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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.01.2022, RV/5100090/2020

Abgabenhinterziehung im Zusammenhang mit Leistungen der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinRi in der Beschwerdesache Bf, Bf-Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des FA (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens der Einkommensteuer 2011 und Einkommensteuer 2011 Steuernummer BfStNr

I. zu Recht erkannt:

1. Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens der Einkommensteuer 2011 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

II. beschlossen:

1. Die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Einkommensteuer 2011 wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

2. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

1. Aufgrund der vom Beschwerdeführer eingereichten Arbeitnehmerveranlagung 2011 wurde am der Einkommensteuerbescheid 2011 erlassen. Erfasst wurden Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit von drei bezugsauszahlenden Stellen.

2. Mit Bescheid vom wurde das Einkommensteuerverfahren 2011 wiederaufgenommen. In der Begründung wies das Finanzamt auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung hin, die der Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien.

Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde ein neuer Einkommensteuerbescheid 2011 erlassen und wurden zusätzlich Einkünfte aus selbstständiger Arbeit i.H.v. € 24.273,87 erfasst. Auch hier verwies das Finanzamt auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung.

In der Niederschrift vom führt das Finanzamt aus, ihm sei bekannt geworden, dass die Ärztekammer für OÖ/Wohlfahrtskasse aufgrund des Ablebens des Vaters des Beschwerdeführers eine Todesfallbeihilfe i.H.v. € 27.901,00 an den Beschwerdeführer ausbezahlt habe. Bei Prüfungsbeginn sei vom Beschwerdeführer am eine mündliche Selbstanzeige im Sinne des § 29 Abs. 6 FinStrG betreffend diese Einkünfte erstattet worden, wobei ausgeführt worden sei, dass noch abgeklärt werden würde, ob diese Einkünfte unter Umständen in der Verlassenschaft des verstorbenen Vaters (in irgendeiner Form) berücksichtigt worden seien. Zudem habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er das Bankinstitut beauftragt habe, auszuheben, wann der betreffende Betrag auf seinem Bankkonto eingegangen sei, damit eine zeitliche Zuordnung des Zuflusses überhaupt möglich sei. Dazu werde ausgeführt, dass jenes Schreiben der Ärztekammer für OÖ/Wohlfahrtskasse, in welchen dem Beschwerdeführer das Anfallen dieser Todesfallbeihilfe bekannt gegeben worden sei, mit datiert sei, sodass unklar sei, wann der Betrag von € 27.901,00 tatsächlich zugeflossen sei.
Am habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Todesfallbeihilfe nicht in den Aktiva der Verlassenschaft des verstorbenen Vaters enthalten sei. Außerdem sei das betreffende Bankinstitut nicht mehr in der Lage, jene Unterlagen zur Verfügung zu stellen, aus denen der Zufluss ersichtlich wäre.
Das Finanzamt stellte fest, es sei davon auszugehen, dass der Betrag i.H.v. € 27.901,00 noch im Jahr 2011 zugeflossen sei, da über den Zuflusszeitpunkt keine entsprechenden Unterlagen vorlägen und auch nicht mehr vorgelegt werden könnten. Für die erzielten Einkünfte stehe ein Gewinnfreibetrag i.H.v. € 3.627,13 (= 13 % von € 27.901,00) zu und werde entsprechend berücksichtigt. Die Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit (Kennzahl 320) betrügen daher € 24.273,87. Im Rahmen der gegenständlichen Außenprüfung wäre in freier Beweiswürdigung davon auszugehen, dass es sich um vorsätzlich hinterzogene Abgaben handle. Dazu führte das Finanzamt aus, der Schriftsatz der Ärztekammer für OÖ/Wohlfahrtskasse beinhalte folgende Ausführungen: "Der obige Betrag wird auf die im Antrag angeführte Konto-Nr.: ….. überwiesen und muss von Ihnen selbst versteuert werden. Die Finanzbehörde kann von der Wohlfahrtskasse die Bekanntgabe der Empfänger verlangen." Dazu hielt das Finanzamt fest, dass eine Auszahlung auf Antrag erfolge und explizite Belehrungen betreffend eine Steuerpflicht der Beihilfe im Schriftsatz enthalten seien. In freier Beweiswürdigung gehe das Finanzamt davon aus, dass diese Einkünfte vorsätzlich nicht erklärt worden seien, zumal im Schriftsatz der Ärztekammer für OÖ/Wohlfahrtskasse mehrfach auf die (Einkommen-)Steuerpflicht hingewiesen worden sei.

3. Mit Schreiben vom , eingebracht am , erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend die Einkommensteuer 2011 und gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 und beantragte die angeführten Bescheide aufzuheben. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass ihm der Schriftsatz der Ärztekammer für OÖ/Wohlfahrtskasse vom postalisch nie zugestellt worden sei. Dieser Schriftsatz sei die einzige Informationsquelle, in der auf die steuerliche Behandlung verwiesen worden sei. Zudem sei ihm die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe nicht bewusst gewesen, da er kein steuerliches Spezialwissen gehabt habe. Eine steuerliche Beratung habe er für nicht nötig erachtet; vom Notar, der die Verlassenschaft abgewickelt habe, sei er über die Steuerpflicht nicht informiert worden, zudem habe er sich aufgrund des Todes seines Vaters in einem psychischen Ausnahmezustand befunden. Eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung sei somit nicht zutreffend. Er habe nicht vorsätzlich gehandelt. Die verlängerte zehnjährige Verjährungsfrist sei nicht gerechtfertigt; Verjährung sei somit mit Ablauf des Jahres 2017 eingetreten und die Wiederaufnahme des Verfahrens außerhalb der Verjährungsfrist erfolgt.
Ein Schreiben der Ärztekammer für OÖ vom stelle den Ablauf betreffend die Auszahlung der Todesfallbeihilfe konkret dar. Darin werde darauf hingewiesen, dass das Schreiben an den Empfänger, in dem auf die steuerliche Behandlung hingewiesen werde, nur informativen Charakter habe und dadurch lediglich mit einer normalen Briefzustellung übermittelt werde. Im Zweifel habe somit die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung von Amts wegen festzustellen. Neuerdings sei bereits im Antrag auf Auszahlung der Todesfallbeihilfe der Hinweis auf die Versteuerung als selbstständige Einkünfte aufgenommen worden.

4. Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrens führte es aus, für die Abgabenhinterziehung und die damit verbundene verlängerte Verjährungsfrist genüge bereits der bedingte Vorsatz. Da es dem steuerlichen Allgemeinwissen unterliege, dass Einkünfte zu versteuern seien, müsse auch bei Nichterhalt des Schreibens der Ärztekammer mit Hinweis darauf, dass die Todesfallbeihilfe Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit darstellten, durch die Nichterklärung derselben im Zuge der eingereichten Abgabenerklärung 2011 von zumindest bedingt vorsätzlicher Hinterziehung ausgegangen werden. Als Erbe sei dem Beschwerdeführer bekannt, dass er geerbt habe, und sei sowohl vom Verlassenschaftsgericht als auch von der Ärztekammer um Bekanntgabe der Bankverbindung gebeten worden. Auch sei ihm bekannt, dass die erhaltene Todesfallbeihilfe nicht unter den betroffenen Vermögenswerten der Verlassenschaft aufgeschienen und somit nicht Teil des Erbes gewesen sei, was wiederum als Indiz für die Steuerpflicht des Auszahlungsbetrages zu werten gewesen wäre. Durch das Unterlassen entsprechender Erkundigungen über die Steuerpflicht habe er eine Einkommensteuerverkürzung billigend in Kauf genommen und damit jedenfalls einem bedingten Vorsatz zu verantworten.

5. Im Vorlageantrag vom ergänzte der Beschwerdeführer die Beschwerde. Die einkommensteuerliche Behandlung der Todesfallbeihilfen unterliege keinesfalls dem steuerlichen Allgemeinwissen eines mit durchschnittlichen steuerlichen Kenntnissen ausgestatteten Abgabepflichtigen, sondern erfordere steuerliches Spezialwissen. Die Hinterbliebenenunterstützung entspreche vom Charakter einer privaten Ablebensversicherung und diene dazu, beim Tod eines Kammerangehörigen die Hinterbliebenen finanziell in Form einer einmaligen Leistung zu unterstützen. Erträge aus privaten Lebensversicherungen unterlägen im Allgemeinen nicht der Einkommensteuer. Im Zuge des Ablebens seines Vaters seien mehrere Lebensversicherungen zur Auszahlung gekommen. Diese seien weder in der Verlassenschaftsabhandlung berücksichtigt worden noch einkommensteuerpflichtig gewesen. Somit hätte es steuerlichen Spezialwissens bedurft, um die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe erkennen zu können. Der Vorsatz sei aufgrund des Irrtums über die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe ausgeschlossen. Ein bloßes "wissen müssen" oder "rechnen müssen" sei für das Vorliegen bedingten Vorsatzes ebenso wenig ausreichend, wie bloße Unbedacht oder Leichtsinn. Es liege somit keine vorsätzliche Abgabenverkürzung vor und sei die verlängerte zehnjährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden.

6. Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht am wurden im Jahr 2021 die Beschwerdevorentscheidung vom betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens und der Vorlageantrag vom betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens nachgereicht.

a. Das Finanzamt wies die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 als unbegründet ab. Durch Kontrollmaterial sei dem Finanzamt erstmals bekannt geworden, dass im Jahr 2011 Beträge aus dem Titel einer Todesfallbeihilfe vereinnahmt worden wären. Hinsichtlich der Abgabenhinterziehung wiederholte das Finanzamt die Ausführungen, die bereits in der Beschwerdevorentscheidung vom gemacht wurden.

b. Im Vorlageantrag wiederholte der Beschwerdeführer seine Vorbringen des Vorlageantrages vom und ergänzte, die einkommensteuerliche Behandlung der Todesfallbeihilfe unterliege keinesfalls dem steuerlichen Allgemeinwissen eines mit durchschnittlichen steuerlichen Kenntnissen ausgestatteten Abgabepflichtigen. Die Hinterbliebenenunterstützung (Teil der Todesfallbeihilfe) entspreche vom Charakter einer privaten Ablebensversicherung und diene dazu, bei Tod eines Kammerangehörigen die Hinterbliebenen finanziell in Form einer einmaligen Leistung zu unterstützen. Erträge aus privaten Lebensversicherungen unterlägen im Allgemeinen nicht der Einkommensteuerpflicht. Im Zuge des Ablebens seines Vaters seien mehrere Lebensversicherungen zur Auszahlung gelangt und keine sei in der Verlassenschaftsabhandlung berücksichtigt worden. Auch sei keine einkommensteuerpflichtig gewesen. Somit hätte es steuerlichen Spezialwissens bedurft, um die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe erkennen zu können. Der Vorsatz sei aufgrund des Irrtums über die Steuerpflicht ausgeschlossen. Ein bloßes "wissen müssen" oder "rechnen müssen" reiche für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes ebenso wenig aus wie bloße Unbedacht oder Leichtsinn.

7. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde der gegenständliche Akt dem bisher zuständig gewesenen Richter gemäß § 9 Abs 9 BFGG abgenommen und der Gerichtsabteilung XXXX zugewiesen.

8. Mit Schreiben vom , beim Bundesfinanzgericht eingelangt am , hat der Beschwerdeführer die Anträge auf mündliche Verhandlung und auf Entscheidung durch den gesamten Senat zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer - damals 23 Jahre alt - hat im Dezember 2011 folgende Beträge von der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ erhalten (siehe Schreiben der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ vom und Buchungsjournal der Ärztekammer für OÖ vom ):


Tabelle in neuem Fenster öffnen
50 % der Hinterbliebenenunterstützung nach § 35b der Satzung
€ 18.950,00
19 % der Hinterbliebenenunterstützung zusätzlich als unversorgte Weise
€ 7.201,00
50 % der Bestattungsbeihilfe nach § 36 der Satzung
€ 1.750,00
Auszahlungsbetrag (brutto)
€ 27.901,00

2. In der Arbeitnehmerveranlagung 2011, die der Beschwerdeführer am beim Finanzamt eingereicht hat, werden die unter Pkt. 1 genannten Beträge nicht erklärt (siehe L1 vom ).

3. Im Einkommensteuerbescheid 2011 vom werden die unter Pkt. 1 genannten Beträge nicht erfasst (siehe Einkommensteuerbescheid 2011 vom ).

4. Der Beschwerdeführer hat sich betreffend die Einkommensteuerpflicht der Todesfallbeihilfe entschuldbar geirrt.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aufgrund der in Klammer angeführten Unterlagen und aufgrund folgender Überlegungen:

1. Die Ärztekammer für OÖ hat am , einem Montag, den Betrag iHv € 27.901,00 an den Beschwerdeführer überwiesen (siehe Buchungsjournal der Ärztekammer für OÖ vom ). Somit sind im Jahr 2011 noch 7 Werktage verblieben, an denen die Bankinstitute geöffnet hatten und eine (Inlands)Überweisung durchgeführt werden konnte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass der Betrag noch im Jahr 2011 auf dem Bankkonto des Beschwerdeführers eingegangen ist.

2. Im Schreiben der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ vom , adressiert an den Beschwerdeführer, wird mitgeteilt, dass die angeführten Leistungen nicht der Umsatzsteuer unterliegen, jedoch nach § 22 Z 4 iVm § 32 Z 2 EStG 1988 zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zählen. Weiters wird darauf hingewiesen, dass der obige Betrag vom Adressaten des Schriftstückes selbst versteuert werden muss (siehe Schreiben der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ vom ).

Das Schreiben an den Empfänger der Todesfallbeihilfe wird mit der Auszahlung im Wege der EDV der Wohlfahrtskasse erstellt und mit einer normalen Briefzustellung an diesen zugesendet (siehe Schreiben der Ärztekammer für OÖ an das Finanzamt vom ). Vom Beschwerdeführer wird der Zugang des genannten Schreibens bestritten (siehe Beschwerde vom ). Ein konkreter Nachweis, dass das Schreiben dem Beschwerdeführer tatsächlich zugegangen ist, fehlt.

3. Auf dem Antragsformular auf Auszahlung der einmaligen Leistung, das der Beschwerdeführer im Jahr 2011 bei der Wohlfahrtskasse eingereicht hat, wurde nicht auf eine Versteuerung der Beträge hingewiesen (siehe Schreiben der Ärztekammer für OÖ an das Finanzamt vom ).

4. Ende 2011 und Anfang 2012 wurden an den Beschwerdeführer mehrere Lebensversicherungen in Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters ausbezahlt (siehe Schreiben der X Versicherung an den Beschwerdeführer vom , Schreiben der Y Versicherung an die Schwester des Beschwerdeführers vom ; Email des Beschwerdeführers vom ).

5. Die Hinterbliebenenunterstützung entspricht vom Charakter einer privaten Ablebensversicherung und dient dazu, beim Tod eines Kammerangehörigen die Hinterbliebenen finanziell in Form einer einmaligen Leistung zu unterstützen (siehe auch Homepage der Ärztekammer für OÖ https://www.aekooe.at/wohlfahrtskasse/leistungen/todesfallbeihilfe, abgefragt am ). Darauf weist der Beschwerdeführer sowohl im Vorlageantrag vom als auch im Vorlageantrag vom hin und gibt an, dass Erträge aus privaten Lebensversicherungen nicht der Einkommensteuer unterlägen und es steuerlichen Spezialwissens bedurft hätte, "um die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe im Gegensatz zu den erhaltenen Zahlungen aus den übrigen Versicherungsleistungen erkennen zu können".

6. Da nicht nachgewiesen werden kann, dass dem Beschwerdeführer das Schreiben der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ vom zugestellt wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der im Schreiben mitgeteilten Information von einer Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe gewusst hat.

7. Der Beschwerdeführer verweist glaubhaft darauf, dass ihm das steuerliche Spezialwissen gefehlt hat, um sich einer Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe bewusst zu sein (siehe Vorlageantrag vom ). Neben den Vermögenswerten, die in die Verlassenschaft des Vater Eingang gefunden haben, sind auch mehrere Lebens-/Risikoversicherungen ausbezahlt worden, die nicht der Einkommensteuer unterlegen sind.

Für einen steuerlichen Laien ist nicht erkennbar, dass eine Todesfallbeihilfe der Ärztekammer Einkünfte aus selbständiger Arbeit darstellen. Zudem sind die Unterscheide zwischen der Ausbezahlung einer privaten Lebensversicherung und der Auszahlung einer Todesfallbeihilfe der Ärztekammer, die den Charakter einer privaten Ablebensversicherung hat, für einen mit durchschnittlichen Kenntnissen ausgestatteten Steuerpflichtigen schon im Allgemeinen und hinsichtlich der einkommensteuerlichen Behandlung im Speziellen nicht erkennbar.

Somit kann auch dem Argument des Finanzamtes, durch die Unterlassung von Erkundigungen über die (Einkommen-)Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe habe der Beschwerdeführer eine Einkommensteuerverkürzung billigend in Kauf genommen, nicht beigepflichtet werden. Lediglich bei Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Handelns kann dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden, sich nicht über die steuerlichen Folgen der Auszahlung der Todesfallbeihilfe erkundigt zu haben. Da der Beschwerdeführer dahingehend keine Zweifel gehabt hat, hat er hinsichtlich der steuerrechtlichen Einordnung der Todesfallbeihilfe entschuldbar geirrt. Dass die Nichtberücksichtigung der Todesfallbeihilfe in der Einkommensteuererklärung 2011 zu Unrecht erfolgte, war für den Beschwerdeführer nicht erkennbar.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Beschwerdeführer eine (mündliche) Selbstanzeige iSd § 29 FinStrG erstattet hat. Schon der Wortlaut der Selbstanzeige spricht gegen einen Hinterziehungsvorsatz. Konkret wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer "den Betrag in der Höhe von € 27.901,00 vermutlich erhalten habe" und er im Begriff sei abzuklären, ob dieser Betrag im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung des Vaters vom Notar in irgendeiner Form steuerrechtlich berücksichtigt worden sei (siehe Aktenvermerk des Prüfers vom ).

8. Selbst dann, wenn im vorliegenden Fall davon auszugehen wäre, dass der Irrtum des Beschwerdeführers unentschuldbar wäre, weil er sich nicht über die Steuerpflicht der Todesfallbeihilfe informiert hätte, würde lediglich eine - für den vorliegenden Fall unbeachtliche - grobe Fahrlässigkeit vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.1 (Stattgabe)

1. Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO).

2. Das Finanzamt stützt sich in der Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 darauf, dass neu hervorgekommen ist, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2011 eine Leistung von der Ärztekammer für OÖ i.H.v. € 27.901,00 erhalten hat.

3. Da dem Finanzamt diese Tatsache bzw. dieses Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren noch nicht bekannt war, liegt unstrittig ein Wiederaufnahmegrund vor.

4. Gemäß § 207 Abs 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre.

Die Verjährungsfrist verlängert sich gemäß § 209 Abs. 1 BAO durch jede nach außen erkennbare Amtshandlungen, die zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommen wird, um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.

5. Die Verjährung beginnt im hier vorliegenden Fall mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist (§ 208 Abs. 1 lit. a BAO), also mit Ablauf des Jahres 2011. Verjährung tritt daher grundsätzlich mit Ende des Jahres 2016 ein. Durch die Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2011 verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr und tritt die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2017 ein.

Die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 ist im Jahr 2019 erfolgt. Strittig ist im vorliegenden Verfahren somit, ob Abgaben hinterzogen wurden und daher von einer verlängerten Verjährungsfrist von zehn Jahren auszugehen ist. Ansonsten wäre im Jahr 2019 bereits Verjährung eingetreten und hätte die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 nicht mehr erfolgen dürfen.

6. Im vorliegenden Fall wurde aufgrund der vom Beschwerdeführer erstatteten Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG kein Finanzstrafverfahren eingeleitet und liegt daher auch keine finanzstrafrechtliche Verurteilung vor. Somit ist über die Abgabenhinterziehung als Vorfrage iSd § 116 BAO zu entscheiden. Daher bedarf es der Beurteilung der Finanzbehörde, die nach (finanz-)strafrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen hat. Deshalb obliegt es der Behörde, die Hinterziehungskriterien nachzuweisen (; ). Der Tatbestand der hinterzogenen Abgaben im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO ist nach § 33 Finanzstrafgesetz (FinStrG) zu beurteilen.

7. Der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG macht sich schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.

Nach § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet (bedingter Vorsatz).
Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht (). Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung kann nur angenommen werden, wenn der Vorsatz alle Tatumstände erfasst; dies gilt auch für den bedingten Vorsatz (, ). Der Täter muss wissen und wollen, dass er eine abgaberechtliche Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht verletzt und dass diese Pflichtverletzung zur Abgabenverkürzung führt. Bei Verletzungsdelikten hat sich das Bedenken und Beschließen auf den tatbildmäßigen Erfolg zu beziehen. Hingegen reicht das Wissen des Abgabepflichtigen um seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen einerseits und deren Unterlassung andererseits allein noch nicht hin, unter allen Umständen auf eine mit Vorsatz begangene Tathandlung zu schließen (; ). Es reicht nicht aus, den deliktischen Vorsatz allein auf die Tatsache der Abgabenverkürzung zu stützen (). Aus dem Gesamtbild muss ein eindeutiger Beweis für das Vorliegen des Vorsatzes auf alle Merkmale des Tatbestandes sowie auf alle einzelnen, dem Abgabepflichtigen zur Last gelegten Tathandlungen gegeben sein ().

Gemäß § 9 FinStrG wird dem Täter weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zugerechnet, wenn ihm bei einer Tat ein entschuldbarer Irrtum unterlief, der ihm das Vergehen oder das darin liegende Unrecht nicht erkennen ließ; ist der Irrtum unentschuldbar, so ist dem Täter grobe Fahrlässigkeit zuzurechnen (). Dem Täter wird Fahrlässigkeit auch dann nicht zugerechnet, wenn ihm bei der Tat eine entschuldbare Fehlleistung unterlief. § 9 FinStrG unterscheidet nicht zwischen Tat- und Rechtsirrtum. Jeder Irrtum ist folglich geeignet, die Zurechnung der Schuld auszuschließen, falls er entschuldbar ist. Dazu hat der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass die Unkenntnis des Gesetzes nur dann als unverschuldet angesehen werden kann, wenn dem Normadressaten die kundgemachte Rechtsvorschrift (vgl. § 2 ABGB) trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist (). Die Unentschuldbarkeit ist in erster Linie im pflichtwidrigen Unterlassen begründet, sich über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften entsprechend zu informieren. Eine mangelnde Erkundigung kann dem Täter aber nur dann vorgeworfen werden, wenn ihm Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Handelns kommen mussten ().

8. Bei der Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen wurden, kommen die strengeren Anforderungen des Strafrechts zum Tragen. Sie betreffen vor allem das Beweismaß. Das ist der Grad an Überzeugung, der erreicht sein muss, um eine Tatsache als wahr (bewiesen, erwiesen, feststehend) anzusehen und sie darum der eigenen Erledigung zugrunde zu legen. Dafür genügt in Abgabensachen die größte (überragende, überwiegende) Wahrscheinlichkeit (; f; ; ), das ist ein Grad an Wahrscheinlichkeit knapp über 50% (). Demgegenüber bedarf es in Straf- oder Zivilsachen der "vollen Überzeugung des Richters". Das ist ein Grad an Wahrscheinlichkeit "nur wenige Promille unter der Hundertprozentgrenze", bei dem nicht einmal mehr für "leise Zweifel" Platz ist.

Daher sind an die zum Beweis einer Tatsache erforderliche Wahrscheinlichkeit hohe Anforderungen zu stellen. Es wird ein (sehr) hohes Maß an Wahrscheinlichkeit verlangt, die der Wahrheit nahe kommt, Fehlerhaftigkeit und Irrtum aber nicht ausschließt und deshalb prozessual als Wahrheit gilt (relative Wahrheit).

Die Anwendbarkeit der Strafnorm des § 33 Abs. 1 FinStrG setzt voraus, dass das im Raum stehende Delikt der Hinterziehung von Einkommensteuer vollendet, zumindest versucht wurde, und weiters, dass Fahrlässigkeit (§ 8 Abs. 2 FinStrG) oder ein Irrtum auf Seiten des Täters (§ 9 FinStrG) auszuschließen ist: In all diesen Fällen ist die objektive oder subjektive Tatseite, und damit der Straftatbestand als Ganzes nicht erfüllt.

9. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2011 von der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer für OÖ € 27.901,00 erhalten hat. Kein Streit besteht auch darüber, dass dieser Betrag gemäß § 22 Z 4 iVm § 32 Z 2 EStG 1988 steuerpflichtig ist. Somit hat in objektiver Hinsicht eine Abgabenverkürzung stattgefunden.

Der Beschwerdeführer hat betreffend die Einkommensteuerpflicht der Todesfallbeihilfe (entschuldbar) geirrt. Somit fehlt es an der subjektiven Tatseite, eine Hinterziehung iSd § 33 Abs. 1 FinStrG liegt demnach nicht vor. Somit ist aber die zehnjährige Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 BAO nicht anzuwenden. Bei Erlassung des Bescheides im Jahr 2019 betreffend die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2011 war Verjährung bereits eingetreten.

Der Beschwerde betreffend den Wiederaufnahmebescheid war daher statt zu geben, der Bescheid war ersatzlos aufzuheben.

Zu Spruchpunkt I.2. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Revision ist nicht zulässig, da es sich ausschließlich um die Beantwortung von Tatfragen handelt und die zugrunde liegenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des VwGH und das Gesetz ausreichend beantwortet sind.

Zu Spruchpunkt II.1. (Gegenstandsloserklärung):

1. Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs 1) entsprochen, so ist gemäß § 261 Abs. 2 BAO eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären.

2. Da der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2011 entsprochen wurde, ist die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 als gegenstandslos zu erklären.

Zu Spruchpunkt II.2. (Revision)

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die hier anzuwendende Norm ist klar und eindeutig, weshalb eine Revision nicht zulässig ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 33 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 8 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 9 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100090.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at