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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.12.2021, RV/7102762/2021

Außergewöhnliche Belastungen bei behinderungsbedingten Mehraufwendungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter MMag. Gerald Erwin Ehgartner in der Beschwerdesache **BF**, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 zu Recht:

I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruchs dieses Erkenntnisses.

II. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer machte in seiner Arbeitnehmerveranlagung ua gesamt den Betrag von EUR 12.104,61 als außergewöhnliche Belastung im Zusammenhang mit seiner vorliegenden Behinderung (Grad der Behinderung: 100 %) geltend.

Aus entsprechenden Vorhaltsbeantwortungen ergibt sich, dass sich der Betrag von EUR 12.104,61 wie folgt zusammensetzt:

  • Hilfswerk (tägliche Körperpflege) EUR 3.366,23

  • Helferlein (Pflege) EUR 3.599,01

  • Reha-Kosten EUR 590,32

  • Physiotherapie EUR 3.580

  • Praktischer Arzt EUR 511,75

  • Sanitätsbedarf EUR 457,30

Im Einkommensteuerbescheid 2020, erlassen am fanden sich als allgemeine außergewöhnliche Belastungen (mit Selbstbehalt) bloß EUR 5.258,37 ausgewiesen. Hingegen - mit Ausnahme des Pauschalbetrags nach § 3 Abs 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen (BGBl. Nr. 303/1996) von gesamt EUR 2.280,00 (EUR 190 x 12) - keine außergewöhnlichen Belastungen ohne Selbstbehalt angeführt.

Mit Beschwerde vom beantragte der Beschwerdeführer die entsprechende Bescheidabänderung. Seiner Ansicht nach seien die von ihm angesetzten außergewöhnlichen Belastungen in voller Höhe absetzbar. Durch seine 100 %-ige Behinderung sei seine Leistungsfähigkeit sehr beeinträchtigt und die Aufwendungen notwendig und gerechtfertigt. Vorgelegt wurde eine Bestätigung des Sozialministeriumservice über das Vorliegen einer Behinderung von 100 %.

Mit Ergänzungsersuchen vom ersuchte die belangte Behörde den Beschwerdeführer alle beantragten Krankheitskosten mittels Rechnungen und Zahlungsnachweisen zu belegen und die ärztliche Verordnung der Physiotherapien nachzureichen bzw den Kostenersatz der Krankenversicherung bekanntzugeben.

Mit Vorhaltsbeantwortung vom übermittelte der Beschwerdeführer eine Bestätigung des Gesundheitsamtes, aus dem sich die Bezahlung einer Rechnung für Behandlungskosten ergibt. Auf die sonst angeforderten Belege und Nachweise ging der Beschwerdeführer nicht ein.

In der Beschwerdevorentscheidung vom erfolgte (mangels Vorlage von Belegen bzw Nachweisen) keine Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen im Zusammenhang mit der Behinderung.

Mit Vorlageantrag vom legt der Beschwerdeführer einzelne weitere Belege vor.

In Beantwortung von Seiten des Bundesfinanzgerichts ausgesendeter Vorhalte teilte die belangte Behörde mit, dass der Großteil der beantragten außergewöhnlichen Belastungen aus dem Grund nicht gewährt werden habe können, da vom Beschwerdeführer trotz Aufforderung kaum Belege beigebracht worden seien. Nicht als Kosten der Heilbehandlung seien im Übrigen Aufwendungen anzusehen, die regelmäßig durch die Pflegebedürftigkeit verursacht würden, wie Kosten für Pflegepersonal, Bettwäsche, Hygieneartikel, usw (). Diese Kosten seien durch das Pflegegeld abgegolten. Würden sowohl Kosten für Pflegepersonal als auch für pflegebedingtes Material anfallen, seien die Gesamtkosten zu ermitteln und diese mit Ausnahme von Kosten für Heilbehandlung und nicht regelmäßig anfallende Hilfsmittel um pflegebedingte Geldleistungen zu kürzen. Der Beschwerdeführer habe laut Lohnzettel im Jahr 2020 für die Monate 1-12 ein Pflegegeld von EUR 13.241,60.- bezogen. Die Ausgaben für Hilfswerk und Helferlein seien vom Pflegegeld abzuziehen. Sanitätsbedarf sei über das Pflegegeld abgegolten. Der Reha Selbstbehalt sei um den Tagessatz für Privataufwand von EUR ~6,00 zu kürzen. Die Physiotherapie, sofern verordnet, stehe im Zusammenhang mit Parkinson und sei um Abzüge der GK zu kürzen. Kosten für den praktischen Arzt stellten nur dann eine außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt dar, wenn die Behandlung im Zusammenhang mit der Behinderung stehe, wovon eher auszugehen sei.

Von Seiten des Beschwerdeführers sowie vom (von Seiten des Bundesfinanzgerichts kontaktierten) Physiotherapeuten und von der Pensionsversicherungsanstalt konnten letztendlich alle erforderlichen Belege bzw Nachweise eingeholt werden. Es sind damit sämtliche Honorarnoten, zugehörige Zahlungsnachweise und ärztliche Verordnungen vorliegend.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

1. Feststellungen & Beweiswürdigung

Der Beschwerdeführer leidet an Parkinson und verfügt aus diesem Grund über eine Behinderung im Ausmaß von 100 %. Die entsprechende Bestätigung des Sozialministeriumservice über das Vorliegen einer Behinderung von 100 % liegt vor.

Laut vorliegendem Lohnzettel bezog der Beschwerdeführer im Jahr 2020 für die Monate 1-12 ein Pflegegeld von EUR 13.241,60.

Nachweislich wurden vom Beschwerdeführer im Jahr 2020 die im Folgenden angeführten Ausgaben getätigt. Alle angeführten Ausgaben standen in unmittelbarem, ursächlichem Zusammenhang mit der Behinderung, die der Minderung der Erwerbsfähigkeit zugrunde liegt. Sie sind allesamt zwangsläufig erwachsen.

  • Körperpflege (Hilfswerk und Helferlein) 3.366,23 + 3.599,01 = EUR 6.965,24

  • Sanitätsbedarf EUR 457,30

  • Kuraufenthalt/Reha-Kosten (einmonatig im Neurologischen Therapiezentrum ***) EUR 590,32
    Hinsichtlich dieser geltend gemachten Aufwendungen bestätigte die PVA ausdrücklich die Übernahme der restlichen Kosten (vom Beschwerdeführer wurde nur der Betrag von EUR 590,32 getragen).

  • Physiotherapie (Therapeut ***): 680,00 + 680 + 600 + 850 + 850 = EUR 3.660
    Es erfolgte ein Kostenersatz durch ÖGK in folgendem Ausmaß: 428,70 + 428,70 = EUR 857,40
    Es ergibt sich daraus ein vom Beschwerdeführer selbst getragener Betrag von EUR 2.802,60

  • Praktischer Arzt (Dr. ***): EUR 511,75
    Die Behandlung steht im Zusammenhang mit der Behinderung.

Folgende weitere Ausgaben wurden vom Beschwerdeführer noch nachgewiesen:

  • Krankentransport EUR 29,54

  • Medikamente EUR 472,75

  • Rollstuhlschlupfsack (SANAG) EUR 133,90

  • Seitengitter und Kunststoffgleiter für ein Pflegebett (SANAG) EUR 44,20

Alle Belege/Nachweise liegen dem Gericht vor.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1 Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gemäß § 34 Abs 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG) sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss dabei folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie muss außergewöhnlich sein,

  • sie muss zwangsläufig erwachsen und

  • sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

Gemäß § 34 Abs 2 EStG ist die Belastung außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst. Gemäß § 34 Abs 3 EStG erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

In § 34 Abs 4 EStG sind hinsichtlich der wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grundsätzlich Selbstbehalte vorgesehen. Gemäß § 34 Abs 6 EStG ist jedoch ua bei behinderungsbedingten Mehraufwendungen kein Selbstbehalt vorgesehen. Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung können somit bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs 1 EStG (anstelle der vorgesehenen Freibeträge) voll (ohne Selbstbehalt) abgesetzt werden, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Entsprechend obiger Feststellungen verausgabte der Beschwerdeführer im Jahr 2020 die angeführten Beträge. Sie erwuchsen zwangsläufig und standen mit der die Behinderung begründenden Krankheit in unmittelbarem und ursächlichem Zusammenhang. Sämtliche Ausgaben wurden nachgewiesen.

Die angesetzten Ausgaben für Hilfswerk (EUR 3.366,23) und Helferlein (EUR 3.599,01) sowie für Sanitätsbedarf (457,30) sind bereits über das (übersteigende) Pflegegeld abgegolten und können daher nicht mehr als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.

Betreffend den einmonatigen Kuraufenthalt (Reha) wurden entsprechend obiger Feststellungen bis auf den Betrag von EUR 590,32 die Kosten von der PVA übernommen. Der Nachweis der Notwendigkeit des Kuraufenthalts wurde dadurch entsprechend erbracht (vgl ).

Der vom Beschwerdeführer verausgabte Betrag von EUR 590,32 ist daher grundsätzlich abzugsfähig. Es ist bei Kuraufenthalten jedoch die Haushaltsersparnis als Selbstbehalt abzuziehen. Da bei einem Kuraufenthalt von einer Vollverpflegung auszugehen ist, sind vom Wert der vollen freien Station in Höhe von EUR 196,20 die Kostenanteile für Wohnung (ein Zehntel) sowie Beleuchtung und Strom (ein Zehntel) auszuscheiden. Die Haushaltsersparnis ist daher in Höhe von acht Zehntel des Wertes der vollen freien Station, somit in Höhe von EUR 156,96 pro Monat zu berücksichtigen (vgl Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG (2021) § 34, Rz 78 Krankheitskosten und Kuraufenthalt).

Es ergibt sich diesbezüglich somit ein als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt absetzbarer Betrag von EUR 433,36 (EUR 590,32 abzüglich EUR 156,96 als monatliche Haushaltsersparnis).

Den vom Beschwerdeführer verausgabten Beträgen für Physiotherapie von gesamt EUR 3.660,00 steht ein Kostenersatz durch die ÖGK im Gesamtausmaß von EUR 857,40 entgegen. Es ergibt sich daraus ein vom Beschwerdeführer selbst getragener Betrag von EUR 2.802,60, der als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt absetzbar ist.

Auch die Ausgaben für den praktischen Arzt iHv EUR 511,75 sind, zumal sie im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt absetzbar.

Schließlich sind auch folgende weitere Ausgaben noch als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt absetzbar:

  • Krankentransport EUR 29,54

  • Medikamente EUR 472,75

  • Rollstuhlschlupfsack (SANAG) EUR 133,90

  • Seitengitter und Kunststoffgleiter für ein Pflegebett (SANAG) EUR 44,20

Gesamt steht dem Beschwerdeführer somit die Absetzung von außergewöhnlichen Belastungen ohne Selbstbehalt im Gesamtbetrag von EUR 4.428,10 zu. (EUR 433,36 Kuraufenthalt, EUR 2.802,60 Physiotherapie, EUR 511,75 praktischer Arzt, EUR 29,54 Krankentransport, EUR 472,75 Medikamente, EUR 133,90 Rollstuhlschlupfsack und EUR 44,20 Seitengitter und Kunststoffgleiter für ein Pflegebett).

Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 wird folgendermaßen abgeändert


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Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
29.410,08
Gesamtbetrag der Einkünfte
29.410,08
Sonderausgaben:
Pauschbetrag für Sonderausgaben
-60,00
Zuwendungen gem. § 17 Abs 1 Z 7 EStG
-20,00
Kirchenbeitrag
-317,55
Außergew Belastungen ohne Selbstbehalt
-4.428,10
Pauschbetrag nach der VO über agB wegen einer Behinderung
-2.280,00
Einkommen
22.304,43
Die Einkommensteuer beträgt
0 % für die ersten 11.000
0,00
20 % für die weiteren 7.000
1.400,00
35 % für die restlichen 4.304,43
1.506,55
Steuer vor Abzug der Absetzbeträge
2.906,55
Pensionistenabsetzbetrag
0,00
Steuer nach Abzug der Absetzbeträge
2.906,55
Anrechenbare Lohnsteuer
-5.629,42
Rundung gem § 39 Abs 3 EStG
-0,13
Festgesetzte Einkommensteuer
-2.723,00

2.2 Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit der Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall lag keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, die Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102762.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at