Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.01.2022, RV/6100604/2012

Wiederaufnahme des Verfahrens und entschiedene Sache

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Josef Zwilling in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend Umsatzsteuer 2007 des FA Salzburg-Land (nunmehr Finanzamt Österreich) vom , Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf) hat neben seinen nichtselbständigen Einkünften als Lehrer Einkünfte aus selbstständiger Arbeit aufgrund seiner Tätigkeit als Buchautor und Vortragender.

Im Zuge einer Nachschau im Jahr 2009 wurde festgestellt, dass der Bf am ein gebrauchtes Kfz (Jeep Cherokee) in Deutschland erworben habe und hierfür aufgrund der betrieblichen Verwendung Einfuhrumsatzsteuer in Österreich zu entrichten sei.

Am erließ das Finanzamt einen Bescheid über die Wiederaufnahme hinsichtlich Umsatzsteuer 2007 und einen neuen Umsatzsteuerbescheid 2007 mit gleichem Datum. Die Wiederaufnahme wurde ausschließlich mit dem Gesetzeswortlaut begründet. Eine Darstellung der konkreten Wiederaufnahmegründe fehlt. Im Sachbescheid wurde die Einfuhrumsatzsteuer aus dem Kauf des og. PKWs in der Höhe von € 2.100,84 festgesetzt.

Gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme wurde Berufung eingebracht und diese mit Berufungsvorentscheidung als unbegründet abgewiesen. Im darauffolgenden Verfahren vor dem damaligen Unabhängigen Finanzsenat wurde schließlich der Berufung mit Entscheidung vom , RV/0411-S/09, stattgegeben und der angefochtene Wiederaufnahmebescheid aufgehoben, da die Begründung nur inhaltsleere Floskel aufweist und somit überhaupt keine Wiederaufnahmegründe, sondern nur einen standardisierten Text ohne spezifische Ausführungen enthält.

Die Abgabenbehörde erließ in der Folge am einen neuen (mit gegenständlicher Beschwerde angefochtenen) Wiederaufnahmebescheid und einen neuen Umsatzsteuerbescheid 2007. In der Begründung zum Wiederaufnahmebescheid wurde ausgeführt, dass das Kfz mit dem Kennzeichen ***1***, das im August 2007 in Deutschland erworben worden sei, zur betrieblichen Nutzung bestimmt sei. Dies stelle eine neue Tatsache iSd. § 303 Abs 4 BAO dar. Eine weitere neue Tatsache sei das Ausmaß der unternehmerischen Nutzung des PKWs zwischen 20% und 25%. Beide Tatsachen seien bei einer Nachschau am hervorgekommen. Das Ergebnis dieser Nachschau sei in einer Niederschrift festgehalten worden.

Dagegen brachte der Bf mit Schriftsatz vom (gegenständliche) Berufung ein und führte zur Begründung aus, dass sowohl die gewerbliche Nutzung des PKWs als auch deren Ausmaß spätestens seit der Niederschrift am bekannt gewesen seien. Die Umsatzsteuer sei in Deutschland entrichtet worden. Es seien dem Bf außerdem seitens des Finanzamtes mehrmals mündlich falsche Auskünfte bezüglich der UID-Nummer und des Vorsteuerabzuges erteilt worden.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im ursprünglichen Wiederaufnahmebescheid überhaupt keine neuen Tatsachen angeführt worden seien. Das Finanzamt habe somit die Wiederaufnahme auf keinen im Gesetz vorgesehenen Wiederaufnahmegrund gestützt. Jene Tatsachen die erstmals im Zuge der Nachschau am hervorgekommen seien, seien daher als neue Tatsachen zu werten. Bezüglich der Auskünfte des Finanzamtes an den Bf könne nicht mehr nachvollzogen werden welche Aussagen konkret getätigt worden seien und ob der Sachverhalt mit dem vorliegenden Sachverhalt ident gewesen sei. Eine fernmündliche Auskunft birge immer die Möglichkeit von Irrtümern und ungenauen Erklärungen in sich und könne somit keine rechtliche Bindungswirkung entfalten. Die Wiederaufnahme sei daher zu Recht erfolgt.

Im dagegen eingebrachten Vorlageantrag vom führte der Bf ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen aus, dass breites in der Berufungsvorentscheidung vom die Tatsachen des Fahrzeugkaufes in Deutschland und dessen gewerbliche Nutzung genannt worden seien. Es handle sich daher um keine neuen Tatsachen. Der Bf habe sich auf die telefonischen Auskünfte des Finanzamtes verlassen und sei der Ansicht, dass eine mündliche und eine schriftliche Auskunft gleichwertig seien. Dem Vorlageantrag fügte der Bf eine Aktennotiz über eine "Besprechung im Infocenter des Finanzamtes" vom bei. Außerdem wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Das Finanzamt legte am die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (damals Unabhängiger Finanzsenat) zur Entscheidung vor.

Gemäß § 323 Abs. 38 1. Satz BAO idF FVwGG 2012, BGBl I Nr. 14/2013, sind die am beim Unabhängigen Finanzsenat anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden iSd Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.

Im Zuge eines Erörterungsgespräches am beim Bundesfinanzgericht zog der Bf seinen Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurück.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der ursprüngliche Wiederaufnahmebescheid betreffend Umsatzsteuer 2007 vom wurde wie folgt begründet: "Die Wiederaufnahme erfolgt unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgaben- behördlichen Ermittlungen und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung. Im vorliegenden Fall können die steuerlichen Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."

Dieser Bescheid wurden vom BFG (damals Unabhängiger Finanzsenat) mit Erkenntnis vom aufgrund fehlender Wiederaufnahmegründe aufgehoben (Details dazu siehe ).

Am erließ das Finanzamt einen neuen Wiederaufnahmebescheid betreffend Umsatzsteuer 2007. Die Begründung dieses Wiederaufnahmebescheides lautete: "Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 Abs. 4 BAO, weil Tatsachen neu hervorgekommen sind, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Als neue Tatsache iSd. § 303 Abs. 4 BAO wertet das Finanzamt den Umstand, dass das Fahrzeug mit dem Kennzeichen ***1*** laut Rechnung des Autohauses ***2***, ***Adresse*** vom zur gewerblich Nutzung bestimmt war. Eine weitere neue Tatsache ist das Ausmaß der unternehmerischen Nutzung zwischen 20% und 25% des in Österreich zugelassenen KFZ. Beide neuen Tatsachen kamen im Zuge einer Nachschau am hervor, wobei das Ergebnis in einer Niederschrift festgehalten wurde."

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind aktenkundig. Dagegensprechende Umstände sind nicht ersichtlich.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 303 BAO (in der im Beschwerdezeitraum geltenden Fassung) lautete auszugsweise:

"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

...

(4) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Die Abgabenbehörde hat im angefochtenen Bescheid auf § 303 Abs. 4 BAO und auf das neu Hervorkommen von Tatsachen und Beweismittel verwiesen. Das Finanzamt hat daher die Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand (Abs. 1 lit. b) gestützt.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. Ritz, BAO, § 303, Tz 21, mwN.).

Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta; zB. ).

Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist nach der hA. aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (vgl. Ritz, BAO, § 303, Tz 31, mwN.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht der jeweiligen Verfahren derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinn des § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand (aufgrund der Abgabenerklärungen) des jeweiligen Veranlagungsjahres (zB ; ; ).

Dem Finanzamt ist erst durch die Nachschau am bekannt geworden, dass der Bf seinen, am in Deutschland gekauften, PKW betrieblich nutzt. Das Ausmaß der betrieblichen Nutzung von 20%-25% ist ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt bekannt geworden. Aus der Sicht des Finanzamtes lagen daher neue Tatsachen vor.

Die Wiederaufnahmegründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann (vgl. Ritz, BAO, § 307, Tz 3 mwN.). Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen. Neue Wiederaufnahmegründe könnten (nach der Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides mit Beschwerdevorentscheidung oder mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes) neuerlich zu einer Verfügung der Wiederaufnahme durch die Abgabenbehörde führen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe in der Begründung des mit Beschwerde angefochtenen Bescheides ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht nachholbar. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die für Beschwerdevorentscheidungen bestehende Änderungsbefugnis (§ 263 Abs. 1) ident ist mit jener für Erkenntnisse (§ 279 Abs. 3).

Im Beschwerdefall wurde zunächst am einerseits die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 2007 verfügt und andererseits eine neue Sachentscheidung gefällt. Das Finanzamt hat die Wiederaufnahme ausschließlich mit dem Gesetzeswortlaut begründet. Eine derartige Formulierung kann nach dem oben Gesagten nicht als Begründung anerkannt werden, da sie weder erkennen lässt, welche Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind noch inwieweit diese geeignet gewesen wären, einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeizuführen. Da dieser Mangel im Berufungsverfahren nicht sanierbar war, war der ursprünglichen Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattzugeben und der Bescheid aufzuheben.

Mit dieser Aufhebung ist das Verfahren gemäß § 307 Abs. 3 BAO in die Lage zurückgetreten, in der es sich vor der verfügten Wiederaufnahme befunden hat. Dies hat nicht zur Folge, dass das Finanzamt nicht neuerlich die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügen darf. Allerdings darf die neuerliche Wiederaufnahme des Verfahrens nur aus anderen Gründen verfügt werden als jenen, auf die sich die aufgehobenen Bescheide gestützt haben (vgl. ).

Fehlen Wiederaufnahmegründe liegt keine entschiedene Sache hinsichtlich eines bestimmten Wiederaufnahmegrundes vor (vgl. ).

Der Bf bringt vor, dass dem Finanzamt der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen sei und die nunmehr angeführten Wiederaufnahmegründe bereits im seinerzeitigen Wiederaufnahmeverfahren herangezogen worden seien und daher nicht neuerlich zur Verfahrenswiederaufnahme verwendet werden könnten.

Da jedoch im ursprünglichen Wiederaufnahmebescheid die neuen Tatsachen zur Gänze fehlten, diese aber im angefochtenen Bescheid angeführt wurden, wurde die neuerliche Wiederaufnahme vom aus anderen Gründen als die Wiederaufnahme vom verfügt. Dies ist nach der Rsp des VwGH zulässig (siehe oben). Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur gegenständlichen Rechtsfrage existiert umfangreiche und eindeutige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auf die sich das gegenständliche Erkenntnis stützt. Aus diesem Grund ist die Revision nicht zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100604.2012

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at