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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.03.2022, RV/7102389/2020

Kein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe gem. § 6 Abs. 5 FLAG, wenn die Kostentragung zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe / aus öffentlichen Mitteln erfolgt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Heidemarie Winkler über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Wiener Kinder-und Jugendhilfe 2,20, Dresdner Straße 43, 1200 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Mai 2019, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe - Rechtsvertretung Bezirke 2, 20 - stellte u.a. für die minderjährige Beschwerdeführerin (in Folge kurz BF) ***Bf1***, geboren 2007, am (eingelangt beim Finanzamt 2/20/21/22 am ) den Antrag auf rückwirkendeZuerkennung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 5 FLAG (BGBI.I Nr. 77/2018) ab dem .

Der Antrag wurde damit begründet, dass es nach Auffassung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe für die rückwirkende Antragstellung genüge, dass die Wiener Kinder- und Jugendhilfe mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut sei. Das antragstellenden Kind würde sich seit in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung befinden. Der Stadt Wien würden dadurch Kosten von mindestens EUR 80,00 täglich entstehen. Das antragstellende Kind hätte kein Einkommen.

Für den Fall, dass einem Elternteil bislang die Familienbeihilfe ausbezahlt worden sei und diesem Elternteil die Familienbeihilfe auch nicht rückwirkend aberkannt werde, gelte der vorliegende Antrag nur für künftige Zeiträume ab Antragstellung.

Dem Antrag wurde der Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom , GZ 123, betreffend die Pflegschaft des Kindes beigelegt, dem zufolge deren Eltern geschieden sind und die Obsorge u.a. für das Kind S., den Kindeseltern M. und V., zur Gänze entzogen und im vollen Umfang auf die Wiener Kinder- und Jugendhilfe übertragen wurde.

Der Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom ab Mai 2019 mit der Begründung abgewiesen, dass Kinder laut Familienlastenausgleichsgesetz § 6 Abs 5 1. Satz nur dann einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe hätten, sofern ihr Unterhalt nicht zur Gänze aus der öffentlichen Hand geleistet werde. Da von S. und ihren Eltern kein Beitrag zur Tragung des Unterhaltes geleistet werde, war der Eigenantrag auf Familienbeihilfe abzuweisen.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde (eingelangt am ) wurde vom Vertreter, der Wiener Kinder- und Jugendhilfe vorgebracht, dass entgegen dem Abweisungsbescheid betreffend S. ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe bestehe, da die Einrichtung, in der sie untergebracht sei (WG ***3***, ***Bf1-Adr***) auch spendenfinanziert sei.

Vorgelegt wurde eine Kopie eines Folders des Arbeitskreises ***2***, in dem die Tätigkeiten des Arbeitskreises angeführt werden und weiters dass diese Einrichtung im Auftrag und mit Mitteln der Wiener Kinder- und Jugendhilfe arbeite. In einer beiliegenden Liste wurden die spendenfinanzierten WG´s angeführt, u.a. auch der Arbeitskreis ***2***.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom mit der Begründung ab, dass gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe hätten, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Sie könnten somit für sich selbst Familienbeihilfe beziehen. Ein Eigenanspruch eines Kindes auf Familienbeihilfe bestehe somit dann, wenn:

a) keine Haushaltszugehörigkeit zu den Eltern besteht und keine überwiegende Kostentragung seitens der Eltern stattfinde;
b) die Unterhaltskostentragung nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes dienen, erfolge
c) ein Beitrag zur Tragung der Unterhaltskosten des Kindes vorliege.

Werde der Unterhalt eines Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, bestehe kein Anspruch auf die Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt sei. Unter öffentlichen Mittel seien sämtliche staatliche Unterstützungsleistungen zu verstehen, die dazu dienen, den Lebensunterhalt eines Kindes und seinen Wohnbedarf zu sichern. Dazu würden insbesondere Mittel der bedarfsorientierten Mindestsicherung, Mittel der Grundversorgung, Mittel aufgrund welcher die öffentliche Hand für einen entsprechenden Krankenversicherungsschutz des Kindes im Rahmen der gesetzlichen Pflichtversicherung sorge, aber auch zusätzliche Leistungen, die die Länder im Rahmen des Bezuges der Mindestsicherung zur Deckung der Wohnkosten gewähren (wie beispielsweise Wohnbeihilfe) dienen. Im Umkehrschluss bestehe bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten eines Kindes vorliege, da in diesem Fall die Unterhaltskostentragung nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln erfolge, die der Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfs dienen. Dieser Beitrag könne durch das Kind selbst erfolgen oder durch seine unterhaltspflichtigen Eltern. Der Gesetzgeber nenne keine Mindestbeträge im Hinblick auf die Höhe dieses Beitrages. D.h. auch kleine, geringfügige Beträge würden ausreichen, um von einem regelmäßigen Beitrag zu den Unterhaltskosten auszugehen. Da die Unterhaltskosten eines Kindes laufend anfallen würden, sollten die Beiträge zwar nicht zwingend monatlich, jedoch in zumindest regelmäßig wiederkehrenden Abständen erfolgen. In der Beschwerde werde vorgebracht, dass die Einrichtung (WG ***3***), wo das Kind untergebracht sei, durch Spenden finanziert werde. Spenden an diese Wohngemeinschaft würden aber keinen regelmäßigen Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten darstellen. Der Mindestunterhalt von S. werde somit ausschließlich durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt.

Gegen die BVE wurde am ein Vorlageantrag zur Entscheidung der Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht eingebracht, der damit bregründet wurde, dass die Einrichtung, in welcher die mj. S. untergebracht sei, durch Spenden finanziert werde. Spenden an diese Wohngemeinschaften würden aber keinen regelmäßigen Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten darstellen. Der Mindestunterhalt werde somit ausschließlich durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt. Wie bereits im Antrag auf Bewilligung der Familienbeihilfe als auch in der Beschwerde angeführt worden sei, befinde sich die Minderjährige in einer Wohngemeinschaft des Arbeitskreises ***3***. Diese Einrichtung sei teilweise spendenfinanziert, die keine öffentlichen Mittel darstellen würden und somit geleistetem Unterhalt gleichzustellen seien. Es bestehe somit keine volle Kostentragung durch den Jugendwohlfahrtsträger und begründe den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe.

Die belangte Behörde hat die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorgelegt und führte in der Stellungnahme aus, dass im gegenständlichen Fall die Spenden an die Wohngruppe gingen und der BF diese Geldmittel in keinem Zeitpunkt zurechenbar seien. Nach Ansicht des Finanzamtes würde die Gewährung der Familienbeihilfe im gegenständlichen Fall dem vom Gesetzgeber intendierten Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 FLAG 1967 widersprechen.

Nach zweimaliger Nachfrage des Verfahrensstandes durch die Vertretung der BF richtete das BFG am folgendes Ermittlungsersuchen unter Anschluss der rechtlichen Erwägungen an die belangte Behörde:

"I. Das Finanzamt 2/20/21/22, nunmehr Finanzamt Österreich, wird gemäß § 269 Abs. 2 BAO ersucht zu ermitteln, ob

A) der Unterhalt der Beschwerdeführerin (BF) im Beschwerdezeitraum zur Gänze aus bestimmten Mitteln der öffentlichen Hand, nämlich aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wurde;

B) seitens der BF entgegenstehende, überwiegende Interessen an einer etwaigen Aussetzung des Verfahrens vorliegen.

Hierbei ist insbesondere zu erheben:

1. Die Höhe der Unterhaltskosten der BF im Beschwerdezeitraum (näherer Angabe, wie sich diese zusammensetzen);
2. ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die Einrichtung, in der die BF untergebracht war, nicht durch Mittel der Kinder- und Jugendhilfe oder aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes, sondern mittelbar oder unmittelbar aus Spendenmitteln finanziert werden;
3. ob der Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe, der für die Unterbringung der BF in der Einrichtung niedriger war als der Unterbringungsbeitrag für ein Kind im Alter der BF in einer anderen Einrichtung, die nicht mittelbar oder unmittelbar ganz oder teilweise aus Spendenmitteln finanziert wird, bejahendenfalls in welchem Umfang;
4. Höhe des Tagsatzes, den die Wiener Kinder- und Jugendhilfe aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe für die BF an die Wohngruppe
***3*** leistet. [….]"

Am langte folgende Antwort seitens der Vertretung der BF dazu ein:

"[….] unter Bezugnahme auf das Ersuchen um Beistandspflicht gem. § 15 BAO vom teilen wir mit, dass wir uns auf das bereits vom BFG zu GZ ***RV*** entschiedene Verfahren beziehen dürfen.

Für die mj. S. gelten die selben Voraussetzungen wir für das Geschwisterkind mj. ***1***. S. ist aufgrund eines Gesamtvertrages der MA11 mit der Einrichtung AK-***2*** untergebracht. Aufgrund dieses, jährlich vom Gemeinderat zu bewilligenden Gesamtvertrages, werden mehrere Minderjährige in dieser Einrichtung untergebracht. Es gibt einen fixen Tagsatz pro Kind, der im Jahr 2021 auf € 230,- beträgt (jährliche Anpassung durch Inflation).

Die mj. S. ist somit nicht mittels Einzelvertrag untergebracht und kann somit keine Vorlage einer entsprechenden Vereinbarung mit der Sozialpädagogischen Einrichtung erbracht werden.

Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich die geforderten Unterlagen hinsichtlich der monatlichen Unterhaltskosten (Bekleidung, Essen, etc.) welche Spenden zugeordnet werden können vorzulegen, da durch den genannten Gesamtvertrag die Kosten nicht den einzelnen Minderjährigen zugeordnet werden könne."

Am erging aufgrund der beim Verwaltungsgerichtshof zu Ro 2020/16/0048 anhängigen Rechtssache ein Aussetzungsbeschluss gem. § 271 Abs 1 BAO, da der Ausgang dieses Verfahrens hinsichtlich der Frage, ob auch bei nur teilweise spendenfinanzierten Einrichtungen der Unterhalt nicht ausschließlich durch die öffentliche Hand erbracht wird, von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung in der gegenständlichen Beschwerdesache angesehen wurde. Im Beschluss wurde erneut darauf hingewiesen, dass sämtliche Fragen aus dem Ergänzungsersuchen vom , insbesondere jene, die die Spendenfinanzierung der Einrichtung betrifft, unbeantwortet geblieben sind.

Am , eingelangt am , brachte die Vertretung der BF folgendes Schreiben ein:

"Unter Bezugnahme auf den dg. Beschluss vom wird mitgeteilt, dass die auf der Seite 3 des Beschlusses genannten Fragen leider nicht genau beantwortet werden können.

Zu den Punkten 1, 2 und 4 wird mitgeteilt: Die mj. ***Bf1*** ist aufgrund eines Gesamtvertrages der Stadt Wien MA 11, mit der Einrichtung AK-***2*** untergebracht. Dieser genannte Gesamtbetrag ist jährlich vom Gemeinderat neu zu bewilligen und es werden aufgrund diesem mehrere Minderjährige beim Verein AK-***2*** untergebracht.

Der fixe Tagsatz pro Kind belief sich im Jahr 2021 auf täglich € 230,00. Da die mj. ***Bf1*** nicht mittels Einzelvertrag untergebracht ist, kann eine entsprechende Vereinbarung mit der Sozialpädagogischen Einrichtung, hier AK-***2***, nicht vorgelegt werden. Somit ist es auch nicht möglich genaue Angaben hinsichtlich der Unterhaltskosten zu erstatten, da diese aufgrund des genannten Gesamtvertrages keinem einzelnen Minderjährigen zugeordnet werden können.

Zu Punkt 3 wird mitgeteilt: Die einzelnen mittelbar oder unmittelbar ganz oder teilweise spendenfinanzierten Einrichtungen werden individuell auf die jeweils unterzubringenden Minderjährigen ausgewählt und bringen jeweils individuelle Leistungen. Es kann somit kein Vergleich zwischen den einzelnen Einrichtungen erfolgen da jeweils andere Kriterien erfüllt werden."

Am wies die erkennende Richterin abermals auf die noch offene Frage zur Spendenfinanzierung der Einrichtung hin, woraufhin am mitgeteilt wurde, dass der Arbeitskreis ***2***, die Betreuung der BF - wie auch alle anderen ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen - zur Gänze aus öffentlichen Mitteln finanziere.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die BF, die mj. S., geb. 2007, österreichische Staatsbürgerin, ist seit im Rahmen der vollen Erziehung im Verein AK ***2*** - Verein für Sozialpädagogik und Jugendtherapien, Wohngemeinschaft (WG) ***3***, 22, ***4*** 20, gemeldet und untergebracht.

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, MA 11, ist seit mit der vollen Obsorge der mj. BF betraut. Der Stadt Wien entstehen dadurch Kosten von mindestens € 80,- täglich.

Die WG ***3*** arbeitet im Auftrag und mit Mittel der Wiener Kinder- und Jugendhilfe und wird ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Die mj. BF bezieht kein eigenes Einkommen. Die leiblichen Eltern leisten keinen Unterhalt.

Die Minderjährige (und deren Eltern) leistet keinen Kostenbeitrag zum Aufenthalt in der genannten Einrichtung.

Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben der Wiener Kinder- und Jugendhilfe und des Vereins Arbeitskreis ***2***. Sie werden von der belangten Behörde, die auch im Auftrag des Gerichts entsprechende Ermittlungen gepflogen hat, nicht bestritten.

Die persönlichen Verhältnisse der BF und die Betrauung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, MA 11, mit der vollen Obsorge sind aktenkundig, nachgewiesen und unstrittig.

Dass die BF kein eigenes Einkommen bezieht und weder die leiblichen Eltern Unterhalt noch die BF einen Kostenbeitrag leistet, ist ebenso unstrittig.

Dass der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien Kosten von mindestens € 80,- täglich entstehen, hat diese als Vertreter der BF selbst vorgebracht.

Strittig war im bisherigen Verfahren, ob die Voraussetzung, dass der Unterhalt der BF durch die teilweise Finanzierung der Wohngruppe durch Spenden nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, erfüllt ist und folglich ob der mj. BF dadurch Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge ab Mai 2019 zustehen.

Durch die Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien/ bzw. dem Verein AK ***2*** wurde mit Schreiben vom erstmals bekannt gegeben, dass die Einrichtung AK ***2*** zur Gänze aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.

Gesetzliche Grundlagen

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 idgF normiert:

Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Rechtliche Beurteilung

Nach den Erläuterungen zum Initiativantrag (386/A 26. GP) sollte durch die Novellierung sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (zB Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt. Gleiches gilt, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend, jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2. A. 2020 § 6 Rz 20):

... Für den Fall, dass keinem Elternteil ein Anspruch auf Familienbeihilfe zusteht, besteht durch eine Sonderregelung die subsidiäre Möglichkeit, dass das Kind für sich selbst die Familienbeihilfe beanspruchen kann (Eigenanspruch auf Familienbeihilfe). Ein solcher Eigenanspruch ist nach der derzeitigen Rechtslage ausgeschlossen, wenn sich die Kinder auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht, dass in Konstellationen, bei denen typischer Unterhalt der Kinder (überwiegend) durch die öffentliche Hand gedeckt ist, ein Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen ist, wobei es nicht auf die Form der Unterbringung ankommt. Die in diesem Zusammenhang stehende Thematik, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten trotzdem einen Anspruch vermitteln kann, ist durch eine gesetzliche Präzisierung zu lösen.

Es soll nun sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (z.B. Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt. Gleiches soll gelten, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.

Sofern der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine Bedarfsorientierten Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, ohne dass ein oben angesprochener Beitrag geleistet wird, soll kein Anspruch auf die Familienbeihilfe bestehen, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist...."

Unstrittig ist, dass für die BF im Beschwerdezeitraum von ihren Eltern kein Unterhalt geleistet wurde und dass die BF im Beschwerdezeitraum über keine eigenen finanziellen Mittel verfügt und auch nicht selbst zur Deckung ihres Unterhaltes beigetragen hat.

Im bisherigen Verfahren vor der belangten Behörde war strittig, ob der Unterhalt der BF im Beschwerdezeitraum zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wurde (was in der Beschwerde und im Vorlageantrag von der Vertretung der BF verneint wurde) bzw. (so das Finanzamt) ob eine gänzliche Unterhaltskostentragung durch die öffentliche Hand nur dann nicht vorliegt, wenn ein Betrag zum Unterhalt durch das Kind selbst oder durch seine unterhaltspflichtigen Eltern erfolgt, somit lediglich dann, wenn ein direkter Konnex zum jeweiligen Kind herstellbar ist, nicht jedoch, wenn Spenden an die Wohngruppe bzw. an den Verein für Sozialpädagogik und Jugendtherapien geleistet werden.

Die mj. BF wohnt in einer WG, die ausschließlich durch öffentliche Mittel, gegenständlich von der Stadt Wien (MA 11) und somit - entgegen dem Beschwerdevorbringen - NICHT durch Spenden unterstützt wird.

Aufgrund der im Verfahren neu hervorgekommenen Tatsache, nämlich, dass die Wohngemeinschaft AK ***2*** zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert wird, kann die Frage, ob auch nur bei teilweise spendenfinanzierten Einrichtungen der Unterhalt nicht ausschließlich durch aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe bzw. öffentliche Hand erbracht wird, auf sich beruhen. Ob eine andere rechtliche Beurteilung vorzunehmen ist, wenn die Unterhaltskosten oder ein Teil davon von allfälligen Spendengeldern direkt oder indirekt finanziert werden, kann daher dahingestellt bleiben.

Wird der Unterhalt eines Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder-und Jugendhilfe bzw. der öffentlichen Hand getragen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, besteht kein Anspruch auf die Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand/Kinder- und Jugendhilfe sichergestellt ist (vgl. auch Erkenntnis zum Geschwisterkind ***RV*** sowie ).

In Ansehung vorstehender Ausführungen gelangte somit das BFG zur Überzeugung, dass der Unterhalt der BF im streitgegenständlichen Zeitraum zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe/der öffentlichen Hand gedeckt und ergo dessen dieser in § 6 Abs. 5 erster Satz FLAG 1967 - negativ formulierter Anspruchsvoraussetzung - nicht Rechnung getragen wurde.

Daher erfolgte der für den Zeitraum ab Mai 2019 spruchmäßig auf Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe lautende Bescheid völlig rechtens und war spruchgemäß zu entscheiden.

Zuständigkeitsänderung

Durch den Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde der gegenständliche Fall der unbesetzten Gerichtsabteilung 1064 abgenommen und zum Stichtag der Gerichtsabteilung 1078 neu zugeteilt.

Finanzamt Österreich

§ 323b Abs. 1 bis 3 BAO lautet i. d. F. BGBl. I Nr. 99/2020 (2. FORG)

§ 323b. (1) Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. Das Zollamt Österreich tritt am an die Stelle der am zuständig gewesenen Zollämter.

(2) Die am bei einem Finanzamt oder Zollamt anhängigen Verfahren werden von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.

(3) Eine vor dem von der zuständigen Abgabenbehörde des Bundes genehmigte Erledigung, die erst nach dem wirksam wird, gilt als Erledigung der im Zeitpunkt des Wirksamwerdens für die jeweilige Angelegenheit zuständigen Abgabenbehörde.

Die gegenständliche Entscheidung ergeht daher an das Finanzamt Österreich.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Fall vorwiegend Sachverhaltsfragen (Spendenfinanzierung der Einrichtung) zu beurteilen waren und sich die Lösung der Rechtsfrage bei mangelnder Anspruchsberechtigung unmittelbar aus dem Gesetzestext ergibt, liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.

Wien, am

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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102389.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at