Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.11.2021, RV/6100364/2020

Die Grenzgängerregelung ist nicht anwendbar, wenn keine tägliche Rückkehr an den Wohnort erfolgt ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Albert Salzmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Franz Heinl, Marienstr. 3, 83413 Fridolfing, Deutschland, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die Bemessungsgrundlage sind der Anlage zu entnehmen und stellen einen Bestandteil des Spruches dar.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Bisheriger Verfahrensgang

Nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens hat das Finanzamt (FA) mit Bescheid vom die Einkommensteuer für 2016 veranlagt und ist dabei von der Steuererklärung der beschwerdeführenden Partei (bP) abgewichen.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP ua gegen den og Einkommensteuerbescheid Beschwerde erhoben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das FA den Einkommensteuerbescheid 2016 vom abgeändert.

Mit Schriftsatz des steuerlichen Vertreters vom hat die bP die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragt und darin erstmals geltend gemacht, dass die bei einem deutschen Arbeitgeber erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der deutschen Einkommensteuer unterlägen und in Österreich ausschließlich im Wege des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen seien.

Mit Vorlagebericht vom hat das FA ua die Beschwerde vom gegen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2016 elektronisch dem BFG zur Entscheidung vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Begründend führt das FA aus, dass sich sowohl Wohnsitz als auch Arbeitsort "in der Nähe der Grenze" (30 km Luftlinie) befänden und daher die Grenzgänger-Regelung des Art 15 Abs 6 DBA Österreich-Deutschland zur Anwendung käme, welche in diesem Fall Österreich das Besteuerungsrecht zuspräche.

Mit E-Mail vom hat das BFG die bP dazu aufgefordert, den tatsächlichen Ort der nichtselbständigen Tätigkeit nachzuweisen. Mit E-Mail vom wurden vom steuerlichen Vertreter der bP Stundenberichte des Arbeitgebers vorgelegt, die den tatsächlichen Ort der Tätigkeit belegen.

Mit E-Mail vom hat das BFG die bP aufgefordert, mitzuteilen, ob diese täglich an den Wohnort zurückgekehrt sei oder nicht und entsprechende Übernachtungsbelege als Nachweis angefordert. Mit E-Mail vom wurden vom steuerlichen Vertreter der bP Übernachtungsbelege des Arbeitgebers vorgelegt, die den Nachweise erbringen, dass die bP nicht täglich an den Wohnort zurückgekehrt ist.

Mit E-Mail vom hat das BFG dem FA die og Stundenberichte und Übernachtungsbelege übermittelt und gem § 183 Abs 4 BAO die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnet.

Mit E-Mail vom hat das FA von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und festgestellt, dass sich sowohl der Wohnort als auch - mit einer Ausnahme - alle Tätigkeitsorte innerhalb des 30-Km-Korridors befänden, aber keine tägliche Rückkehr an den Wohnort vorliege. Demzufolge stünde gem DBA Österreich-Deutschland dem Tätigkeitsstaat (Deutschland) das Besteuerungsrecht zu.

2. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Entscheidungsrelevanter Sachverhalt

Die bP hatte im Streitjahr ihren Wohnsitz in 5020 Salzburg. Sie war ua als Montagearbeiter für ein deutsches Bauunternehmen tätig und wurde bei der Errichtung von Tankstellen eingesetzt. 2016 war die bP dabei von bis in 87647 Kraftisried (34 Arbeitstage), in 93059 Regensburg (1 Arbeitstag), in 5531 Eben (14 Arbeitstage) und in 6156 Gries (42 Arbeitstage) beschäftigt. Eine Rückkehr an den Wohnsitz fand nicht täglich, sondern ausschließlich am Wochenende oder bei Beendigung des jeweiligen Bauprojektes statt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, insbesondere aus den vom steuerlichen Vertreter übermittelten Stundenberichten und Übernachtungsbelegen des Arbeitgebers und ist zwischen den Verfahrensparteien unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist ausschließlich strittig, ob die von der bP erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einem Dienstverhältnis zu einem deutschen Arbeitgeber in Österreich als unbeschränkt steuerpflichtige Einkünfte zu erfassen sind, oder gemäß DBA Österreich-Deutschland in Deutschland der Steuerpflicht unterliegen und in Österreich ausschließlich zum Progressionsvorbehalt heranzuziehen sind.

Gemäß § 1 Abs 1 und 2 EStG 1988 sind alle natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte.

Gemäß Art 15 Abs 1 Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Deutschland (DBA) dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

Gemäß Art 15 Abs 6 DBA gilt Absatz 1 nicht, wenn die Person
1. in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und
2. täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Grenzgänger).

Bezieht eine in der Republik Österreich ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach dem DBA in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden, so nimmt die Republik Österreich zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung gem Art 23 Abs 2 lit a DBA diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus. Einkünfte oder Vermögen einer in Österreich ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in Österreich auszunehmen sind, dürfen gem Art 23 Abs 2 lit d DBA gleichwohl in der Österreich bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder Vermögen der Person einbezogen werden (Progressionsvorbehalt).

Konsultationsvereinbarung zur Grenzgängerregelung nach Art 15 Abs 6 DBA:
Die deutschen und österreichischen Finanzbehörden haben sich auf Basis von Art 25 Abs 3 DBA in Konsultationsgesprächen zur Auslegung der Grenzgängerregelung des Art 15 Abs 6 DBA in Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt - wie Homeoffice, Teilzeitbeschäftigung, mehrere Arbeitgeber - verständigt ( BMF-010221/0113-IV/8/2019, BMF-A V 68/2019).

Art 15 Abs 6 DBA weist abweichend von Art 15 Abs 1 DBA das Besteuerungsrecht trotz Ausübung einer Tätigkeit im anderen (Tätigkeits-)Staat dem Ansässigkeitsstaat zu, wenn die ansässige Person
-in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und
-in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort hat und
-täglich von ihrem Arbeitsort an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

Für die Grenzgängereigenschaft ist gemäß Artikel 15 Abs 6 DBA entscheidend, dass sich der Wohnsitz und der Arbeitsort in der "Nähe der Grenze" befinden. Als "Nähe der Grenze" gilt gemäß dem Schlussprotokoll zu Artikel 15 Abs 6 des Abkommens die "Lage in einer Zone von 30 km beiderseits der Grenze". Entscheidend ist einzig und allein, ob sich der Wohnsitz innerhalb einer 30 km-Zone (Luftlinie gemessen) zur Grenze befindet. Wohnt ein nach Österreich einpendelnder deutscher Grenzgänger innerhalb einer von der Grenze nach "Luftlinie" berechneten 30 km-Zone, dann ist insoweit das Grenzgängererfordernis selbst dann erfüllt, wenn die tägliche Straßenentfernung zum österreichischen Arbeitsort rund 100 km beträgt (Philipp-Loukota-Jirousek, Kommentar Internationales Steuerrecht; Z 15-178).

Die Grenzgängereigenschaft ist an die (arbeits)tägliche Rückkehr des Arbeitnehmers gebunden. Kehrt er nicht täglich an seinen Wohnort zurück, geht die Grenzgängereigenschaft ausnahmsweise nicht verloren, wenn
- der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist und
- in dieser Zeit höchstens an 45 Arbeitstagen nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist;
oder
- der Arbeitnehmer nicht während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist, wenn die Tage der Nichtrückkehr oder der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone 20 % der tatsächlichen Werk- bzw Arbeitstage im Rahmen des Arbeits­verhältnisses (der Arbeits­verhältnisse) während des Kalenderjahres nicht übersteigen, jedoch in keinem Fall mehr als 45 Tage betragen (auszugsweise Kunesch in PV-Info 6/2019, 20).

Wird der Arbeitnehmer im Ansässigkeitsstaat oder im Tätigkeitsstaat außerhalb der Grenzzone oder in anderen Staaten, sogenannten Drittstaaten, tätig, zählen diese Tätigkeitstage als schädliche Nichtrückkehrtage, wenn sich der Arbeitnehmer dort überwiegend, dh mehr als die Hälfte der Tagesarbeitszeit, aufhält.

1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Die bP hatte im Streitjahr ihren Wohnsitz durchgehend in Österreich. Gem § 1 Abs 1 und 2 EStG 1988 ist die bP mit ihrem gesamten Welteinkommen in Österreich steuerpflichtig.

Gem Art 15 Abs 1 DBA dürfen Löhne, Gehälter oder ähnliche Vergütungen in jenem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die Arbeit erbracht wird (hier Deutschland), auch wenn die Person im anderen Vertragsstaat ansässig ist (hier Österreich).

Das Besteuerungsrecht verbleibt ausnahmsweise im Ansässigkeitsstaat (Staat in dem sich der Wohnsitz befindet), wenn zwar die Tätigkeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird, sich aber sowohl der Wohnsitz als auch der Tätigkeitsort innerhalb von 30-Km-Luftlinie zur Staatsgrenze befinden und die Person täglich an den Wohnsitz zurückkehrt.

Da sich zwar sowohl Wohnsitz als auch Tätigkeitsort der bP innerhalb des 30-Km-Korridors zur Staatsgrenze Österreich-Deutschland befinden, aber keine tägliche Rückkehr an den Wohnort erfolgt ist, kommt die Ausnahme (Grenzgänger-Regelung) nicht zum Tragen und steht das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat (hier Deutschland) zu.

Gem Art 23 Abs 2 lit a iVm lit d DBA dürfen Einkünfte, die gem Art 15 DBA im Tätigkeitsstaat (hier Deutschland) besteuert werden, bei der Ermittlung der Einkommensteuerbemessungs-grundlagen im Ansässigkeitsstaat (hier Österreich) im Form eines Progressionsvorbehaltes berücksichtigt werden.

2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da der vorliegende Sachverhalt unter rechtliche Bestimmungen, deren Interpretation in Lehre und Rechtsprechung unstrittig sind, zu subsumieren ist, war eine (ordentliche) Revision an den VwGH nicht zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100364.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at