sich bei der Neufestsetzung der Gebühren auf die in den Erlässen zu den Gebührenrichtlinien enthaltenen Vorgaben. Hierbei verkenne die Behörde aber, dass die Beschwerdeführerin exakt nach diesen Vorgaben die Gebühren berechnet habe. Es könne nicht angehen, dass die Behörde die Vorgaben in diesen Erlässen je nach Einzelfall anders anwende, sodass kein Vertrauen darauf begründet werden könne, wie die Gebühr nun tatsächlich richtig zu berechnen wäre. Selbst wenn - wie im hier konkreten Fall - die Beschwerdeführerin exakt die Vorgaben in den Erlässen zu den Gebührenrichtlinien einhalte, könne die Behörde dennoch zu einem anderen Ergebnis kommen. Dieses andere Ergebnis hätte allerdings zur Folge, dass die Gebühren um ein Vielfaches höher ausfallen würden und demnach die Beschwerdeführerin unbillig hart treffen würde. Dieses Verhalten sei jedoch aufgrund der dezidierten Vorgaben in den Erlässen zu den Gebührenrichtlinien vom Gesetzgeber nicht gewünscht. Aufgrund der Tatsache, dass die Gebühren ja von den Rechtsanwendern selbst berechnet werden müssten, müssten diese Erlässe für jedermann und jeden vergleichbaren Sachverhalt gleich gelten. Ein Ermessensspielraum der Behörde bestehe hier nicht. Gänzlich unrichtig sei, wenn die Behörde meine, hierbei würde es sich um eine unrichtige Beratungstätigkeit handeln.

Die Behörde habe es insbesondere verabsäumt, auf die Richtlinien zum Grundsatz von Treu und Glauben (AÖF 2006/126), welche § 3 Z 1 und 2 der Verordnung zu § 236 BAO (BGBl 435/2005) auslegen, einzugehen. Zweifelsohne handle es sich bei den Gebührenrichtlinien um eine im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung veröffentlichte Rechtsauslegung - siehe dazu AÖF 2007/121. Die Antragstellerin habe ausdrücklich in ihrem Antrag darauf hingewiesen, dass sie auf die Gebührenrichtlinien vertraue (Seite 3) und deshalb die Rechtsgeschäftsgebühr auf Basis des dreifachen Jahreswertes berechnete, sehen doch die Gebührenrichtlinien in Rz 705 dazu vor:

"Im Falle einer uneingeschränkten Kündigungsmöglichkeit liegt grundsätzlich ein Vertrag auf unbestimmte Dauer vor. Ebenso liegt bei Vereinbarung aller denkmöglichen Kündigungsgründe des § 30 Abs. 2 MRG ein Vertrag von unbestimmter Dauer vor ( 90/15/0034)."

Die belangte Behörde hätte - wenn sie von einer nicht hinreichenden Darlegung der Umstände ausging - den entscheidungsrelevanten Sachverhalt selbst ermitteln müssen. Der Bescheid sei daher auch mit einem Verfahrensmangel behaftet.

In den Beschwerdevorentscheidungen vom führt das Finanzamt aus wie folgt:

"Gemäß § 236 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Den Antragsteller trifft eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Er hat somit "einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann". Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Nachsichtswerber.

Die Abgabenbehörde hat im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. Die Unbilligkeit kann eine sachliche oder persönliche sein.

Zur persönlichen Unbilligkeit wird in der Beschwerde ausgeführt, dass die Festsetzung der Abgabe ein Vielfaches des ursprünglichen Betrages ist. Sollte die Abgabenbehörde an ihrer Entscheidung zur Neufestsetzung der Abgabe festhalten würde dies selbst eine solide Wirtschaft eines Unternehmens vor eine bedeutende finanzielle Herausforderung stellen. Die persönliche Unbilligkeit läge insbesondere bereits vor, wenn die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, z.B/wenn die Abgabenschuld nur unter Verschleuderung von Vermögenswerten entrichtet werden könnte.

Die Beschwerde enthält keine näheren Ausführungen bezüglich der wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin oder der zweiten Gesamtschuldnerin, die das Vorliegen von persönlicher Unbilligkeit unter diesen Umständen untermauern würde. Zur Begründung des Vorliegens einer sachlichen Unbilligkeit stützt sich die Abgabenschuldnerin darauf, dass die Unbilligkeit der Einhebung von Abgaben, durch Geltendmachung des Abgabenanspruches im Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen, die vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok ausgeführt wurde, gegeben ist.

Die Antragstellerin habe deshalb die Rechtsgeschäftsgebühren auf Basis des dreifachen Jahreswertes berechnet.

Da das Legalitätsprinzip grundsätzlich stärker ist als jeder andere Grundsatz, auch der von Treu und Glauben, kann somit eine zu geringe Selbstberechnung allein, auf Grund einer von der Antragstellerin oder einem Berater vorgenommenen Auslegung der Gebührenrichtlinien durch die Abgabenschuldnerin keine sachliche Unbilligkeit begründen.

Aus den Gebührenrichtlinien kann nicht abgeleitet werden, dass schon allein die formelhafte Anführung des § 30 Abs. 2 MRG einen Vertrag jedenfalls zu einem solchen auf unbestimmte Zeit machen würde, wird doch unmittelbar damit im Zusammenhang auf die weiteren, maßgebliche Kriterien verwiesen. So heißt es ausdrücklich (neben den weiteren Rz. 698 bis 709):

705
Im Falle einer uneingeschränkten Kündigungsmöglichkeit liegt grundsätzlich ein Vertrag auf unbestimmte Dauer vor. Ebenso liegt bei Vereinbarung aller denkmöglichen Kündigungsgründe des
§ 30 Abs. 2 MRG ein Vertrag von unbestimmter Dauer vor ( 90/15/0034). Nähere Ausführungen siehe Rz 710.
706
Ob eine Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf einige im Vertrag ausdrücklich bezeichnete Fälle vorliegt, ist eine Frage, die nach Gewicht und der Wahrscheinlichkeit einer Realisierung der vertraglich vereinbarten Kündigungsgründe von Fall zu Fall verschieden beantwortet werden muss (
99/16/0017).

und in Rz 710 f wird ausgeführt:

710
Bestandverträge sind dann auf unbestimmte Dauer abgeschlossen, wenn die Vereinbarung auf unbestimmte Zeit lautet oder eine Vereinbarung über die Dauer fehlt und auch sonst im Vertrag kein Anhaltspunkt enthalten ist, auf welche Dauer sich die Vertragsparteien binden wollten.
711
Eine unbestimmte Vertragsdauer liegt vor, wenn auch nur ein Vertragspartner in der Lage ist, den Vertrag jederzeit aufzulösen, wobei einzelne, bestimmt bezeichnete Kündigungsgründe (zB jene nach
§§ 1117 und 1118 ABGB) unberücksichtigt bleiben.

Genau nach diesen Kriterien, die in den GebR aufgeführt sind und die die Rechtsprechung widerspiegeln, ist aber auch die Festsetzung der Gebühren, zu denen die Nachsicht beantragt wurde, erfolgt.

Im Detail wird dazu auf die ausführliche Begründung der Bescheide selbst und der dazu ergangenen Beschwerdevorentscheidungen, die die maßgebliche Rechtsprechung wiedergeben, verwiesen. Anzumerken ist, dass soweit dort auf den Zurückweisungsbeschluss des ZI. Ra 2017/16/0111 (vergleichbar auch vom zu ZI, 2017/16/0112) verwiesen wird, Gegenstand eine von der Abgabepflichtigen erhobene Revision war, keine Amtsrevision.

Die Nachsicht kann daher schon aus diesem Grund nicht als sachlich unbillig begründet beurteilt werden, da die Festsetzung nicht abweichend von einer veröffentlichten Rechtsansicht erfolgte. Dass die Abgabepflichtige oder ein Berater eine andere, verkürzende und daher unzutreffende Auslegung vorgenommen hat, vermag keine sachliche Unbilligkeit in der richtigen Festsetzung bzw. der Differenz zu begründen.

Die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Rechtsgeschäftsgebühren und deren Höhe ist im Übrigen im Rechtsmittelverfahren gegen den Abgabenbescheid zu klären. Im Nachsichtverfahren ist über das Vorliegen der Unbilligkeit der Abgabeneinhebung abzusprechen.

In diesem Fall ist jedoch nur eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage festzustellen, ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis ist nicht zu erkennen.

Ihrer Beschwerde war daher der Erfolg zu versagen."

Dagegen hat die steuerliche Vertretung am Vorlageanträge eingebracht.

Mit Vorhalt vom hat das BFG der Bf. die Sach- und Rechtslage nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens zur Kenntnis und Stellungnahme übermittelt (RV/7101937/2018).

Am hat die Bf. durch ihre steuerliche Vertretung eine Stellungnahme abgegeben.

Die Bf. führt aus, die im Vorhalt zitierten VwGH-Entscheidungen zur sachlichen Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO stammten aus der Zeit vor der Kundmachung der VO zu § 236 BAO, BGBl. II 2005/435 und seien daher aus ihrer Sicht nicht unbedingt maßgeblich. Nachdem die Gebührenrichtlinien 2007 im Amtsblatt veröffentlicht worden und auch auf der Homepage des BMF abrufbar seien, sei aus ihrer Sicht im gegenständlichen Fall vor allem entscheidend, ob sich ein Rechtsunterworfener zu Recht auf die Aussage der Rz 705 GebR 2007 zur Bedeutung der Kündigungsmöglichkeiten des § 30 Abs. 2 MRG verlassen konnte.

Auf Seite 4, im vorletzten Absatz des Vorhaltes werde die Aussage des Finanzamtes, wonach dem Legalitätsprinzip gegenüber dem Grundsatz von Treu und Glaube Vorrang zu geben sei, angeführt. Dem sei entgegenzuhalten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben aus der BAO, die selbst ein Bundesgesetz sei, abgeleitet und daher selbst Ausfluss des Legalitätsprinzips sei.

Darüber hinaus setze das Legalitätsprinzip eine hinreichende Bestimmtheit des Steuertatbestand es voraus. Was die Bestimmtheit des Steuertatbestandes im gegenständlichen Fall betreffe, habe der VwGH selbst schon im Jahr 1976 zugestanden, dass es in vielen Fällen nicht mehr möglich sei, die Bemessungsgrundlage für die Bestandvertragsgebühr "ohne Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung aus dem Gesetz allein" zu ermitteln. Aufgrund ihrer völlig vom Wortlaut des Gesetzes abweichenden Interpretation habe die Rechtsprechung des VwGH de facto die Funktion des Gesetzes übernommen. Die ab der Entscheidung eines verstärkten Senats im Jahr 1964 sukzessive entwickelte "Formel" des VwGH sei rund ein halbes Jahrhundert nahezu unverändert bestehen geblieben. Fast wortident wie im nachfolgenden Zitat aus der Entscheidung Ra 2017/16/0111 vom finde sich die "Formel" auch schon in der Entscheidung 88/15/0040 vom ("Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht das Unterscheidungsmerkmal zwischen auf bestimmte Zeit und auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Bestandverträgen darin, ob nach dem erklärten Vertragswillen beide Vertragsteile durch eine bestimmte Zeit an den Vertrag gebunden sein sollen oder nicht, wobei allerdings die Möglichkeit, den Vertrag aus einzelnen bestimmt bezeichneten Gründen schon vorzeitig einseitig aufzulösen, der Beurteilung des Vertrages als eines auf bestimmte Zeit abgeschlossenen, nach dem letzten Satz des § 33 TP 5 Abs. 3 GebG nicht im Wege steht….)

Über Jahrzehnte hinweg sei unstrittig gewesen, dass unabhängig davon, ob der Bestandnehmer einen Kündigungsverzicht abgab oder nicht, die Einräumung aller Kündigungsgründe des § 19 Abs. 2 MietG (bzw später des § 30 Abs. 2 MRG) an den Bestandgeber dazu führte, dass gebührenrechtlich ein Vertrag auf bestimmte Dauer vorlag. Dementsprechend seien die verfahrensgegenständlichen Bestandverträge auch vergebührt worden.

Nach Auffassung der FinVw könne aus den Gebührenrichtlinien nicht abgeleitet werden, dass schon allein die formelhafte Anführung des § 30 Abs. 2 MRG einen Mietvertrag zu einem solchen auf unbestimmte Zeit machen würde und zitiert in weiterer Folge die Randziffern 705, 706, 710 und 711 aus den GebR 2007.

Nach Ansicht der Bf. müsse die "formelhafte" Anführung der Kündigungsgründe des § 30 MRG schon aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen hinreichend dafür sein, dass gebührenrechtlich ein Vertrag auf unbestimmte Dauer vorliege, weil dem Bestandgeber bei einem dem MRG unterliegenden Bestandvertrag schon von Gesetzes wegen nicht mehr Kündigungsmöglichkeiten zustünden als die gemäß § 30 MRG und bei Nichtgültigkeit der diesbezüglichen Aussagen in der Rz 705 GebR 2007 dieser Bestandgeber daher im Vergleich zu einem nicht dem MRG unterliegenden Bestandgeber in verfassungswidriger Weise diskriminiert wäre.

Es sei richtig, dass der VfGH die Behandlung einer Beschwerde abgelehnt habe. Allerdings sei es in dieser Beschwerde lediglich um die vom Gesetz vorgesehene Differenzierung zwischen Verträgen auf bestimmte und unbestimmte Dauer gegangen, die der VfGH als zulässig ansehe. Im gegenständlichen Fall gehe es aber nicht darum, ob es zulässig sei, dass der Gesetzgeber Verträge auf bestimmte Dauer anders besteuern wolle als Verträge auf unbestimmte Dauer. Es gehe vielmehr darum, dass die neue Judikatur des VwGH nicht mehr mit dem Gesetzestext im Einklang stehe und daher dem Legalitätsprinzip und dem Bestimmtheitsgebot widerspreche.

Es werde darauf hingewiesen, dass die diesem Verfahren zugrundeliegende Entscheidung RV/7101937/2018 vom (noch) nicht rechtskräftig geworden sei, sondern dass dagegen Beschwerde beim VfGH eingebracht worden sei. Diese Beschwerde sei beiliegend übermittelt worden auf die dort geltend gemachten Beschwerdepunkte werde hingewiesen.

Nach Ansicht der Bf. hätten BFG und VwGH in den letzten 6 Jahren eine neue Rechtsprechung entwickelt, die in sich widersprüchlich, unbestimmt und willkürlich sei. Sie sei daher aus Sicht der Bf. verfassungswidrig und werde beim VfGH bekämpft.

Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat bleibe aufrecht.

Am fand die mündliche Verhandlung statt. Auf Grund der gleich gelagerten Sachveralte wurden die Fälle RV/7101936/2018, RV/7101937/2018 und RV/7101938/2018 gemeinsam verhandelt.

Die Verhandlung hat folgendes Ergebnis gebracht:

Die Berichterstatterin trägt die Sache vor wie in der den Parteien ausgehändigten Beilage ./1 zur Niederschrift. Der Steuerberater führt aus, dass der Sachverhalt korrekt dargestellt sei, ihre Ausführungen zu den Gründen natürlich etwas ausführlicher gewesen seien. Die Vertreterin des Finanzamtes stellt fest, dass es zum Sachverhalt keine Ergänzungen gebe.

Die Parteien führen aus wie in den Schriftsätzen im bisherigen Verfahren.

Der Steuerberater verteilt ein "ergänzendes Vorbringen", welches als Beilage./2 zur Niederschrift genommen wird.

Das "Ergänzende Vorbringen der Beschwerdeführerin" beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem vermeintlichen Wechsel von Verwaltungspraxis und Judikatur hinsichtlich der Unterscheidung von Bestandverträgen mit bestimmter Dauer von solchen mit unbestimmter Dauer.

Die Vertreterin des Finanzamtes verweist auf das bisher schriftlich Vorgebrachte und schließt sich den Ausführungen des BFG im Vorhalt an.

Dem Vertreter der Bf. wird von der Vorsitzenden die im Gebührenverfahren unter RV/7102456/2018 vorgelegte Korrespondenz zwischen der Bf. und der anwaltlichen Vertretung vorgehalten, in der es in der E-Mail vom wörtlich wie folgt heißt:

Zur Höhe der Gebühr: Der Mietvertrag enthält zwar einen beidseitigen Kündigungsverzicht über 15 Jahre und wäre daher auf Basis von 15 Jahren zu vergebühren, wir haben aber auch eine Klausel aufgenommen, wonach der Vermieter berechtigt ist, aufgrund der Kündigungsgründe gem. § 30 MRG den Mietvertrag zu kündigen. Gem. der aktuellen Gebührenrichtlinien kann daher von einer Bemessungsgrundlage von nur 3 Jahren (wie für unbefristete Mietverhältnisse ohne beidseitigen Kündigungsverzicht) ausgegangen werden, konkrete einheitliche Entscheidung der Finanzbehörden sind jedoch nicht vorhanden (es könnte daher, sollte es zu einer Überprüfung des Finanzamtes kommen, ein Finanzamt zu einem abweichenden Ergebnis gelangen).

Zur Mail vom , das von der Vorsitzenden verlesen wird, gibt der steuerl. Vertreter an, dass ihm dieses Mail unbekannt sei, es aber nichts am Sachverhalt ändere.

Die Parteien stellen keine weiteren Fragen und Beweisanträge und das Beweisverfahren wird geschlossen.

Die Vertreterin des Finanzamtes beantragt die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde gegen die Abweisung der Nachsichtsansuchen.

Der steuerliche Vertreter beantragt, dass den Nachsichtsansuchen stattgegeben werde, weil ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliege.

Die Vorsitzende verkündet den Beschluss, dass die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten bleibt.

Beweiserhebung

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die auf elektronischem Wege vorgelegten Aktenteile des Finanzamtes, das Vorhalteverfahren sowie die mündliche Verhandlung.

Rechtslage und Erwägungen

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff der "Unbilligkeit der Einhebung nach Lage des Falles" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr und der Antrag ist schon aus rechtlichen Gründen abzuweisen (vgl. VwGH30.3.2000, 99/16/0099).

Der Verwaltungsgerichtshof fordert in ständiger Rechtsprechung für den Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des/der Steuerpflichtigen (so genannte persönliche Unbilligkeit) oder im Steuergegenstande gelegenen Sachverhaltselementes (so genannte sachliche Unbilligkeit), aus dem sich ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt.

Daher kann eine steuerliche Auswirkung, die ausschließlich die Folge eines als generelle Norm mit umfassendem personellem Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, nicht durch Nachsicht behoben werden (vgl. ua. ). Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die alle vom allgemeinen Anwendungsbereich erfassten Abgabepflichtigen und damit alle konkret Betroffenen in gleicher Weise berühren, können nicht Unbilligkeiten der Einhebung des Einzelfalles sein und damit nicht im Einzelfall zu Nachsichten führen (vgl. VwGH3.10.1990, 90/13/0066).

Die Bf. stützt sich hinsichtlich der sachlichen Unbilligkeit auf die Verletzung von Treu und Glauben auf Grund unrichtiger Auslegung der Gebührenrichtlinien durch die Behörde. Die Antragstellerin habe auf die Gebührenrichtlinien vertraut und deshalb die Rechtsgeschäftsgebühr auf Basis des dreifachen Jahreswertes berechnet, sehen doch die Gebührenrichtlinien in Rz 705 dazu vor:

"Im Falle einer uneingeschränkten Kündigungsmöglichkeit liegt grundsätzlich ein Vertrag auf unbestimmte Dauer vor. Ebenso liegt bei Vereinbarung aller denkmöglichen Kündigungsgründe des § 30 Abs. 2 MRG ein Vertrag von unbestimmter Dauer vor ( 90/15/0034)."

Über Jahrzehnte hinweg sei unstrittig gewesen, dass die Einräumung aller Kündigungsgründe des § 19 Abs. 2 MietG (bzw später § 30 Abs. 2 MRG) an den Bestandgeber dazu führte, dass gebührenrechtlich ein Vertrag auf unbestimmte Dauer vorlag. Dementsprechend seien die Verträge auch vergebührt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach festgehalten, dass die Frage, ob eine Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten auf einzelne im Vertrag ausdrücklich genannte Fälle vorliegt, eine Frage ist, die nach Gewicht und Wahrscheinlichkeit einer Realisierung der vertraglich vereinbarten Kündigungsgründe von Fall zu Fall verschieden beantwortet werden muss (vgl. ua. ; mwN), wobei die vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebene Auslegungslinie eine klare und eindeutige Auslegung ermöglicht. Entsprechend kam das Erkenntnis des BFG RV/7102456/2018 vom zum Ergebnis, dass aufgrund der gegebenen Unwahrscheinlichkeit der frühzeitigen Auflösung des Mietvertrages, entsprechend der im Erkenntnis zitierten VwGH-Rechtsprechung, gebührenrechtlich von einem auf bestimmte Dauer abgeschlossenen Vertragsverhältnis auszugehen ist.

Hinsichtlich des Argumentes, dass durch eine geänderte Rechtsprechung eine rückwirkende Änderung zu Lasten der Steuerpflichtigen eingetreten sei, wird auf die, im Gebührenverfahren unter RV/7102456/2018 vorgelegte Korrespondenz mit der anwaltlichen Vertretung vom verwiesen, womit der beschwerdeführenden Gesellschaft zur Kenntnis gebracht wurde, dass der verfahrensgegenständliche Bestandvertrag von der belangten Behörde als "befristet" angesehen werden könnte und entsprechend zu vergebühren sein werde (s.o.).

Dem Argument, die Bf. habe genau in diesem Vertrauen auf die Gebührenrichtlinien damit gerechnet, dass der gegenständliche Bestandvertrag eine Gebühr in Höhe des 3-fachen Jahreswertes auslösen würde, kann somit nicht gefolgt werden. Eine Verletzung von Treu und Glauben liegt demnach nicht vor.

Abgesehen davon, dass keine Änderung in der Rechtsprechung eingetreten ist (die Gebührenrichtlinien beziehen sich insbesondere auf und ), gilt im Fall einer geänderten, verschärfenden, strengeren, anspruchserhöhend wirkenden Rechtsprechung sodann die Einhebung der Abgabe nicht jedenfalls als unbillig, wie auch im Fall einer neuen anspruchsmindernden Judikatur nicht allein wegen der Änderung der Rechtsprechung als unbillig zu gelten vermag. Dies, weil solche Änderungen Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage sind und nicht Unbilligkeit des Einzelfalles. Dasselbe gilt bei einer Änderung der Verwaltungspraxis, sei es auf Grund einer geänderten Anschauung einzelner Behörden oder der Abgabenverwaltung insgesamt, sei es auf Grund entsprechender Weisungen oder Erlässe. Die - gleichgültig aus welcher Veranlassung - geänderte Verwaltungspraxis betrifft ab dem Zeitpunkt der Änderung alle in Betracht kommenden Abgabepflichtigen, bei denen das neue Gesetzesverständnis zum Tragen kommt, in gleicher Weise und stellt sich solcherart lediglich als Auswirkung der allgemeinen (wenn auch in einem geänderten Licht gesehenen) Rechtslage dar ().

Nach § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005 liegt eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

  • von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;


  • 2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
    a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
    b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Das bedeutet, dass eine Änderung der Rechtsprechung zu Lasten der Abgabepflichtigen bzw. ein Abweichen von einer Richtlinie des BMF nur dann eine sachliche Unbilligkeit begründen kann, wenn die Abgabenpflichtige auf die Rechtsprechung bzw. die Richtlinie vertraut hat und im Vertrauen darauf Maßnahmen gesetzt hat. Wie aus der bereits zitierten E-mail ersichtlich ist, war es der Vertretung der Bf. bewusst und wurde die Bf. auch dezidiert darauf aufmerksam gemacht, dass ein auf 15 Jahre befristet abgeschlossener Mietvertrag grundsätzlich mit dem 15-fachen Jahreswert zu vergebühren ist und auch bei Aufnahme einer Kündigungsklausel nach § 30 MRG das FA bei einer Überprüfung zu diesem Ergebnis kommen könnte. Es ist daher für den Senat nicht erkennbar, welche Maßnahme die Bf. in Vertrauen auf die Rechtsprechung bzw. die Richtlinie gesetzt hat.

Dazu kommt, dass die Gebührenrichtlinie zur Frage der Dauer neben der von der Bf. zitierten Rz 705 noch weitere Aussagen, die sich aus der Judikatur des VwGH ergeben, enthalten. Auch die neuere Rechtsprechung des BFG und des VwGH beziehen sich insbesondere auf die bereits genannten Entscheidungen und . Der VwGH hat in den jüngst ergangenen Zurückweisungsbeschlüssen stets betont, dass das BFG, indem es nicht allein die Vereinbarung aller Kündigungsgründe nach § 30 Abs. 2 MRG heranzog, sondern sein Erkenntnis auf eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der vereinbarten Kündigungsgründe stützte, nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abwich (vgl. ; bis 0112, und ).

Eine sachliche Unbilligkeit liegt daher nicht vor.

Die "persönliche Unbilligkeit" begründet die Bf. mit einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in Bereichen der Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen. Nähere Umstände im Hinblick auf eine persönliche Unbilligkeit hat die Bf. nicht vorgebracht.

Sollte die Behörde an ihrer Entscheidung zur Neufestsetzung der Abgaben festhalten, wäre dies ein Vielfaches der ursprünglichen Beträge und würde die Bf. unbillig hart treffen. Selbst eine solide Wirtschaft eines Unternehmens würde vor eine bedeutende finanzielle Herausforderung gestellt. Nachdem es keiner Existenzgefährdung bedürfe sei allein schon aufgrund der hier vorliegenden Differenzbeträge jedenfalls eine persönliche Unbilligkeit gegeben. Die belangte Behörde hätte - wenn sie von einer nicht hinreichenden Darlegung der Umstände ausging - den entscheidungsrelevanten Sachverhalt selbst ermitteln müssen.

Dazu ist zu sagen, dass den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft (zB , 97/14/0091; , Ra 2018/15/0014). Er hat somit "einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsichtgestützt werden kann" (zB ; , 2010/16/0219; , 2013/16/0114; , Ra 2018/15/0014).

Das Schwergewicht der Behauptungs- und Beweislast liegt beim Nachsichtswerber (zB ; , 95/15/0090; , 2002/15/0155; , 2009/15/0008). Daher hat nach der Rechtsprechung (; , 2006/16/0007; , 2010/15/0077) die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Nachsichtswerber geltend gemachten Gründe zu prüfen. Bei Gesamtschuldverhältnissen müssen die Voraussetzungen für die Nachsicht bei allen Gesamtschuldnern vorliegen (zB ; , 2004/16/0151; , 2006/13/0139; , 2005/15/0032). Auch dazu hat die Bf. keine Angaben gemacht. Sie hat weder ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse dargelegt noch zu der wirtschaftlichen Situation der anderen Gesamtschuldnerin (der ***8*** als Bestandgeberin) irgendein Vorbringen erstattet.

Eine persönliche Unbilligkeit wurde nicht glaubhaft gemacht.

Nur dann, wenn man das Vorliegen der Unbilligkeit der Einhebung bejaht, hat in einer zweiten Stufe eine Ermessensentscheidung zu erfolgen.

Da nach dem oben Gesagten weder eine sachliche, noch eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung vorliegt und somit die Tatbestandvoraussetzungen des § 236 Abs. 1 BAO nicht gegeben sind, war keine Ermessensentscheidung zu treffen.

Die Anträge auf Nachsicht wurden daher vom Finanzamt zu Recht abgewiesen.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

IV. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Es liegt ausreichend einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Unbilligkeit im Nachsichtsverfahren vor, weshalb eine ordentliche Revision nicht zulässig ist. Die Bf. hat außerdem das Wesen der Nachsicht verkannt und sich inhaltlich primär mit der nach ihrer Ansicht verfassungswidrigen Gebührenfestsetzung auseinandergesetzt. Es ist eindeutige und klare Judikaturlinie, dass der Nachsichtswerber die Nachsichtsgründe ausreichend darzutun hat. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist demnach nicht zu lösen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 3 Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101937.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at