Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.02.2022, RV/7103223/2021

Aufhebung eines Aussetzungszinsenbescheides

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Markus Knechtl LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BDO Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Am Belvedere 4, 1100 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Zurückweisung eines Antrages vom zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Anbringen vom , übermittelt per FinanzOnline, beantragte der Beschwerdeführer unter anderem die Nichtfestsetzung der Anspruchszinsen und Aussetzungszinsen gem. § 205 Abs 6 BAO. Mit Bescheid vom hat das Finanzamt Österreich (belangte Behörde) den Antrag zurückgewiesen und die Zurückweisung wie folgt begründet:
"Soweit der Antrag die Nichtfestsetzung von Aussetzungszinsen betrifft, ist dieser zurückzuweisen, da § 205 Abs. 6 BAO kein Antragsrecht für Aussetzungszinsen vorsieht (ebenso wie § 212a Abs. 9 BAO)."

Antrag

Am langte bei der belangten Behörde folgendes Schreiben, das mit datiert ist, ein:
"Bezugnehmend auf unser Schreiben vom (vgl. Beilage) ersuchen wir Sie nochmals die mit Bescheid vom festgesetzten Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 3.955,49 als Folge der Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 gemäß § 205 Abs 6 BAO nicht festzusetzen und stellen daher den Antrag diesen Bescheid ersatzlos aufzuheben und die Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 3.955,49 wieder gutzuschreiben.

Bis zu Erledigung dieses Antrags stellen wir gemäß § 212 BAO den Antrag auf Stundung des offenen Rückstandes in Höhe von EUR 831,71.

Mit der Bitte um antragsgemäße Erledigung verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
"

Bescheid

Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde den Antrag wie folgt zurückgewiesen:
"Zurückweisungsbescheid

Ihre Eingabe vom betreffend Antrag gem. § 205 Abs. 6 BAO betreffend Aussetzungszinsen wird zurückgewiesen.

Begründung:
Es liegt eine entschiedene Sache (res iudicata) vor, da bei unverändertem Sachverhalt über einen Antrag gleichen Inhaltes bereits mit Bescheid vom Bescheid vom rechtskräftig (zurückweisend) abgesprochen wurde.
"

Beschwerde

Am langte bei der belangten Behörde innerhalb der verlängerten Frist eine Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid vom ein. Die Beschwerde lautet:
"Sehr geehrte Damen und Herren!

Im Auftrag und namens unserer oben angeführten Mandantschaft erheben wir gegen den oben angeführten Bescheid - eingelangt am - innerhalb offener Rechtsmittelfrist das Rechtsmittel der
BESCHWERDE.

Begründung:
Der angefochtene Bescheid wurde uns am zugestellt. Mit Bescheid vom wurde die Frist zur Einbringung einer Beschwerde bis zum verlängert. Die Einbringung der Beschwerde mit dem heutigen Tag erfolgt daher rechtzeitig.

Am erließ das Finanzamt Waldviertel einen Bescheid über den Ablauf einer Aussetzung der Einhebung bezüglich der bis zu diesem Zeitpunkt ausgesetzten Steuerschuld aufgrund des Einkommensteuerbescheids 2008 vom sowie einen Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen, mit dem Zinsen iHv EUR 3.955,49 festgesetzt wurden. Die Aussetzung hatte den folgenden Hintergrund:

Mit erließ das Finanzamt Waldviertel erstmalig einen Einkommensteuerbescheid für Herrn ***Bf1*** (StNr ***Bf1StNr1***) für das Jahr 2008, mit dem die Einkommensteuer mit EUR -8.257,66 festgesetzt wurde. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit erließ das Finanzamt Waldviertel aufgrund des zwischenzeitig ergangenen Feststellungsbescheids zu Steuernummer ***StNr2*** vom einen abändernden Bescheid gem § 295 Abs 1 BAO, mit dem die Einkommensteuer mit EUR -6.483,82 festgesetzt wurde. Dieser Bescheid erwuchs ebenfalls in Rechtskraft.

Mit wurde ein neuer Feststellungsbescheid zu Steuernummer ***StNr2*** erlassen, weshalb das Finanzamt Waldviertel mit abermals einen abändernden Einkommensteuerbescheid 2008 gem § 295 Abs 1 BAO erließ, mit dem die Einkommensteuer mit EUR 24.503,46 festgesetzt wurde. Dieser Bescheid erwuchs ebenfalls in Rechtskraft, wurde jedoch aufgrund eines Antrags gem § 295 Abs 4 BAO zwischenzeitlich aufgehoben, siehe hierzu sogleich.

Gegen den Feststellungsbescheid vom zu Steuernummer ***StNr2*** wurde mit Berufung erhoben und die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2008 vom ergebende Steuerschuld ausgesetzt. Dieses Rechtsmittel wurde letztlich mit zur GZ RV/7103130/2013 als unzulässig zurückgewiesen. Begründet wurde die Zurückweisung damit, dass mangels gesetzeskonformer Zustellung kein bekämpfbarer Feststellungsbescheid zur Steuernummer ***StNr2*** vorlag. Aufgrund dieser Zurückweisung wurde der oben erwähnte Aussetzungszinsenbescheid seitens des Finanzamt Waldviertels erlassen.

Aufgrund eines Antrags gem § 295 Abs 4 BAO hob das Finanzamt Österreich den Einkommensteuerbescheid 2008 vom mit auf. Durch diese Bescheidaufhebung ist die Grundlage für die Festsetzung und Einbehaltung der Aussetzungszinsen rückwirkend weggefallen. Die Aussetzungszinsen sind daher wieder gutzuschreiben.

Rechtliche Beurteilung

Gem § 212a Abs 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist. Die Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO ist somit streng akzessorisch mit einem bestimmten Abgabenbescheid, der bekämpft wurde, verknüpft.

Gem § 212a Abs 9 BAO sind Aussetzungszinsen im Fall einer nachträglichen Herabsetzung der Abgabenschuld unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrags zu berechnen. Diese Pflicht zur nachträglichen Anpassung der Aussetzungszinsen ist von Amts wegen und auch im Falle einer nachträglichen Änderung des zugrundeliegenden Bescheids nach § 295 Abs 1 BAO durchzuführen (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, 5 212a Rz 34). Selbiges sehen auch die Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung vor:
"Obsiegt der Abgabepflichtige im Berufungsverfahren, so sind Zinsen nicht festzusetzen, es sei denn, daß im Hinblick auf § 212a Abs 3 erster Satz BAO der durch die Berufungserledigung in Wegfall gekommene Betrag geringer ist als der ausgesetzt gewesene. Wird dem Berufungsbegehren zum Teil stattgegeben, so erfolgt eine Zinsenvorschreibung für den verbleibenden Betrag. Wurde die Berufung des Abgabepflichtigen zur Gänze abgewiesen, erfolgt jedoch zu einem späteren Zeitpunkt eine Herabsetzung des Abgabenbetrages durch eine Änderung gemäß § 295 BAO, so hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen." (Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung (AE) gemäß § 212a BAO, AÖF 1988/53; https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.ER0932800021)

Beilage ./1: Richtlinien zur Aussetzung der Einhebung (AE) gemäß 5 212a BAO

Gegenständlich liegt weiters ein Anwendungsfall des § 295 Abs 3 BAO vor. Gem § 295 Abs 3 BAO ist ein Bescheid ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom wurde nach § 295 Abs 4 BAO aufgehoben. Wäre bei der Erlassung des Aussetzungszinsenbescheids vom der genannte Einkommensteuerbescheid bereits aufgehoben gewesen, hätte der Aussetzungsbescheid nicht ergehen dürfen. Der Aussetzungszinsenbescheid ist daher nach § 295 Abs 3 BAO aufzuheben und die festgesetzten Aussetzungszinsen wieder gutzuschreiben. Nicht ins Gewicht fällt hierbei, dass nach Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 2008 vom ein neuer Bescheid aufgrund des neuen Grundlagenbescheids erlassen wurde. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom fußte auf einem "Nichtbescheid" und war daher zur Gänze rechtswidrig. Somit gab es rückwirkend keine Abgabenschuld, deren Einhebung ausgesetzt werden könnte und keine Grundlage für die Vorschreibung von Aussetzungszinsen. Die neuerlich festgesetzte Abgabe an Einkommensteuer für das Jahr 2008 wurde erst gem § 210 Abs 1 BAO einen Monat nach Bekanntgabe des (neuen) Abgabenbescheids, sohin mit fällig und kann nicht Grundlage einer Vorschreibung von Aussetzungszinsen für einen Zeitraum von bis sein.

Richtigerweise hält das Finanzamt im gegenständlich bekämpften Zurückweisungsbescheid fest, dass § 205 Abs. 6 BAO kein ''Antragsrecht für Aussetzungszinsen'' vorsehe. Hintergrund der Antragstellung unter Berufung auf diese Rechtsgrundlage war die Überlegung einer analogen Anwendung des § 205 Abs 6 BAO in Fällen, in denen Aussetzungszinsen von Amts wegen gutzuschreiben sind. Die korrekte Rechtsgrundlage ist freilich wie oben dargelegt § 212a Abs 8 BAO bzw § 295 Abs 3 BAO.

Fest steht jedenfalls, dass die Zinsen gutzuschreiben sind; dieser Pflicht kommt die Behörde beharrlich nicht nach und behält sich die Zinsen rechtsgrundlos ein. Richtig ist, dass weder § 212a Abs 8 BAO noch § 295 Abs 3 BAO dem Abgabepflichtigen ein Antragsrecht einräumt; vielmehr ist die Behörde dazu verpflichtet, von Amts wegen tätig zu werden. Hierin kann jedoch kein Rechtsnachteil für den Abgabepflichtigen liegen, sodass er sich zur Durchsetzung seiner Rechte der Säumnisbeschwerde bedienen muss. Gem § 85a BAO hat die Behörde über Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden. In verfassungskonformer Interpretation ist diese Bestimmung dahingehend auszulegen, dass auch Anträge zu behandeln sind, die in den Abgabenvorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Wird einem Antrag bzw einer Anregung auf Abänderung oder Aufhebung nach § 295 Abs 3 BAO nicht durch die Abänderung oder Aufhebung des angesprochenen Bescheids entsprochen, so ist der Antrag bescheidmäßig abzuweisen. (Fischerlehner, Anpassung an nachträgliche grundlagenbescheidähnliche Bescheide, taxlex 2007, 576).

Zwischenzeitig ist mit auch die 6-monatige Erledigungsfrist für die Behörde ausgelaufen. Die Behörde ist daher auch damit säumig, den Aussetzungszinsenbescheid aus den oben dargelegten Gründen von Amts wegen aufzuheben. Aus diesem Grund wird parallel auch eine Säumnisbeschwerde erhoben.

Aus den oben angeführten Gründen stellen wir folgende Anträge:
a) auf Abänderung des oben angeführten Bescheides
b) auf Aufhebung des Aussetzungszinsenbescheids vom nach § 295 Abs 3 BAO
c) auf Gutschrift der vorgeschriebenen Aussetzungszinsen
d) Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht
e) Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
"

Beschwerdevorentscheidung

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die abweisende Begründung lautet:
"Mit dem bekämpften Bescheid vom wurde ein Antrag gemn. § 205 Abs. 6 BAO vom wegen res iudicata zurückgewiesen, da bereits mit Bescheid vom rechtskräftig (zurückweisend) über einen inhaltlich identen Antrag abgesprochen worden war, und somit iHa den unveränderten Sachverhalt eine entschiedene Sache vorgelegen war.

Gegen die Zurückweisung wegen entschiedener Sache wendet sich die vorliegende Beschwerde inhaltlich nicht. Die Beschwerdeausführungen über die Rechtmäßigkeit der AE- Zinsenvorschreibung vom bzw. betreffend einer diesbezüglichen allfälligen amtswegigen Berichtigungspflicht der Abgabenbehörde sind für das gegenständliche Beschwerdeverfahren nicht von Relevanz.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen."

Vorlageantrag

Am langte nach Fristverlängerung bei der belangten Behörde folgender Vorlageantrag ein:
"Namens und im Auftrag unseres Mandanten stellen wir den
VORLAGEANTRAG

gem § 264 BAO, die Beschwerde vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Zur Rechtzeitigkeit
Die gegenständlich bekämpfte Beschwerdevorentscheidung wurde uns am zugestellt. Am haben wir die Verlängerung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrags bis zum beantragt. Mit Bescheid vom wurde die Fristverlängerung bewilligt. Die Einbringung des Vorlageantrags mit dem heutigen Tag erfolgt daher rechtzeitig.

Zur Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides

Am haben wir einen Antrag auf Gutschrift von Aussetzungszinsen iHv EUR 3.955,49 gestellt. Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag zurückgewiesen, wobei die belangte Behörde begründend ausführte, dass res iudicata vorliege. In der Bescheidbeschwerde vom gegen diesen Zurückweisungsbescheid haben wir den zugrundeliegenden Sachverhalt ausführlich dargelegt und ergänzend ausgeführt, dass sich der Antrag zum einen auf § 212a Abs 9 BAO und zum anderen auf § 295 Abs 3 BAO stützt. Bezüglich des zugrundeliegenden Sachverhalts verweisen wir insbesondere auf die Bescheidbeschwerde vom .

Mit hat die belangte Behörde nunmehr (entgegen unseres ausdrücklichen Antrags auf Direktvorlage der Beschwerde an das Gericht) eine Beschwerdevorentscheidung erlassen, in der abermals behauptet wird, es liege eine bereits entschiedene Sache vor.

Richtig ist, dass wir bereits am in einer Eingabe (neben weiteren Anträgen) beantragt haben, die gegenständlichen Aussetzungszinsen nicht festzusetzen bzw gutzuschreiben. Richtig ist weiters, dass die belangte Behörde diesen Antrag am (Von der Behörde als Bescheid vom tituliert) zurückgewiesen hat, weil § 205 Abs 6 BAO kein Antragsrecht für Aussetzungszinsen vorsehe. Mit der gegenständlich bekämpften Zurückweisung lässt die Behörde aber unter den Tisch fallen, dass sich der Sachverhalt zwischen der Entscheidung vom und dem Antrag vom bzw der Bescheidbeschwerde vom maßgeblich verändert hat. Am hob die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 2008 vom für den Beschwerdeführer auf. Diese Aufhebung ist auch als rückwirkendes Ereignis iSd § 295 Abs 4 BAO zu werten. Auf diesem aufgehobenen Bescheid beruhen die Aussetzungszinsen, deren Gutschrift gegenständlich begehrt wird. Die Zurückweisung wegen entschiedener Sache ist daher zu Unrecht erfolgt, eine entschiedene Sache kann jedenfalls dann nicht vorliegen, wenn sich der maßgebende Sachverhalt geändert hat. Weiters erfolgte die erstmalige Zurückweisung nur aus dem Grund, weil § 205 Abs 6 BAO nach Auffassung der Behörde kein Antragsrecht zukommt. In der Bescheidbeschwerde haben wir unser Anbringen aber auch auf § 212a Abs 9 BAO und auf § 295 Abs 3 BAO gestützt. Hierzu ist jedenfalls noch keine Entscheidung der Behörde ergangen.

Wenn die Behörde vermeint, in Bezug auf die Aussetzungszinsen bestehe kein Antragsrecht des Abgabenpflichtigen, ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
Gem § 85a BAO hat die Behörde über Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden. In verfassungskonformer Interpretation ist diese Bestimmung dahingehend auszulegen, dass auch Anträge zu behandeln sind, die in den Abgabenvorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Wird einem Antrag bzw einer Anregung auf Abänderung oder Aufhebung nach § 295 Abs 3 BAO nicht durch die Abänderung oder Aufhebung des angesprochenen Bescheids entsprochen, so ist der Antrag bescheidmäßig abzuweisen.

Diese für unterschiedlichste Fälle in der Literatur zahlreich vertretene Rechtsauffassung deckt sich auch mit der Judikatur des VwGH. In seiner Entscheidung vom zur GZ 1138/70 hat der VwGH in Bezug auf einen fälschlicherweise nach § 295 Abs 1 BAO gestellten Antrag, auf den tatsächlich der ähnlich lautende § 218 der Steiermärkischen Landesabgabenordnung anwendbar war, ausgesprochen, dass in der Nichtbearbeitung eines Antrags auf Aufhebung eines Bescheids nach dieser Bestimmung eine Verletzung der Entscheidungspflicht liege. Auch § 218 der Steiermärkischen Landesabgabenordnung idF des Gesetzes vom 27.Jänner1965, LGBl für das Land Steiermark sah kein Antragsrecht der Partei vor.

Im Übrigen verweisen wir auf das rechtliche Vorbringen in der Bescheidbeschwerde vom .

Wir stellen wir daher den
Antrag:

Das Gericht möge den angefochtenen Zurückweisungsbescheid vom aufheben und der belangten Behörde auftragen, ohne unnötigen Aufschub und unter Berücksichtigung des inhaltlichen Vorbringens im gegenständlichen Rechtsmittelverfahren, in der Sache über den Antrag auf Aufhebung des Aussetzungszinsenbescheids zu entscheiden bzw die Aussetzungszinsen gutzuschreiben."

Mündliche Verhandlung

Mit Faxnachricht vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass keine entschiedene Sache vorliegen könne, weil das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2008 vom mit Bescheid vom - somit bevor der gegenständliche relevante Antrag auf Aufhebung des Aussetzungszinsenbescheids und Gutschrift der Aussetzungszinsen gestellt wurde - aufgehoben hat.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit Bescheid vom wurden dem Beschwerdeführer Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 vorgeschrieben.

Im Schreiben vom wird ein Antrag auf Nichtfestsetzung von Anspruchszinsen und von Aussetzungszinsen gemäß § 205 Abs 6 BAO gestellt. Mit Bescheid vom wird auch ein Antrag auf Nichtfestsetzung von Aussetzungszinsen zurückgewiesen. Als Grund für die Zurückweisung hat die belangte Behörde im Bescheid angeführt, dass der Antrag zurückzuweisen ist, weil weder in § 205 Abs 6 BAO noch in § 212a Abs 9 BAO ein Antragsrecht vorgesehen ist. Begehrt wurde, dass Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49, die mit Bescheid vom vorgeschrieben wurden, nicht festgesetzt werden.

Mit Schreiben vom wurde erneut beantragt, die mit Bescheid vom festgesetzten Aussetzungszinsen gemäß § 205 Abs 6 BAO nicht festzusetzen.

Zwischen der Zustellung des Bescheides vom und dem Einlangen des Schreibens vom hat die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 2008 vom gemäß § 295 Abs 4 BAO aufgehoben.

Beweiswürdigung

Das Schreiben vom enthält einen ausdrücklichen Antrag "auf Nichtfestsetzung der Anspruchszinsen und Aussetzungszinsen gem. § 205 Abs 6 BAO". Auf der zweiten und dritten Seite dieses Schreibens wird der Verfahrensgang im Feststellungsverfahren der ***AB*** sowie der Verfahrensgang im Abgabenverfahren des Beschwerdeführers geschildert. Auf der dritten Seite findet sich sodann eine Begründung eines Antrages auf Aufhebung gem. § 295 Abs 1 und 4 BAO; der dazugehörige Antrag ist - genauso wie der Antrag auf Nichtfestsetzung der Aussetzungszinsen - auf der ersten Seite des Schreibens enthalten. Im letzten Absatz der dritten Seite, somit im Rahmen der Begründung des Antrages auf "Aufhebung gem. § 295 Abs 1 und 4 BAO" wird sodann ausgeführt, dass als Folge der Aufhebung eines Änderungsbescheides die Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 gemäß § 205 Abs 6 BAO nicht festzusetzen und abzuschreiben wären.

Im Bescheid vom hat die belangte Behörde ausdrücklich über drei Anträge abgesprochen, und zwar:
-) über den Antrag nach § 295 Abs 1 und § 295 Abs 4 BAO betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom , wobei dieser Antrag zurückgewiesen wurde;
-) über den Antrag nach § 205 Abs 6 BAO auf Nichtfestsetzung von Anspruchszinsen, wobei dieser Antrag abgewiesen wurde und
-) über den Antrag nach § 205 Abs 6 BAO auf Nichtfestsetzung von Aussetzungszinsen, wobei dieser Antrag wiederum zurückgewiesen wurde.

Das Anbringen vom bezieht sich eindeutig auf den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen. Im Anbringen wird das Datum dieses Bescheides mit angegeben. Dabei dürfte es sich um das Zustellungsdatum handelt. Der Bescheid, mit dem Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 dem Beschwerdeführer vorgeschrieben wurden, ist mit datiert. Im Anbringen vom wird einerseits ersucht, die Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 […] nicht festzusetzen und aus diesem Grund der Antrag gestellt, den Bescheid vom ersatzlos aufzuheben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d. h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt ().

Auch wenn es dem Beschwerdeführer inhaltlich darum geht, nicht mit Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 belastet zu sein, könnten dem Schreiben vom nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts sogar zwei Anträge entnommen werden: erstens das "Ersuchen", Aussetzungszinsen gemäß § 205 Abs 6 BAO nicht festzusetzen und andererseits der Antrag, den Bescheid vom aufzuheben und die vorgeschriebenen Aussetzungszinsen wieder gutzuschreiben. Eine Rechtsgrundlage für die ersatzlose Aufhebung ist im Schreiben nicht ausdrücklich genannt. Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde jedoch ausdrücklich auf den Antrag gem. § 205 Abs 6 BAO, der im Schreiben vom als "Ersuchen" bezeichnet wurde, Bezug genommen und diesen Antrag zurückgewiesen.

Auf Grund der unstrittigen Aktenlage, aus der sich ergibt, dass der Festsetzungsbescheid aus dem November 2019 stammt und der beschwerdegegenständliche Antrag erst im Jahr 2021 eingebracht wurde, kann nicht geschlossen werden, dass es sich bei dem "Antrag diesen Bescheid ersatzlos aufzuheben" um einen Antrag nach § 299 BAO handelt, der innerhalb einer Frist von einem Jahr zu stellen gewesen wäre. Insofern geht auch das Bundesfinanzgericht letztlich von einem Anbringen (Begehren) aus, das im Schreiben vom enthalten ist. Das "Ersuchen" und der "Antrag" sind als ident anzusehen.
Die belangte Behörde hatte den Inhalt des Schreibens vom zu beurteilen. Daher kommt es nicht darauf an, dass in der Bescheidbeschwerde vom das Anbringen auch auf § 212a Abs 9 BAO und auf § 295 Abs 3 BAO gestützt wurde.

Die Feststellung, dass die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 2008 vom gemäß § 295 Abs 4 BAO aufgehoben hat ist unstrittig, zumal einerseits der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde und andererseits die belangte Behörde im Vorlagebericht darauf hinweisen.

Rechtslage

§ 85a BAO lautet:

Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über Anbringen (§ 85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

§ 92 BAO lautet:

F. Erledigungen.

§ 92. (1) Erledigungen einer Abgabenbehörde sind als Bescheide zu erlassen, wenn sie für einzelne Personen
a) Rechte oder Pflichten begründen, abändern oder aufheben, oder
b) abgabenrechtlich bedeutsame Tatsachen feststellen, oder
c) über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses absprechen.

(2) Bescheide bedürfen der Schriftform, wenn nicht die Abgabenvorschriften die mündliche Form vorschreiben oder gestatten.

§ 205 Abs 6 BAO lautet:

(6) Auf Antrag des Abgabepflichtigen sind Nachforderungszinsen insoweit herabzusetzen bzw. nicht festzusetzen,
a) als der Differenzbetrag (Abs. 1) Folge eines rückwirkenden Ereignisses (§ 295a) ist und die Zinsen die Zeit vor Eintritt des Ereignisses betreffen oder
b) als ein Guthaben (§ 215 Abs. 4) auf dem Abgabenkonto bestanden hat.

§ 212a Abs 9 BAO lautet:

(9) Für Abgabenschuldigkeiten sind
a) solange auf Grund eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung, über den noch nicht entschieden wurde, Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 230 Abs. 6) oder
b) soweit infolge einer Aussetzung der Einhebung ein Zahlungsaufschub eintritt,

Aussetzungszinsen in Höhe von zwei Prozent über dem jeweils geltenden Basiszinssatz pro Jahr zu entrichten. Aussetzungszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Im Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen. Wird einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung nicht stattgegeben, so sind Aussetzungszinsen vor der Erlassung des diesen Antrag erledigenden Bescheides nicht festzusetzen. Im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung sind Aussetzungszinsen vor der Verfügung des Ablaufes (Abs. 5 oder 5a) oder des Widerrufes der Aussetzung nicht festzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass wenn die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat und dagegen Beschwerde erhoben wird, "Sache" eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung ist (vgl. ; , jeweils mwN).

Liegt der in erster Instanz angenommene Zurückweisungsgrund nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht den Zurückweisungsbescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die Behörde über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden hat (, mwN; ).

Die Entscheidungspflicht besteht nicht nur für Anbringen, die meritorisch zu erledigen sind. Sie besteht auch dann, wenn das Anbringen zurückzuweisen ist (zB ). Mit dem angefochtenen Bescheid vom ist die belangte Behörde ihrer Entscheidungspflicht nachgekommen.

Unter materieller Rechtskraft wird die Unwiderrufbarkeit und die Unwiederholbarkeit des Bescheids verstanden. Ergeht in derselben Sache, die unwiderrufbar entschieden ist, eine neue Entscheidung, so ist diese inhaltlich rechtswidrig (vgl. ). Ein Anbringen ist zurückzuweisen, wenn es unzulässig ist (vgl , 1377/79; , 2003/16/0030). Im Beschwerdefall ist daher alleine zu prüfen, ob die sachliche Behandelung des Antrages wegen bereits entschiedener Sache verweigert wurde.

Im Abgabenverfahren sind neuerliche (wiederholte) Anträge, denen die materielle Rechtskraft einer bereits vorliegenden Entscheidung entgegensteht, unzulässig. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die bereits entschiedene Sache ident mit jener ist, deren Entscheidung im Wege des neuerlichen Antrages begehrt wird. Abgesehen von der Identität des Begehrens und der Partei (Parteien) muss Identität des anspruchserzeugenden Sachverhaltes gegeben sein, damit das Verfahrenshindernis der res iudicata vorliegt ().

Aus den Entscheidungen des und vom , 2005/03/0065 ist zu entnehmen, dass die "entschiedene Sache" durch den angenommenen Sachverhalt in Relation zur angewandten Rechtsvorschrift bestimmt wird. Identität der Sache ist gegeben, wenn weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgebenden tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist.

Allerdings führt nicht jede noch so geringfügige Änderung des Sachverhalts zu einer "anderen Sache", sondern nur das Eintreten oder Behaupten von wesentlichen Änderungen (; ).

Sowohl das Begehren im Antrag vom als auch im Antrag vom richtet sich darauf, dass Aussetzungszinsen nicht festgesetzt bleiben und damit auf Beseitigung des Aussetzungszinsenbescheides vom . In beiden Anträgen wird ausdrücklich die Nichtfestsetzung von Aussetzungszinsen in Höhe von € 3.955,49 begehrt bzw. den Betrag wieder gutzuschreiben (Antrag vom ) oder den Betrag abzuschreiben (Antrag vom ). Somit ist das Begehren in beiden Anträgen ident.

Auch die Partei ist in beiden Anträgen ident.

Der anspruchserzeugende Sachverhalt ist derart gestaltet, dass sowohl im Antrag vom als auch im Antrag vom die Nichtfestsetzung von Aussetzungszinsen aktiv begehrt wird (es werden diesbezügliche Anträge / Anbringen gestellt). Weder zum noch zum und auch nicht in jenen Zeitpunkten, in denen über diese Anbringen von der belangten Behörde entschieden wurde, hat die Rechtsordnung ein Antragsrecht auf Nichtfestsetzung, Abschreibung oder Gutschrift von Aussetzungszinsen enthalten. § 212a Abs 9 dritter Satz BAO enthält allenfalls die Verpflichtung zum Tätigwerden der belangten Behörde, sieht jedoch kein diesbezügliches Antragsrecht der Partei vor. Es mag sein, dass die in § 212a Abs 9 dritter Satz BAO normierte Verpflichtung der belangten Behörde erst durch die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom mit Bescheid vom ausgelöst wurde. Jedoch ist auch damit kein Antragsrecht nach § 212a Abs 9 BAO oder nach § 205 Abs 6 BAO, der auf Aussetzungszinsen auch nicht analog anzuwenden ist, verbunden. Somit ist auch von einer Identität des anspruchserzeugenden Sachverhaltes auszugehen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es liegt daher kein Grund für eine Revisionszulassung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 85a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 205 Abs. 6 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 212a Abs. 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 92 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7103223.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at