Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.02.2022, RV/7100339/2022

Rückforderung der Familienbeihilfe für die Zeit nach dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Zivildienstes sowie Rückforderung nach dem Ende des Zivildienstes bis zum Beginn einer beruflichen Tätigkeit. Die Absicht, ein Studium aufzunehmen und die Zusicherung eines Studienplatzes, wenn das Studium dann tatsächlich nicht aufgenommen wird, ist keine Berufsausbildung iSd FLAG.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde der Bf., Adresse, vertreten durch ***Stb.***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , mit dem die Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbeträge für die Monate Juli 2019 bis Oktober 2019 und September 2020 bis Oktober 2020 zurückgefordert wurden, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Das Finanzamt (FA) forderte mit Bescheid vom von der Beschwerdeführerin (Bf) die für ihren Sohn S., geb. tt.mm.2000, für die Zeiträume Juli 2019 bis Oktober 2019 und September 2020 bis Oktober 2020 erhaltene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) iVm § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) mit der Begründung zurück, dass S. im Juni 2019 die Matura abgelegt habe und vom bis zum den Zivildienst abgeleistet habe. Vom bis zum habe sich der Sohn um einen Studienplatz an der WU Wien beworben. Zwar habe er danach eine Zusage für einen Studienplatz erhalten, das Studium aber tatsächlich nicht angetreten. Am habe S. seinen Dienst beim Finanzamt Österreich angetreten.

Die Bf brachte über Finanzonline am folgende Beschwerde ein:

"Der Sohn S. X., geb. tt.mm.2000 hat am mit gutem Erfolg maturiert. Nach dem Zivildienst sollte die Ausbildung an der Wirtschaftsuniversität Wien fortgesetzt werden. Seine Interessen liegen im Bereich Wirtschaft allgemein, Betriebswirtschaft, Steuern und Rechnungswesen.

Mit der Beantwortung des Überprüfungsschreibens des Finanzamtes 1/23 vom hat die Mutter das Reifeprüfungszeugnis und die weiteren Pläne vorgelegt. Mit Mitteilung vom wurde Familienbeihilfe und KinderAB bis Sept. 2020 zuerkannt.

Mit Antritt des Zivildienstes am wurde pflichtgemäß die Ableistung des Zivildienstes dem Finanzamt gemeldet.

Mit Bescheid vom wurde die schon zur Auszahlung gebrachte Familienbeihilfe von EUR 495,30 und Kinderabsetzbetrag von EUR 175,20 für Nov. 2019 bis Jän. 2020 zurückgefordert.

Im Sommer 2020 hat der Sohn den Antrag um Aufnahme an die Wirtschaftsuniversität Wien gestellt und das Aufnahmeverfahren und die Prüfungen positiv beendet. Die Wirtschaftsuniversität Wien hat dem Sohn den Studienplatz schriftlich angeboten. Über alle diese Schritte kann der Sohn Beweise vorlegen bzw. als Zeuge aussagen.

Darüber hinaus wurden wir auf die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeit im Bundesfinanzdienst aufmerksam. Das Selektionsverfahren bei der Finanzverwaltung hat sich COVID bedingt mehrere Monate verzögert. Der Sohn hat nach und nach die Selektionen bestanden und nach dem persönlichen Vorstellungsgespräch die Stelle als Revident mit Ausbildung zum Betriebsprüfer angeboten bekommen. Er hat am bei Finanzamt Österreich, Dienststelle 04/07 den Dienst angetreten. Wiederrum wurde dem Finanzamt diese Tatsache mitgeteilt und die Familienbeihilfe mit November 2020 eingestellt. Damit waren wir einverstanden, weil ja der geplante Ausbildungsweg ab diesem Moment verändert wurde und der Sohn ein eigenes Einkommen hat.

Nicht einverstanden ist meine Frau und Mandantin mit der rückwirkenden Aberkennung der Familienbeihilfe seit der Matura, weil sich erst mit der Zusage und Aufnahme der Beschäftigung im Bundesfinanzdienst der Ausbildungsplan änderte. Es war nicht gewiss oder fix vorherzusehen, dass der Sohn die Selektion besteht und den Ausbildungsplatz angeboten bekommt. Hätte er nicht das Angebot erhalten, hätte er den Platz an der WU angenommen und inskribiert.

Für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. (§ 21 BAO) Es kann daher nicht sein, dass eine Familie die Familienbeihilfe seit der Matura und im ersten Studienjahr bekommt, weil jemand zwar inskribiert und innerhalb des ersten Jahres die Meinung ändert und dann eine Arbeit aufnimmt und jemand, der gerade zu Studienbeginn ein solches Angebot bekommt und wahrnimmt, rückwirkend alle Beihilfen zurückzahlen müsste. Hier würde die Behörde bei gleicher Sachlage, aber kurz späterem Eintritt (der aber nicht von der Familie beeinflussbar war) ungleich vorgehen und entscheiden.

Mein Sohn hat mit gutem Erfolg die Schule besucht. Aufgrund des Schulerfolgs und der sozialen Stellung steht ihm der Universitätsbesuch zu. Er hat diesen ohne unnötigen Aufschub nach Absolvierung der gesetzlichen Pflichten (Zivildienst) angestrebt und von der WU zugesprochen bekommen. Die Familie war ihm gegenüber erhaltungspflichtig, daher steht meiner Meinung nach die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag bis Ende Oktober 2020 zu. Es wurden alle für den Bezug der Familienbeihilfe relevanten Tatsachen umgehend gemeldet. Daher gibt es keine geänderten Umstände oder Gründe über die Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nun bescheidmäßig anders zu entscheiden bzw. rückwirkend abzuerkennen…"

Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Anführung des Sachverhaltes, des Beschwerdevorbringens und unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) mit der Begründung ab, dass gemäß § 2 Abs 1 lit e FLAG 1967 Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes begonnen oder fortgesetzt werde.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 habe, wer zu Unrecht Familienbeihilfe bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

S. habe ab Juli 2019 keine Ausbildung absolviert bzw. keine Ausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Zivildienst begonnen.

Die Bf stellte am über Finanzonline einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und machte im Wesentlichen gleichlautende Ausführungen wie in der Beschwerde vom .

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Sachverhalt

Der Sohn der Bf legte im Juni 2019 die Matura ab.

Vom bis absolvierte er den Zivildienst.

Am bewarb sich S. um einen Studienplatz an der WU Wien.

Am erhielt er - nach Bestehen der ersten Onlineprüfung - die schriftliche Zusage für einen Studienplatz an der WU.

Im Juli 2020 bewarb sich S. beim BMF zur Ausbildung als Betriebsprüfer.

Am trat er den Dienst beim Finanzamt Österreich an.

Das Studium an der WU Wien wurde nicht aufgenommen.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Familienbeihilfenakt und den von der Bf vorgelegten Unterlagen.

Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, welche die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (vgl. , ).

Gesetzesgrundlagen

Gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

§ 2 Abs 1 lit e FLAG 1967 normiert, dass für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder eines Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd begonnen oder fortgesetzt wird.

Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Gemäß § 26 Abs 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Wurden Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 3 EStG 1988) zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Rückforderungszeitraum Juli 2019 bis Oktober 2019

Der Sohn der Bf bestand im Juni 2019 die Matura und absolvierte vom bis den Zivildienst.

Die Ableistung des Zivildienstes als solche ist nach Lehre und Rechtsprechung keine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 2 Rn 45 "Präsenz(Zivil)dienst"; ). Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 steht während der Zivildienstzeit somit nicht zu.

Vorliegen einer Berufsausbildung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) fallen unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG jedenfalls alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. , , , ).

Diese der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entnehmbare Definition der Berufsausbildung trifft nur auf die Fälle zu, welche außerhalb des in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG besonders geregelten Bereichs des Besuchs einer Einrichtung iSd § 3 des Studienförderungs-gesetzes (StudFG) liegen (vgl. ; ; und ).

Ziel einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 ist, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehört regelmäßig auch der Nachweis der Qualifi-kation. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essentieller Bestandteil der Berufsausbildung (vgl. z.B. , und ).

Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG kommt es überdies nicht nur auf das (ernstliche und zielstrebige) Bemühen um den Studienfortgang an, sondern die Berufsausbildung muss auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes (d.s. in etwa 30 Stunden für Kurse und Vorbereitung auf eine Prüfung) in Anspruch nehmen (vgl. etwa ; ; ; und ).

Vorangehende Schritte einer Bewerbung einschließlich eines Tests und eines Bewerbungs-gespräches stellen für sich alleine noch keine Berufsausbildung dar (, Ra 2020/16/0017, ), sondern muss, damit die Vorbereitungszeit als Berufsausbildung anerkannt wird, die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen.

Die Inskription als reiner Formalakt und der Besuch von nur zwei Veranstaltungen ist ebenfalls nicht ausreichend, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG zu sprechen (Hebenstreit / Lenneis /Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 2, III. Einzelne Tatbestände für volljährige Kinder (Abs 1 lit b-l) [Rz 28 - 139]). Vielmehr muss das ernste und zielstrebige Bemühen um einen Ausbildungserfolg erkennbar sein.

Im Fall, dass trotz Vorliegens der Voraussetzungen seitens des Studierenden der Einstieg bzw. die Inskription - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfolgt, besteht nach § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 kein Familienbeihilfeanspruch. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob zunächst die Absicht bestanden hat, eine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen, sondern auf den tatsächlichen Beginn/die tatsächliche Fortsetzung der Berufsausbildung) (vgl. UFS Wien , RV/0167-W/11).

Die Bestimmungen des § 2 Abs 1 lit e FLAG 1967 konnten daher zufolge der vorstehenden Ausführungen auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden, da der Sohn der Bf nach Beendigung des Zivildienstes nicht an der WU mit dem Studium begonnen, sondern den Dienst am in der Finanzverwaltung angetreten hat.

Rückforderung von Familienbeihilfe- und Kinderabsetzbeträgen - Erstattungspflicht

Zum Vorbringen der Bf, dass es nicht sein könne, dass eine Familie die Familienbeihilfe seit der Matura und im ersten Studienjahr bekommt, weil jemand zwar inskribiert und innerhalb des ersten Jahres die Meinung ändert und dann eine Arbeit aufnimmt und jemand, der gerade zu Studienbeginn ein solches Angebot bekommt und wahrnimmt, rückwirkend alle Beihilfen zurückzahlen müsste und dass sie für ihren Sohn unterhaltspflichtig gewesen sei, wird Folgendes festgestellt:

§ 26 Abs 1 FLAG 1967 normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Fami-lienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Diese Verpflichtung zur Rückerstattung ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge ver-wendet hat, ist unerheblich (vgl. zB ). Nach der ständigen Rechtsprechung steht es der Rückforderung auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch eine unrichtige Auszahlung durch das Finanzamt verursacht worden ist (vgl. , vgl auch Hebenstreit in Czaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 26 Rz 3; ).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass das Finanzamt von der Bf für die Monate Juli 2019 bis Oktober 2019 und September 2020 und Oktober 2020 zu Recht zurückgefordert hat.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall lag keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, da die Frage, wann eine Berufsausbildung vorliegt, durch die Judikatur des VwGH hinreichend geklärt ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at