Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.01.2022, RV/5100772/2019

Anwendbarkeit der Grenzgängerregelung gemäß Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, vertreten durch ECA Schmidt und Hertwich Steuerberatungs m.b.H., Bahnhofstraße 2, 5280 Braunau/Inn, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2013 - 2017 zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 279 BAO abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe betragen:


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Jahr
Einkommen (€)
Festgesetzte Einkommensteuer (€)
2013
10.656,35
605,00
2014
14.612,24
2.193,00
2015
15.292,55
2.381,00
2016
14.892,43
1.551,00
2017
17.143,16
2.284,00

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Vorhalt vom wurde die Abgabepflichtige aufgefordert, Steuererklärungen für die Jahre 2013 - 2017 einzureichen, da sie ausländische Einkünfte erzielen würde.

Am reichte die Abgabepflichtige Steuererklärungen für die Jahre 2013 - 2017 ein.

Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für die Jahre 2013 - 2017 fest. Die Abgabenbehörde hat die nichtselbständigen Einkünfte aus der Bundesrepublik Deutschland als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit veranlagt und die deutschen Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung im Schätzungswege ermittelt.

In der Beschwerde vom gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 - 2017 wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin (Bf.) seit über 10 Jahren in Österreich in einem Haus in ***Ü*** lebe. Dort liege auch der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen. Daneben verfüge die Bf. auch über einen Nebenwohnsitz in ***B*** (Bundesrepublik Deutschland). Diese Tatsachen seien aktenkundig und bereits Gegenstand eines Verfahrens zur Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe gewesen. In den angefochtenen Steuerbescheiden seien die nichtselbständigen Einkünfte der Bf. in Österreich der Besteuerung unterworfen worden. Das Finanzamt habe die Ansicht vertreten, dass diese Einkünfte, die sie zur Gänze in der Bundesrepublik Deutschland bezogen habe, als Grenzgängerin in Österreich zu versteuern gewesen seien.

Die Grenzgängereigenschaft iSd Art 15 Abs. 6 DBA Deutschland betreffe Personen, die im Grenzbereich des einen Staates arbeiten und täglich zu ihrem Wohnsitz im Grenzbereich des anderen Staates zurückkehren würden. Dies treffe für die Bf. für die Jahre 2013 - 2017 jedenfalls nicht zu, da sie nicht nur über einen (Neben-)Wohnsitz am Tätigkeitsort verfügt habe, sondern diesen regelmäßig, wenn auch nicht überwiegend, für Nächtigungen genützt habe. Die Distanz zwischen dem deutschen Wohnsitz und dem deutschen Tätigkeitsort betrage ca. 10 Gehminuten. Liege ein Zweitwohnsitz im Tätigkeitsstaat vor, werde die Grenzgängereigenschaft nicht zwangsweise beseitigt, wenn dieser Zweitwohnsitz nicht in einer Art und Weise genützt werden könne, dass hierdurch Zweifel an der arbeitstäglichen Rückkehr in den Ansässigkeitsstaat auftreten würden (dt.-österr. Verständigung vom , AÖF 2000/103; Bendlinger in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA Art 15, Rz 115).

Im vorliegenden Fall davon zu sprechen, dass keine Zweifel an der werktägigen Rückkehr an den Wohnort bestehen, wäre eine Verkehrung der Tatsachen ins Gegenteil. Dazu komme die Tatsache, dass die Bf. ihre Einkünfte 2013 - 2017 im guten Glauben zur Gänze in Deutschland versteuert habe. Sollte die österreichische Finanzbehörde ihre Ansicht aufrechterhalten, wonach diese Einkünfte in Österreich zu besteuern seien, wäre die deutsche Seite beizuziehen, die angesichts des Sachverhalts wohl kaum auf ihr Besteuerungsrecht verzichten würde.

Angesichts der Tatsache, dass im gesamten Zeitraum ein sowohl behördlich gemeldeter als auch tatsächlich bestehender Wohnsitz am Tätigkeitsort in Deutschland bestanden habe, könne eine Grenzgängereigenschaft nicht angenommen werden. Die Tatsache der bisher erfolgten Versteuerung in der Bundesrepublik Deutschland vervollständige dieses Bild lediglich. Es werde daher um ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Bescheide ersucht.

Für den Fall einer Abweisung dieser Beschwerden durch die Finanzbehörde wären die korrekten Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2013 - 2017 zu ermitteln. Dies betreffe insbesondere Abzugsposten wie zB Kinderfreibeträge für zwei Kinder, Werbungskosten (Pendlerpauschale) etc. Es werde angeregt, das Verfahren kommunikativ so zu gestalten, dass bei einer allfälligen Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht diese Besteuerungsgrundlagen bzw. die abzugsfähigen Kosten bereits berücksichtigt würden. Im Jahr 2018 habe sich insoweit eine Änderung ergeben, als sich die Bf. offenbar in Unkenntnis der oben beschriebenen Komplexitäten der Grenzgängerregelung als Grenzgängerin mit Wirkung ab beim Finanzamt Braunau Ried Schärding angemeldet und eine Lohnsteuerbefreiung für ihre deutschen Dienstverhältnisse beantragt habe. Eine kleine Änderung im Sachverhalt sei insofern eingetreten, als die bisherigen Dienstverhältnisse direkt in ***B*** ausgeübt wurden, ab Juni 2018 jedoch ein neues Dienstverhältnis zum ***C*** abgeschlossen worden sei, der deutlich außerhalb von ***B*** liege. Es werde angeregt, auch die Frage zu klären, ob für die Zukunft Grenzgängereigenschaft anzunehmen sei oder nicht. Am Ende gehe es hier nicht um das lukrieren irgendwelcher Steuervorteile, sondern um die Vermeidung einer Doppelbesteuerung.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Einkommensteuerbescheide 2013 - 2017 aufgrund der Beschwerde vom geändert.

Begründend wurde ausgeführt, dass die durchgeführten Erhebungen ergeben hätten, dass die Bf. seit 2008 mit ihrem Gatten und den zwei Kindern in ***Ü*** ein Eigenheim bewohnen würden und sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich befinde. Die Bf. sei weiters Miteigentümerin von mehreren Eigentumswohnungen in ***B***, die bis auf eine allesamt vermietet werden. Die nicht vermietete Wohnung verfüge über zwei Zimmer auf 40 m² und werde gelegentlich von den Familienmitgliedern benutzt. Die Bf. sei als Bürokauffrau in ***B*** beschäftigt. Die kürzeste Strecke Wohnung - Arbeitsstätte betrage 9 Kilometer. Steuerrechtlich sei die Bf. als Grenzgängerin einzustufen. Wenn diese in der Beschwerde vermeine, dass die Einstufung wegen dem Zweitwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und dortiger fallweiser Nächtigung auf sie nicht zutreffe, sei dem Folgendes zu entgegnen: Grenzgänger sei jemand, der auf einer Seite der Grenze seinen "Wohnsitz" (Hauptwohnsitz) habe und auf der anderen Seite der Grenze arbeite und täglich an seinen Hauptwohnsitz zurückkehre (EAS 2733). Aufgrund einer Vereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland gehe die Grenzgängereigenschaft nicht verloren, wenn der Arbeitnehmer an maximal 45 Tagen nicht an seinen Hauptwohnsitz zurückkehre oder außerhalb der Grenzzone tätig sei. Die Nichtrückkehr oder die Tätigkeit außerhalb der Grenzzone müsse jedoch beruflich bedingt sein. Die Bf. sei daher trotz fallweiser Nächtigung am Zweitwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland als Grenzgängerin zu behandeln gewesen. Nachträglich zu gewähren seien die Kinderfreibeträge, das Pendlerpauschale und der Pendlereuro. Da im Jahr 2015 für das Kind ***O*** eine Ausgleichszulage nur bis Juni (nicht mehr als sechs Monate) zugestanden worden sei, sei der Kinderfreibetrag nicht zu berücksichtigen gewesen.

Ergänzend werde die Frage bezüglich des neuen Dienstverhältnisses zum ***C*** beantwortet: Die Grenzgängereigenschaft bliebe erhalten, wenn sich der Dienstort innerhalb der 30 km Grenzzone befinde. Die Entfernung werde nach der Luftlinie vom Dienstort zum nächstgelegenen Grenzpunkt bemessen.

Im Schreiben vom wurde die Vorlage der Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 - 2017 an das Bundesfinanzgericht beantragt und ausgeführt, dass die Bf. im gesamten maßgeblichen Zeitraum ihren Lebensmittelpunkt unstrittig in Österreich hatte. Darüber hinaus hatte die Bf. im gesamten Zeitraum einen Zweitwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, der nicht nur behördlich angemeldet gewesen sei, sondern auch tatsächlich genützt worden sei. Dieser Zweitwohnsitz befinde sich in unmittelbarer Nähe des Arbeitsortes.

Die Auslegung der Grenzgängerregelung in Zweifelsfragen sei Gegenstand einer aktuellen auf Grundlage des Art. 25 Abs. 3 DBA Deutschland abgeschlossenen Konsultationsvereinbarung zwischen Österreich und der der Bundesrepublik Deutschland (BMF-010221/00113-IV/8/2019 vom ). Dort werde in Punkt 1.3. ausdrücklich das Thema "Zweitwohnsitz" erörtert. Demnach führe bereits ein Zweitwohnsitz im Tätigkeitsstaat außerhalb des Grenzrayons dazu, dass bloße Zweifel an der arbeitstäglichen Rückkehr zu einem Verlust der Grenzgängereigenschaft führen würden. Ein Zweitwohnsitz innerhalb des Grenzrayons - zumal in Arbeitsplatznähe - müsse für die Annahme der Grenzgängereigenschaft umso schädlicher sein. Die in der Bescheidbeschwerde angeführte Nutzung des Zweitwohnsitzes am Arbeitsort wurde von der Finanzbehörde in den angefochtenen Bescheiden noch nicht einmal bezweifelt, sondern praktisch zugestanden (Bescheidbegründung vom , fünfter Absatz: "....trotz Zweitwohnsitz in Deutschland mit teilweiser Nächtigung..."). Der Vollständigkeit halber sei noch das Argument der Finanzbehörde widerlegt, wonach die Nichtrückkehr an den Wohnsitz "...beruflich bedingt sein..." müsse. Das Gegenteil sei der Fall - die Motivation der Nichtrückkehr an den Wohnsitz sei gänzlich irrelevant (mit Ausnahme der Sonderfälle Krankheit, Urlaub, Karenz und Elternzeit) - nachzulesen in der oben angeführten Konsultationsvereinbarung ebenso wie (beispielhaft) in der EAS 2803 vom .

Weiters sei noch erwähnt, dass die Bf. ihr Arbeitseinkommen im gesamten maßgeblichen Zeitraum laufend in Deutschland versteuert habe. Denke man die Ansicht der Finanzbehörde zu Ende, sei der nächste Schritt (parallel zur Behandlung der Beschwerden durch das Bundesfinanzgericht) ein Verständigungsverfahren zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland. Letztere werde wohl kaum auf ihre Besteuerungsrechte verzichten, um einer mehr als zweifelhaften Rechtsauslegung in Österreich zu folgen. In völliger Verkennung der Rechtslage habe die belangte Finanzbehörde den Arbeitslohn unter Anwendung des Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland ("Grenzgängerregelung") in Österreich der Besteuerung unterworfen. Dies sei nach den obigen Ausführungen zu Unrecht erfolgt.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

II. Sachverhalt

Die Bf. hat ihren Lebensmittelpunkt im streitgegenständlichen Zeitraum in Österreich. Am Hauptwohnsitz in ***Ü*** wohnt sie mit ihrem Gatten und den beiden Kindern in einem Einfamilienhaus.

Die Bf. erzielte als Bürokauffrau nichtselbständige Einkünfte bei einer Firma in ***B*** (Bundesrepublik Deutschland).

Die Entfernung zwischen Hauptwohnsitz und Arbeitsstätte beträgt rund 8,4 Kilometer. Die durchschnittliche Fahrtdauer für eine einfache Strecke mit überqueren der Landesgrenze beträgt rund 14 Minuten (Quelle: www.google.at/maps). Dass die Bf. ein Auto benutzt, gilt durch die Beantragung des Pendlerpauschales als erwiesen.

Die Bf. ist Miteigentümerin von mehreren Eigentumswohnungen in ***B***, die bis auf eine allesamt vermietet werden. Die nicht vermietete Wohnung verfügt über zwei Zimmer im Ausmaß von ca. 40 m². Diese Wohnung ist von der Bf. als (Neben-)Wohnsitz bzw. Zweitwohnsitz gemeldet.

Die Entfernung zwischen diesem "Wohnsitz" und der Arbeitsstätte beträgt rund 10 Gehminuten.

Strittig ist das Ausmaß der Nutzung der in ***B*** befindlichen Wohnung durch die Bf. Die Bf. behauptet, dass sie den Wohnsitz am Tätigkeitsort regelmäßig, wenn auch nicht überwiegend für Nächtigungen nützt. Die Abgabenbehörde gesteht der Bf. hingegen nur gelegentliche Nächtigungen in der Wohnung am Tätigkeitsort zu.

III. Beweiswürdigung

Unstrittig ist, dass sich der Hauptwohnsitz und somit der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Bf. in Österreich und ein (Neben-)Wohnsitz bzw. Zweitwohnsitz sowie die Arbeitsstätte in der Bundesrepublik Deutschland befinden. Alle Wohnsitze und die Arbeitsstätte befinden sich innerhalb der Grenzzone. Die Grenzzone umfasst einen Grenzstreifen entlang der Grenze von 30 Kilometern.

Die Bf. ist als Bürokauffrau beschäftigt. Ihre Behauptung, dass sie regelmäßig, aber nicht überwiegend am Wohnsitz nahe der Arbeitsstätte nächtigt, wurde nicht näher begründet. Der Hauptwohnsitz in ***Ü*** ist von der Arbeitsstätte mit dem Auto in rund 14 Minuten erreichbar. Zur Wohnung in der Nähe der Arbeitsstätte sind rund 10 Gehminuten erforderlich, mit dem Auto entsprechend weniger.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes widerspricht es den Erfahrungen im täglichen Leben, dass bei einer Entfernung zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsstätte von rund 8,4 Kilometer sowie einer durchschnittlichen Fahrzeit mit dem Auto von 14 Minuten regelmäßig in einer Wohnung am Tätigkeitsort genächtigt wird. Für das Bundesfinanzgericht sind weder berufliche noch private Gründe erkennbar, die für eine regelmäßige Nächtigung in der Zweizimmer-Wohnung am Tätigkeitsort sprechen.

Im Erwerbsleben nehmen die überwiegende Anzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Österreich wesentlich mehr Aufwand auf sich, um täglich vom Arbeitsort zum Familienwohnsitz zurückzukehren. Im gegenständlichen Fall liegt nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ein ungewöhnliches Verhalten vor. Nach der Judikatur liegt eine erhöhte Mitwirkungspflicht vor, wenn Behauptungen des Abgabepflichtigen mit den Erfahrungen des täglichen Lebens in Widerspruch stehen (vgl. Ritz, BAO6; § 115; Tz 13). Es wäre an der Bf. gelegen, Gründe für ihr Verhalten vorzubringen oder glaubhaft zu machen.

Die Abgabenbehörde hat gelegentliche Nächtigungen in der Wohnung am Tätigkeitsort für glaubhaft befunden. Diese Feststellung entspricht nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes durchaus dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut. Denn es vermögen wenige Male im Jahr Umstände auftreten, die aus beruflichen oder privaten Gründen eine Nutzung der gegenständlichen Wohnung am Beschäftigungsort erforderlich erscheinen lassen.

Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass die Bf. gelegentlich in einem untergeordneten Ausmaß in der Wohnung in der Nähe des Tätigkeitsortes genächtigt hat.

Zusammenfassend gelangt das Bundesfinanzgericht in freier Beweiswürdigung zur Ansicht, dass regelmäßige Nächtigungen in der Wohnung nahe der Arbeitsstätte weniger wahrscheinlich waren, als die weitaus überwiegende tägliche Rückkehr vom Tätigkeitsort zum Familienwohnsitz.

IV. Rechtslage

Art. 4 DBA Deutschland lautet:

(Abs. 1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und umfasst auch diesen Staat, seine Gebietskörperschaften und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Ausdruck umfasst jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.

(Abs. 2) Ist nach Abs. 1 eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt Folgendes:

a) Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);

b) kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;

c) hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist;

d) ist die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keines der Staaten, so werden sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten bemühen, die Frage in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln.

Art. 15 DBA Deutschland lautet:

(Abs. 1) Vorbehaltlich der Artikel 16 bis 20 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

(Abs. 6) Abs. 1 gilt nicht, wenn die Person

1. in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und

2. täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Grenzgänger).

Im Schlussprotokoll zu Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland wird festgehalten:

Als Nähe der Grenze gilt die Lage in einer Zone von je 30 Kilometern beiderseits der Grenze.

Mit , BMF-010221/0113-IV/8/2019, BMF-A V 68/2019, wurde die Konsultationsvereinbarung zu Zweifelsfragen hinsichtlich der Auslegung der Grenzgängerregelung nach Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland kundgemacht. Die Konsultationsvereinbarung dient der Klärung der Auslegung der Wirkungsweise der Grenzgängerregelung in Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland.

Damit die Voraussetzungen eines Grenzgängerstatus vorliegen, hat grundsätzlich die Rückkehr vom Arbeitsort zum Wohnsitz täglich zu erfolgen, wobei speziell im Abkommen mit Deutschland eine Toleranzregelung im Hinblick auf die Nichtrückkehrtage vereinbart wurde, wonach eine arbeitstägliche Rückkehr in den Wohnsitzstaat nicht zwingend erforderlich ist, sondern der Grenzgängerstatus aufrecht bleibt,

-wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist, oder

-der Arbeitnehmer nicht während des ganzen Jahres in der Grenzzone beschäftigt ist, wenn die Tage der Nichtrückkehr oder Tätigkeit außerhalb der Grenzzone 20 % der gesamten Arbeitstage nicht übersteigen, jedoch in keinem Jahr mehr als 45 Tage betragen.

§ 167 BAO lautet:

(Abs. 1) Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.

(Abs. 2) Im Übrigen hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

V. Erwägungen

Das Finanzamt hat die nichtselbständigen Einkünfte, die die Bf. zur Gänze in der Bundesrepublik Deutschland bezogen und versteuert hat, als Grenzgängerin in Österreich ebenfalls der Besteuerung unterzogen.

Die Bf. vertritt die Ansicht, dass aufgrund des Zweitwohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland eine Grenzgängereigenschaft nicht vorliegt.

Unstrittig ist, dass sich sowohl der Familienwohnsitz bzw. der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich und die Arbeitsstätte in der Bundesrepublik Deutschland befinden. Ebenso unstrittig ist, dass die Bf. in der Nähe der Arbeitsstätte in der Bundesrepublik Deutschland einen (Neben-)Wohnsitz bzw. Zweitwohnsitz gemeldet hat. Alle Wohnsitze und die Arbeitsstätte befinden sich innerhalb der Grenzzone.

Die Bf. verweist auf die schon zitierte Konsultationsvereinbarung zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen der Grenzgängerregelung. Dort sei in Punkt 1.3. ausdrücklich das Thema "Zweitwohnsitz" erörtert worden. Demnach führe bereits ein Zweitwohnsitz im Tätigkeitsstaat außerhalb des Grenzrayons dazu, dass bloße Zweifel an der arbeitstäglichen Rückkehr zu einem Verlust der Grenzgängereigenschaft führen würden. Ein Zweitwohnsitz innerhalb des Grenzrayons - zumal in Arbeitsplatznähe - müsse für die Annahme der Grenzgängereigenschaft umso schädlicher sein.

Diesen Ausführungen wird vom Bundesfinanzgericht grundsätzlich nicht entgegengetreten, ist doch eine tägliche Rückkehr vom Arbeitsort an den Wohnsitz eine Bedingung für die Anwendung der Grenzgängerregelung.

Es wird keineswegs bestritten, dass bei Vorhandensein eines Zweitwohnsitzes am Tätigkeitsort Zweifel an der arbeitstäglichen Rückkehr in den Ansässigkeitsstaat auftreten würden. Entgegen der Auffassung der Bf. kommt es jedoch auf das Vorhandensein eines derartigen Wohnsitzes am Tätigkeitsort alleine nicht an.

Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht haben den Sachverhalt dahingehend zu prüfen, ob die Zweifel an der täglichen Rückkehr vom Arbeitsort zum Hauptwohnsitz berechtigt sind und somit einer Anwendung der Grenzgängerregelung entgegenstehen.

Kehrt der Arbeitnehmer nicht täglich an seinen Hauptwohnsitz zurück, dann geht die Grenzgängereigenschaft nach der deutsch-österreichischen Konsultationsvereinbarung nicht verloren, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und in dieser Zeit höchstens an 45 Tagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt.

In diesem Zusammenhang hat die Bf. zutreffender Weise darauf hingewiesen, dass es nach der angeführten Konsultationsvereinbarung unerheblich ist, aus welchen Gründen der tägliche Grenzübertritt nicht stattfindet.

Zum Sachverhalt hat das Bundesfinanzgericht im Rahmen der Beweiswürdigung nicht in Abrede gestellt, dass die Bf. gelegentlich in einem untergeordneten Ausmaß in der Wohnung in der Nähe des Tätigkeitsortes genächtigt haben mag. Bei einer Annahme von rund 250 Arbeitstagen pro Kalenderjahr nimmt es das Bundesfinanzgericht als erwiesen an, dass die Bf. keineswegs mehr als an 45 Tagen an ihrem (Neben-)Wohnsitz bzw. Zweitwohnsitz am Tätigkeitsort genächtigt hat.

Die von der Bf. behaupteten regelmäßigen Nächtigungen wurden zahlenmäßig nicht näher konkretisiert. Es wurde auch keine Begründung vorgebracht, warum regelmäßige Nächtigungen in der Wohnung am Tätigkeitsort erfolgten, obwohl der Haupt- und Familienwohnsitz nur rund 8,4 km vom Tätigkeitsort entfernt und mit dem Auto in rund 14 Minuten erreichbar ist.

Da sich die Nichtrückkehrtage innerhalb der Toleranzgrenze bewegen, ist die Abgabenbehörde zu Recht davon ausgegangen, dass die Grenzgängerregelung anzuwenden ist.

Zur Toleranzregelung hält das Bundesfinanzgericht fest, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Konsultationsvereinbarung in nahezu allen Fällen der österreichischen Auffassung folgt und eigene Rechtsansichten speziell im Hinblick auf die 45 Nichtrückkehrtage zugunsten der österreichischen Auffassung verwirft (vgl. Haas in SWI 2019, 324).

Wenn die Bf. anführt, dass sie ihre Einkünfte von 2013 - 2017 guten Glaubens bzw. in Unkenntnis der Komplexität der Grenzgängerregelung zur Gänze in der Bundesrepublik Deutschland versteuert habe, bringt sie den Grundsatz von Treu und Glauben ins Treffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Grundsatz von Treu und Glauben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass dieser die Behörde nicht hindert, von einer als unrichtig erkannten Rechtsauffassung später abzugehen; dieser Grundsatz schützt nicht allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit. Nur wenn der Abgabepflichtige von der Finanzbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert werde und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstelle, dürfe er vertrauen (vgl. ). Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, ungeachtet erteilter Auskünfte oder rechtskräftiger Bescheide in dem von ihnen zu beurteilenden Zeitraum dem Recht im objektiven Sinn zum Durchbruch zu verhelfen. Ein Vertrauen des Steuerpflichtigen auf rechtswidrigen Vollzug wird vom Gesetz insofern nicht geschützt (vgl. ).

Im Vorlageantrag hat die Bf. moniert, dass die Bundesrepublik Deutschland in einem Verständigungsverfahren wohl kaum auf ihre Besteuerungsrechte verzichten würde. Bezüglich der von der Bf. eingewendeten Doppelbesteuerung ist festzuhalten, dass die maßgebliche abkommensrechtliche Bestimmung des Art. 25 Abs. 1 DBA Deutschland lautet: "Ist eine in einem Vertragsstaat ansässige Person der Auffassung, dass die Maßnahmen eines Vertragsstaates oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung geführt haben oder führen werden, die dem Abkommen nicht entspricht, so kann sie unbeschadet der nach innerstaatlichem Recht dieser Staaten vorgesehenen Rechtsmittel ihren Fall der zuständigen Behörde des Vertragsstaates, in dem sie ansässig ist, unterbreiten." Gemäß Art. 3 Abs.1 DBA Deutschland bedeutet der Ausdruck "zuständige Behörden" im Sinne des genannten Abkommens in Österreich: den Bundesminister für Finanzen. Aus den zitierten Bestimmungen geht zunächst eindeutig hervor, dass - wie von der Bf. auch eingestanden wurde - Beschwerde- und Verständigungsverfahren zwei voneinander unabhängige Verfahren sind. Weiters wird klargestellt, dass die zuständige Behörde für die Durchführung eines Verständigungsverfahrens und damit die Behörde bei welcher ein entsprechender Antrag einzubringen ist, der Bundesminister für Finanzen ist. Für das Bundesfinanzgericht ist aus dem DBA an keiner Stelle eine Zuständigkeit im Rahmen des Verständigungsverfahrens oder Hemmung des Fortganges der Rechtsmittelbearbeitung vorgesehen.

In der Beschwerde wurde für den Fall der Abweisung die Berücksichtigung der Kinderfreibeträge für zwei Kinder sowie das Pendlerpauschale beantragt. In den Beschwerdevorentscheidungen betreffend Einkommensteuer 2013 - 2017 wurden zutreffenderweise den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend die Kinderfreibeträge, das Pendlerpauschale und der Pendlereuro berücksichtigt. Da im Jahr 2015 für das Kind ***O*** nur bis Juni (nicht mehr als sechs Monate) eine Ausgleichszulage zustand, wurde der Kinderfreibetrag in diesem Jahr nur für ein haushaltszugehöriges Kind berücksichtigt. Im Vorlageantrag wurden dagegen keine weiteren Einwendungen erhoben. Hinsichtlich der Berechnung der Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe wird zulässigerweise auf die Beschwerdevorentscheidungen des Finanzamtes verwiesen.

VI. zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall ergeben sich die Rechtsfolgen aus dem Doppelbesteuerungsabkommen, diese schlichte Rechtsanwendung berührt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zudem hing die Entscheidung im Wesentlichen von einer im Streitfall ausschließlich einzelfallbezogenen Sachverhaltsfrage ab, die im Wege der freien Beweiswürdigung beurteilt wurde. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 15 Abs. 6 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
Art. 15 Abs. 1 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100772.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at