Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe wegen aufgehobener Haushaltszugehörigkeit
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRii über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten, vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab dem , zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf.) und seine Ehegattin, G., sind rumänische Staatsbürger. Der Bf. ist seit mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet (Aufenthaltstitel: EWR-Bürger gem. § 53a Abs. 1 NAG). Die Ehegattin wohnt in Griechenland, wo die gemeinsame Tochter ***1***, geb. ***2***, auch die Schule besuchte.
In Beantwortung des an den Bf. am ergangenen Anspruchsüberprüfungsschreibens gelangte dem Finanzamt zur Kenntnis, dass die Tochter ***1*** bei deren Tante (Schwester der Kindesmutter) in ***8*** wohnt und dort seit eine Schule besucht.
Aufgrund eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes legte der Bf. am eine von ihm am unterzeichnete zeitlich nicht beschränkte Vollmacht vor, mit welcher er seine Schwägerin S. bevollmächtigte, seine Tochter ***1*** in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.
Das Finanzamt befristete via Mitteilung vom 27. November2018 daraufhin die Auszahlung der Familienbeihilfe für ***1*** mit September 2018.
In der Folge wurde der Bf. vom Finanzamt zur Vorlage der folgenden Nachweise aufgefordert (Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen vom , Ergänzungsersuchen vom und vom ):
Einkommensnachweise ab März 2018 bis laufend,
Bestätigung über die gemeinsame Meldung in Griechenland
Bestätigung über erhaltene Familienleistungen in Griechenland ab Jänner 2017 und betreffend ***1*** Bestätigung über erhaltene Familienleistungen von Deutschland,
Schulbestätigung der Kinder,
Bestätigung der Kindesmutter, falls sie auf den Bezug der Familienbeihilfe verzichtet
Bestätigung über erhaltene Familienleistungen in Griechenland ab Jänner 2017, Schulbesuchsbestätigung betreffend ***1*** von Deutschland
Der Bf. legte folgende Unterlagen vor:
EWR-Bescheinigung für sich selbst
Meldebescheinigung und Wohnmietvertrag betreffend den Wohnsitz in Griechenland,
diverse Schulbestätigungen betreffend den Schulbesuch von ***1*** in Griechenland bis zum Schuljahr 2018
Schulbesuchsbestätigung der ***7***, ***8***, über den Schulbesuch von ***1*** ab
zeitlich beschränkte Vollmacht vom , mit welcher er seine Schwägerin bevollmächtigte, seine Tochter ***1*** "in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten".
Am brachte der Bf. beim Finanzamt für ***1*** einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ab ein.
Der Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom mit der Begründung abgewiesen, dass gemäß den Bestimmungen des § 2 Abs. 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG 1967) Personen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehöre, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trage, habe dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt sei.
***1*** wohne nicht im Haushalt des Bf., die überwiegenden Unterhaltszahlungen seien nicht nachgewiesen worden, sondern vielmehr sei eine Vollmacht vorgelegt worden, in der die Obsorge für ***1*** in pflege- und vermögensrechtlicher Hinsicht an die Schwägerin übertragen worden sei. Die Haushaltszugehörigkeit sei auch nicht nur vorübergehend aufgehoben worden, sondern für den gesamten Zeitraum der Schulausbildung und darüber hinaus in Deutschland.
Es bestehe daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Der Bf. brachte gegen den Abweisungsbescheid folgende Beschwerde ein (Schreiben vom ):
"mit Schreiben vom teilen Sie mit, dass die beantragte Familienbeihilfe abgelehnt wird, weil ***1*** bei ihrer Tante wohnt. Hier liegt wohl ein Missverständnis vor: selbstverständlich bin ich für mein minderjähriges Kind finanziell verantwortlich und muss es unterhalten; hierfür ist nicht meine Schwägerin S. verantwortlich. Für die finanzielle Unterstützung meines Kindes ***1*** benötige ich die Familienbeihilfe. Mein Kind ***1*** erhält auch kein Kindergeld in Deutschland, denn ich lebe und wohne in Österreich. Deutsches Kindergeld bekommt man nur, wenn die kindergeldbezugsberechtigten Eltern in Deutschland leben. Das ist nicht der Fall. Auch meine Schwägerin hat nochmal eine Mitteilung beigefügt, wonach sie kein Kindergeld für meine Tochter bekommt (sie ist ja kein Elternteil).
Die personen- und vermögensrechtliche Vollmacht für meine Schwägerin bedeutet lediglich, dass ich meiner Schwägerin erlaubt habe, für ***1*** Dinge in meinem Namen als Elternteil zu erledigen (also bspw. eine Entscheidung akut im Krankenhaus treffen oder eine Schulanmeldung vornehmen). Die Vollmacht bedeutet gerade nicht, dass meine Schwägerin mein minderjähriges Kind finanziell unterstützen muss (das kann ich meiner Schwägerin nicht einseitig mittels Vollmacht übertragen).
Daher benötige ich dringend die Unterstützung.
Sollten Sie Fragen hierzu haben, können Sie vielleicht ein Auskunftsersuchen an die ***10*** stellen (Tel. …); dort wird Ihnen bestätigt, dass für ***1*** keinerlei Kindergeld in Deutschland gezahlt wird. Ich erhalte eine solche Auskunft leider nicht, ich habe telefonisch nachgefragt…"
Am legte der Bf. dem Finanzamt folgende Bestätigung der Familienkasse Bayern Süd vom , gerichtet an S., vor:
"Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG)
Bescheinigung Uber den Bezug von Kindergeld
Kindergeldberechtigte Person: Niemand
Sehr geehrte Frau S.,
hiermit wird Ihnen bescheinigt, dass hier für das Kind ***11***-S. geb. von keiner Person Kindergeld bezogen wird."
Mit Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom wurde der Bf. zur Vorlage folgender Unterlagen aufgefordert:
Nachweis betreffend überwiegender Kostentragung f. ***1***
Zahlungsbelege über Unterhaltszahlungen (z.B. Kontoauszüge etc.) ab Oktober 2018 bis laufend
Aufstellung der Ausgaben für die Tochter und Belege
Weiters wurde der Bf. um Bekanntgabe ersucht, wer außer ihm für den Unterhalt der Tochter aufkomme (Name, Adresse, Höhe der Unterhaltsleistung)?
Der Bf. gab in seinem Antwortschreiben vom an, dass er Geld für alle Kinder an seine Frau überweise und diese sich um die Verwaltung des Geldes und Weitergabe an die Schwägerin kümmere. Das Geld für ***1*** habe dann die Schwägerin verwaltet. Es bestehe Einvernehmen darüber, dass die Schwägerin mit ihrer Familie jedes Jahr den Urlaub in Griechenland in seinem Haus verbringe und er in dieser Zeit für Essen und Unterkunft aufkomme. Die Schwägerin gewähre ***1*** im Übrigen keine finanzielle Unterstützung.
Am erging an den Bf. folgendes Ergänzungsersuchen:
"Die vorgelegten Kontoauszüge beweisen lediglich Überweisungen von Ihrem Konto auf das Ihrer Frau. Der Geldfluss von Ihrer Frau an Ihre Schwägerin ist damit jedoch nicht belegt.
Das wären aber genau die Nachweise, die wir für die Entscheidung über die Beschwerde brauchen.
Auch haben Sie die abverlangte Kostenaufstellung für Ihre Tochter ***1*** nicht vorgelegt. Wir benötigen die durchschnittliche Höhe der für ***1*** monatlich angefallenen Kosten in Deutschland z.B. für Kleidung, Handy, Internet, Taschengeld, anteilige Wohnkosten etc.
Bitte legen auch das Jahreszeugnis 2020/21 von ***1*** vor und teilen Sie uns mit, wie lange die Ausbildung von ***1*** in Deutschland voraussichtlich noch dauern wird."
Am legte der Bf. folgende Unterlagen vor:
Schulbesuchsbestätigung von ***1*** betreffend das Schuljahr 2020/2021, Jahrgangsstufe 12 der Fachoberschule, der Fachabiturprüfung in der Ausbildungsrichtung Sozialwesen sowie das Zeugnis vom
Anmeldebestätigung von ***1*** für das Berufsgrundschuljahr (BGJ) Holztechnik 2021/22 (Beginn ).
Bestätigung von ***1*** vom
"Ich, … erkläre auf eigene Verantwortung Folgendes:
Während der gesamten Schulausbildung in ***8*** von September bis Juni 2018-2019 erhielt ich von meiner Tante ***3*** in Höhe von 40 Euro pro Woche. Für das Schuljahr 2019-2020 und 2020-2021 habe ich den Betrag von 50 Euro pro Woche erhalten.
Bei all diesen Kosten handelt es sich um Durchschnittskosten, die Transport, Kleidung, Lebensmittel und Taschengeld umfassen.
Während der Ferien im Juli und Anfang September 2018, 2019, 2020 und 2021 erhielt ich von meiner Mutter G. 30 Euro pro Woche. All dieses Geld ist für Kleidung, Taschengeld und tägliche Ausgaben bestimmt."
Erklärung der KindesmutterG.vom
"Ich, …. Wohnhaft auf ***5*** … erkläre eidesstattlich, dass ich seit dem Zeitraum 2018 - 2020 regelmäßig den Betrag von 50 Euro pro Woche von meinem Ehemann … erhalte, der auf mein Bankkonto überwiesen wird und für unsere Tochter … ***1*** bestimmt ist.
Während des Schuljahres 2018-2019 belief sich der Gesamtbetrag auf 1.500 Euro, im Schuljahr 2019-2020 auf 2.000 Euro und im Schuljahr 2020-2021 gleichfalls auf 2.000 Euro. Also 10 Monate Schuljahr von September bis Juni * 4 Wochen/Monat * 50 Euro/Woche = 2.000 Euro.
Nach Vereinbarung mit meinem Ehemann … schicke ich diesen Geldbetrag jeden Monat zu meiner Schwester S. ***4***, die in ***8***, Deutschland, wohnt und unsere erwähnte Tochter … beherbergt, damit sie ihr Schulgeld bezahlt und ihre täglichen Lebenshaltungskosten deckt.
Während der Ferien (Juli bis Anfang September), wenn unsere Tochter … in unsere Wohnung in Griechenland zurückkehrt, behalte und verwalte ich selbst den Geldbetrag, der auf sie von den Mietkosten, Unterhalt und täglichen Ausgaben von den Geldern entfällt, die mir mein Ehemann schickt."
Erklärung der Tante, S.
"Eidesstaatliche Versicherung
Hiermit erkläre ich, … , wohnhaft in … ***8***, beschäftigt bei der ***12***, dass ich von meiner Schwester G. den Betrag von 1500 Euro für das Schuljahr 2018-2019, für 2019-2020 den Betrag von 2000 Euro und 2020-2021 den Betrag von 2000 Euro erhalten habe für die Kosten: Wartung, Transport, Telefonabonnement, Taschengeld für meine Nichte ***1*** … (Anfang September bis Ende Juni). ***1*** zahlt keine Miete, weil ich jedes Jahr mit meiner Familie in ***5***, Griechenland in den Urlaub fahre und die Übernachtungskosten von meiner Schwester ***6*** getragen werden. Ich habe eine Kopie von ***1*** … eingereicht und es versteht sich, dass ich auch die Wartungskosten dafür bezahle. Ich habe keine Einkaufsbelege aufbewahrt. Ich habe mit meinem Schwager … und meiner Schwester … eine Vereinbarung getroffen, damit ***1*** die finanzielle Unterstützung für ihr Studium hier in Deutschland bekommen und fortsetzen kann. Wenn zusätzliche Ausgaben nötig waren, schickte mir mein Schwager … Geld."
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom mit der Begründung ab, dass § 2 Abs. 2 FLAG 1967 normiere, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind habe, zu deren Haushalt das Kind gehöre. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehöre, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trage, habe dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt sei.
Kinder einer Person seien deren Nachkommen, deren Wahlkinder samt Nachkommen, deren Stiefkinder und deren Pflegekinder (§ 2 Abs. 3 FLAG 1967). Gemäß § 184 ABGB seien Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestehe oder hergestellt werden solle. Sie hätten das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.
***1*** lebe seit Oktober 2018 bei ihrer Tante in Deutschland. Die Tante besorge seither die Pflege und Erziehung von ***1***. Eine emotionale Bindung zwischen ***1*** und ihrer Tante ähnlich einer solchen zwischen leiblichen Eltern und deren Kindern sei anzunehmen. Die Tante sei daher kraft Gesetzes ein Pflegeelternteil von ***1*** respektive letztere deren Pflegekind.
Ein rechtgeschäftlicher oder behördlicher Akt sei für die Begründung des Pflegschaftsverhältnisses nicht erforderlich.
Da ***1*** als Pflegekind im Haushalt der Tante wohne bestehe für den Bf. gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 selbst bei überwiegender Kostentragung kein Anspruch auf Familienbeihilfe für ***1***.
Am langte im Finanzamt ein Konvolut aller Eingaben des Bf. ein. Auf der darin enthaltenen Beschwerde vom (Seiten 3 und 4) finden sich eine handschriftliche Ergänzung "Ich unterstütze diese Erklärung und heute", das Datum und eine Unter-schrift des Bf. Das Konvolut, welchem u.a. auch die Beschwerdevorentscheidung angeschlossen war, wurde vom Finanzamt als Vorlageantrag gewertet.
Folgende Beweismittel wurden vom Bf. vorgelegt:
Vollmacht vom mit Ergänzung vom
Überweisungsbelege des Bf. für 2018 bis 2020
Erklärungen von ***1***, Gattin und Schwägerin
Vollmacht vom
"Hiermit bevollmächtige ich, ***Bf1***, geboren am , wohnhaft in 3100 St. Pölten, Straße, meine Schwägerin, S., geboren am , wohnhaft in Deutschland, 81479 ***8***, Str2, meine Tochter, ***9***-S., geboren am , in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.
Zu den persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten gehören insbesondere die folgenden - bespielhaft genannten - Bereiche:
- Behördenangelegenheiten, beispielsweise im Ausländer-, Pass- und Melderecht,
- der Aufenthaltsbestimmung,
- der Schul- und Berufsausbildung einschließlich Wahl der Schulart und Schulwechsel,
- die Wahl der Erziehungsgrundsätze,
- Medizinische Vorsorgeuntersuchungen, Eingriffe und Behandlungen,
- Psychotherapeutische Behandlungen,
- Umgang mit Dritten,
- Fragen zum Unterhalt des Kindes,
- Anlage und Verwendung des Kindesvermögens,
- Regelung von Reisen / Auslandsaufenthalten / Urlaubsreisen des Kindes, insbesondere nach Griechenland und Rumänien.
Diese Vollmacht kann für einzelne, von der Bevollmächtigten zu bestimmende Rechtsgeschäfte übertragen werden.
Die Vollmacht ist zeitlich nicht beschränkt."
Anhang zur Vollmacht vom BRZ: 2361/2018:
"… Ich erwähne, dass ich mit meiner Schwägerin eine gute Zusammenarbeit in Bezug auf das Geldmanagement (das ich jeden Monat für den Unterhalt meiner Tochter sende), für die Regelung von Reisen und Auslandsaufenthalten in Griechenland und Rumänien (in Österreich kommt meine Tochter mindestens einmal im Monat und während der Schulferien), ärztliche Untersuchungen und Zahnmedizin, Schul- und Berufsausbildung. In all dem oben Genannten und in der Vollmacht habe ich kommuniziert und mich für die Erziehung und das Wohlergehen des Kindes als vereinte Familie ausgesprochen. Ich erwähne, dass ***9***-S. minderjährig ist und zu allen Institutionen begleitet werden muss (Bank, um Geld zu sammeln, Krankenhaus, Schule usw.). Ich unterstütze alle elterlichen Rechte mit meiner Frau G. bei meiner Tochter und wir respektieren sie und wir alle notwendigen Entscheidungen für die bestmögliche Bildung des Kindes. Auf diese Weise beantrage ich die Zahlung der Zulage für die Kinder ***1*** (ab September 2018), …"
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Festgestellter Sachverhalt und Streitgegenstand
In der Folge legt des BFG dem Erkenntnis nachstehenden, auf der Aktenlage sowie dem Parteienvorbringen basierenden Sachverhalt zu Grunde:
Der Bf. und die Kindesmutter sind rumänische Staatsbürger, wobei der Bf. seit dem mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet ist (Aufenthaltstitel: EWR-Bürger gem. § 53a Abs. 1 NAG).
Die Ehegattin des Bf. wohnt in ***5***, Griechenland.
Der Bf. war vom bis Arbeiter, danach war er als arbeitsuchend gemeldet bzw. bezieht er laufend Notstandshilfe.
Laut Auskunft der Unabhängigen Behörde für die öffentlichen Einnahmen (AADE) gibt es betreffend die Ehegattin des Bf. für die Jahre 2017 und 2018 keinen Überblick über deren Vermögenslage
***1*** ist laut Anmeldebestätigung der Landeshauptstadt ***8*** in die Wohnung der in Deutschland berufstätigen Tante eingezogen und dort seit dem gemeldet.
***1*** besuchte in ***8*** nachweislich von bis zum Schuljahr 2021 die ***7*** in ***8*** und ist für das Berufsgrundschuljahr (BGJ) Holztechnik 2021/22 (Beginn ) angemeldet.
Die Eltern von ***1*** haben S. (Schwester der Kindesmutter) mit notariell beglaubigter Vollmacht zeitlich nicht beschränkt damit betraut, sie mit der "in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.
Mit Schreiben vom wurde die Vollmacht eingeschränkt, so dass sie nur noch bis zum 18. Geburtstag und somit der Volljährigkeit von ***1*** () gültig war.
Die überwiegende Kostentragung für den Unterhalt des Kindes ***1*** wurde vom Bf. nicht nachgewiesen.
Vor dem Hintergrund obigen Sachverhalts besteht Streit betreffend die Anspruchsberechtigung des Bf. auf Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab dem .
2. Rechtliche Würdigung
2.1. Rechtsgrundlagen
2.1.1. Nationales Recht
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe.
Gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist, Anspruch auf Familienbeihilfe.
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967 normiert, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 2 Abs. 3 FLAG 1967 sind Kinder einer Person deren Nachkommen, deren Wahlkinder samt Nachkommen, deren Stiefkinder und deren Pflegekinder.
Zufolge den Bestimmungen des § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind zum Haushalt einer Person dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt ua. nicht als aufgehoben, wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält (lit. a), das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt (lit. b).
§ 3 FLAG 1967 legt zusätzliche Voraussetzungen für Personen und Kinder fest, die nicht österreichische Staatsbürger sind.
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 5 Abs. 4 FLAG 1967 für Kinder, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichzahlung (§ 4 Abs. 2) wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, nach § 53 Abs. 1 FLAG 1967 in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.
2.1.2. Unionsrecht
Die Verordnung 883/2004 gilt nach Art. 2 Abs. 1 VO für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Nach Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 umfasst der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung auch Familienleistungen.
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben nach dem Art. 4 VO 883/2004 Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, gemäß Art. 7 VO 883/2004 nicht auf Grund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen nach Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind bestimmt sich nach diesem Titel.
Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt nach Art. 11 Abs. 3 lit c VO (EG) 883/2004 Folgendes:
Eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen gemäß Art 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.
Eine Person hat nach Art. 67 erster Satz VO 883/2004 auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Nach Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 werden die Familienleistungen bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen.
2.2. Rechtliche Beurteilung
Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit mit der Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Rz 19 und 20 zu § 53)
Diese Verordnungen sind anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt.
Aufgrund der Notstandhilfebezugs des Bf. in Österreich, dem Wohnort der Schwägerin und des Kindes in Deutschland und aufgrund der Tatsache, dass sämtliche der genannten Personen rumänische Staatsangehörige sind, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit Unionsbezug vor.
Die VO 883/2004 ist gemäß deren Art. 2 Abs. 1 auf die genannten Personen persönlich anwendbar.
Die vom Bf. beantragte Familienbeihilfe ist weiters unter die Familienleistungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 zu subsumieren, daher ist diese Verordnung im gegenständlichen Fall auch sachlich anwendbar.
Nach dem Unionsrecht unterliegen Personen, für die die VO 883/20014 gilt, immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004). Welche Rechtsordnung hierfür in Frage kommt, ist unter Titel II Art. 11 ff VO 883/2004 geregelt.
In der Regel sind dies gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. c VO 883/2004 die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, also jenes Staates, in welchem eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, und zwar auch dann, wenn die Person im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt.
Die Bf. ist in Österreich Bezieher von Arbeitslosengeld sowie Notstandshilfe unterliegt daher den österreichischen Rechtsvorschriften.
Da im gegenständlichen Fall die VO 883/2004 zu berücksichtigen ist, finden allerdings die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG 1967, welche den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs. 8 FLAG 1967, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs. 3 FLAG 1967, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, zufolge des Art. 7 VO 883/2004 und dessen Anwendungsvorrangs insoweit keine Anwendung. Zufolge des in Art. 4 VO 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, keine Anwendung. (vgl. ).
In diesem Zusammenhang hat der EuGH zu Art. 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 in seiner Entscheidung vom , C-378/14 (Tomislaw Trapkowski) ausgesprochen:
"38 Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit , Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen" , die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden.
40 Es obliegt jedoch der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.
41 Nach alledem ist Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistung zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist."
Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat der Familienleistungen gewähren soll. (, , , , )
Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen. (, , , , ).
Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen. (, , )
Es ist daher im gegenständlichen Fall nach österreichischem Recht zu prüfen, ob der Bf. einen Familienbeihilfenanspruch hat oder nicht, wobei zu fingieren ist, dass alle Familienangehörigen, sprich die als Pflegemutter fungierende Schwägerin der Bf., sowie das Kind der Bf. in Österreich wohnen (weshalb - wie bereits ausgeführt - die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen außer Acht zu lassen sind).
§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Einem Anspruch auf Familienbeihilfe im Sinne des zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 steht der ausschließliche Anspruch einer Person, bei der das Kind im strittigen Zeitraum haushaltszugehörig war, zwingend entgegen (, ).
Aus den Bestimmungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 FLAG 1967 ergibt sich, dass der Familienbeihilfenanspruch primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind abstellt ().
Haushaltszugehörigkeit liegt vor, wenn eine Person mit dem Kind bei einheitlicher Wirtschaftsführung in einer Wohngemeinschaft lebt (§ 2 Abs 2 FLAG 1967).
Die Haushaltszugehörigkeit gilt ua nicht als aufgehoben, wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält oder das Kind zum Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt.
Eine Haushaltszugehörigkeit ist aber dann ausgeschlossen, wenn das Kind jedenfalls mehrere Jahre nicht mit den Eltern oder einem Elternteil im gemeinsamen Haushalt wohnt (vgl. ).
Die Norm des § 2 Abs. 2 Satz 2 FLAG 1967 stellt hingegen nur subsidiär darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt ().
Fest steht, dass die Tochter des Bf. ab September 2018 dem Haushalt der Tante (Schwester der Kindesmutter) in Deutschland zugehörig ist und sich seitdem bei dieser in Pflege und Erziehung befindet.
Die Tante von ***1*** wurde mit Vollmacht der Eltern vom betraut, ihre damals minderjährige Tochter mit der "in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3 lit d FLAG 1967 bezüglich der den Beihilfenanspruch begründenden Pflegekinder auf das ABGB verweist.
Gemäß § 184 ABGB in der seit geltenden Fassung des BGBl I Nr 15/2013 sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.
Diese Bestimmung entspricht wörtlich dem bis in Geltung gestandenen § 186 ABGB idF BGBl I Nr 135/2000. Die zu dieser Bestimmung entwickelte Lehre und Rechtsprechung ist daher weiterhin für die Qualifikation eines Kindes als Pflegekind maßgeblich.
Seit dem KindRÄG 2001 bietet § 186 ABGB (alt) zwei Definitionsmerkmale, nämlich erstens die faktische - gänzliche oder partielle - Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes und zweitens das Bestehen oder die beabsichtigte Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Kind und diesen seinen Betreuern, die an Intensität dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommt (Stabentheiner in Rummel, ABGB, 3. Auflage, § 186 Tz 1).
Die Pflegeelterneigenschaft setzt weder einen rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsakt voraus, sondern ist bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes gegeben (Stabentheiner, a.a.O., Tz 2). Dass die Pflegeelterneigenschaft auch einer Einzelperson zukommen kann, wurde von der herrschenden Meinung auch schon zur Rechtslage vor dem KindRÄG vertreten (Stabentheiner, a.a.O., Tz 4b mwN).
Ein gerichtlicher Obsorgebeschluss bzw. Pflegebescheid ist nicht erforderlich ().
Bei Vorliegen der beiden gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Pflegeelternschaft, nämlich der tatsächlichen Betreuung und einer bestimmten Qualität der Bindung ist die Pflegeelternschaft kraft Gesetzes ohne Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsaktes gegeben (; )
Das Pflegekindschaftsverhältnis wird nicht durch den Eintritt der Volljährigkeit des Pflegekindes aufgehoben. Bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen (insbesondere § 2 Abs. 1 und 2 FLAG 1967) besteht daher auch für volljährige Pflegekinder Anspruch auf Familienbeihilfe.
Im vorliegenden Fall erfüllt die Tante die Tatbestandsmerkmale für ein Pflegekindschaftsverhältnis. ).
Zu den "beteiligten Personen" iSd Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" iSd Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der Verordnung Nr. 883/2004.
Die Schwägerin des Bf. bzw. Tante des Kindes ***1*** erfüllt nach Art. 1 Buchst. i Z 1 Buchst. i VO 883/2004 sowie gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 iVm § 2 Abs. 3 FLAG 1967 den Status "Familienangehöriger" (vgl. etwa , VwSlg 8754/F) und kann daher bei Vorliegen aller anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Familienleistungen in Österreich geltend machen.
Zu beachten ist, dass obiger Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes weder der Umstand, dass für ***1*** in Deutschland kein Kindergeld bezogen wurde, noch jener, dass die als Pflegmutter zu qualifizierende Schwägerin - trotz bestehender Berechtigung nach Aktenlage in Österreich bis dato keinen Antrag auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung) gestellt hat -, abträglich ist, sprich mit anderen Worten ausgedrückt, dieser nicht in eine, - wenn auch offensichtlich vermeinte - Anspruchsberechtigung des Bf. auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung) mündet.
Da im gegenständlichen Fall die Tochter des Bf. bei der Schwägerin desselben in Deutschland, sprich getrennt vom der Bf. lebt und daher bei dieser haushaltszugehörig ist, besteht nach österreichischem Recht kein Anspruch auf Familienleistungen des Bf.; ein nach nationalem Recht nicht bestehender Anspruch kann nicht durch das Unionsrecht begründet werden. Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der als Pflegmutter fungierenden Schwägerin zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person der Bf. erfüllt sind.
Der im Verwaltungsverfahren seitens des Bf. ins Treffen geführten Frage nach der überwiegenden Kostentragung durch seine Person kommt - ungeachtet dessen, dass auch diese als unbewiesen im Raum verblieben stehend zu erachten ist -, in Ansehung vorstehender Ausführungen keine Entscheidungsrelevanz zu.
Es war daher wie im Spruch zu befinden.
Zulässigkeit der Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine solche Rechtsfrage lag im gegenständlichen Fall nicht vor, wenn so wie im vorliegenden Fall die Anspruchsberechtigung auf Familienbeihilfe direkt auf den gesetzlichen Bestimmungen und der zitierten Judikatur fußt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 60 Abs. 1 Satz 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1 § 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100164.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at