Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.02.2022, RV/7102141/2018

Zurückweisung wegen mangelnder Aktivlegitimation setzt voraus, dass der Einschreiter keine Vollmacht hatte (hier: Sohn im FB-Verfahren der Mutter)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7102141/2018-RS1
Die Zurückweisung eines Anbringens aus Gründen mangelnder Aktivlegitimation verlangt als weitere Voraussetzung, dass der einschreitende Dritte nicht als Vertreter der Partei gehandelt hat, was nach § 85 Abs 4 iVm § 85 Abs 2 BAO zu klären ist (vgl mwN). Betrifft die Frage der möglichen Vertretung einen Vorlageantrag, so obliegt die Durchführung des Mängelbehebungsverfahrens nach § 85 Abs 4 iVm § 85 Abs 2 BAO dem Verwaltungsgericht.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , nunmehr Finanzamt Österreich, betreffend Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für die Zeitraum März bis Juni 2016 für das vj Kind ***1***, Steuernummer ***2***, zu Recht erkannt:

  • Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO für die Kalendermonate März und April 2017 Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird, soweit er diese Kalendermonate betrifft, ersatzlos aufgehoben und im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

  • Gemäß § 282 BAO iVm § 25 BFGG hat die belangte Behörde über die Kalendermonate März und April 2017 eine Mitteilung gemäß § 12 Abs 1 FLAG 1967 zu erlassen und die Auszahlung durchzuführen.

  • Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Zuge einer Überprüfung des Beihilfenanspruchs übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin (Bf) das amtliche Formular Beih1 und ersuchte für das im Spruch angeführte volljährige Kind um Übermittlung der näher genannten Ausbildungsnachweise. Mit dem angefochtenen Bescheid wurden die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag (im Folgenden kurz: Familienbeihilfe) für die Monate 03 bis 06/2017 zurückgefordert und als Begründung ausgegeführt, dass trotz Vorhalts das Reifeprüfungszeugnis des Sohnes nicht vorgelegt worden sei.

Dagegen erhob die Bf form- und fristgerecht unter Verwendung des BMF-Vordrucks SCAN-BERU Bescheidbeschwerde und trug vor, dass der Sohn nicht zur Berufsreifeprüfung habe antreten können und legte eine Schulbesuchsbestätigung vor. Die Beschwerde wurde am der belangten Behörde persönlich überreicht.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, da ab März 2017 keine weitere Ausbildung des volljährigen Kindes nachgewiesen worden sei. Die vorgelegte Schulbesuchsbestätigung der näher bezeichneten Ausbildungseinrichtung über den Zeitraum bis sei im Voraus am ausgestellt worden und daher für den Nachweis des tatsächlichen Schulbesuchs ungeeignet.

Dagegen wurde wiederum unter Verwendung des amtlichen Vordrucks SCAN-BERU der als Beschwerde bezeichnete Vorlageantrag erhoben. In diesem Schriftsatz wurde die Beschwerdevorentscheidung vom (Tag der Ausfertigung) bezeichnet. Wörtlich wird ausgeführt: "Wie bereits telefonisch ausgemacht, schicke ich Ihnen eine neuerliche Schulsbesuchsbestätigung (siehe Beilage). Hier wird bestätigt, dass ich bis zum in die Schule gegangen bin." Im Vorlageantrag ist der Sohn mit Name und Anschrift ausgewiesen und hat den Vorlageantrag weiters im eigenen Namen unterschrieben. Auch dieser Schriftsatz wurde persönlich eingebracht, und zwar am .

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde mitsamt dem Verwaltungsakt elektronisch dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss vom forderte das BFG die belangte Behörde zur Vorlage des Aktenvermerks über das im Vorlageantrag erwähnte Telefonat auf bzw sollte kein Aktenvermerk angefertigt worden sein, wurde um Wiedergabe des Inhalts des Telefonats ersucht und um Bekanntgabe der Person, mit der am Telefon gesprochen wurde (Mutter oder Sohn). Weiters wurde gefragt, ob im Fall der Annahme einer Vollmacht für den Sohn Einwände gegen eine teilweise Stattgabe bestünden.

Mit Schriftsatz vom teilte die belangte Behörde mit, es sei leider nicht mehr eruierbar, ob es im Jahr 2018 eine persönliche Vorsprache der Bf und ihres Sohnes im Infocenter gegeben hat und somit auch nicht, ob und wie eine Auskunft bzw Belehrung damals erfolgte.

Ein Aktenvermerk über das im Vorlageantrag erwähnte Telefonat finde sich im Akt nicht. Daher könne auch nicht mitgeteilt werden, ob es tatsächlich ein Telefongespräch gegeben habe bzw sei nicht mehr ermittelbar, mit wem (Mutter oder Sohn) dies geführt wurde. Sollte das Gericht zu der Erkenntnis gelangen, dass damals zur Einbringung des Vorlageantrages eine gültige Vollmacht der Mutter an den Sohn vorlag und daher in der Sache selbst entscheiden, dann bestehen keine Einwände gegen eine teilweise Stattgabe.

Zum Vorlageantrag befragt, hat die Bf dem BFG am die telefonische Auskunft erteilt, dass sie ihrem Sohn gesagt habe, er solle das machen. Der Sohn der Bf, der deutlich besser der deutschen Sprache mächtig ist als seine Mutter, gab telefonisch an, dass es im Vorfeld mehrere Telefonate mit dem Finanzamt gegeben habe und dass sowohl er als auch seine Mutter am Telefon gesprochen hätten. Am habe der Sohn alleine im Info-Center vorgesprochen, den Vorlageantrag verfasst, im eigenen Namen unterschrieben und persönlich eingebracht. Bei der Einbringung der Bescheidbeschwerde hätten beide gemeinsam beim Finanzamt im Info-Center vorgesprochen.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt. Darin wurde "um Zurückweisung der Beschwerde (Anm: gemeint offenbar Vorlageantrag) gegen die Beschwerdevorentscheidung ersucht, da das Kind nicht zur Einbringung der Beschwerde (des Vorlageantrags) befugt [sei]."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Rechtsgrundlagen

§ 83 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet auszugsweise:

"(1) Die Parteien und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch natürliche voll handlungsfähige Personen, juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben.

[…]

(4) Die Abgabenbehörde kann von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Angehörige (§ 25), Haushaltsangehörige oder Angestellte handelt und Zweifel über das Bestehen und den Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.

[…]"

§ 85 BAO lautet auszugsweise:

"[…]

(2) Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.

[…]

(4) Wird ein Anbringen (Abs. 1 oder 3) nicht vom Abgabepflichtigen selbst vorgebracht, ohne daß sich der Einschreiter durch eine schriftliche Vollmacht ausweisen kann und ohne daß § 83 Abs. 4 Anwendung findet, gelten für die nachträgliche Beibringung der Vollmacht die Bestimmungen des Abs. 2 sinngemäß.

[…]"

Gemäß § 2 Abs 1 lit b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. […]

Sachverhalt

Aufgrund des Ergebnisses des vom Bundesfinanzgericht ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Anlässlich der Einbringung der Rechtsmittelschriftssätze erfolgte in beiden Fällen eine persönliche Vorsprache im Info-Center der belangten Behörde im 3. Bezirk. In beiden Fällen wurde für die Schriftsätze das BMF-Formular "SCAN-BERU" verwendet und die Schriftsätze persönlich im Info-Center eingebracht. Davor erfolgten Telefonate zwischen Bediensteten der belangten Behörde auf einen Seite sowie der Bf und ihrem Sohn auf der anderen Seite. Weder über die Vorsprachen noch über die Telefonate wurden von der belangten Behörde Aktenvermerke angefertigt noch können diesbezüglich Angaben aus der Erinnerung gemacht werden.

Der volljährige Sohn hat die Bildungseinrichtung vom bis zum tatsächlich besucht.

Beweismittel und -würdigung

Verwaltungsakt, Beschwerdevorbringen, insbes Schulbesuchsbetätigung des ***3*** vom , Aktenvermerk des BFG über die Telefonate mit der Bf und ihrem Sohn vom .

Sowohl die Verwendung des BMF-Vordrucks "SCAN-BERU" als auch die persönliche Einbringung der Rechtsmittel sprechen für persönliche Vorsprachen im Info-Center der belangten Behörde. Die Vordrucke "SCAN-BERU" werden nach Wissensstand des BFG ausschließlich anlässlich persönlicher Vorsprachen im Beisein eines Bediensteten verwendet. Das BFG vermag keine Gründe zu erkennen, an dem Vorbringen im Vorlageantrag, dass im Vorfeld "telefoniert" worden sein, zu zweifeln. Es muss daher zumindest ein Telefongespräch mit der Bf und einem Bediensteten der belangten Behörde stattgefunden haben. Dass ein solcher Aktenvermerk nicht angefertigt wurde, entspricht nicht der in § 89 BAO angeordneten Vorgangsweise. Das BFG hat ferner keine Zweifel, dass der Sohn seine Mutter, die Bf, anlässlich der Vorsprachen im Info-Center begleitet hat. Die Aussagen erscheinen allein deshalb glaubhaft, weil der Sohn deutlich besser spricht als seine Mutter und im Umgang mit dem Finanzamt seiner Mutter helfen konnte. Da der Sohn seine Mutter anlässlich zweier Vorsprachen bei der belangte Behörde begleitet hat und ein weiterer Bediensteter dem Sohn am Telefon die Nachreichung bestimmter Unterlagen erläutert hat, der Sohn das Kind ist, das den Beihilfenanspruch im konkreten Beschwerdeverfahren vermittelt, ist der Sohn der Bf als amtsbekannt iSd § 83 Abs 4 iVm § 25 BAO anzusehen. Sein Handeln im Namen der Bf war angesichts der dargestellten Umstände offenkundig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Beschwerde und Vorlageantrag sind form- und fristgerecht sowie teilweise begründet.

Da der die Bf vertretende Sohn laut Sachverhalt und Beweiswürdigung als amtsbekannt anzusehen ist, erübrigte sich die Durchführung eines Mängelverfahrens nach § 85 Abs 4 iVm § 85 Abs 2 BAO. Der Vorlageantrag ist somit rechtswirksam eingebracht worden.

Schreitet ein - nicht zur berufsmäßigen Vertretung befugter - Vertreter ein, der nicht durch eine schriftliche Vollmacht ausgewiesen ist, dann ist der Vollmachtsnachweis im Wege eines Mängelbehebungsverfahrens zu erbringen (vgl mwN). Die Zurückweisung eines Anbringens aus Gründen mangelnder Aktivlegitimation verlangt als weitere Voraussetzung, dass der einschreitenden Dritte nicht als Vertreter der Partei gehandelt hat, was nach § 85 Abs 4 iVm § 85 Abs 2 BAO zu klären ist. Betrifft die Frage der möglichen Vertretung einen Vorlageantrag, so obliegt die Durchführung des Mängelbehebungsverfahrens nach § 85 Abs 4 iVm § 85 Abs 2 BAO dem Verwaltungsgericht.

Für den Anspruch auf Familienbeihilfe war ausschließlich der Tatbestand der tatsächlichen Ausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 nicht erfüllt. Mit der Abweisung der Beschwerde aufgrund der damals vorgelegten Bestätigung über den KÜNFTIG GEPLANTEN SCHULBESUCH war die belangte Behörde im Recht. Nachzuweisen war im Überprüfungsverfahren der tatsächliche Besuch der Ausbildungseinrichtung. Eine im Voraus ausgestellte Schulbesuchsbestätigung besitzt zur Frage des tatsächlichen Schulbesuchs keine Beweiskraft.

"Der erste Satz [des § 10 Abs. 2 FLAG] trifft eine Aussage darüber, dass, selbst wenn die Anspruchsvoraussetzungen erst im Laufe des Monats eintreten (beispielsweise die Geburt des Kindes), die Familienbeihilfe trotzdem bereits ab dem 1. des Monats gebührt. Nach dem zweiten Satz gebührt hingegen für den Fall, dass die Anspruchsvoraussetzungen im Laufe des Monats wegfallen, die Familienbeihilfe trotzdem bis zum Ablauf des Monats" (zB ).

Da der tatsächlich erfolgte Schulbesuch bis zum mit der mit dem Vorlageantrag beigelegten Schulbesuchsbestätigung nunmehr nachgewiesen wurde, werden für die Kalendermonate März und April 2017 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, sodass für die genannten Monate der Anspruch auf die Familienbeihilfe besteht. Für die Monate Mai und Juni 2017 wurde auf mit dem Vorlageantrag kein tatsächlich erfolgter Schulbesuch nachgewiesen, weshalb für diese Monate die bisherige Abweisung bestehen bleibt.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 85 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 83 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 89 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102141.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at