Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.02.2022, RV/5200002/2019

Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO für festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, vertreten durch ***V.***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des damaligen Zollamtes ***ZA*** (nunmehr Zollamt Österreich) vom , Zahl: ***000***, über die Zurückweisung eines Antrages auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten (Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung) gemäß § 236 Bundesabgabenordnung (BAO) zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang und Sachverhalt

Die beschwerdeführende Gesellschaft, ein Speditionsunternehmen, beantragte bei der Zollstelle ***ZS*** des damaligen Zollamtes ***ZA*** mit vier Anmeldungen im Zeitraum April bis Juni 2011 als indirekte Vertreterin eines in Belgien ansässigen Empfängers die Überführung von Tonerkartuschen mit Ursprungsland Türkei in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr und die Befreiung der Waren von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 (Binnenmarktregelung-BMR), indem sie im Feld 37 der Zollanmeldungen den Verfahrenscode "4200" eintrug.

Die angemeldeten Waren wurden in der Folge vom Zollamt antragsgemäß unter Gewährung der Einfuhrumsatzsteuerfreiheit überlassen.

Im Rahmen einer zollbehördlichen Überprüfung der gegenständlichen Anmeldungen stellte sich heraus, dass die Lieferungen Gegenstand eines europaweiten Umsatzsteuerbetruges waren. Die Täterbande wurde durch das Landesgericht Bochum rechtskräftig verurteilt.

Das Zollamt teilte der Bf. mit Bescheid vom , Zahl: ***111***, für jene eingangsabgabenpflichtigen Waren, die mit den erwähnten vier Anmeldungen im Zeitraum April bis Juni 2011 in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung überführt wurden, gemäß Art. 221 Abs. 1 Zollkodex (ZK) eine gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchstabe a Zollkodex (ZK) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) entstandene und zuvor buchmäßig erfasste Eingangsabgabenschuld (Einfuhrumsatzsteuer) in der Höhe von 157.429,31 Euro mit und schrieb ihr gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung im Ausmaß von 12.844,76 Euro zur Entrichtung vor.

Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde änderte das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/5200065/2014, den Spruch des bekämpften Bescheides dahingehend, dass die Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art 204 Abs. 1 Buchstabe b und Abs. 3 ZK iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG entstanden war, und wies im Übrigen die Beschwerde als unbegründet ab.

Der von der Bf. angerufene Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom , E 3015/2017, die Behandlung der Beschwerde ab. Die außerordentliche Revision der Bf. an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom , Ra 2019/16/0075, als verspätet zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Zollamtes vom , Zahl: ***111***, ist somit rechtskräftig.

Mit Eingaben vom und stellt die Bf. beim Zollamt einen Antrag auf Erlass der vorgeschriebenen Beträge an Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung samt Aussetzungszinsen gemäß Art. 239 ZK und Art. 120 UZK.

Mit einer weiteren - für das hier vorliegende Beschwerdeverfahren maßgeblichen - Eingabe vom beantragte die Bf. die "Erstattung einer Abgabenschuld gemäß § 236 Abs. 2 BAO".
Dies zusammengefasst mit der Begründung ("Fazit" unter Punkt VI. der Eingabe):
Obwohl die Rechtslage zwischenzeitlich eindeutig sei, also Österreich zur Erhebung der EUSt gar nicht berechtigt gewesen sei, sei auch in diesem Fall von einem Dritten, hier dem zur indirekten Stellvertretung gezwungenen Ast., Einfuhrmehrwertsteuer erhoben worden, die der Republik Österreich gar nicht zustehen würde.
Die Ast. habe weder mit der Auslieferung an die ***** noch mit einem vermutlichen Steuerbetrug nur ansatzweise etwas zu tun gehabt (Beilage II). Sie habe erst im Rahmen später eingeleiteter Eigenermittlungen von Machenschaften erfahren, die sie sich im Kühnsten nicht habe erträumen lassen, weil sie es für völlig unmöglich gehalten habe, dass im Mehrwertsteuersystem der EU Betrugsszenarien dieser oder ähnlicher Art überhaupt möglich seien.
Aus der beiliegenden Workflow Beschreibung könne sich die Behörde selbst ein Bild darüber machen, welche innerbetrieblichen Anforderung das Unternehmen seinen Mitarbeitern stelle (vgl. Punkt 4 "Workflow") und wie sich die gegenständlichen Handlungen abgezeichnet hätten (Beilage III).
Ergänzende Hinweise zum Antrag auf Billigkeit gemäß § 236 Abs. 2 BAO würde das Zollamt den Erläuterungen zum Antrag auf Erlass gem. Art. 239 ZK vom (Beilage I ) entnehmen mögen.

Das Zollamt wies das Ansuchen mit dem hier angefochtenen Bescheid vom , Zahl: ***000***, zurück.
Da die Bestimmungen der BAO gegenüber den zollrechtlichen Bestimmungen der Gemeinschaft nur subsidiär zur Anwendung kommen könnten, seien diesbezüglich die Bestimmungen über die Erstattung und Erlass von Abgaben nach den einschlägigen Bestimmungen und Tatbeständen der Artikel 116 bis 120 Zollkodex, Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (UZK), i. v. m. § 73 ZollR-DG ((vormals 235 bis 242 Zollkodex (ZK, Verordnung (EWG) des Rates, Nr. 2913/92 vom ) i. V. m. Artikel 877 bis 909 Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZK-DVO) und § 83 ZollR-DG)), als vorrangige gesetzliche Bestimmungen, zur Anwendung zu bringen. Ein eigentliches Billigkeitsregime existiere dabei für Ein- und Ausfuhrabgaben nur unter den in Artikel 120 UZK i. V. m. § 73 ZollR-DG (vormals Art. 239 ZK i. V. m Artikel 899 Abs. 2 ZK-DVO und § 83 ZollR-DG) geregelten Voraussetzungen.
Entscheidungen hinsichtlich dieser Normierung seien am unter Zahl: ***222*** mit Erstbescheid und am unter Zahl: ***333*** mit Beschwerdevorentscheidung getroffen und mitgeteilt worden.

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom .
Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich nach dem , Vetsch, eine Steuerhinterziehung in einer Lieferkette dem Importeur, aber auch dem indirekten Vertreter ohne persönlichem Schuldvorwurf nicht zurechnen lasse. Das bringe die Bf. zum Schluss, dass es sich sowohl bei der Abgabenvorschreibung des Zollamtes um einen rechtswidrigen Vorgang, der an Willkür grenze, und beim Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5200065/2014 um einen sprichwörtlichen Justizirrtum gehandelt haben müsse.
Warum das Zollamt dem damaligen Erstattungsbegehren nach Art. 239 Zollkodex nicht gefolgt sei, sei mehr als unverständlich. Faktum sei, dass eine nach Artikel 138 MwStSystRL befreite innergemeinschaftliche Lieferung/Verbringung durch den Importeur Vertrauensschutz nach Artikel 143 Abs. 1 Buchstabe d MwStSystRL, in Österreich somit nach Art. 6 Abs. 3 i.V.m. Art. 7 Abs. 4 UStG ergebe. Obwohl ein Spediteur mangels Verfügungsmacht denkunmöglich Importeur und Steuerschuldner, sondern ein außerhalb des Steuersystems der innergemeinschaftlichen Lieferung/Verbringung stehender Dritter, nämlich der die Einfuhr Anmeldende (vgl. Rn 5, Schlussanträge C-531/17, Vetsch) sein könne, könne ihm ein kontaminierter Fremdumsatz - wenn überhaupt - nur zugerechnet werden, wenn ihn ein persönlicher Schuldvorwurf treffe.
Die dem Zollverfahren 4200 nach Überlassung zum freien Verkehr folgende Anschlusslieferung/Verbringung unterliege in toto nicht dem Zoll- sondern dem Mehrwertsteuerrecht, allein deshalb erzeuge die von der zuständigen Zollbehörde anzustellende Vorabprüfung Vertrauensschutz, der nur bei einem Wissen(-müssen) von Umsatzsteuerhinterziehungen in der Lieferkette durchbrochen werden könne.
§ 26 Abs. 1 UStG und sonstige Verweisungsvorschriften auf das Zollrecht (so auch § 54 ZollR-DG) seien wegen Art. 143 Abs. 1,2 MwStSystRL i.V.m. Art. 6 Abs. 3 UStG unanwendbar.Eine Heilung (Schadenswiedergutmachung) sei deshalb das Verfahren gemäß § 236 Abs. 2 BAO.

Das Zollamt wies in der Folge die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl: ***444***, als unbegründet ab.

Mit Schreiben vom stellte die Bf. fristgerecht einen Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
Die Ausführungen im Vorlageantrag thematisieren die Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides vom , die nach Ansicht der Bf. rechtswidrige Verwaltungspraxis in Österreich zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer im Zusammenhang mit dem sogenannten Verfahren "4200" sowie die diesbezüglich ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Vertreter der Bf. brachten in der am durchgeführten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes ergänzend vor:
Aus dem Sachverhalt ergebe sich, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer vorliegen würden. Bei der Abgabenvorschreibung an die Bf. gehe es in Wahrheit um eine Verweigerung der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung, aber nicht mehr um die Einfuhrumsatzsteuer. Aus diesem Grund sei die Regelung des § 26 Abs. 1 UStG 1994 nicht anwendbar, weil sich diese nur auf die Einfuhrumsatzsteuer beziehe. Im Übrigen verweise diese Bestimmung zwar auf die Anwendung der Art. 116 bis 123 Zollkodex, aus dem Wortlaut gehe aber nicht hervor, dass damit eine ausschließliche Anwendung dieser Artikel angeordnet werde. Vielmehr sei diese Bestimmung dahingehend auszulegen, dass die Erstattungstatbestände des Zollkodex ergänzend zu den Erstattungsmöglichkeiten oder Rechtsbehelfen nach der BAO Anwendung finden würden. Dementsprechend sei daher etwa eine Beschwerde nach der BAO parallel zu Erstattungsanträgen nach dem Zollkodex möglich.
Richtig sei zwar, dass es einen rechtskräftigen Abgabenbescheid infolge der rechtskräftigen Abweisung der entsprechenden Beschwerde gebe. Dies ändere aber nichts daran, dass in unionsrechtskonformer Auslegung die Abgabenvorschreibung als Vorschreibung einer "normale Umsatzsteuer" zu qualifizieren sei, die jedenfalls die Anwendung der BAO rechtfertige, insbesondere des § 236 BAO.
Die Frage des Vorrangs der zollrechtlichen Bestimmungen, insbesondere des § 83 ZollR-DG gegenüber der Bestimmung des § 236 BAO stelle sich insoweit nicht, als in Fällen der Befreiung der Umsatzsteuer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen die Rechtsbehelfe der BAO anwendbar seien. Wolle man aus dem Umstand, dass die Abgabenvorschreibung mit einer Einfuhrzollanmeldung im Verfahren 4200 zusammenhänge, schließen, dass daneben auch § 83 ZollR-DG anwendbar sei, so handle es sich dabei um eine ergänzend anwendbare Vorschrift.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Beweiswürdigung

Der unter Punkt I. angeführte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten, dass weitere Erhebungen erforderlich und zweckmäßig erscheinen.

Rechtslage

§ 1 Abs. 1 BAO lautet:
"Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind."

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung (Abs. 2 leg. cit.).

Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht gemäß § 279 Abs. 1 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG, BGBl. Nr. 659/1994 idF vor Inkrafttreten des AbgÄG 2015, BGBl I Nr. 163/2015) lautet:
"§ 1. (1) Das Zollrecht der Europäischen Union ist im Anwendungsgebiet nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes durchzuführen.

(2) Das Zollrecht der Europäischen Union umfasst alle von den zuständigen Organen der Europäischen Union angenommenen und in Kraft getretenen Rechtsakte, einschließlich der von der Europäischen Union angenommenen völkerrechtlichen Vereinbarungen, welche jeweils Bestimmungen über Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben enthalten, insbesondere

1. die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 vom , S. 1 (Zollkodex - ZK),

2. die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 253 vom , S. 1 (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO),

3. die Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 des Rates vom über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, ABl. der Europäischen Union Nr. L 324 vom , S. 23 (Zollbefreiungsverordnung - ZBefrVO),

4. die Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. EG Nr. L 256 vom , S. 1 (KN-VO).

(3) Soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze oder Rechtsakte der Union verwiesen wird, sind diese Bestimmungen in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden."

§ 2 Abs. 1 ZollR-DG (idF vor Inkrafttreten des AbgÄG 2015) lautet:
"§ 2. (1) Das im § 1 genannte Zollrecht der Union, dieses Bundesgesetz und die in Durchführung dieses Bundesgesetzes ergangenen Verordnungen sowie die allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften und das in Österreich anwendbare Völkerrecht, soweit sie sich auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben beziehen (Zollrecht im Sinn des Artikels 1 des Zollkodex), gelten weiters in allen nicht vom Zollkodex erfassten unionsrechtlich und innerstaatlich geregelten Angelegenheiten des Warenverkehrs über die Grenzen des Anwendungsgebietes, einschließlich der Erhebung von Abgaben (sonstige Eingangs- oder Ausgangsabgaben) und anderen Geldleistungen, soweit in diesem Bundesgesetz oder in den betreffenden Rechtsvorschriften die Vollziehung der Zollverwaltung übertragen und nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist."

§ 83 ZollR-DG (in der hier noch anzuwendenden Fassung des BGBl I Nr. 34/2010) lautet:
"Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Artikels 239 ZK in Verbindung mit Artikel 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzterenfalls stellt die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."

Art. 239 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 vom , S. 1 (Zollkodex - ZK), lautet:

"(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden."

Rechtliche Beurteilung

Die Änderungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes darf nicht zu einer Entscheidung führen, die nicht "Sache" (also Gegenstand des Verfahrens) vor der Abgabenbehörde war. "Sache" ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde bildete. Daher darf ein Erkenntnis beispielsweise nicht einen Zurückweisungsbescheid in ein abweisendes Erkenntnis abändern (vgl. Ritz, BAO7, § 279 Tz 10 f und die dort zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Spruchinhalt des angefochtenen Bescheides vom ist die Zurückweisung des Antrages der Bf. vom auf "Erstattung gemäß § 236 Abs. 2 BAO".

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist daher ausschließlich darüber zu entscheiden, ob die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Zurückweisung des auf § 236 BAO gestützten Antrages vom zu Recht erfolgt ist.
"Sache" im Sinn des § 279 BAO und Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist sohin nur die Frage, ob der Antragstellerin von der Behörde zu Recht eine Sachentscheidung verweigert wurde. Das Bundesfinanzgericht darf in einem solchen Fall nur über die Rechtmäßigkeit der Formalentscheidung (Zurückweisung), nicht aber über den Inhalt des zurückgewiesenen Antrages entscheiden.

Nach herrschender Ansicht ist § 236 BAO im Anwendungsbereich der zollrechtlichen Vorschriften nicht anwendbar. An seine Stelle tritt Art. 239 ZK (nunmehr Art. 120 UZK) mit den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen.

In Ergänzung des Art. 239 ZK ist in § 83 ZollR-DG (idF vor Inkrafttreten des AbgÄG 2015; nunmehr § 73 ZollR-DG) hinsichtlich der Unbilligkeit nach Lage der Sache eine inhaltliche Angleichung an § 236 BAO getroffen und zusätzlich eine Unbilligkeit nach den persönlichen Verhältnissen vorgesehen worden (vgl. Fuchs, Bundesabgabenordnung und EG-Zollrecht, Rz 236.1 und 236.2 zur Rechtslage vor Inkrafttreten des UZK).

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Abgabenbescheid vom , Zahl: ***111***, wurde gegenüber der Bf. Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung festgesetzt.
Diese aktenkundige Tatsache steht dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, dass in unionsrechtskonformer Auslegung die Abgabenvorschreibung als Vorschreibung einer "normale Umsatzsteuer" zu qualifizieren sei, entgegen.

Die Einfuhrumsatzsteuer gehört gemäß § 2 Abs. 1 ZollR-DG zu den sonstigen Eingangsabgaben (vgl. auch Ritz, BAO7, § 1 Rz 3). Bei der Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG (idF vor Inkrafttreten des AbgÄG 2015) handelt es sich um einen Nebenanspruch im Sinne des § 3 Abs. 2 lit. a BAO, der gemäß § 98 Abs. 3 ZollR-DG nach den für die Einfuhr- und Ausfuhrabgaben geltenden Bestimmungen zu erheben ist.

Nach Ritz, BAO7, § 1 Rz 3, gilt die Bundesabgabenordnung im Verhältnis zu den zollrechtlichen Vorschriften (z.B. UZK, ZollR-DG) für Eingangs- und Ausgangsabgaben nur subsidiär.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass etwa der von einem nach § 71a ZollR-DG herangezogenen Gesamtschuldner eingewandte Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen ist (vgl. etwa , und ).
Der Gesetzgeber hat in § 83 ZollR-DG bei der Umschreibung, was als ein besonderer Fall im Sinn des Art. 239 ZK im Falle der sonstigen Eingangsabgaben (darunter die Einfuhrumsatzsteuer) zu verstehen ist, eine eigenständige Regelung getroffen, die sich auch im Wortlaut von derjenigen des § 236 BAO unterscheidet (vgl. ).

Der im Beschwerdefall der Regelungsmaterie näherstehenden Bestimmung des § 83 ZollR-DG wird daher als lex specialis gegenüber einer allgemeinen Billigkeitsmaßnahme nach § 236 BAO ein Anwendungsvorrang einzuräumen sein.
Dies steht auch einer parallelen oder ergänzenden Anwendung der genannten BAO-Bestimmung - wie sie der Bf. den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nach vorschwebt - entgegen.

Ein Anbringen ist zurückzuweisen, wenn es unzulässig ist (vgl. Ritz, BAO7, § 85a Tz 10 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus ergibt sich, dass die Abgabenbehörde den auf § 236 BAO gestützten Antrag vom zu Recht zurückgewiesen hat.

Ob die Voraussetzungen für eine Erstattung der hier in Rede stehenden Abgaben nach Art. 239 ZK und § 83 ZollR-DG vorliegen, ist Gegenstand des beim Bundesfinanzgericht zu GZ. RV/5200015/2018 anhängigen Verfahrens.

Aus den dargestellten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Beschwerdefall ist eine Revision nicht zulässig, da keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Zoll
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
§ 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994
§ 1 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5200002.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at