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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 14.03.2022, RV/7500487/2021

Parkometer - Zurückweisung der Beschwerde mangels Aktivlegitimation und Wirksamkeit des Bescheides (Beschwerdeführerin nicht geschäftsfähig)

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht fasst durch seinen Richter Dr. Alexander Hajicek über die von S**** O****, [Adresse], namens der R**** B**** O****, geb: **.**.****, gleichfalls [Adresse], eingebrachte Beschwerde gegen die an R**** B**** O**** gerichtete die Vollstreckungsverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, BA 32, vom , MA67/206700821369/2020, betreffend eine Strafverfügung vom , MA67/206700821369/2020, betreffend eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs 2 Parkometerabgabeverordnung iVm § 4 Abs 1 Parkometergesetz 2006, den Beschluss:

Die Beschwerde wird gemäß § 50 Abs 1 VwGVG in Verbindung mit § 31 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 133 Abs 4 B-VG durch die beim Bundesfinanzgericht belangte Behörde ist gemäß § 25a VwGG nicht zulässig.

Eine Revision durch die beschwerdeführenden Partei wegen Verletzung in Rechten nach Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG ist gemäß § 25a Abs 4 VwGG kraft Gesetzes nicht zulässig.

Begründung

Die Beschwerde richtet sich gegen einen an R**** B**** O**** gerichteten Bescheid vom , mit welchem im Zusammenhang mit einer Strafverfügung vom , MA67/206700821369/2020, der Strafbetrag von EUR 60,00 gemahnt, eine Mahngebühr von EUR 5,00 festgesetzt, ein die Mahngebühr von EUR 5,00 betreffender Rückstandsausweis ausgefertigt und eine den sich daraus ergebenden Gesamtbetrag von EUR 65,00 betreffende Vollstreckungsverfügung erlassen wurden (angefochtener Bescheid).

Gegen diesen Bescheid wendet sich die von S**** O**** (Sohn der R**** B**** O****) per E-Mail vom im Namen von R**** B**** O**** ("bevollmächtigt") eingebrachte Beschwerde, in welcher zusammengefasst ausgeführt wird, seine Mutter sei aus näher genannten Gründen unschuldig. Er erhebe Einspruch gegen das Urteil und die Mahnung.

Vorausgegangen war dem angefochtenen Bescheid (soweit relevant) folgendes Verwaltungsgeschehen:

Mit der genannten Strafverfügung wurde R**** B**** O**** eine näher bezeichnete Übertretung der Parkometerabgabeverordnung im September 2020 zur Last gelegt.

Diese Strafverfügung wurde an R**** B**** O**** gerichtet und am zugestellt.

Am erhob S**** O**** gegen diese Strafverfügung namens seiner Mutter Einspruch.

Aktenkundig ist eine Vollmacht vom , in welcher R**** B**** O**** ihren Sohn S**** O**** bevollmächtigt, sie in allen geschäftlichen Dingen zu vertreten.

Mit Bescheid vom , gerichtet an R**** B**** O**** zu Handen S**** O****, wies der Magistrat der Stadt Wien nach einem Verspätungsvorhalt vom diesen Einspruch als verspätet zurück.

Dieser Zurückweisungsbescheid wurde im Rechtshilfeweg durch den Erhebungs- und Vollstreckungsdienst des Magistrates der Stadt Wien am durch Hinterlegung beim Erhebungs- und Vollstreckungsdienst zugestellt.

Mit Beschluss vom wurde Rechtsanwalt Mag. L**** C**** vom zuständigen Gericht zum einstweiligen Erwachsenenverteter der R**** B**** O**** bestellt. Er hat nach diesem Beschluss ua die Vertretung der R**** B**** O**** vor Behörden, Sozialversicherungsträgern, Gerichten und Privatpersonen zu besorgen.

Bereits mit Beschluss vom war Rechtsanwalt Mag. L**** C**** vom zuständigen Gericht
a) gemäß § 119 AußStrG zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird bestellt sowie
b) gemäß §120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter zur Besorgung folgender dringender Angelegenheiten bestellt worden:
- Verwaltung von Vermögen, Einkommen und Verbindlichkeiten einschließlich Verfügungen über Girokonten
- Vertretung betreffend die Zulassung und Abmeldung von Kraftfahrzeugen
- Vertretung bei Verträgen zur Deckung des Pflege- und Betreuungsbedarfes.

Der gerichtliche Erwachsenenverteter hat dem Magistrat der Stadt Wien mit Schreiben vom im Zusammenhang mit einem anderen Verwaltungsstrafverfahren seine Bestellung zur Kenntnis gebracht. Der Magistrat der Stadt Wien hat dieses Schreiben dem Bundesfinanzgericht übermittelt.

In diesem Schreiben führt der gerichtliche Erwachsenenvertreter aus:

"[...] ich wurde mit dem beiliegenden Beschluss (Bestellungsurkunde) zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für Frau B****R**** O**** [...] bestellt.
Meine urspüngliche Bestellung erfolgte bereits mit Beschluss vom , den ich ebenfalls in der Anlage übermittle.
Die Tochter meiner Kurandin, Frau [...] hat mir die Strafverfügung der MA 67 vom [...] übermittelt, wobei diese offenbar zu Handen
S**** O**** zugestellt wurde. Hiezu ist zunächst mitzuteilen, dass S**** O**** nicht vertretungsbefug ist und insbesondere nicht befugt ist, Zustellungen für seine Mutter entgegenzunehmen. Meine Kurandin ist aufgrund einer Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis nicht auskunftsfähig und kann auf behördliche Zustellungen nicht reagieren. Sie war insbesondere auch nicht in der Lage auf allfällige vorangehende Zustellungen, insbesondere auf [...] zu reagieren. Die Auskunftserteilung war und ist ihr aus gesundheitlichen Gründen unmöglich.
In der Anlage übermittle ich Ihnen das im Erwachsenenschutzverfahren eingeholte Gutachten des SV Dr.
K**** T**** vom , dem sich zwanglos entnehmen lässt, dass meine Kurandin zumindest seit September 2020 nicht mehr geschäftsfähig und wohl auch nicht mehr schuldfähig gewesen ist.
Namens meiner Mandantin beantrage ich daher die Strafverfügung vom [...] ersatzlos aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen."

Angeschlossen ist diesem Schreiben ein Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. K**** T**** vom , aus welchem sich Folgendes ergibt:

"1. Bei Frau B**** O**** findet sich im Langzeitverlauf eine zerebrale Abbausymptomatik von Krankheitswert.
Zum Zeitpunkt der aktuellen Untersuchung [Anm: ] durch den Sachverständigen liegt ein dementielles Syndrom vor.
2. Aufgrund er krankheitswertigen Ausprägung der Symptomatik bedarf Frau
O**** der Beistellung einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung in Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten, Sozialversicherungsträgern, privaten Vertragspartnern, in der Handhabung ihrer finanziellen Angelegenheiten und Verwaltung ihres Vermögens, sowie Angelegenheiten im Zusammenhang mit Pflege und Versorgung betreffend.
3. Eine Teilnahme von Frau
B**** O**** an der Tagsatzung ist deren Wohle abträglich, sie kann sachbezogen nicht mitwirken.
4. Folgt man den vorliegenden Unterlagen und den Aussagen von Frau
O**** im Rahmen der aktuellen Untersuchung durch den SV, so hat Frau O**** keinen Überblick über ihre familiäre Situation, Aussagen über den erwünschten Erwachsenenvertreter sind nicht nachhaltig und nicht von einem echten Willen getragen.
5. Folgt man den vorliegenden Unterlagen und den psychopathologischen Veränderungen so liegt bei Frau
O**** ein fortgeschrittenes demenzielles Zustandsbild vor. Fachbezogen war B**** O**** mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in der Lage, im September 2020 Grundstücksgeschäfte abschließen zu können."

Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 50 Abs 1 VwGVG über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs 1 VwGVG durch Beschluss.

1. Rechtskräftig verhängte Geldstrafen oder sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen sind gemäß § 54b Abs 1 VStG binnen zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft zu bezahlen. Erfolgt binnen dieser Frist keine Zahlung, kann sie unter Setzung einer angemessenen Frist von höchstens zwei Wochen eingemahnt werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Unrechtsfolge zu vollstrecken. Ist mit Grund anzunehmen, dass der Bestrafte zur Zahlung nicht bereit ist oder die Unrechtsfolge uneinbringlich ist, hat keine Mahnung zu erfolgen und ist sofort zu vollstrecken oder nach Abs 2 vorzugehen.

Im Fall einer Mahnung gemäß Abs 1 ist gemäß § 54b Abs 1a VStG ein pauschalierter Kostenbeitrag in der Höhe von fünf Euro zu entrichten. Der Kostenbeitrag fließt der Gebietskörperschaft zu, die den Aufwand der Behörde zu tragen hat.

Als Grundlage für die Einbringung der vollstreckbar gewordenen Mahngebühr ist gemäß § 54b Abs 1b VStG ein Rückstandsausweis auszufertigen, der den Namen und die Anschrift des Bestraften, den pauschalierten Kostenbeitrag und den Vermerk zu enthalten hat, dass der Kostenbeitrag vollstreckbar geworden ist. Der Rückstandsausweis ist Exekutionstitel im Sinne des § 1 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 79/1896.

Bei einer Mahnung handelt es sich um eine bloße Verfahrensanordnung, diese ist daher nicht selbständig bekämpfbar (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 1238/1).

Betreffend die Mahngebühr ("Kostenbeitrag") weist der gesetzliche Wortlaut in Richtung einer gesetzlichen Verpflichtung, für deren Eintritt der Mahnung bloß Tatbestandswirkung zukommt (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 1238/1).

Rückstandsausweise sind keine Bescheide, sondern nach hL und Judikatur ein "Auszug aus den Rechnungsbehelfen", mit dem die Behörde eine - sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden ergebende - "Zahlungsverbindlichkeit" bekanntgibt (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 1307).

Mahnung, Mahngebühr und Rückstandsausweis sind daher nicht rechtsmittelfähig und können daher aus rechtlichen Gründen nicht Gegenstand der Beschwerde sein. Das Gericht wertet daher die Beschwerde als gegen die Vollstreckungsverfügung gerichtet, zumal die Beschwerde innerhalb der Rechtsmittelfrist betreffend die Vollstreckungsverfügung eingebracht wurde.

2. Die Beschwerde lässt nach ihrem Gesamtbild den Schluss zu, dass der nunmehrige Einschreiter S**** O**** im Namen von R**** B**** O**** eingeschritten ist. S**** O**** verwies auf eine bestehende Bevollmächtigung und nahm auf das fehlende Verschulden der R**** B**** O**** Bezug.

Aktenkundig ist eine Vollmacht, aus welcher sich ergibt, dass S**** O**** vom von R**** B**** O**** bevollmächtigt wurde, diese in allen geschäftlichen Dingen zu vertreten.

Zur Wirksamkeit dieser Bevollmächtigung ist auszuführen:

Handlungsfähigkeit ist gemäß § 24 Abs 1 ABGB die Fähigkeit einer Person, sich im jeweiligen rechtlichen Zusammenhang durch eigenes Handeln zu berechtigen und zu verpflichten. Soweit nichts anderes bestimmt ist, setzt sie Entscheidungsfähigkeit voraus; im jeweiligen Zusammenhang können noch weitere Erfordernisse vorgesehen sein.

Entscheidungsfähig ist gemäß § 24 ABGB, wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Dies wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet.

Geschäftsfähigkeit ist gemäß § 865 Abs 1 ABGB die Fähigkeit einer Person, sich durch eigenes Handeln rechtsgeschäftlich zu berechtigen und zu verpflichten. Sie setzt voraus, dass die Person entscheidungsfähig ist und wird bei Volljährigen vermutet.

Rechtsgeschäftliches Handeln von nicht geschäftsfähigen Volljährigen ist gemäß § 865 Abs 3 ABGB zur Gänze unwirksam, es sei denn, sie haben für das betreffende Rechtsgeschäft einen vertretungsbefugten Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreter. In diesem Fall ist das rechtsgeschäftliche Handeln mit Genehmigung des Vertreters und gegebenenfalls auch des Gerichts wirksam.

Geschäftsfähigkeit setzt nach § 865 Abs 1 Satz 2 Entscheidungsfähigkeit voraus. Entscheidungsfähig ist gemäß § 24 Abs 2, wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Sie kann ua wegen eines Mangels an intellektuellen Fähigkeiten oder aufgrund von psychischen Krankheiten fehlen (Fischer-Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 (Stand , rdb.at) § 865 Rz 3).

"Partielle Geschäftsunfähigkeit" liegt vor, wenn eine Person zwar nicht vollkommen geschäftsunfähig ist, aber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit ("geistige Behinderung") die Tragweite bestimmter Geschäfte nicht beurteilen kann. Es muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob das vorgenommene Geschäft von der geistigen Störung tangiert (dh die Freiheit der Willensentschließung aufgehoben) ist. Rechtsgeschäfte in dem von der Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit betroffenen Bereich sind gemäß § 865 Abs 3 ABGB vor Beginn der Erwachsenenvertretung bzw Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht nichtig und nicht schwebend unwirksam, weil der beeinträchtigten Person vor diesem Zeitpunkt keine beschränkte Geschäftsfähigkeit zukommt (Fischer-Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 (Stand , rdb.at) § 865 Rz 5).

Eine volljährige Person, die nicht entscheidungsfähig ist, kann Geschäfte des § 242 Abs 3 ABGB abschließen und gemäß § 865 Abs 2 ABGB ein bloß zu ihrem Vorteil gemachtes Versprechen annehmen. Im Übrigen ist rechtsgeschäftliches Handeln von nicht geschäftsfähigen Volljährigen zur Gänze unwirksam, wenn sie für dieses Geschäft keinen vertretungsbefugten Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreter haben (§ 865 Abs 3). Das Geschäft kann auch nicht nach Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit durch den Handelnden oder durch einen später bestellten Erwachsenenvertreter genehmigt werden, und ist daher nicht bloß schwebend unwirksam (Fischer-Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 (Stand , rdb.at) § 865 Rz 11).

Wie sich aus dem vom gerichtlichen Erwachsenenvertreter vorgelegten Gutachten ergibt, lag bei R**** B**** O**** zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht () ein fortgeschrittenes demenzielles Zustandsbild vor, sie war auch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in der Lage, im September 2020 Grundstücksgeschäfte abschließen zu können. Daraus folgt, dass sie im September 2020 bei Erteilung der Vollmacht nicht mehr handlungs- bzw geschäftsfähig war. Sie war damit jedoch nicht in der Lage, wirksam die genannte Vollmacht zu erteilen.
Auch eine Bevollmächtigung von S**** O**** durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter lag nicht vor.

Daraus ergibt sich, dass S**** O**** nicht zur Einbringung der Beschwerde bevollmächtigt war. Die Beschwerde erweist sich daher bereits aus diesem Grund als unzulässig und ist daher zurückzuweisen.

3. Voraussetzung für das wirksame Ergehen eines Bescheides ist, dass der Bescheidadressat über die erforderliche prozessuale Handlungsfähigkeit verfügt.

Gemäß § 9 AVG ist von der Behörde, insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Rechte und Pflichten zu begründen. Sie kann unbeschränkt (wie zB bei volljährigen Menschen) sein (volle Handlungsfähigkeit); sie kann jemandem aber auch nur teilweise zukommen (wie zB mündigen Minderjährigen; beschränkte Handlungsfähigkeit). Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, durch eigenes Verhalten oder durch das eines gewillkürten Vertreters prozessuale Rechte und Pflichten zu begründen; sie richtet sich idR nach der Handlungsfähigkeit (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 130).

IdR sind alle Personen über 18 Jahre voll prozessfähig, sofern bei ihnen nicht ein Fall der Geschäftsunfähigkeit (§ 865 ABGB) vorliegt (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 131).

Beschränkungen der Handlungsfähigkeit bedeuten gemäß § 9 AVG daher auch eine Beschränkung der Prozessfähigkeit (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 133).

Ist für eine nicht minderjährige schutzberechtigte Person für den Bereich der Verfahren vor Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten weder ein gewählter, gesetzlicher oder gerichtlicher Erwachsenenvertreter noch ein Vorsorgebevollmächtigter (konstitutiv) eingetragen oder bestellt, so hat die Behörde dessen Prozessfähigkeit jedenfalls im Einzelfall zu prüfen. Aber auch bei Eintragung bzw Bestellung einer solchen Vertretung ist die Handlungsfähigkeit der vertretenen Person nach geltender Rechtslage nicht generell eingeschränkt (§ 242 ABGB), vielmehr hat die Behörde auch hier die Prozessfähigkeit im Einzelfall zu prüfen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 134).

Mangelt einer Person die Prozessfähigkeit, so ist dies jedenfalls von der Behörde von Amts wegen wahrzunehmen. Mangelnde Prozessfähigkeit führt zur Unwirksamkeit verfahrensrechtlicher Akte der Behörde (zB von Zustellungen), auch kann die prozessunfähige Person keine wirksamen Verfahrenshandlungen setzen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11, Rz 135). Werden Verfahrenshandlungen (etwa die Erlassung eines Bescheides) gegen einen Prozessunfähigen selbst gesetzt, werden diese Handlungen (zB der Bescheid) von vornherein nicht wirksam. Daher wird auch ein Bescheid, der nicht gegenüber dem gesetzlichen Vertreter, sondern gegenüber dem insoweit nicht Handlungsfähigen erlassen wird, der Partei gegenüber nicht wirksam (Hengstschläger/Leeb, AVG (Stand , rdb.at) § 9 Rz 5).

Wie bereits ausgeführt ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen, dass R**** B**** O**** zumindest seit September 2020 weder über die erforderliche Geschäftsfähigkeit noch über die erforderliche Prozessfähigkeit verfügte.

Es konnte daher ab diesem Zeitpunkt gegenüber R**** B**** O**** weder eine Erlassung eines Bescheides noch eine Zustellung wirksam erfolgen.

Der an R**** B**** O**** gerichtete angefochtene Bescheid wurde somit nicht wirksam erlassen.

Gesetzlicher Vertreter einer Person ist gemäß § 1034 Abs 1 Z 3 ABGB ua ein gerichtlicher Erwachsenenverteter. Sofern nichts anderes angeordnet ist, wird gemäß § 1034 Abs 2 ABGB eine durch Gerichtsentscheidung angeordneter gesetzliche Vertretung mit Rechtskraft der Entscheidung wirksam.

Gesetzlicher Vertreter der R**** B**** O**** zur Vertretung vor Behörden und Gerichten ist laut Beschluss vom der gerichtliche Erwachsenenvertreter Rechtsanwalt Mag. L**** C****.

Im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Juni 2021 war der gerichtliche Erwachsenenvertreter allerdings noch nicht zur Vertretung vor Gerichten und Behörden zuständig und somit insoweit noch nicht als gesetzlichem Vertreter der R**** B**** O**** anzusehen.

Da der angefochtene Bescheid gegenüber R**** B**** O**** (und auch gegenüber einer anderen Person) nicht wirksam wurde, ist ein gegen einen derartigen unwirksamen Akt gerichtetes Rechtsmittel unzulässig und die Beschwerde daher auch aus diesem Grund mit Beschluss zurückzuweisen.

4. Für das weitere Verfahren wird zu beachten sein, dass R**** B**** O**** nach dem Gesagten bereits zum Beanstandungszeitpunkt im September 2020 offensichtlich nicht mehr zurechnungsfähig iSd § 3 VStG war. Eine gegen sie erlassene Strafe wäre daher bereits aus diesem Grund rechtswidrig.
An R**** B**** O**** gerichtete Bescheide, wie etwa die im Verfahren ergangene Strafverfügung und die angefochtene Vollstreckungsverfügung, konnten zudem mangels Prozessfähigkeit ihr gegenüber nicht wirksam erlassen werden.
Die an R**** B**** O**** unmittelbar oder zu Handen von S**** O**** gerichtete Bescheide waren somit sämtlich unwirksam.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Die ordentliche Revision für die belangte Behörde ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Streitfall ist lediglich die unstrittige Rechtslage auf den unstrittigen Sachverhalt anzuwenden. Bei dieser schlichten Rechtsanwendung ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen.
Die ordentliche Revision ist daher nicht zuzulassen.

Kostenentscheidung:

Gemäß § 52 Abs 1 VwGVG ist in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.

Beim angefochten Bescheid handelt es sich nicht um ein Straferkenntnis, sondern um eine Vollstreckungsverfügung.
Es sind daher keine Kosten vorzuschreiben.

Die Beschwerde ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Verwaltungsstrafsachen Wien
betroffene Normen
§ 9 AVG, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991
§ 3 VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7500487.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at