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Verfahrenshilfe – Einzel – Beschluss, BFG vom 04.02.2022, VH/5100001/2022

Verfahrenshilfeantrag zur Einbringung einer Beschwerde gegen einen Haftungsbescheid

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** über den Antrag der ***Bf1***, ***1***, vom auf Bewilligung von Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO betreffend das Beschwerdeverfahren gegen den Haftungsbescheid gemäß §§ 9, 80 BAO vom , Steuernummer ***BF1StNr1*** beschlossen:

I. Der Antragstellerin wird gemäß § 292 BAO Verfahrenshilfe bewilligt.

II. Die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wird davon gemäß § 292 Abs. 10 BAO unter Hinweis auf den im Antrag geäußerten Wunsch der Antragstellerin, die ***2***, FN ***3***, ***4***, auszuwählen, benachrichtigt.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Sachverhalt:

Mit Haftungsbescheid vom wurde die Antragstellerin (in der Folge kurz: AS), die laut Firmenbuch seit Errichtung der ***5*** GmbH im Jahr 2004 bis zur Konkurseröffnung am Geschäftsführerin dieser Gesellschaft war und seit als deren Liquidatorin fungiert, gemäß §§ 9, 80 BAO für aushaftende Abgabenschulden der Gesellschaft in Höhe von 95.038,79 € in Anspruch genommen.

Die Abgaben betreffen Zeiträume zwischen 2005 und 5/2014, die zwischen und fällig gewesen sind.

In der Bescheidbegründung wurde u.a. ausgeführt:

"Im gegenständlichen Fall wurde Ihnen mit Schreiben vom ein Vorhalteverfahren zugestellt. Dieses Vorhalteverfahren wurde u.a. dahingehend beantwortet, dass in den Jahren 2004 bis 2014 nach einer Steuerfahndung diverse Bescheide bekämpft und ständige Konkursanträge durch das Finanzamt abgewiesen wurden, jedoch letztendlich die finanziellen Mittel für eine weitere Vertretung durch Herrn ***6*** fehlten.

Die im Vorhalteverfahren geforderten Unterlagen zur Beurteilung der Gläubigergleichbehandlung wurden nicht vorgelegt. Lediglich das Formular EV 6 "Vermögensverzeichnis gemäß § 31a AbgEO in Verbindung mit § 47 EO" wurde eingebracht.

Entscheidend für den Umfang der Geschäftsführerhaftung ist jedoch der Nachweis der Gleichbehandlung des Abgabengläubigers im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern. Da dieser Nachweis bis zum heutigen Tag nicht erbracht wurde, muss das Finanzamt von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgehen, weshalb die Haftung auszusprechen war."

Zuvor war die AS mit Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom in Punkt 5. folgendermaßen zum Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger aufgefordert worden:

"5. Entscheidend für den Umfang der Geschäftsführerhaftung ist die Gleichbehandlung des Abgabengläubigers im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern.

Haftungsrelevant ist im gegenständlichen Fall der Zeitraum (Fälligkeit der ältesten Abgabenschuld) bis (Fälligkeit der jüngsten Abgabenschuld vor Insolvenzeröffnung).

Entscheidend ist daher die Gläubigergleichbehandlung bzw. Nichtbenachteiligung des Abgabengläubigers in diesem Zeitraum. Dabei sind alle Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin, die zu Beginn des einheitlichen Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig geworden sind, unter Einschluss der Abgabenverbindlichkeiten zu addieren. Weiters sind alle in diesem Zeitraum auf diese Verbindlichkeiten getätigten Zahlungen zu addieren und der erstgenannten Summe der fälligen bzw. fällig gewordenen Gesamtverbindlichkeiten gegenüberzustellen. Durch die Gegenüberstellung dieser Summen errechnet sich das Verhältnis, zu dem Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin durchschnittlich im Beurteilungszeitraum getilgt worden sind ("allgemeine Zahlungsquote" im einheitlichen Beurteilungszeitraum). Da bei der Berechnung dieser Quote allein auf fällige Verbindlichkeiten abzustellen ist, haben Verbindlichkeiten gegenüber den das Unternehmen finanzierenden Kreditinstituten, die von diesen (noch) nicht fällig gestellt worden sind, außer Ansatz zu bleiben. Im Wesentlichen werden daher die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Arbeitnehmeransprüche, Verbindlichkeiten gegenüber der GKK und dem Finanzamt sowie sonstige im Beurteilungszeitraum fällige bzw. fällig gewordene Verbindlichkeiten und die auf diese fälligen Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen zu ermitteln sein.

Eine gleichartige Berechnung ist sodann isoliert für die Abgabenverbindlichkeiten anzustellen: Es sind die in diesem Beurteilungszeitraum getätigten Zahlungen an das Finanzamt den insgesamt zu Beginn dieses Zeitraumes fälligen samt den in diesem Zeitraum fällig gewordenen Abgabenverbindlichkeiten gegenüberzustellen ("Finanzamt-Zahlungsquote" im einheitlichen Beurteilungszeitraum)."

Mit Schreiben vom stellte die AS bei der Abgabenbehörde einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO wegen eines Haftungsbescheides vom .

Gegen diesen Haftungsbescheid, welcher der AS am zugestellt worden sei, wolle sie Beschwerde erheben.

Die zu entscheidenden Rechtsfragen würden besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, sodass für die effektive Wahrnehmung ihrer Rechte, nämlich für die Darlegung, dass sie an der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschulden kein Verschulden treffe, sie keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt und insbesondere den Abgabengläubiger gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt habe und die zugrunde liegenden Abgaben verjährt seien, ein berufsmäßiger Parteienvertreter (Wirtschaftstreuhänder) notwendig sei.

Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder solle mit der Bestellung eines Verfahrenshelfers beauftragt werden. Nachdem die Steuerberatungs- und Wirtschaftstreuhänderkanzlei ***2***, FN ***3***, ***4***, im Vorfeld (Abgabenverfahren, Steuerberater der primären Abgabenschuldnerin ***5*** GmbH) betraut gewesen sei, erscheine eine Vertretung durch diese Kanzlei ökonomisch und zweckmäßig.

Die AS sei ohne Beistand durch einen Wirtschaftstreuhänder nicht in ausreichendem Maß in der Lage, vor dem Finanzamt oder vor dem Bundesfinanzgericht ihren Standpunkt darzulegen und sich in zweckentsprechender Weise zu vertreten. Besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art im Sinne des § 292 Abs. 1 BAO lägen daher vor.

Aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei sie außerstande, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Tochter, für deren Unterhalt sie zu sorgen habe, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Vertretung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter (Wirtschaftstreuhänder) zu tragen.

Unter Anschluss des Haftungsbescheides vom sowie der Einkommens- und Vermögenserklärung samt Lohnzetteln werde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beistellung eines Verfahrenshelfers sowie im vollen Umfang für Gebühren, Barauslagen, Sachverständigengebühren udgl. für die Erhebung der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid vom beantragt.

Laut dem beigelegten "Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe" vom arbeitet die AS als Bürohilfskraft bei der Fa. ***7*** GmbH und verdient - belegt durch Gehaltsabrechnungen vom September 2021 und November 2021 - monatlich netto 1.140,16 € bzw. monatlich netto 2.225,27 € inklusive Sonderzahlung.

Die AS bewohnt eine Mietwohnung, bestehend aus Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche und trägt dafür monatliche Mietkosten von 350,00 €.

Ihren Angaben zufolge ist die AS gegenüber ihrer im Jahr 2000 geborenen Tochter ***8*** unterhaltspflichtig; an Unterhaltsleistungen führt die AS monatlich 300,00 € an.

Laut dem vorgelegten Vermögensbekenntnis verfügt die AS neben einem Bankguthaben von 3.700,00 € über kein weiteres Vermögen. An Schulden führt sie offene Kredite von 40.000,00 € und 55.000,00 € an.

Das Finanzamt legte den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe dem Bundesfinanzgericht am vor.

Rechtslage:

Die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Bestimmungen des § 292 BAO lauten:

(1) Auf Antrag einer Partei (§78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,

1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und

2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

(…)

5) Offenbar aussichtslos ist eine Beschwerde insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Bei einer nicht ganz entfernten Möglichkeit des Erfolges liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Mutwillig ist eine Beschwerde dann, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist oder bewusst sein muss.

(6) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist bis zur Vorlage der Bescheidbeschwerde bei der Abgabenbehörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. (…)

(7) Der Antrag kann gestellt werden

1. ab Erlassung des Bescheides, der mit Beschwerde angefochten werden soll (…)

(8) Der Antrag hat zu enthalten

1. die Bezeichnung des Bescheides (Abs.7 Z 1) (…)

2. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

3. die Entscheidung der Partei, ob der Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder der Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt,

4. eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der wirtschaftlich Beteiligten.

(9) Ein bei der Abgabenbehörde vor Vorlage der Bescheidbeschwerde eingebrachter Antrag ist unter Anschluss der Verwaltungsakten unverzüglich dem Verwaltungsgericht vorzulegen.

(10) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag mit Beschluss zu entscheiden. Hat das Gericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hievon zu benachrichtigen.

(11) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hat mit Beschluss den Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt zu bestellen, dessen Kosten die Partei nicht zu tragen hat. Wünschen der Partei über die Auswahl der Person des Wirtschaftstreuhänders oder Rechtsanwaltes ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. Von der Bestellung sind die Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht zu verständigen.

(12) Wird der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb einer für die Einbringung der Beschwerde (§ 243, § 283), des Vorlageantrages (§ 264) oder einer im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Verwaltungsgericht einzuhaltenden Frist gestellt, so beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, in dem

1. der Beschluss über die Bestellung des Wirtschaftstreuhänders bzw. Rechtsanwaltes zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid dem Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt bzw.

2. der den Antrag nicht stattgebende Beschluss der Partei

zugestellt wurde, von neuem zu laufen.

(13) Die Bewilligung der Verfahrenshilfe ist vom Verwaltungsgericht zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung nicht mehr gegeben sind oder wenn das Vorhandensein der Voraussetzungen aufgrund unrichtiger oder irreführender Angaben der Partei zu Unrecht angenommen worden ist.

Nach § 47 Abs. 3 Grundrechtecharta (GRC) wird Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

Nach den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes ( und ) ist die Bestimmung des § 292 BAO verfassungskonform wie folgt auszulegen (vgl. Ritz/Koran, BAO7 (2021), § 292 Rz 4a):

"Die Wendung "dass zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen," erfordert und erlaubt eine Prüfung, ob im konkreten Einzelfall für den Antragsteller besondere Schwierigkeiten bestehen. Dabei sind alle Umstände des Falles wie der Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Rechtsschutzsuchenden, die Bedeutung des Rechtsstreites für diesen, die Komplexität des geltenden Rechtes und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeiten des Rechtsschutzsuchenden, sein Anliegen wirksam zu verteidigen, abzuwägen.

Damit schließt § 292 Abs. 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten."

Erwägungen:

Besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art

Zu prüfen ist zunächst, ob die im gegenständlichen Fall zu entscheidenden Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art im Sinne des § 292 Abs. 1 BAO aufweisen.

In verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und die Frage zu beantworten, ob die AS unter Berücksichtigung ihrer subjektiven Fähigkeiten Schwierigkeiten hat, ihr Anliegen wirksam zu vertreten und ausreichend präzise zu formulieren.

Dass bei objektiver Betrachtung eine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art allenfalls nicht vorliegt, schließt nach der o.a. Rechtsprechung die Gewährung von Verfahrenshilfe nicht aus.

Die AS begründete ihren Antrag damit, Beschwerde gegen den Haftungsbescheid einlegen zu wollen, um darzulegen, dass sie an der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschulden kein Verschulden treffe, sie keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt habe, sie den Abgabengläubiger gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt habe und die zugrundeliegenden Abgaben verjährt seien.

In einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid hat die beschwerdeführend Partei die genannten Umstände (keine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten, Gläubigergleichbehandlung) von sich aus darzulegen.

Diese von der AS zu erbringenden Nachweise, insbesondere die Erbringung des Gleichbehandlungsnachweises und damit im Zusammenhang auch die Frage der Verjährung, weisen nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf (vgl. auch ).

Erschwerend kommt, wie aus dem Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom zu entnehmen ist, hinzu, dass der von der AS geforderte Nachweis der Gläubigergleichbehandlung sich über eine verhältnismäßig lange Zeitspanne von rund sieben Jahren zu erstrecken hat.

Bereits der Umstand, dass die AS auf die im Ergänzungsersuchen gestellten Fragen nicht einging, sondern lediglich darauf verwies, dass ihr die finanziellen Mittel gefehlt hätten, um dem steuerlichen Vertreter eine Vorauszahlung für die weitere Vertretung zu leisten, weshalb sie kein Rechtsmittel mehr ergreifen habe können, lassen auf Probleme der AS schließen, ihren Rechtsstandpunkt ausreichend zu vertreten.

Dem Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung ist zu entnehmen, dass die Gesellschaft, deren Geschäftsführerin die AS war, steuerlich stets vertreten war.

Die Höhe des Haftungsbetrages in Relation zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen spricht für die besondere Bedeutung des Rechtsstreits für die AS.

Besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art im Sinne des § 292 Abs. 1 BAO liegen daher vor.

Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts

Nach § 292 Abs. 1 Z 1 BAO ist Verfahrenshilfe nur insoweit zu bewilligen, als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Der notwendige Unterhalt liegt abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum, das mit dem Richtsatz für Ausgleichszulagen gleichgesetzt wird, und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (Ritz/Koran, aaO, § 292 Rz 10).

Der Ausgleichszulagenrichtsatz beträgt gemäß § 293 ASVG ab für eine alleinstehende Person 1.030,49 €, daher rund 14.427,00 € jährlich (2021: 1.000,48 € monatlich, rund 14.007,00 € jährlich). Laut www.oesterreich.gv.at, Stichwort "Ausgleichszulage", wird diese 14-mal jährlich ausbezahlt.

Dieser Richtsatz erhöht sich ab für jedes Kind im Sinne des § 252 ASVG um 159,00 € (2021: 154,37 €).

Laut Statistik Austria (www.statistik.at) betrug in Oberösterreich im Jahr 2020 das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen für Frauen 19.888,00 € und für Männer 31.333,00 €; Daten für 2021 sind auf der Homepage der Statistik Austria, soweit ersichtlich, noch nicht veröffentlicht.

Nach den beiden vorgelegten Gehaltsabrechnungen für September 2021 (monatliches Nettoeinkommen von 1.140,16 €) und November 2021 (monatliches Nettoeinkommen inklusive Weihnachtsremuneration von 2.225,27 €) betrug das jährliche Nettoeinkommen der AS im Jahr 2021 rund 15.840,00 €.

Der jährliche Durchschnittswert zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen einer unselbständig erwerbstätigen Frau und dem Existenzminimum, der dem notwendigen Unterhalt im Sinne des § 292 Abs. 1 Z 1 BAO entspricht, liegt daher bei rund 16.900,00 € und übersteigt das jährliche Nettoeinkommen der AS.

Unter diesen Umständen - das jährliche Nettoeinkommen der AS liegt bereits unter dem notwendigen Unterhalt - bedarf es keiner weiteren Ausführungen, dass die Bezahlung eines Parteienvertreters den notwendigen Unterhalt der AS beeinträchtigen würde.

Eine Klärung der Frage, ob und aus welchem Grund die AS für ihre im Jahr 2000 geborene Tochter noch unterhaltspflichtig ist und welche Zahlungen sie tatsächlich aufgrund der Kreditverbindlichkeiten zu leisten hat, war daher nicht mehr entscheidend.

Weder offenbar aussichtslos noch mutwillig

Eine Beschwerde gegen den Haftungsbescheid aus den genannten beabsichtigten Gründen kann weder als offenbar aussichtslos noch als mutwillig im Sinne des § 292 Abs. 5 BAO bezeichnet werden.

Antrag im Zusammenhang mit der Aktenlage

Der Haftungsbescheid wurde gemäß § 292 Abs. 7 Z 1 BAO nach der Aktenlage wirksam erlassen und der AS durch Hinterlegung am zugestellt. Dagegen soll eine Bescheidbeschwerde erhoben werden.

Die AS brachte den gegenständlichen Antrag vor Ablauf der Beschwerdefrist gemäß § 292 Abs. 6 BAO bei der Abgabenbehörde ein.

Der Antrag enthält sämtliche Inhaltserfordernisse nach § 292 Abs. 8 Z 1 bis 4 BAO.

Beigabe eines Verfahrenshelfers/einer Verfahrenshelferin:

Da die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wird der AS Verfahrenshilfe bewilligt.

Die Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wird gemäß § 292 Abs. 10 BAO von der Bewilligung der Verfahrenshilfe verständigt

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die in diesem Beschluss zu beurteilenden Rechtsfragen folgen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, weshalb eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 292 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:VH.5100001.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at