Keine Zuzugsbegünstigung bei jedenfalls beabsichtigtem Zuzug aus persönlichen Gründen (Familiennachzug)
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/7103015/2020-RS1 | § 1 Abs. 2 ZBV 2016 normiert, dass der Antrag auf Zuzugsbegünstigung innerhalb von sechs Monaten nach der Verlegung des Lebensmittelpunktes nach Österreich gestellt werden muss. Mit dieser Voraussetzung wird die Ratio legis des § 103 EStG konkretisiert: Durch die Steuerbegünstigung sollen steuerliche Hindernisse für den Zuzug beseitigt werden. Bei Personen, die jedenfalls bereit sind ohne Zuzugsbegünstigung zuzuziehen, liegt kein Hindernis vor. Durch die sechsmonatige Antragsfrist soll der sogenannte „Mitnahmeeffekt“ vermieden werden. Gemeint ist das Lukrieren der Steuerbegünstigung ohne Erreichen des Normzieles, weil die zuziehende Person auf jeden Fall ihren Lebensmittelpunkt nach Österreich verlegen wollte, für sie also kein steuerliches Hindernis am Zuzug bestand. Die Steuerbegünstigung würde in solchen Fällen „wirkungslos mitgenommen". |
RV/7103015/2020-RS2 | Dem Begünstigungszweck des § 103 EStG iVm § 1 Abs. 2 ZBV wird nicht entsprochen, wenn – wie im gegenständlichen Fall – wegen der Familienzusammenführung die Ehegattin mit dem gemeinsamen Kleinkind ihrem Ehemann nach Österreich nachfolgt und ebenfalls ihren Lebensmittelpunkt ins Inland verlegt, ohne dass ihr zu diesem Zeitpunkt ein konkretes Angebot zur Ausübung einer Forschungstätigkeit im Inland vorliegt. Der eigentliche Grund für den Zuzug ist dann ganz offenkundig das gemeinsame Zusammenleben der Familie am neu gewählten Tätigkeitsort des Ehegatten. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Dieter Fröhlich über die Bescheidbeschwerde der Bf., StNr.: X1, Str., O. wohnhaft, vom , eingebracht am gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen, GZ.: BMF-X2 vom , zugestellt am , mit welchem der Antrag vom auf Zuerkennung des Zuzugsfreibetrages für den Zeitraum 2/2019 bis 2/2024 gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 abgewiesen wurde,
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang und Sachverhalt
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin, Dr. E. zog im Jänner 2019 für die Aufnahme einer erwerbswirtschaftlichen Forschungstätigkeit von Kanada nach Österreich. Er begründete in O. einen Hauptwohnsitz und begann mit Mitte Jänner 2019 die nichtselbständige Forschungsarbeit bei einem Industrieunternehmen in Kärnten. Der Steuerpflichtige beantragte die Steuerbegünstigung eines Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988.
Am erfolgte der Nachzug der Familie des Dr. E, aus Kanada. Seine Ehegattin, die beschwerdeführende ***Bf1*** und ihr gemeinsames minderjähriges Kind, K. E,, ****.2018 geboren, begründeten in der Unterkunft des Dr. E, in O. ebenfalls ihren Hauptwohnsitz. Die Ehegattin (Beschwerdeführerin, ***Bf1***) übte im zeitlichen Kontext mit der Verlegung ihres Lebensmittelpunktes von Kanada nach Österreich keine Wissenschafts- oder Forschungstätigkeit in Österreich aus. Die Begründung ihres Lebensmittelpunktes in Österreich hatte ihren primären Grund in der Zusammenführung der Familie (Familiennachzug) und nicht in der Ausübung einer Wissenschafts- oder Forschungstätigkeit.
Die Beschwerdeführerin (Bf. genannt) ist promovierte Diplomingenieur für Biomedizin und Elektrotechnik und IT und war vor ihrem Zug nach Österreich auf diesem Gebiet in Kanada wissenschaftlich tätig. Deshalb suchte die Bf. in der Folge auch in Österreich eine entsprechende wissenschaftliche Erwerbstätigkeit. Am schloss die Bf. einen Arbeitsvertrag mit der L- GmbH für eine Teilzeitbeschäftigung von 20 Wochenstunden als "Scientist in Research Division REFE" mit einem vereinbarten Monatsentgelt von € 2.074,24. Der Arbeitsbeginn erfolgte mit . Im Jahr 2019 bezog der Bf. eine Jahresbruttogehalt inklusive Sonderzahlung von € 4.841,82.
Bereits vor Aufnahme einer Forschungs- oder Wissenschaftstätigkeit in Österreich brachte die Bf. am einen fristwahrenden unvollständigen Antrag auf Zuzugsbegünstigung (ohne Verzeichnis gem. § 7 ZBV 2016) beim Bundesministerium für Finanzen ein.
Nach Durchführung des ordentlichen Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid vom vom Bundesminister für Finanzen dieser Antrag auf Zuerkennung eines Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 abgewiesen. Die Abweisung erfolgte mit der Begründung, dass das Einkommen der Bf. aus ihrer Forschungstätigkeit unter dem Mindestgehalt von akademischen Schlüsselkräften für die Blaue Karte EU gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Zuzugsbegünstigungsverordnung (ZBV 2016) i.V.m. § 12c Ausländerbeschäftigungsgesetz liege (2019: € 62.265 Bruttojahresgehalt inkl. Sonderzahlungen) liege und daher ein öffentliches Interesse am Zuzug nicht kraft Gesetz vermutet werde.
Das Bestehen eines öffentlichen Interesses am Zuzug einer Antragstellerin, weil eine Förderung der Wissenschaft oder Forschung in Österreich zu erwarten sei, die ohne ihren Zuzug voraussichtlich nicht eintreten würde, setzte eine hohe wissenschaftliche Qualifikation voraus (Förderung des Zuzugs von Spitzenkräften durch § 103 EStG). Dem Lebenslauf und der Publikationsliste der Bf. sowie dem Arbeitsvertrag und Tätigkeitsnachweis sei aber keine über einen talentierten Jungwissenschaftler hinausgehende hohe wissenschaftliche Qualifikation iSd § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016 zu entnehmen gewesen.
Gegen den Abweisungsbescheid brachte die Bf. mit Anbringen vom frist- und formgerecht Bescheidbeschwerde ein und führte begründend Folgendes aus:
"Nach meiner Promotion im Jahr 2017 war ich als Forscherin am MR Research Center der University of Alberta auf einer Postdoc-Stelle in der Spitzenforschung tätig (2017-2018). Anfang März 2018 kam meine Tochter K.E, zur Welt und war ich im Mutterschutz.
Nach der Mutterschaftskarenz bin ich im Februar 2019 nach Österreich gezogen, weil mein Ehemann einen Forschungsjob bei I-AG antrat. Ich erhielt im November 2019 eine Anstellung für eine Forschungstätigkeit bei der Firma L- GmbH in O.
Mein Aufgabengebiet umfasst die Hochfrequenzforschung für RF-Frontend-Systeme (RFFE), die Integration von Hochfrequenzschaltungen für 5G-Mobilfunksysteme sowie das Projektmanagement für kooperative, hochwissenschaftliche Forschungsprojekte. Durch meine Ausbildung und bisherige Forschungs- und Entwicklungserfahrung werde ich in der Lage sein, diese verantwortungsvolle Forschungsaufgabe zu erfüllen.
Meine wissenschaftliche Exzellenz wurde in meinem Lebenslauf, meiner Publikationsliste in hochrangigen Zeitschriften und internationalen Konferenzen, Auszeichnungen und der Lehrtätigkeit an der Universität dokumentiert. Bemerken darf ich, dass mein Doktorat von zwei verschiedenen Fakultäten (Medizinische Fakultät und Technische Fakultät) stammt und durch herausragende GPA und Publikationen ergänzt wird. Ich betrachte mich deshalb als Forscherin, die mit ihrer Qualifikation und durch die Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes nach O., viel zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung in Österreich beitragen kann."
Mit Vorlagebericht vom Juli 2020 wurde von der belangten Behörde die Bescheidbeschwerde samt dem bezugshabenden Verwaltungsakt dem BFG zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass die Bf. mit ihrer Tätigkeit bei der F- (idF F-GmbH kollektivvertraglich in die Beschäftigungsgruppe "E" eingeordnete wurde, während Spitzenforscher in der Regel in der Beschäftigungsgruppe "G" zu finden seien. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass der Zuzug nicht im öffentlichen Interesse im Sinne des § 103 EStG iVm. § 2 ZBV gelegen sei.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Beweiswürdigung
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig. Das Bundesfinanzgericht hat die vorstehenden Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen angenommen und diese der Entscheidung zu Grunde gelegt.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Die Bestimmung des § 103 EStG 1988 über die Zuzugsbegünstigung, BGBl. I Nr. 118/2015, idF StRefG 2015/2016 lautet auszugsweise:
"§ 103. (1) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen für die Dauer des im öffentlichen Interesse gelegenen Wirkens dieser Personen steuerliche Mehrbelastungen bei nicht unter Q 98 fallenden Einkünften beseitigen, die durch die Begründung eines inländischen Wohnsitzes eintreten. Dabei kann auch die für eine Begünstigung in Betracht kommende Besteuerungsgrundlage oder die darauf entfallende Steuer mit einem Pauschbetrag festgesetzt werden.
(1 a) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft oder Forschung dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen, unabhängig von der Gewährung einer Begünstigung gemäß Abs. 1 aufgrund des Zuzugs für einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Zuzugs einen Freibetrag in Höhe von 30% der zum Tarif besteuerten Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit festsetzen. Wird der Freibetrag gewährt, können daneben keine weiteren Betriebsausgaben, Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen, die im Zusammenhang mit dem Zuzug stehen, geltend gemacht werden.
(2) […]
(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, das Verfahren betreffend die Erteilung der Zuzugsbegünstigung im Sinne des Abs. 1 und des Abs. 1 a mit Verordnung zu regeln. Dabei ist auch näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist. […]"
Die Zuzugsbegünstigungsverordnung:
Auf Basis der Bestimmung des § 103 Abs. 3 EStG 1988 wurde die Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Zuzugsbegünstigungen (Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016 - ZBV 2016), BGBl. II Nr. 261/2016, erlassen.
Die am in Kraft getretene ZBV 2016 lautet auszugsweise:
Öffentliches Interessen durch Förderung der Wissenschaft und Forschung nach § 2 ZBV:
"§ 2. (1) Der Zuzug hochqualifizierter Personen aus dem Ausland dient der Förderung von Wissenschaft und Forschung und ist aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
1. Die Tätigkeit der zuziehenden Person im Bereich der Wissenschaft und Forschung besteht überwiegend in einer wissenschaftlichen Tätigkeit (einschließlich der universitären Erschließung und Entwicklung der Künste). Eine Tätigkeit ist als wissenschaftlich anzusehen, wenn sie auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten (Forschung und experimentelle Entwicklung).
2. Die Tätigkeit im Bereich der Wissenschaft und Forschung liegt maßgeblich im öffentlichen Interesse Österreichs.
3. Die Förderung von Wissenschaft und Forschung würde ohne Zuzug nicht in diesem Ausmaß eintreten und erfolgt unmittelbar.
4. Die hohe wissenschaftliche Qualifikation des Antragstellers ist hinreichend dokumentiert.
(2) Ein der Förderung der Wissenschaft und Forschung dienender Zuzug aus dem Ausland liegt in folgenden Fällen jedenfalls im öffentlichen Interesse:
1. Der zuziehende Wissenschaftler wird als Professorin/Professor im Sinne des § 94 Abs. 2 Z 1 Universitätsgesetz 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120, tätig oder des § 12 Abs. 1 Bundesgesetz über das Institute of Science and Technology - Austria, BGBl. I Nr. 69/2006 in Verbindung mit § 94 Abs. 2 Z 1 UG.
2. Der zuziehende Wissenschaftler wird in seinem Habilitationsfach oder einem an sein Habilitationsfach angrenzenden wissenschaftlichen oder künstlerischen Fach tätig,
[…]
Die Forschung und experimentelle Entwicklung muss in einem inländischen Betrieb, einer inländischen Betriebsstätte oder einer anderen inländischen wirtschaftlich selbständigen Einheit dieser Forschungseinrichtung erfolgen. Bei Personen, die nicht ausschließlich in Forschung und experimenteller Entwicklung tätig sind, müssen dabei die der Forschung und experimentellen Entwicklung (einschließlich der universitären Erschließung und Entwicklung der Künste) dienenden Tätigkeiten im Kalenderjahr überwiegen.
3. Die dem zuziehenden Wissenschaftler zu bezahlenden Vergütungen (Löhne, Gehälter, Honorare) stellen Aufwendungen (Ausgaben) im Sinne des § 108c Abs. 1 EStG 1988 dar und betragen mindestens das für die Blaue Karte EU erforderliche Bruttojahresgehalt. Z 2 letzter Satz gilt entsprechend.
[…]"
Der Gesetzestext des § 103 EStG konkretisiert zwar nicht näher, wann der Zuzug einer Person der Förderung von Wissenschaft und Forschung dient und damit im öffentlichen Interesse liegt, doch ist den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl. ErlRV 684 BlgNR XXV, GP 26) zu entnehmen, dass "angesichts des internationalen Wettbewerbs um die "besten Köpfe" für Wissenschaftler und Forscher Anreize für deren Zuzug nach Österreich geschaffen werden sollen. Begünstigt ist der Zuzug von ausländischen Spitzenkräften aus den Bereichen von Wissenschaft und Forschung".
In der wirkungsorientierten Folgenabschätzung des Steuerreformgesetzes 2015/16 (14 von 43 129/ME XXV. GP - Ministerialentwurf - Wirkungsorientierte Folgenabschätzung Steuerreformgesetz 2015 - Steuer) wird der Sinn der Bestimmung des § 103 EStG dahingehend beschrieben, dass steuerliche Anreize geschaffen werden sollen, um Hemmnisse für den Zuzug von hochqualifizierten Wissenschafts- und Forschungspersonal nach Österreich zu beseitigen.
Entsprechend der klaren Intention des Gesetzgebers, wonach diese Steuerbegünstigung auf den Zuzug von Spitzenkräften der Wissenschaft und Forschung beschränkt ist, widmet sich § 2 ZBV 2016 der Konkretisierung des Tatbestandsmerkmales "des öffentlichen Interesses" am Zuzug von Wissenschaftlern und Forschern.
Im öffentlichen Interesse gelegen ist somit der Zuzug hochqualifizierter Wissenschaftler. Die hohe wissenschaftliche Qualifikation im Sinne des § 103 EStG muss vom Antragsteller hinreichend dokumentiert sein. Ohne den Zuzug dieser Forschungs- bzw. Wissenschaftskapazität würde eine Förderung der inländischen Wissenschaft und Forschung nicht in diesem Ausmaß eintreten, als es durch sein Wirken in Österreich zu erwarten ist.
Gemäß § 2 Abs. 2 ZBV 2016 ist das öffentliche Interesse am Zuzug in unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutung jedenfalls gegeben, wenn der zuziehende Wissenschaftler in seinem Habilitationsfach oder in einem angrenzenden Fach an einer Universität oder vergleichbaren Einrichtung tätig wird (§ 2 Abs. 2 Z 1 und Z 2 ZBV 2016). Ferner besteht eine gesetzliche Vermutung des öffentlichen Interesses am Zuzug von überwiegend in der betrieblichen Forschung tätigen Steuerpflichtigen, wenn ihre Vergütung Aufwendungen im Sinne des § 108c Abs. 1 EStG darstellt und ihr Bezug zumindest das Mindestgehalt für die Erlangung der "Blaue Karte EU" einer Schlüsselarbeitskraft nach § 12c Ausländerbeschäftigungsgesetz erreicht (§ 2 Abs. 2 Z. 3 ZBV 2016).
§ 12c Ausländerbeschäftigungsgesetz lautet:
"Ausländer werden zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft zugelassen, wenn sie über einen Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer verfügen, für eine dieser Ausbildung entsprechende Beschäftigung ein Bruttojahresgehalt erhalten, das dem Eineinhalbfachen des von der Bundesanstalt "Statistik Österreich" zuletzt veröffentlichten durchschnittlichen österreichischen Bruttojahresgehalts von Vollzeitbeschäftigten entspricht […]."
Im gegenständlichen Fall ist die Bf. im Bereich der betrieblichen Forschung und Entwicklung im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung tätig.
Aus dem abgeschlossenen Dienstvertrag und den Jahresgehaltszettel 2019 ergibt sich jedoch ohne jeden Zweifel, dass die Bf. mit dem Entgelt für ihre nichtselbständige Forschungstätigkeit nicht das aliquote Mindestgehalt für eine Schlüsselarbeitskraft zur Erlangung der Blaue Karte EU im Zuzugsjahr 2019 erreicht hat (2019: betrug das Mindestbruttojahresgehalt für die Blaue Karte EU € 62.265). Angemerkt wird dazu, dass auch im Folgejahr 2020 der Lohnbezug des Bf. deutlich unter dem Mindestgehalt für die Blaue Karte EU geblieben ist (€ 63.672).
Mangels Vorliegen der Voraussetzung konnte somit die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 ZBV 2016 nicht zur Anwendung kommen.
Es war daher eine materielle Einzelfallbeurteilung gemäß § 2 Abs. 1 ZBV 2016 durchzuführen und anhand der dort genannten Voraussetzungen - mit besonderem Augenmerk auf die Tätigkeit und die Qualifikation des Bf. - zu prüfen, ob durch ihren Zuzug eine im öffentlichen Interesse gelegene Förderung der Wissenschaft oder Forschung zu erwarten war. Dabei soll im Ergebnis kein strengerer Maßstab als in § 2 Abs. 2 ZBV 2016 zur Anwendung kommen.
Unbestritten ist die überwiegend wissenschaftlich-forschende Tätigkeit des Bf. bei der F-GmbH. Zweifelhaft ist jedoch die hinreichende Dokumentation der hohen wissenschaftlichen Qualifikation des Bf. gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016.
Die Bf. verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Publikationen und bisherige Wissenschafts- und Forschungserfahrungen.
Die in der ZBV 2016 normierte unwiderlegliche Vermutung, dass von Steuerpflichtigen die überwiegend in der betrieblichen Forschung oder einer privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtung tätig sind, bereits bei Bezug eines Mindestgehaltes einer Schlüsselkraft für die Blaue Karte EU nach § 12c Ausländerbeschäftigungsgesetz ((2019 € 62.265 Bruttojahresgehalt) eine im öffentlichen Interesse gelegene Wissenschafts- oder Forschungsleistung zu erwarten ist, stellt einen recht niedrig angesetzten Schwellenwert dar.
Aus diesem Grunde liegt die Wahrscheinlichkeit auch hoch, dass Zuziehende, die in einem überdurchschnittlich bezahlten Sektor des österreichischen Arbeitsmarktes für ihre Tätigkeit nicht das Mindestgehalt für die Blaue Karte EU erlangen, im Regelfall auch nicht zu den Spitzenkräften der Wissenschaft und Forschung zu zählen sind. Die Zuzugsbegünstigung nach § 103 EStG stellt aber für das Vorliegen des öffentlichen Interesses am Zuzug eindeutig auf bereits höchstqualifizierte Wissenschaftler und Forscher ab und nicht auf eine Förderung des Zuzugs von talentierten Nachwuchskräften. Für die Rekrutierung von High Potentials-Kräften ist die Steuerbegünstigung des § 103 EStG nicht vorgesehen. Sie liegt vornehmlich im Eigeninteresse der betrieblichen oder außerbetrieblichen Forschungseinrichtung und kann daher nur durch ihr eigenes Anreizsystem gefördert werden.
Für die Beschränkung der Steuerbegünstigung des § 103 EStG auf den kleineren Kreis der höchstqualifizierten Wissenschaftler und Forscher spricht die Notwendigkeit, dass dieser den Zuziehenden gewährte Steuervorteil gegenüber den vergleichbaren nicht zuziehenden Arbeitskräften sachlich gerechtfertigt sein muss. Diese sachliche Rechtfertigung findet sich eben im objektiven Vorliegen eines öffentlichen Interesses (im wahrscheinlichen Allgemeinnutzen) am Wirken dieser Wissenschafts- oder Forschungskapazität in Österreich.
Wie bereits hingewiesen, ist eine Einstufung in die Beschäftigungsgruppe "G" des Kollektivvertrages für Angestellte der Elektro- und Elektronikindustrie ein Indiz, dass keine hohe wissenschaftliche Qualifikation im Sinne des § 103 EStG vorliegt. Diese Beschäftigungsgruppendefinition führt als Beispiele zur Gruppe "G" explizit Personen an, die eine berufsbildende höhere Schule absolviert haben sowie Berufsanfänger nach Abschluss eines Fachhochschul-, Hochschul- oder Universitätsstudium.
Auch wenn das Einstiegsgehalt lediglich als eines von mehreren Indizien für die hohe wissenschaftliche Qualifikation herangezogen werden kann und dieses auch über dem kollektivvertraglich vorgesehenen Gehalt der Beschäftigungsgruppe "G" liegt, ist dennoch festzuhalten, dass das mit der F-GmbH vereinbarte Entgelt für die Teilzeitbeschäftigung der Bf. in der Höhe von monatlich € 2.074,24 deutlich unter den Durchschnittsbezügen für hochqualifizierte Spitzenforscher liegt. Es ist auch nach der allgemeinen Lebenserfahrung kaum wahrscheinlich, dass Jungforscher in Teilzeitbeschäftigung Funktionen einer Spitzenforschung ausüben.
Die hohe wissenschaftliche Qualifikation kann auch anhand von Publikationen oder der Mitarbeit an Forschungsprojekten dokumentiert werden. Selbst wenn aus diesen Unterlagen die Mitwirkung des Bf. an mehreren Publikationen, Konferenzen und Forschungsprojekten hervorgeht, lassen diese aber auf keine hinreichend hohe wissenschaftliche Qualifikation, wie sie Spitzenkräfte der Wissenschaft und Forschung aufweisen, schließen.
Aus der Formulierung in § 2 Abs. 2 Z 4 ZBV 2016 lässt sich eine Beweislastverteilung dahingehend ableiten, als die Dokumentationspflicht den Begünstigungswerber trifft und darüber hinaus keine amtswegige Ermittlungspflicht besteht. Da die hohe wissenschaftliche Qualifikation gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016 seitens des Bf. nicht hinreichend dokumentiert werden konnte, ist davon auszugehen, dass der Zuzug des Bf. auch nicht im öffentlichen Interesse gelegen ist.
In einem im Wesentlichen vergleichbaren Fall (Engineer R&D III, Global Grade 11) wurde vom BFG ebenso das Vorliegen eines öffentlichen Interesses am Zuzug des Steuerpflichtigen verneint (vgl. BFG, , RV/7102042/2020). Es besteht diesbezüglich somit auch eine einhellige Rechtsprechung des BFG.
Beseitigung für den Zuzug relevanter steuerlicher Hindernisse:
Die Bestimmung des § 1 Abs. 2 ZBV 2016 normiert, dass der Antrag auf Zuzugsbegünstigung innerhalb von sechs Monaten nach der Verlegung des Lebensmittelpunktes nach Österreich gestellt werden muss. Mit dieser Voraussetzung wird die Ratio legis des § 103 EStG konkretisiert: Durch die Steuerbegünstigung sollen steuerliche Hindernisse für den Zuzug beseitigt werden. Bei Personen, die jedenfalls bereit sind ohne Zuzugsbegünstigung zuzuziehen, liegt kein Hindernis vor. Durch die sechsmonatige Antragsfrist soll der sogenannte "Mitnahmeeffekt" vermieden werden. Gemeint ist das Lukrieren der Steuerbegünstigung ohne Erreichen des Normzieles, weil die zuziehende Person auf jeden Fall ihren Lebensmittelpunkt nach Österreich verlegen wollte, für sie also kein steuerliches Hindernis am Zuzug bestand. Die Steuerbegünstigung würde in solchen Fällen "wirkungslos mitgenommen".
In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV StRefG 2015/2016) wird in diesem Zusammenhang ausgeführt: "Die nachträgliche Vermittlung individueller Steuererleichterungen für Personen, die bereits zugezogen sind, widerspricht der Zielsetzung des § 103 EStG."
Daher steht auch Spitzenkräften aus Wissenschaft, Kunst oder Sport, die in Unkenntnis der Steuerbegünstigung zugezogen sind, nach Ablauf der Antragsfrist keine Zuzugsbegünstigung mehr zu, um den "Mitnahmeeffekt - Nutzung des Steuervorteils ohne Zuzugshindernis - zu vermeiden. Das gleiche gilt für Spitzenkräfte die aus persönlichen Gründen auf alle Fälle ihren Lebensmittelpunkt nach Österreich verlegen wollen.
Dem Begünstigungszweck des § 103 EStG iVm § 1 Abs. 2 ZBV wird deshalb nicht entsprochen, wenn - wie im gegenständlichen Fall - wegen der Familienzusammenführung die Ehegattin mit dem gemeinsamen Kleinkind ihrem Ehemann nach Österreich nachfolgt und ebenfalls ihren Lebensmittelpunkt ins Inland verlegt, ohne dass ihr zu diesem Zeitpunkt ein konkretes Angebot zur Ausübung einer Forschungstätigkeit im Inland vorliegt. Der eigentliche Grund für den Zuzug ist dann ganz offenkundig das gemeinsame Zusammenleben der Familie am neu gewählten Tätigkeitsort des Ehegatten. Am Fehlen des erforderlichen Konnexes der "Beseitigung steuerlicher Hindernisse für den Zuzug zur Ausübung einer Forschungstätigkeit" ändert auch der Umstand nichts, wenn mehr als sechs Monate nach dem Zuzugszeitpunkt eine der hohen fachlichen Qualifikation entsprechende Berufsausübung in der Forschung aufgenommen wird. In einem solchen Fällen steht ein vor mehr als sechs Monate zugezogener Steuerpflichtiger allen anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen gleich, auch wenn nach dem - Zuzug aus persönlichen Gründen - eine im öffentliche Interesse gelegene Tätigkeit wahrgenommen wird. Diese Schranke zur Vermeidung des "Mitnahmeeffektes" kann auch nicht durch einen vorsorglich gestellten vorzeitigen Antrag auf Zuzugsbegünstigung im Hinblick auf eine wahrscheinliche künftige Forschungstätigkeit beseitigt werden.
Es war daher bereits aus diesem Grunde die Beschwerde abzuweisen. Ein Nachweis, dass die Bf. bereits im Zuzugszeitpunkt im Februar 2019 ein konkretes Angebot zur Ausübung einer Forschungstätigkeit in Österreich hatte, wurde nicht erbracht. Die Familienzusammenführung wurde daher vom BFG als der eigentliche Grund für den Zuzug der Bf. im Februar 2019 zum Familienwohnsitz nach Österreich angesehen. Dass die Bf. mehr als sechs Monate nach der Begründung ihres aus familiären Gründen gewählten Lebensmittelpunktes in Österreich, auch eine (teilzeitbeschäftigte) Forschungstätigkeit ausübte, begründet keinen Anspruch auf eine Zuzugsbegünstigung.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beurteilung, ob eine konkrete Wissenschafts- und Forschungsleistung eines Antragstellers ein öffentliches Interesse am Zuzug begründet, stellt eine Tatfrage und keine Rechtsfrage dar. Da Tatfragen aber nicht Gegenstand einer ordentlichen Revision sein können, war diese auch nicht zuzulassen. Im Übrigen steht das Erkenntnis im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des VwGH.
Wien, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 1 Abs. 2 ZBV 2016, Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016, BGBl. II Nr. 261/2016 § 2 Abs. 2 ZBV 2016, Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016, BGBl. II Nr. 261/2016 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.7103015.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at